Wie lege ich meinen Roman an? Als reine Fiktion, als Tatsachenbericht oder als etwas ganz Anderes, nie Dagewesenes à la Terry Pratchetts "Scheibenwelt" (ach halt, die gibt es schon!)? Und vor allem, was will der geneigte Leser? Was erwartet er?
Spannung, Drama, Abenteuer, Grusel, Kuriositäten, Fakten, neue Welten oder eine Mischung
von allem?
Diese Fragen stellt sich vermutlich
jeder Autor früher oder später, der in der Branche der
Unterhaltungsliteratur seine Werke veröffentlicht respektive es vorhat. Ich habe mich letzthin damit
beschäftigt, weil in meinem historischen Kriminalroman "Das Bildnis des
Grafen" Gruselelemente miteingeflochten wurden, die maßgeblich für die
Geschichte und die Lösung des Geheimnisses zwischen den beiden Familien
Whitehurst und Escaray sind.
Mit
der Einteilung und Kategorisierung des Genres meiner Romane habe ich mich nie leicht
getan, und ich glaube, ich weiß jetzt, woran es liegt: ich möchte mich
nicht akademisch oder sklavisch daran halten, welche Elemente typisch
und klassisch sind für einen Krimi, einen Fantasyroman oder einen
Psycho-Thriller.
Seien wir mal ehrlich. Irgendwann werden
die "klassischen" Krimis mit dem ewig gleichen Muster wenig
überraschend oder sogar langweilig: Inspektor / Kommissar(in) entdeckt
grausiges Verbrechen, jagt den Täter und befragt dabei Verdächtige und
Zeugen und bringt den Schurken am Ende zur Strecke. Das alles liest der
Krimi-Fan in mehr oder weniger abweichenden Variationen, mal mit dem
Schwerpunkt auf der traumatischen Kindheit des Täters, mal im Fokus der
privaten Probleme des Ermittlers. Klar, das kann man ausschmücken
und jeder Autor hat dabei einen Stil, der einzigartig ist. Außerdem ist das "Whodunnit"-Motiv nie ausgereizt und regt zum Miträtseln an. Trotzdem.
Mein Fall ist das nicht unbedingt, dieses "So-muss-es-sein-und-nicht-anders". Jedenfalls nicht, wenn ich selbst am PC sitze und Geschichten erfinde.
Anne Perry, so toll sie schreibt, hat mich
nach dem dritten Inspektor William Monk-Fall ziemlich kalt gelassen,
weil mir das Schema F und die unterkühlte Art der Hauptfiguren schon bald
unangenehm aufgefallen sind (ich habe dennoch fast jeden Monk gelesen -
wahrscheinlich aus Loyalität).
Irgendwann hatte ich es satt, ständig in
seitenlangen, immer gleich ablaufenden Gerichtsverhandlungen schwelgen zu müssen. Die Fälle waren
entweder *too much* (wie Kindesmissbrauch) oder zu trockene Kost. Nie
bricht sie aus ihrem Erfolgsmuster wie etwa mit überraschenden Wendungen
aus und definiert es neu, die gute Frau Perry. Zugute halten muss man ihr, dass sie, wie viele andere Meister(innen) ihres Fachs, eine weltweite Fangemeinde hat, die es so von ihr erwartet. Vielleicht wären die Leser sogar enttäuscht, wenn Monk und Hester leidenschaftlich übereinander herfielen und sich in der Hitze des Gefechts einen feuchten Kehricht um den aktuellen Fall scheren würden.
Mir gefallen Wendungen in
Büchern, mit denen ich nicht gerechnet habe. Freilich müssen sie logisch
erklärt werden, doch auch wenn die Erklärung nicht sofort mit dem
Holzhammer daherkommt, kann ich gut damit leben. Ich mag es,
mitzudenken. Und obwohl ich weder Fantasy-Autor noch -Leser bin, schätze
ich durchaus in einem historischen Roman nicht nur fundierte Recherche
über die Gepflogenheiten, der Umgebung und der Sprache der damaligen Zeit, sondern
auch phantastische Dinge, die sich der Autor ausgedacht hat und mit
denen er somit die Regeln des genannten Genres bricht bzw. sie zu seinen Gunsten verändert, indem er zum Beispiel physikalische Gesetze außer Kraft setzt. Das relativ junge Genre "Steampunk" trifft diese Beschreibungen wohl ganz gut. Dort kommen nicht nur wunderliche Maschinen wie fliegende Stühle zum Einsatz; es werden Welten erschaffen, die halb Realität und halb Fantasy sind. Fantasy ohne Zwerge, Elfen und sonstiges Gelichter der Nacht, sondern eine Welt, in der (fast) alles möglich ist. Irgendwie gefällt mir die Vorstellung.
Was
spricht dagegen, wenn in einen Roman, der in der Vergangenheit spielt
und auf historischen Begebenheiten fußt, dennoch ein wenig Grusel und Mystik
eingebaut wird? Wir kennen das aus "
Das Durchdrehen der Schraube" von Henry James oder aus aktuellen Beispielen wie John Boynes "
Haus der Geister".
Diese Geschichten haben durchaus realen Charakter, daher kategorisiert
man sie in die Genres "Klassiker" bzw. "historische Romane". Und das Gruseln und das Unerklärliche kommen trotzdem nicht zu kurz.
Ein besonders grandioser Phantast und realistischer Träumer war Karl May. Keines seiner Abenteuer hat er selbst erlebt, und bekannterweise bereiste er erst in hohem Alter die Schauplätze seiner Romane, aber er beschreibt seine Helden, die fremden Sitten und die damit einhergehende Exotik auf so anschauliche Art und Weise, dass man ihm seine Geschichten begeistert abnimmt und sogar seinen Alter Ego "Scharlie" / Kara Ben Nemsi trotz schier unerträglicher Aufschneiderei und Superkräfte irgendwie sympathisch findet. Noch größere Glaubwürdigkeit hat er sich unter seinen Fans dadurch verschafft, indem er die Villa Shatterhand erbaute und dort in seiner selbst erdichteten Realität weiterlebte.
Wenn
ich ehrlich bin, wünsche ich mir mehr solcher Autoren und mehr Mut zu
Originaliät, ohne zu fürchten, dass der Gedanke, der einem gerade
durch den Kopf spukt, unglücklicherweise überhaupt nicht in das Genre passt, für das man
bekannt ist oder bekannt werden will. Schreiben ist Handwerk, unbestreitbar, und wer die
Regeln nicht kennt, muss sie erst erlernen und zumindest einige
beherzigen. Aber Schreiben ist auch und vor allem Emotion, sich führen lassen und
Einfallsreichtum in alle Richtungen. Und letztendlich zählt Schreiben zu den musischen und schönen Künsten, nicht zur unumstößlichen Wissenschaft. Deshalb würde ich sie nicht gar so bitterernst nehmen wollen und mit dem Zeigefinger rügen, wenn Neues probiert wird.
Eines der schönsten Komplimente, das
ich bezüglich meiner Romane je erhalten habe, war übrigens das Prädikat
"Ungewöhnlich - aber gut!" Solche Bücher möchte ich lesen. Und schreiben.