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Sonntag, 31. Dezember 2023

Jahresrückblick & Veränderung. Jeder spricht davon, doch leicht und lustig ist beides nicht immer...

 ... Naja, dass sie leicht und lustig sind, hat auch niemand behauptet. Aber überall kann man lesen und hören, wie wichtig gerade Veränderung ist. Veränderung deines Alltags, deines Berufes, deiner Einstellung. Unbestritten ist es oft notwendig und auch befreiend, den Blickwinkel zu wechseln und Veränderungen zu leben, wenn man sie erst mal gewagt hat. Doch eine Frage muss erlaubt sein. Was ist so schlimm an Routine, wenn sie dich glücklich macht?

Durch Mamas Heimgang im Herbst diesen Jahres hat sich bei mir viel geändert. Veränderungen, auf die ich gern verzichtet hätte. Als Familie waren wir eine Einheit, ein Team, das sich sowohl im Beruflichen als auch im Privaten ergänzt hat. 

Mama mit ihren Visionen und Ideen, ihrem Enthusiasmus, ihrer Liebe zu Menschen und Gottes Schöpfung allgemein. Ihre Begeisterung für den Glauben und einen gesunden Lebensstil abseits von Ärzten und Schulmedizin hat den Rest der Familie angesteckt und inspiriert. Und Papa als Praktiker, als jemand, der ihre bzw. unsere verrückten Einfälle realisierbar gemacht hat.

 

Mein geliebtes vielseitiges Mamele

Gewohnt haben wir seit 2005 nebeneinander, nachdem ich die ersten "wilden" Jahre in einer Mansarde in der Südstadt verbracht habe. Das Grundstück, auf dem mein Haus steht, wurde getauscht, so dass es uns gehörte. Was lag näher, als unser Traumhaus zu bauen, direkt neben der Wohnung der Eltern? In erster Linie hatte der Hausbau praktische Gründe, und ganz ehrlich - am Anfang war ich nicht besonders glücklich darüber. Im Lauf der Zeit aber doch. Es war erstens nicht weit bis zur Arbeit, und zweitens war immer jemand da, der beide Häuser im Auge behalten konnte oder auf die Haustiere aufpasste, wenn eine der beiden Parteien ausgeflogen war, zum Kurzurlaub oder Seminaren. Ein bisschen haben wir auch in die Zukunft geschaut: wenn jemand von uns Hilfe brauchen würde, z.B. bei Krankheit, wäre immer jemand aus der Familie da. Wir waren froh um den großen Platz, den wir hatten, und fühlten uns von Gott begünstigt und gesegnet. Auch durch unser Anwesen, das für jeden offenstand. Freiheit und Rückzugsmöglichkeiten gab es dennoch mehr als genug.

Seit Mai dieses Jahres hat sich alles geändert. Wir Kinder sind nach drüben gezogen, um unsere Eltern zu unterstützen. Die Nächte wurden schwierig und anstrengend, und die Tage waren nicht viel leichter. Wir hielten durch im festen Glauben, dass Gott meine Mama bald wieder gesund macht. Leider hat er sie auf andere Weise geheilt, auf eine, die uns Menschen nicht so behagt, vor allem den Hinterbliebenen nicht.


Ein Blick in die elterliche Wohnung

Wir wohnen seitdem permanent bei Papa, der mit Haushalt, Kochen und Putzen überfordert wäre und es nicht gewohnt ist, alleine zu sein. Fast sechzig Jahre hat sich Mama um die "Hausfrauenpflichten" gekümmert, während Papa der Experte für "Männersachen" war wie Handwerken, Reparieren, Geschäftsführung und Steuererklärungen. Er betont häufig, wie froh er ist, dass wir da sind. Und ich bin es auch. Denn die Wohnung ist riesig und gerade abends durch den ehemaligen Laden im Erdgeschoss ein bisschen unheimlich. Der Vorteil ist, dass sie den Katzen viel Platz zum Spielen und Erkunden bietet; mehr als in unserem Haus nebenan. Sie rasen, klettern und toben durchs Haus und entdecken immer neue Geheimgänge. Sicher spannend für ein Katzerl, das gezwungenermaßen keinen Freigang hat. 

Ich weiß nicht, wie die Zukunft aussieht. Will auch gar nicht planen oder mir Gedanken machen müssen. Was zum Beispiel geschieht mit unserer seit Mai leerstehenden Wohnung? Vermieten wäre das Nächstliegende, doch wir scheuen uns davor. Interessenten gäbe es mehr als genug. Die Wohnung ist toll für zwei bis drei Personen und zentral gelegen. Aber so individuell, dass es uns schwerfallen würde, sie abzugeben. Wie die elterliche Wohnung ist auch unser Haus von der Familie architektonisch geplant und nach der eigenen Vorstellung erbaut. Einge Möbel und Besonderheiten haben Nerven gekostet, doch umso stolzer sind wir auf unsere freistehende Badewanne auf Löwentatzen und die Toilette mit altmodischer Kettenspülung. Sie jemand anderem zu überlassen, wäre hart. Auch wenn ich gelernt habe, mein Herz nicht zu sehr an materielle Güter zu hängen.


Abends beim Wein und Papa daheim.

Ein bisschen habe ich mich trotzdem mit dem Gedanken angefreundet, umzuziehen ins Elternhaus. 

Unsere Trauer wird irgendwann hoffentlich nicht mehr so groß sein. Momentan tröstet es mich jedoch, hierzusein, auch um Papas wegen. Er hält sich sehr tapfer und ist wohl der einzige, der uns oft ein bisschen Mut macht. Dabei weiß ich, dass er Mama mindestens so sehr vermisst wie meine Schwester und ich. Wahrscheinlich mehr. Sie waren ein Herz und eine Seele, zwei, die sich gefunden hatten und nie länger als ein paar Wochen getrennt voneinander waren. Die gemeinsame Interessen haben - mehr noch als wir vier zusammen. Allein das abendliche Fernsehprogramm, bei dem man sie oft herzhaft miteinander lachen gehört hat, ist anders als das, was ich anschauen würde. Aber wir nähern uns ein bisschen an, woran man merkt, dass der Altersunterschied nicht entscheidend ist zwischen den Generationen. Alles Geschmack- und Gewöhnungssache. "Schlagerspaß mit Andy Borg" und Kabarett finde ich mittlerweile recht amüsant und unterhaltsam, vor allem Heinrich del Core und Jürgen Beckers. Nur bei "Hannes und der Bürgermeister" verstehe ich höchstens die Hälfte und kann selten über die Witze lachen. Vielleicht kommt das aber auch noch...

Die Abende empfinde ich gerade als am schönsten. Wir trinken Wein und essen Orangen oder Pudding und Toffifee und Schokolade. Ein paar kulinarische Trösterchen müssen gerade sein. Geschlemmt haben wir nicht über Weihnachten, und auch heute an Silvester bleibt die Küche vermutlich kalt.

 

 Dattel im Speckmantel ist schon weg!

Raclette ist mit schmerzlichen Erinnerungen verbunden, und Ausgehen eher unter der Woche dran. Bei der Gelegenheit haben wir Tapas in "Hector's Bar" wiederentdeckt. Sehr lecker waren die, egal, was wir kommen ließen. Ich glaube, ein weiterer Besuch ist der einzige Neujahrsvorsatz zusammen mit dem, dass wir uns für 2024 Frieden über Mamas Geschichte im Krankenhaus wünschen, die so unglücklich verlief, dass wir nun doch einen Brief für die Klinikleitung aufgesetzt haben, der unsere Eindrücke während dieser fünf Wochen schildert, fernab davon, eine Schuldzuweisung zu sein. Vielleicht ändert sich auch da etwas - zum Positiven für die Patienten. Das wäre eine Entwicklung, die sehr zu begrüßen ist.

Ich wünsche euch von ganzem Herzen Glück, Gesundheit und Zufriedenheit für 2024. Rutscht gut rein und habt nur schöne Veränderungen, die auf den ersten Blick vielleicht herausfordernd sind, euch aber stärker machen! 💪💓🙏


Montag, 18. Dezember 2023

Gewinnspiel / Buchverlosung "Das Bildnis des Grafen"

Bis zum 23. Dezember verlose ich ein Restexemplar des "Grafen", das den jungen Mann von hinten vor der Moorlandschaft zeigt. Mir persönlich gefällt dieses Cover am besten, doch für die Neuauflagen wurden andere gewählt. Diese Ausgabe ist nun also nicht mehr erhältlich. 



Die Teilnahmebedingungen sind folgende: Schreibt mir, was euch zum Thema Erster Weltkrieg einfällt, der ja die Hintergrundstory des Romans bildet. Da der WW1 nun doch schon ein Weilchen her ist, könnt ihr natürlich nicht aus eigener Erfahrung schreiben. Ich bin daher auch mit genannten Büchern oder Filmen zufrieden. Da gibt es doch so einige.

Vielleicht - und das wäre schön - habt ihr aber auch Familiengeschichten aus dieser Zeit, die überdauert haben, die ihr mir gern schildern dürft. Ich persönlich habe meinen Uropa im Ersten Weltkrieg verloren - er fiel vermutlich in Verdun und kehrte nie zurück. Für meine Oma war das zeitlebens fast traumatisch, da sie ihn sehr geliebt hat, so klein wie sie war. 

Es ranken sich jedoch auch allgemeine und herzerwärmende Geschichten um den Ersten Weltkrieg - etwa das gemeinsame Weihnachtsfest von Feinden in den Schützengräben. Auch dazu gibt es meines Wissens nach einen Film. 

Ich bin jedenfalls gespannt auf eure Kommentare und Antworten. Am besten schreibt ihr sie mir auf meine Autorenseite, doch ihr könnt auch hier den Kommentarbereich nutzen, wenn ihr nicht bei Facebook seid. 

Eure Daten werden nicht an Dritte weitergegeben. Am 23. Dezember wird der Gewinner ermittelt.

Viel Glück allen Teilnehmern! 🍀🍀🍀


Dienstag, 12. Dezember 2023

"Geh und spiel mit dem Riesen" von Hans Joachim Gelberg / Beltz & Gelberg

Mit dem Lesen ist es derzeit nicht weit her bei mir. Alle Aktivitäten, die Konzentration erfordern, fallen mir unglaublich schwer. Ich hätte nicht gedacht, dass es eine Traurigkeit gibt, die weit über das hinausgeht, was ich bisher erfahren habe. Ich hoffe, dass dieser Zustand sich bald bessert und meine gewohnte Tagesenergie zurückkehrt. Auch das fällt mir auf: mein Akku ist recht schnell leer; meist kurz nach dem Mittagessen. Danach wird es zunehmend anstrengender, Dinge zu erledigen wie Einkauf, Haushalt, Arbeit. Jeder Tag gleicht mehr oder weniger dem anderen, und ich bin froh, wenn ich abends die Brille aufsetzen und die Beine von mir strecken kann.

 

 

Umso stolzer bin ich auf mich, dass ich es geschafft habe, den alljährlichen Weihnachtsflohmarkt zu besuchen und dort einen Keramik-Knoblauchtopf und zwei Bücher erstanden habe. Eines davon ist "Geh und spiel mit dem Riesen". Eine echt kuriose und fast anarchistisch anmutende Sammlung von Kurzgeschichten, geschrieben von damals noch jungen Autoren wie Michael Ende, Ilse Kleberger und Otfried Preußler, die als erstes Buch mit dem Kinderliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Meines ist tatsächlich die Originalausgabe von 1972, und dafür noch prima in Schuss, sieht man von einzelnen Stockflecken und zerbröselnden Herbstblättern als Lesezeichen mal ab. 

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten und "WTF?!"-Momenten gefällt mir die Anthologie nun richtig gut. Jeden Abend lese ich bis zu drei Geschichten und bin erstaunt, wie zeitlos und manchmal modern sie sind. Meist albern zwar, da die Autoren und Autorinnen einfach schreiben sollten, was ihnen in den Kopf kam, ohne pädagogischen Lehrauftrag. Aber gerade darin liegt der Reiz und irgendwie auch der tiefere Sinn. 

Meine Lieblingsgeschichten bisher sind die Titelgeschichte, die von dem kleinen Josef und seinem Traum handelt (nicht der biblische Josef), "Macht nichts" von Michael Ende, der ein riesiges, einsilbiges Kind trifft, das ihn am Ende Kopf und Kragen kostet, und so einige Comics und Fotogeschichten. Letztere finde ich besonders als Zeitdokument interessant. Ich habe aber zugegebenermaßen auch eine kleine Schwäche für die 1970er Jahre... damals gab es natürlich noch keine political correctness, und so bin ich doch ein paar Mal über heute verpönte Begriffe wie "Neger" und "Zigeuner" gestoßen. Gestört haben sie mich nicht, zumal sie in keinem beleidigenden Kontext verwendet wurden, sondern tatsächlich eher Bewunderung ausdrücken.

 

 

Überhaupt war die Zeit vor fünfzig Jahren noch weniger kompliziert, vielleicht sogar naiv; so will es mir zumindest scheinen. Immerhin - von Computern für den Hausgebrauch bzw. das Büro ist schon die Rede. Und vom überarbeiteten Buchhalter Herr Brümmel, der selbst im Privatleben nur noch Zahlen sieht und feststellt, dass sich etwas ändern muss, wenn er noch Freude im Leben haben will. Darum streicht er sein Büro rebellischrot an und feiert seinen Geburtstag, um die kleinen Dinge endlich zu würdigen, die ihm bis dato entgangen waren vor lauter Arbeit. Das mochte ich auch sehr. Und die Zeichnung von Herrn Brümmel hat mich ein bisschen an "unseren" Herr Trapp erinnert. Obwohl der Lehrer werden wollte und nie gearbeitet hat...

Auf seine eigenwillige Art ist "Geh und spiel mit dem Riesen" sicherlich ein Kinderbuchklassiker. Wenn schon nicht inhaltlich, so hat den Titel wahrscheinlich jeder Buchaffine schon gehört. Für heutige Verhältnisse ist das Buch vermutlich ein wenig zu kafkaesk, sprich bizarr und anarchisch, denn verglichen mit Neuerscheinungen für Jugendliche hat es etwas Wildes, Unberechenbares. Zum Nachdenken regt es trotzdem oder gerade deshalb an. 

Ältere, nostalgische Kinder wie ich haben jedenfalls ihren Spaß daran. Viele Bücher, die ich auf jenem Flohmarkt gekauft habe, gebe ich weiter, weil sie entweder nicht meinem Geschmack entsprachen oder ich genau weiß, dass ich sie nicht mehr zur Hand nehmen werde - dieses hier gehört nicht dazu. Größe und Haptik finde ich übrigens auch sehr ansprechend. Ein weiterer Pluspunkt ist der orangefarbene Einband, ein Markenzeichen von Beltz & Gelberg. Ich weiß gar nicht, ob es den Verlag noch gibt, habe jedoch auch noch ein Kinderbuch von Erwin Moser in jenem charakteristischen Einband. Vielleicht sollte ich mir die Abenteuer von Mehli dem Mehlkäfer mal wieder zu Gemüte führen. Ich habe es geliebt. Und Ameise Melonko.

 

Sonntag, 10. Dezember 2023

Neuauflage: "Das Bildnis des Grafen"

Auch wenn mir momentan aufgrund meiner Trauer nicht danach ist, die Werbetrommel zu rühren, bin ich doch sehr glücklich über die gelungene Neuauflage meines Debütromans. Im letzten Artikel habe ich auf eine Aktion aufmerksam gemacht, über die die "alten" Ausgaben von "Das Bildnis des Grafen" zu Sonderpreisen verkauft wurden. Das Printbuch ist mittlerweile nur noch begrenzt vorrätig, denn genau wie das Ebook erstrahlt der Graf nun in neuem Glanz.

 


Zu verdanken ist das meiner lieben Kollegin Sonja Ziehr, die sich neben dem Schreiben auch mit ansprechender Covergestaltung befasst und sie anbietet. An dieser Stelle nochmals ein herzliches Dankeschön für deine Ideen und Tipps! Die Schrift gefällt mir megagut, und das gespenstische Haus könnte Valentines Versteck im Garten sein, in dem ihm Carrick begegnet - Escaray Hall selbst ist nämlich ein ziemlich weitläufiges Anwesen. 😉 

Neben der neuen Version des Covers wurde auch ein bisschen an den Preisen geschraubt. "Das Bildnis des Grafen" kann mit Kindle Unlimited kostenfrei gelesen oder zu € 2,99 als Download angefordert werden. Für einen über 500 Seiten starken Wälzer ein bescheidener Einsatz. 

Natürlich gibt es für altmodische Leser wie mich auch die Druckedition, die ein anderes Cover hat, das hoffentlich ebenso attraktiv wirkt, wenn auch etwas monochrom durch die fehlende Farbe - leider war das Kleid fürs Ebook dem Printbuch um einige Nummern zu klein, so dass ich mich für ein Panoramabild entschieden habe, das dem Ebook optisch recht nahe kommt, denn auch hier sieht man ein Spukhaus in einer Mondnacht. Folgend die Rückseite mit Klappentext:



Nachdem meine letzte Aktion leider nicht besonders gut gelaufen ist und auch das Jahr 2023 gelinge gesagt bescheiden war für mich, hoffe ich nun, mehr Leser/innen zu erreichen. Denn nach all dem, was ich durchgemacht und auch keinen Grund habe, Weihnachten und Silvester zu feiern (nicht, dass mir an letzterem viel läge), wäre es das größte Geschenk für mich zu sehen, dass Interesse an einer kriminalistischen Gruselgeschichte besteht, die in dieser Form wohl noch nicht niedergeschrieben wurde.

 Erst neulich besuchte mich die Frau des besten Freundes von Papa, die das Buch gelesen hatte und sich mit mir darüber austauschen wollte (Glücksmoment!). Unter anderem fragte sie mich ganz erstaunt, wie man denn auf so ein Thema käme, denn das wäre so besonders ungewöhnlich und dennoch gut recherchiert. Das Ende mochte sie besonders, das sie vor Spannung nicht abwarten konnte und daher fast die ganze Nacht hindurch gelesen hat. Da hüpft das Autorenherz vor Freude. Und ganz ehrlich: Es widerstrebt mir selbst, Persönliches oder gar Selbstmitleid in Werbung unterzubringen. Aber ich soll ein bisschen nett zu mir sein und an mich denken, wenn es mir schlecht geht; das habe ich vom Trauerratgeber gelernt, und es tut mir wirklich gut. Bis ich mich von Mamas tragischem Verlust erholt habe, geht sicherlich noch eine lange Zeit ins Land. 

 


Der Verkauf meiner Bücher wäre ein Trostpflaster. In das Ebook könnt ihr selbstverständlich kostenfrei reinschnuppern. Ich bin gern bereit, mich mit meinen Lesern über die Geschichte auszutauschen und auch eine Online-Leserunde auf einem Bücherform zu begleiten, was mir immer viel Spaß gemacht hat, solange ich noch ein Forenleben hatte. Auch als Geschenk eignet sich der Roman gut - besonders für jene, die gern in eine Welt eintauchen, die zwar real, aber auch ein bisschen spooky ist. Und das passt doch ganz gut für Weihnachten. 

 

Samstag, 2. Dezember 2023

Adventsaktion: "Das Bildnis des Grafen", aber kein Jahresrückblick

 Traditionellerweise resümiere und philosophiere ich zu dieser Zeit des Jahres ein bisschen über das vergangene bzw. über den Sinn von Weihnachten. Dieses Jahr verzichte ich darauf. Alles ist so unglücklich und schmerzlich für mich und meine Familie gelaufen, dass mir Freude, Spaß und Heiterkeit unsagbar fern scheinen und man sich fragt, ob sie überhaupt je wiederkommen. 

 

Ich weine jeden Tag.


Weihnachten fällt daher auch flach. Mama hat immer den Adventskranz so toll aufgehübscht, mit einfachen Mitteln wie Tannenzweige und dem Arrangieren unserer bereits vorhandenen Weihnachtsdeko. Daran zu denken, macht traurig, denn es wird das erste Weihnachten ohne sie. Ich kann es nicht begreifen, warum sie uns so früh genommen wurde. Und dann habe ich das Gefühl, dass es sich nicht lohnt, Erwartungen und Wünsche zu haben, da sie doch nicht erfüllt werden. Mama hat so fest daran geglaubt, mit Hilfe ihres guten Hirten lebenssatt und alt zu werden. Sie war so überzeugt und auf ihre Weise auch so robust und vital, dass wir durch ihren Heimgang im September völlig durcheinander und fassungslos waren. Bis jetzt können wir es nicht verarbeiten, dass wir glauben, Gott hat uns im Stich gelassen. Denn es ist nicht nur der unersetzliche Verlust, sondern auch die Art, wie es dazu kam. Ob das je besser wird mit der Zeit und man nicht mehr ständig daran denken muss? Es kommt mir manchmal wie eine Strafe vor, doch ich weiß nicht, wofür. Verständnislosigkeit, Perspektivlosigkeit und Trauer sind momentan die vorherrschenden Empfindungen. Ein optimistisches Vorwärtspreschen ins Jahr 2024 ist deshalb gecancelt.



 Trotzdem möchte ich wie jedes Jahr an die phänomenale Bedeutung von Weihnachten erinnern, als Gott in Gestalt eines Menschen - als Baby in der Krippe in Bethlehem - auf die Erde kam und seitdem denen Rettung und ewiges Leben verspricht, die an ihn glauben und seine Botschaft weitererzählen. Mama hat das von ganzem Herzen getan und wurde dafür reich beschenkt von Ihm. Und das wiegt mehr als jedes Geschenk der Welt. Die gibt es dieses Jahr nämlich auch nicht. Keiner von uns ist in Stimmung, und merkwürdigerweise macht einem der Verlust eines geliebten Menschen aufs Neue klar, wie unwichtig materielle Güter sind. 

Für euch als meine Freunde, Fans und Follower habe ich dennoch ein Geschenk. Mein Roman "Das Bildnis des Grafen" wird derzeit als Ebook zu sagenhaften  € 2,99 angeboten, die 500 Seiten dicke Printausgabe für sensationelle € 5,55. 



Da heißt es zugreifen, am besten mehrfach für alle, die gern unheimliche Krimis aus vergangenen Zeiten lesen ("historisch" darf man ja nicht mehr sagen, wenn es ein fiktionales Werk ist... oder? 😜) Um die Aktion nutzen zu können, klickt auf den unten stehenden Link von Amazon und schwupps in den Warenkorb damit. Ihr würdet mir eine große Freude machen - die einzige, die ich dieses Jahr habe. 


Sonntag, 5. November 2023

Die Sache mit der Trauer...

 Auf der Suche danach, meinen Schmerz durch Mamas Verlust zu lindern, habe ich vor kurzem zwei Bücher gelesen (es fällt gerade schwer, das Lesen), nämlich "Dem Himmel auf der Spur" des Journalisten Lee Strobel und "Es ist okay, wenn du traurig bist" von der Psychologin Megan Devine. Eins vorweg: Geholfen haben beide Bücher nicht, aber das ist nicht schlimm. Es war gut, sie zu lesen, denn beide sind ungewöhnlich und mit neuen Erkenntnissen gefüllt, so dass sie mir ein Trost waren und ich einiges für mich daraus ziehen konnte.



Was mir beim Lesen des Ratgebers auffiel, war, dass die Sprüche, die Bekannte und Freunde von sich geben, um zu "trösten", häufig die gleichen sind. 

"Sei froh um die Zeit, die ihr hattet." (Antwort: Sie hätte doch noch nicht vorbeisein müssen!)

"Jetzt eröffnen sich neue Wege." (Antwort: Meine Wege waren gut, solange der geliebte Mensch da war. Sie müssten sich nicht ändern. Ich stecke jetzt mehr in einer Sackgasse als je zuvor.) 

"Alles hat seinen Grund." (Antwort: Um mich elend zu fühlen? Einen Verlust zu beklagen, der sich nicht ändern lässt? Dafür gibt es keinen ersichtlichen Grund.)

Und jeder Spruch, jede Floskel wird von der Autorin (zu Recht) scharf kritisiert. Sie ist selbst Trauertherapeutin und hat ihren Mann durch einen Badeunfall verloren, der sie zwang, alles Althergebrachte über Trauer zu überdenken. 

Teilweise fand ich ihre Ausführungen und Ratschläge etwas überspitzt - vor allem der letzte Teil mit ihrem "Stamm" -, aber im Großen und Ganzen lesenswert auch für das Umfeld von Trauernden, für das es ein Extrakapitel im Buch gibt. Es wird nichts wieder gut nach dem Verlust eines geliebten Menschen, nichts wie vorher. Nie mehr. Das ist eine Tatsache, die ich gern ignorieren würde, die aber stimmt. Wenn man plötzlich und endgültig ohne Partner, ohne den geliebten Menschen auskommen muss, steht die Welt Kopf. Man versteht sie nicht mehr und fühlt sich wie beraubt und verwundet. Alles um einen herum schmerzt: die Erinnerungen, Anblicke von Menschen, die nichts wissen von deinem Elend, ältere Pärchen, die Hand in Hand gehen. Eine Tochter, die ihre Mutter umarmt. Selbst das Einkaufen tut weh; abgesehen davon, dass körperliche Aktivitäten einem Kraftakt gleichen. Wie oft ich beim Anblick des Buko-Frischkäse im Kühlregal schon in Tränen ausgebrochen bin!

Und bevor es pauschal klingt: das ist es nicht. Auch das betont Megan Devine immer wieder: Trauer ist individuell. Keine Krankheit, die es möglichst rasch zu überwinden gilt. Die auch nicht immer den von Elisabeth Kübler-Ross entworfenen Trauerphasen folgt, auf die sich viele berufen. Selbst dieselben Verluste auf ähnliche Art werden unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet. Trauer muss ihre Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Da sie bei Nicht-Trauernden Unbehagen und Verlegenheit auslöst, wird das nicht so einfach sein. 

 

Kranich17 / Pixabay

 

Erstaunlicherweise erntet man als Trauernder viel Unverständnis, wenn man sagt, dass man Zeit braucht und keine guten Ratschläge, die eh nicht helfen. Nach den oben genannten Sprüchen (die eigentlich nur hohle Phrasen sind) gibt es auch Gespräche, die zwar gut gemeint sind, aber verletzend für Betroffene. Die einem - natürlich unbewusst - Schuldgefühle einreden, von denen man vielleicht sowieso schon genug hat. Die Ansage, wir hätten selbstsüchtig gebetet, war der Tupfen auf dem I. Ganz ehrlich, das hat mich sehr getroffen.

Es ist sonderbar: obwohl ich eher introvertiert bin, hilft es mir, unter Leuten zu sein, die z.B. ein Familienunternehmen führen, aus dieser Gemeinsamkeit heraus wissen, wie eng Familien zusammenhalten können und auch, dass ich Mama nicht vermisse, weil sie "viel für mich gemacht hat". Nein, das ist es nicht. Auch wenn sie als Mama gut für uns gesorgt hat, waren wir doch erwachsen und selbständig. Es ist die Person um ihrer selbst willen, die eine nicht zu schließende Lücke hinterlässt. Wir kommen auch jetzt gut zurecht. Oberflächlich betrachtet. Besser, als viele gedacht hätten, die den Eindruck haben, dass Mama wortwörtlich unser Zugpferd war.

Aber wir trauern auf unsere Art. Nicht, wie andere es von uns erwarten oder vorschreiben. Zum Glück haben wir Freunde, die auch Tränen aushalten. Die nicht unbedingt irgendetwas sagen müssen vor lauter Verlegenheit oder uns gar nicht zu Wort kommen lassen, nur damit wir das "Thema" nicht anschneiden. Dabei tut es uns gut, über Mama zu reden. Vor allem mit Leuten, die sie kennen. Wenn dabei die Tränen fließen, was ist schon dabei? Es zeigt nur, dass sie fehlt und unsere Liebe zu ihr von ewiger Dauer ist. Das ist nicht verkehrt. Eine mitfühlende Umarmung tut gut. Es muss nicht mehr sein. 


Mein kreativer Weg: Bible Art Journaling

 In Megan Devines Buch werden praxisnahe Tipps gegeben, mit der Trauer umzugehen. Kreativität ist neben Freundlichkeit zu sich selbst der wichtigste davon. Und tatsächlich habe ich Bible Art Journaling entdeckt, nachdem ich Mamas entsprechende Bibel ein paar Tage mit Ehrfurcht vor ihren Zeichnungen und zu Papier gebrachten Gedanken betrachtet habe. Ich glaube, es freut sie, dass ich sie weiterführe. Denn zum ersten Mal empfinde ich etwas wie Trost, wenn ich über eine Bibelstelle nachdenke und sie dann grafisch an den dafür vorgesehenen Seitenrand setze. Ich bin Mama dann irgendwie nahe. Und Gott sowieso. 

Da ich mich wenig in der Bibel auskenne, ist das Bible Art Journaling eine tolle Möglichkeit, sie besser zu verstehen bzw. zu verinnerlichen. Vieles, worauf ich gestoßen bin, hat mit meiner derzeitigen Situation zu tun und erweckt in mir den Eindruck, dass Gott irgendwann doch wieder in mein Leben kommt. Bisher habe ich es noch nicht wieder geschafft, ihn komplett hereinzulassen in meine verwüstete Seele. Aber auch das ist vorerst okay. Ich weiß, dass Gott ein geduldiger Gentleman ist.



Samstag, 28. Oktober 2023

Fragen und Trauer. Und kaum eine Antwort oder Trost.

Im letzten Blogartikel schrieb ich über meine Mama, die Anfang September unerwartet und ganz anders als je gedacht zu ihrem himmlischen Papa gegangen ist. Ich denke, dass er den roten oder sogar goldenen Teppich ausgerollt hat bei ihrer Ankunft. Sie liebt Jesus und alles, was er für sie und uns getan hat. Das hat sie vielen erzählt und vermittelt, und nicht wenige sind durch sie zum Glauben gekommen. Sie hat sicher eine schöne Wohnung, die sie nie putzen muss, Natur zum Wandern und Genießen und Gesellschaft auf ihrer Veranda. Soweit ist alles gut. Um Mama müssen wir uns keine Gedanken machen, denn es geht ihr gut, dort wo sie ist, und ich wette, sie ist auch äußerlich wieder jung (obwohl sie nie alt und immer schön war, in jedem Lebensabschnitt).


Vielleicht sieht sie so wieder aus?

 

Was uns als Hinterbliebene dennoch beschäftigt, umtreibt und beinahe quält, ist die Frage, warum es so hat kommen müssen. Nicht das Warum an sich allein, sondern auch das Wie. Da Mama durch ihre Tätigkeit als Ernährungsberaterin seit über vierzig Jahren nie krank war oder Probleme mit dem Herzen hatte, nehmen wir an, dass die Herzschwäche durch einen Infekt entstanden ist, der nicht entdeckt wurde. Kurioserweise konnte uns kein Arzt, weder in der Praxis noch im Krankenhaus, sagen, was ihr fehlt. Leider wurde sich von beiden Seiten auch nicht die Mühe gemacht, eine Anamnese zu erstellen bzw. uns als Angehörige zu fragen, ob sie sich verändert hat in den letzten Monaten. Nicht, dass man dazu Zeit gehabt hätte, aber vielleicht hätte es etwas Licht ins Dunkel gebracht. So können wir nur spekulieren und erhalten keine klaren Antworten. 

 

Oder so? Mit Mitte Dreißig beim Töpfern.


Sicher ist nämlich, dass es nicht das Herz alleine war, das plötzlich nicht mehr so richtig funktionierte. Schon Monate vor der Einlieferung ins Krankenhaus durch den Notarzt im Juli war Mama nicht mehr so, wie wir sie kannten. Unruhig, nervlich nicht mehr belastbar, manchmal ängstlich und reizbar wie ein kleines Kind, wollte sie ihre Medikamente nicht mehr nehmen. Selbst die pflanzlichen Mittel verweigerte sie. Vielleicht auch, weil sie Schwierigkeiten beim Schlucken hatte und sich ihr Geschmacksinn veränderte. Nichts schmeckte mehr wie es sollte. Tag- und Nachtrhythmus gerieten durcheinander, und die Arzttermine ließen uns mehr und mehr fragend statt aufklärend zurück. 

 Und Mama, die sonst für jedes Problem eine Lösung hatte, war auf einmal genauso hilflos wie wir. Irgendwann wurde sie so schwach, dass jede Bewegung eine Anstrengung bedeutete. Die OP, die sie im Heidelberger Krankenhaus hatte, sollte zuerst nicht durchgeführt werden, doch der Chirurg setzte sich darüber hinweg. Erfolgreich, denn sie hatte gute Prognosen in Heidelberg. Allerdings stellte man eine Pilzinfektion fest, die jedoch aufgrund der Priorität der Herzoperation nicht umfassend behandelt wurde. Nach zwei Wochen musste sie in das Krankenhaus zurück, in dem sie aufgenommen worden war. Unsere Frage, ob sie nicht in Heidelberg bleiben könne, wurde vom Oberarzt bedauernd verneint. Hätten wir geahnt, wie sich alles weiterentwickelt, hätten wir darauf bestanden.

 

Dezember 2022


War sie in Heidelberg noch ansprechbar und hatte Hunger ("Pellkartoffeln mit Quark wären schön."), wurde sie auf der anderen Intensivstation mit jedem Tag apathischer und matter. Gar nicht mehr wie unser Mamele. Und ganz ehrlich: wenn man die Ärzte und Pfleger über sie reden hörte, konnte einem der Lebensmut und die Hoffnung sinken. Ich glaube, sie hat alles gehört und irgendwann mit Gott beschlossen, zu gehen. Das wäre ein besserer Trost als der, den uns die Ärzte gaben Anfang September ("Wir sind frustriert und brechen die Behandlung ab. Das ist nicht Ihre Entscheidung, sondern unsere. Machen Sie sich keine Gedanken."). 

Für uns war die Behandlung dort so unmenschlich, empathie- und würdelos den Patienten und deren Angehörigen gegenüber, dass ich nach einiger Zeit die Besuche gefürchtet habe. Schon nach ein paar Tagen vermittelte man uns sowohl durch Ärzte als auch dem Pflegepersonal, dass es keine Hoffnung gäbe und wir "zu einer Entscheidung kommen müssten". Zu welcher und warum, hat man uns nicht gesagt. Nur ein vages "neurologisches Problem" trat auf einmal auf. Einer der Ärzte meinte, alles wäre auf die Pilzinfektion zurückzuführen, doch eben dieser Mediziner verschwand auf mysteriöse Art und erschien nicht wieder, geschweige denn dass das Problem in Angriff genommen wurde. Überhaupt - von Ärzte- und Pflegepersonalmangel war hier wenig zu spüren. Es war eher verwirrend, wie viele es waren mit so vielen verschiedenen Meinungen, die sie mitunter ungefragt kundtaten. Und Mama konnte nicht reden und musste alles über sich ergehen lassen... wenn ein Pfleger oder eine Schwester Zeit hatte, haben wir von ihr erzählt. Wie mutig, lebenslustig, unkonventionell und liebenswürdig sie ist. Das hat überrascht. Und mir gezeigt, wie wenig man den Mensch in ihr sah. 

 

Mamele, du fehlst!

 

 Außer Zeit im Krankenhaus scheint übrigens auch die ärztliche Schweigepflicht ausgedient zu haben. Wir waren dankbar, dass auch Freunde und Bekannte mit unserem Einvernehmen Besuche auf der Intensivstation abstatten konnten, doch wie merkwürdig war es, von jenen Freunden und Bekannten zu erfahren, was dieser oder jener Arzt / Pfleger über Mamas Fall gesagt hatte. Sollte das nicht Angelegenheit der engsten Angehörigen bleiben?

Im Nachhinein, wenn ich alles noch einmal Revue passieren lasse, gewinne ich den Eindruck, dass man sich von vornherein keine Mühe gemacht hat mit ihr. Schon der erste Arzt, der am Bett mit uns stand, kannte den Krankenbericht nicht vollständig und meinte, dass seine Mutter diesselbe Geschichte nicht überlebt hatte (die allerdings auch zwanzig Jahre älter war und vermutlich eine andere Konstitution hatte). 

Ein andermal war der tags zuvor noch gesunde Chirurg von jetzt auf nachher krank, der einen kleinen Eingriff hätte vornehmen sollen, damit Mama in Reha und somit die Intensivstation verlassen kann. Das kam mir auch merkwürdig vor. Abgesehen davon, dass die Krankmeldung so schnell erfolgte: gibt es keinen anderen Fachmann auf diesem Gebiet in einem großen Krankenhaus? Der Eingriff war nach dem, was man mir sagte, nicht allzu kompliziert.

Niemand machte uns Hoffnung oder sprach uns und Mama Mut zu. Das tut sehr weh. Es tut besonders weh, weil sie nicht mehr ins Krankenhaus wollte nach den zwei Wochen im Herbst letzten Jahres. Und weil wir dachten, dass sich die Schulmedizin evtl. doch als Hilfe erweisen könnte, der wir durch Erfahrungen skeptisch gegenüberstehen. Unsere Einstellung hat sich nicht geändert, im Gegenteil. Schade. Hätte sie es doch. Oder hätte Gott das Wunder bewirkt, an das wir so geglaubt haben und von dem wir überzeugt waren. Auch noch, als die Ärzte kapitulierten. Aus dem Glauben haben wir Kraft geschöpft, die wir in diesen Wochen so dringend brauchten.


Wanderung im April 2023 mit Frank


"Jetzt kann Gott wirken", sagten wir uns voller Zuversicht. Aber er hat es nicht getan. Aus einem Grund, den wir nicht verstehen, nahm er Mama einen Tag nach Abbruch der Behandlung zu sich. 

Verabschieden konnten wir uns nicht. Papa meint, sie hätte es schon lange vorher getan. In Heidelberg vielleicht schon. Ich weiß, dass sie zu Papa in der hiesigen Intensivstation noch "Schatz, ich lieb' dich" sagte, und ihr letztes Wort an mich war "Shalom". 

Sie hat ihren Shalomfrieden gefunden, da bin ich sicher. Hoffentlich finden wir ihn mit der Zeit auch wieder, gemeinsam mit dem Vertrauen, dass Gott an unserer Seite steht. Bevor die Sache mit Mama war, haben wir das uneingeschränkt geglaubt. 

Hoffentlich kommt alles wieder, wenn auch das Leben jetzt ein anderes und ärmer sein wird ohne das Herz unserer Familie. Wir fühlen uns wie Verlierer, sagte Papa neulich zu einer Freundin. Und das trifft es auf den Punkt. Denn nichts ist quälender als die Grübelei über etwas, das nicht mehr zu ändern ist und vielleicht zu ändern gewesen wäre, hätte man Mama mehr Aufmerksamkeit und Hilfe zukommen lassen. Der Schmerz über ihren Verlust wird vermutlich mit der Zeit schwächer (ich kann es mir kaum vorstellen), doch wie wir die Zeit im Krankenhaus verkraften sollen und warum es dort scheinbar zu einer Abfolge unglücklicher Umstände kam, das wird lange in uns nachhallen. 

 


 

Darum gibt es momentan für uns selbst keinen richtigen Trost bis auf den, dass wir uns eines Tages wiedersehen.



Dienstag, 26. September 2023

Mama

 Dieser Artikel wird schwer. Mein Mamele ist mit 76 Jahren heimgegangen zu ihrem Herrn Jesus. Von Kindesbeinen an hat sie ihn als ihren guten Hirten erkannt und ist mit ihm durchs Leben gegangen wie kein zweiter Mensch, den ich kenne. Und ebenfalls wie kein zweiter besaß sie eine tiefe Liebe zu Menschen, vielseitige Interessen, Mut, Neugier und Offenheit, die sie im Herzen und auch äußerlich immer jung gehalten haben. Sie wollte alt und lebenssatt mit 120 Jahren an Papas Seite gehen, doch Gottes Plan sah anders aus. 


Im Kindergarten.


Sie war mir Mama, Freundin und Ratgeberin zugleich. Die Erinnerungen, die ich an sie habe, sind nur schön, aber gerade jetzt auch sehr schmerzlich. Gemeinsam haben wir Häkelpüppchen nach eingeschickten Fotovorlagen gefertigt, wobei sie vor keiner noch so heiklen Herausforderung zurückschreckte. Wenn ich meinte, das sei zu schwer, meinte sie leichthin: "Lass es uns doch probieren, das schaffen wir schon." Und so war es auch. Die Puppen, die in die Welt hinausgingen, waren zum Großteil durch ihre Ideen und deren perfekte Umsetzung so wertvoll wie wunderschön anzusehen. Dazu bei trugen z.B. aufgenähte Borten, aufgestickte Gold- und Silberfäden als Verzierung und Zusatzmaterial wie alte Knöpfe. Was Handarbeit anging, konnte ihr niemand das Wasser reichen. Vermittelt hat sie mir ihr Wissen auf diesem Gebiet mit einer Engelsgeduld. Dennoch habe ich es nie zu solch großem Geschick gebracht wie sie, die schon als Mädchen die Nachbarskinder Häkeln und Sticken gelehrt hat. Dass sie so gut war in Handarbeit, wurde ihr in der Schule sogar zum Verhängnis: die Lehrerin war der Überzeugung, dass sie niemals selbst die Taschentücher so fein und fehlerlos bestickt haben könne und es jemand anderes für sie erledigt hatte, also erhielt sie eine schlechte Note.

 


 

Als kreativer Mensch, gelernte Krankenschwester und Diplom-Gesundheitsberaterin fand sie immer Lösungen. In allen Bereichen. Vielen Menschen hat sie geholfen. Unaufdringlich, aber konsequent. Mein Opa überwand dank ihr seine Demenz und hatte noch sechs schöne Jahre bei uns und in seiner eigenen Wohnung. Und es gab viel Besuch, häufig auch Gäste, die jahrelang blieben und bei uns respektive im Haus meiner Eltern wohnten, weil sie sich dort wohlfühlten und gut aufgehoben. Es gab ja immer einen Ansprechpartner mit einem offenen Ohr. Ich erinnere mich an ein Ehepaar aus den USA, das mehrere Tage bei meinen Eltern zu Gast war. Der dunkelhäutige Mann hat beim Abschied geweint und gesagt, dass er sich nirgends so akzeptiert gefühlt hat wie bei uns. Und dabei sprach Mama nicht einmal Englisch.

Sie hatte ein großes Herz und war ein richtiger Sonnenschein. Der Mittelpunkt unserer Familie. Mit ihrer liebevollen, humorvollen und freundlichen Art nahm sie jeden für sich ein. Manchmal sogar unfreiwillig, denn häufig kamen Leute zu ihr, um ihr von ihren Sorgen und Nöten zu erzählen, ohne dass sie dazu aufforderte. Ihre Ausstrahlung und ihre Anteilnahme für andere waren einzigartig und außergewöhnlich; etwas, das mir erst jetzt bewusst wird. 

Nie gab es ernsthaft Streit oder Meinungsverschiedenheiten mit meinem Papa, den sie sechzig Jahre lang kannte und der sie so gut ergänzt hat. Ein so harmonisches Paar über Jahrzehnte hinweg wie meine Eltern gibt es heutzutage nur noch selten. 


Hochzeit mit Papa.

 Gemeinsam haben sie Höhen und Tiefen erlebt, als frühe Wahlbayern Wanderungen in den Bergen geliebt und uns, die Kinder, die erst spät geplant wurden, aber rechtzeitig genug, um noch wirklich junge Eltern zu sein. Als Familie waren wir wohl ebenfalls etwas Besonderes: Gerade zu Coronazeiten sind wir noch ein bisschen enger zusammengerückt, und zuvor waren wir allein durch den Familienbetrieb, den wir bis 2013 führten, aufeinander angewiesen. Auch durch meine Depression ein paar Jahre zuvor hat sie mir geholfen. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich vermutlich immer noch daran zu schlucken.

 

Rottenburg am Neckar, 2019

 

Durch ihren Glauben und ihre "radikale" Nachfolge zu Jesus ist sie mehrmals angeeckt, doch auch das konnte sie nie beirren auf ihrem Weg. Obwohl sie vielen Menschen begeistert von Jesus erzählt hat, war es vor allem ihre Art, die erkennen ließ, wie natürlich und ernst und doch leicht und praktisch sie den Glauben nahm und umsetzte. Niemand, der ihrer Hilfe bedurfte, wurde abgewiesen. Allen, die zu uns kamen und mit denen sie redete, begegnete sie mit Offenheit und Wärme. Es kam vor, dass sie Obdachlose und Flüchtlinge mit nach Hause brachte, die sie auf der Straße um Geld anbettelten, um ihnen stattdessen ein Essen zu kochen. 

Für viele war sie eine Inspiration in gelebter Nächstenliebe. Und wenngleich sie sich selbst nie als "mütterlich" bezeichnet hätte, war sie es irgendwie doch. Mein Mamele, mein geliebtes. Alles konnte man ihr erzählen, zu ihr kommen, um Rat fragen, sich ausweinen. Aber am schönsten waren ihre Ermutigung und ihre Freude über die Freude anderer. Vielleicht ist sie dadurch in ihren eigenen Bedürfnissen etwas zu kurz gekommen, wie das bei Mamas oft der Fall ist. Trotzdem glaube ich, dass sie nichts vermisst hat. Sie liebte ihre Familie, das Haus, Blumen und die Natur mit ihren Schätzen, sie genoss neue Begegnungen, um sie als Freundschaften zu pflegen, und sie steckte immer voller Ideen, Projekte und Visionen. Langeweile kannte sie nicht. 

 

Rast beim Wandern, unserem Steckenpferd.

 

Mit fünfzig absolvierte sie eine Ausbildung an der Reformhausfachakademie, nachdem sie sich schon Jahre zuvor mit gesunder Ernährung und einem positiven Lebensstil befasst hatte. Dankbarkeit war ihr sehr wichtig. Es gibt viele handschriftliche Aufzeichnungen von ihr, die ich später, wenn es nicht mehr so weh tut, einmal sichten muss. Denn es sind ermutigende Gedanken, die es wert sind, gelesen und verinnerlicht zu werden.

Ich kann es immer noch nicht wirklich begreifen, dass sie nicht mehr da ist. Wer so gern gelebt hat, so tatkräftig und aktiv war und auf sich geachtet hat wie Mama, der hätte es verdient, noch länger auf der Erde zu verweilen, die für sie als Gottes Schöpfung wunderschön war. 

Viele Freunde meinten, das Erste, was ihnen zu Mama einfällt, ist ihr herzliches Lachen. Andererseits nahm sie sich viel im Weltgeschehen zu Herzen und hat sich gelegentlich überfordert, wie zum Beispiel mit Webinaren, Videos und Onlinekursen. Computerarbeit war nicht ihre Sache, auch wenn sie es versucht hat. Lieber sprach sie mit Leuten von Angesicht zu Angesicht, doch im Sommer wurde auch das zu anstrengend, bis Jesus sie am 9. September ins himmlische Vaterland führte.

 

Dezember 2022, im WIRTHs HAUS

Wir vermissen dich, Mama. Man sagt, du lebst in unseren Herzen weiter, aber das ist mir zu abstrakt und wenig nachvollziehbar. In meinem Herz herrscht Leere, seit du fort bist. Mein einziger Trost ist, dass es dir gut geht und du glücklich bist da, wo du jetzt bist. Wo du geliebte Menschen wie Opa Fritz und Oma Emma wiedertriffst und auch unsere Haustiere, die du so geliebt hast. Wo du einen blühenden Garten hast, nach dem du dich gesehnt hast, seit wir den Rittersbruch verlassen haben. Berge und Seen zum Umwandern. Und dass wir uns wiedersehen. Die Saat, die du auf Erden gesät hast, hat für uns reiche Früchte gebracht. Wie groß muss dann erst deine Ernte im Himmel sein!

Shalom, Mamele! Danke für die kostbare irdische Zeit mit dir als Mama, die doch viel zu kurz war. Wir lieben dich!





Dienstag, 4. Juli 2023

"Du bist Ich - Die Geschichte einer Täuschung" ~ Joan Aiken

Von Joan Aiken habe ich vor langer Zeit mit Ohrenschmerzen im Bett und einer Kanne Kaffee "Fanny und Scylla" verschlungen. Eingedenk der Tatsache, dass mich "Du bist Ich" nicht so wirklich vom Hocker gehauen hat, würde ich heute vermutlich dabei einschlafen. Was ja auch nicht das Schlechteste ist, wenn man das Bett hüten muss... Erzählen jedenfalls kann Joan Aiken.



 Inhalt: England, um 1815. In einem Mädchenpensionat lernen sich die Amerikanerin Alvey Clement und die Engländerin Louisa Winship kennen. Charakterlich sind sie völlig verschieden, doch äußerlich sehen sie sich zum Verwechseln ähnlich. Obwohl beide sich nicht gut verstehen, gelingt es der beharrlichen und zielstrebigen Louisa, Alvey dazu zu überreden, zu Louisas Familie nach Northumberland zurückzukehren und sich als Louisa auszugeben, während diese eine Passage gen Indien nimmt, um Missionarin zu werden. Alvey dagegen möchte Schriftstellerin werden und hat - laut Louisa - auf Birkland Hall die besten Voraussetzungen, ihren Roman in Ruhe zu Ende zu schreiben. Dabei bedenken beide junge Damen weder die Liebe noch die vielzitierten Irrungen und Wirrungen - und die nichtsahnende Waise Alvey alias Emmy sieht sich plötzlich mit Familienbande konfrontiert, denen sie sich zunächst am liebsten entziehen möchte. Mit der Kriegsheimkehr von Bruder James in Begleitung seines Freundes und Militärarztes Guy Fenway entstehen noch mehr Probleme. Nicht nur, dass Alvey droht, ihr Herz zu verlieren - eine Trägodie am Löwenteich überschattet ihren gesamten Aufenthalt auf Birkland Hall, in den sie sich nach und nach mit viel Einfühlungsvermögen integriert und die Gunst der Familie Winship gewinnt. Und nicht zuletzt gewinnt sie selbst Kenntnis davon, dass das Leben oft anders ist als in Romanen. Zumindest nicht immer so lustig und vergnüglich wie das ihres Protagonisten Lord Love, mit dem sie am Ende den großen Coup landet (ich war ein bisschen neidisch...).


geralt /  Pixabay

Meinung: Zuerst hatte ich eine Art "Doppeltes Lottchen" erwartet, da die Ausgangssituation ähnlich ist. Aber natürlich ist Erich Kästners Klassiker ein Kinderbuch und nimmt daher schon einen ganz anderen, etwas einfacheren Lauf. Die Verstrickungen in "Du bist Ich" sind sehr viel tragischer und komplexer. Allerdings war mir außer Alvey keine der Figuren wirklich sympathisch. Die eigensüchtige Louisa war das eine Übel, aber ihre Familie fand ich auf ihre eigene Weise auch recht eintönig und schrecklich - jeder verurteilt und hasst der/die/das, was anders und ein bisschen unbequem ist, wie z.B. Parthie, die unausstehliche Schwester Louisas, von denen sie übrigens eine Menge hat.

Für den miesepetrigen Vater Sir Aydon zählen Mädchen gar nichts (bis Alvey auftaucht), und seine beiden Söhne betrachtet er als Schwächlinge, weil sie sich nicht seinen Plänen unterordnen wollen bzw. können. Teilweise war es schwierig, die Verwandtschaftsverhältnisse zu durchschauen. Aber das nur nebenbei. In weiten Strecken habe ich den Erzählstil genossen und bin länger am Buch gesessen, als ich eigentlich sollte (bin momentan sehr eingespannt); das hat mich doch überrascht. Das Ende allerdings war meiner Meinung nach ziemlich vergeigt. Spannung kam überhaupt nicht mehr auf, und wenn schon, dann gab es nur eine kleine Wendung, die ich an anderer Stelle in einen Spoiler setzen würde. Leider gibt es diese praktische Funktion auf meinem Blog nicht, so dass ein Weiterlesen nicht empfehlenswert ist, wenn ihr euch das Buch noch zulegen möchtet. 

Spoiler: Dass Alvey zum Schluss auf alles verzichtet, was ihr zunächst erstrebenswert schien und sie sogar einen Antrag ablehnt, der ihr Sicherheit für die Zukunft verheißen hätte, war schon ein Ding. Das hätte ich von einem Roman, der eher so vor sich hinplätschert, nicht gedacht. Vielleicht zeigt ihr Entschluss die Reife und Emanzipation, die sie sich auf dem Jahr in Birkland Hall aneigenen musste, um als Familienmitglied der Winships akzeptiert zu sein. Und das, obwohl fast jeder sofort gespürt hat, dass dieses Mädchen nicht Louisa sein kann. Die kehrt übrigens noch einmal zurück, denn auch bei ihr kommt es anders, als man denkt.

Fazit: Ein historischer Schmöker, der einem die Zeit von damals nahebringt und durchaus lesenswert ist. Wäre das Ende generell nicht so lahm (vor allem, was das Rätsel um den Löwenteich betrifft), würde ich vier Sterne vergeben. 

 

Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫


Samstag, 13. Mai 2023

Rezension "Daddy Langbein" ~ Jean Webster

 Offenbar ein Jugendbuchklassiker im englischsprachigen Raum, kannte ich diesen Brief-Roman aus dem Jahr 1912 vorher nicht, wenngleich der Begriff "Daddy Longlegs" natürlich bekannt ist und ich ihn auch mit Fred Astaire in Verbindung bringen konnte, der in einer Verfilmung des Stoffes mitgewirkt hat. Oder mit Tom Hiddleston, den man in Kollegenkreisen aufgrund seiner langen Gliedmaßen ebenfalls als Weberknecht tituliert.

 


Inhalt: Die phantasievolle und gewitzte Jerusha Abbott ist eine "alte" Waise im John-Grier-Heim. Mit achtzehn Jahren übernimmt sie sämtliche Pflichten, indem sie sich um die jüngeren Kinder kümmert und Wäsche bügelt. Bis sie eines Tages zur Heimleiterin zitiert wird, die ihr eröffnet, dass ein reicher Gönner sie zur Schriftstellerin ausbilden und sie dabei finanziell unterstützen möchte. Daher erhält sie einen Platz am College. Die einzige Bedingung, die der anonyme und großzügige Spender stellt, besteht darin, dass Jerusha ihm regelmäßig schreibt und ihn über ihre Fortschritte, Gedanken und Freizeitaktivitäten informiert, ohne eine Antwort zu erwarten oder Fragen zu stellen. 

Das tut Jerusha auf ihre ganz eigene Art: witzig, frech, offenherzig, manchmal sogar vertraulich und philosophisch knöpft sie sich jedes Thema vor, das sie beschäftigt, um Daddy Langbein daran teilhaben zu lassen. Sei das ihre Schule, die Ferien, Freundinnen, Weberknechte, Jane Eyre, Religion, das unbekannte Land Männer oder gar der Sozialismus. Nur der Sekretär des Gönners weist sie gelegentlich in die Schranken mit einer schriftlichen Anweisung als Reaktion. Sie kennt weder den richtigen Namen noch Stand, Aussehen oder Alter ihres "Daddys", und trotzdem entwickelt sie durch ihre Briefe eine so innige Beziehung zu dem Unbekannten, wie sie sie als Waise nie hatte. Außerdem setzen sie einen Reifeprozess in Gang, der aus dem aufmüpfigen Mädchen eine junge, selbstbewusste Dame macht.


Die Adirondacks /  renee_burnell  Pixabay


Meinung: Sämtliche Kapitel bis auf das erste sind in Briefform verfasst, was es mir oft schwergemacht hat, dranzubleiben. Bei aller Originalität und erfrischender Formulierungen der jugendlichen und unwissenden Schriftstellerin in spe zieht sich das ewige "Lieber Daddy Langbein" auf Dauer dann doch, und man würde zur Abwechslung gern aus einer anderen Perspektive oder ein "normales" Kapitel lesen. Zumal Jerusha nie auf eine Antwort hoffen darf, nicht einmal, wenn sie ihm droht, sich seinen Anweisungen und Wünschen zu widersetzen. Und das war etwas ermüdend. Man merkt auch, dass der Roman einer Zeit entstammt, in der Frauen wenig zu sagen hatten und sich für bestimmte Dinge nicht interessieren durften. In dieser Hinsicht ist Jerusha verblüffend modern und auch weise. Sie erkennt, dass der Augenblick wichtiger ist als Vergangenheit oder Zukunft. Dass Glücklichsein nicht von materiellem Reichtum abhängt und Aufgeben keine Option ist (ihre Manuskripte werden mehrmals vom Verlag zurückgeschickt). Und dass Gönner eines Waisenhauses nicht immer dem gängigen Klischee entsprechen. 

Ich mochte das Büchlein trotz seiner Längen, weil mir Jerusha irgendwie sympathisch war und nicht eine der schnippischen, altklugen Gören, denen man in "Mädchenromanen" häufig begegnet. Ihre Abenteuer sind zwar nicht besonders aufregend und erinnern mich an meine eigenen frühen Tagebucheinträge, doch ihre Gedanken zu abstrakten Dingen wie Politik und Gesellschaft fand ich bemerkenswert. Wie gesagt, vor allem für die Zeit der Entstehung des Romans. Die Zeichnungen, mit der Jerusha / Judy gelegentlich ihre Briefe versieht, sind ebenfalls ein liebevoller Einfall der Autorin.

Man bezeichnet "Daddy Longlegs" auch als einen Liebesroman für Jugendliche. Quasi ein antiquierter Young Adult. Ich werde jetzt nicht spoilern, warum, aber auch das war rührend und erfrischend, fast ein kleiner Gänsehautmoment. Obwohl es natürlich Andeutungen gab.

Fazit: Ein nett zu lesendes Buch, das man am besten als Zweitbuch zur Hand hat, wenn das erste gerade ein bisschen schwierig ist.

 

Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫

 

Donnerstag, 11. Mai 2023

Zum 50. Todestag von Lex Barker

 Ein Idol meiner frühen Kindheit war Lex Barker, der hünenhafte Held aus den Karl May-Filmen. Die meisten Mädchen meiner Altersklasse und darüber schwärmten für Winnetou / Pierre Brice, was ich nie so recht verstanden habe - war doch Old Shatterhand so viel kerniger und trug einen echten, wunderschön silberblonden Skalp, der romantischer im Abendwind flatterte als Monsieur Brices Perücke. Und wenn man ihn reiten sah und ein bisschen Ahnung von Pferden hatte (und das hatte ich als Mädchen), dann wusste man: er und sein Hatatitla / Rih verstehen sich. Was kein Wunder ist, saß Barker doch schon als Fünfjähriger fest im Sattel und besaß später hin und wieder eigene Pferde.


 

Die Begeisterung für Lex Barker begleitet mich bereits mein ganzes Leben lang. Manchmal bricht sie sich in regelrechten Schüben Bahn, die mir (merkwürdigerweise) in meinen Teenagerjahren und frühen Zwanzigern peinlich waren. Verschämt wurde dann in Mediencentern abseits von Amazon nach "anspruchsvollen" Filmen mit Lex Barker gefragt, bis der Verkäufer allmählich spitzkriegte, dass ich sie nur wegen dem Schauspieler bestellte. Verwandte und Freunde wurden gebeten, mir vom Kabelfernsehen Videos mitzuschneiden (Gott, bin ich alt!), da ich relativ spät in den Genuss von mehr als drei Programmen gekommen bin. 

Ich kann mich an einen Urlaub erinnern, während dem ich es kaum abwarten konnte, nach Hause zu fliegen, weil dort ein paar ungesehene Barker-Filme auf mich warteten, die ich zu horrenden Preisen von meinem Lehrlingsgehalt erworben hatte und mir per Post schicken ließ. Schmonzes wie "Frauenarzt Dr. Sibelius" oder zweitklassige italienische Kostümfilme und europäische Abenteuerfilme standen damals hoch in meinem Kurs. Freilich ganz geheim. Irgendwie habe ich mich immer ein bisschen uncool gefühlt, wenn man mir auf die Schliche kam, weil in meinem Zimmer ein altes Bravo-Poster hing. Statt Brad Pitt und George Clooney mochte ich Lex Barker, den man im Allgemeinen als eher durchschnittlich talentierten Akteur wahrnahm, wenn überhaupt. Immerhin war er zu meiner Jugendzeit auch schon ein paar Jahrzehnte tot, und unsterblichen Ruhm hat er nur unter den Karl May-Fans eingefahren, die erst jetzt wieder ungeniert und nostalgisch zu ihrer Leidenschaft stehen. Und natürlich als Tarzan in den USA. Tarzandarsteller gab es allerdings mehrere, auch wenn mein subjektives Urteilsvermögen überzeugt ist, dass er der schönste und strahlendste Lord Greystoke war, der je mit nackten Füßen oder in hautfarbenen Ballettschuhen den sumpfigen Hollywood-Dschungel betreten hat.

 

Ich Jane, du scheyn!


 Leider ist Lex Barker nicht alt geworden. Vielleicht war sein Leben als Kosmopolit anstrengender und weniger glamourös, als es den Anschein hatte oder er es sich anmerken ließ. Auch sagt man über ihn, dass er nicht gut allein sein konnte, wenngleich die Geselligkeit in großer Runde oft vorgetäuscht war. Wenn man sich in seine umfangreiche Biografie vertieft, nimmt es nicht weiter wunder, dass ein Leben wie seines früher oder später einen Tribut fordert. Denn Pausen oder Auszeiten hat Lex Barker offenbar nicht gekannt. Ständig war er auf allen Teilen der Erde unterwegs, drehte oft bis zu sechs Filme im Jahr und wurde privat und beruflich nicht nur einmal auf eine harte Probe gestellt. Vor genau fünfzig Jahren starb er in Manhattan, New York an einem Herzinfarkt auf offener Straße - ironischerweise im selben Bundesstaat, in dem er auch geboren wurde. Für einen Weltenbummler wie ihn ist das schon irgendwie bemerkenswert. 

 

Mit Ehefrau Nr. 5 in Spanien
 

Bereits vor über zehn Jahren habe ich einen Artikel über Lex Barker auf dem Autorenportal Pagewizz verfasst, der einen Überblick über sein kurzes, aber ereignisreiches Leben gibt. Und eines ist sicher: Peinlich wird mir meine "Schwärmerei" für einen so interesssanten Menschen nie wieder sein.

Hier geht's zu meinem Bericht: *Klick*

Bildquelle: Pinterest



Donnerstag, 4. Mai 2023

Rezension "Eskapaden" ~ Walter Satterthwait

 Dieser Roman befindet sich seit Ewigkeiten in meinem / unseren Besitz. Ich hatte ihn ursprünglich in mein Booklooker-Regal gestellt, um ihn zu verkaufen. Zu Recht, denn mein Ding waren die Eskapaden nicht wirklich. Wer nach meiner durchwachsenen Meinung immer noch neugierig ist, darf die Neugier gern befriedigen, indem er meinem Regal einen Besuch abstattet. 😏



 Inhalt: Devon, England, 1921. Auf Maplewhite, dem Anwesen von Lord und Lady Purleigh, trifft sich eine Schar auserlesener Gäste zu einer Séance, darunter der Zauberkünstler Harry Houdini und Sir Arthur Conan Doyle. In der Absicht, das Medium bloßzustellen, reist Houdini mit seinem amerikanischen Sekretär Phil Beaumont an, der sich im Lauf der Geschichte als ein Pinkerton-Mann entpuppt und zudem als Erzähler fungiert. Daneben schreibt Jane Turner - ebenfalls Gast - etwas überspannte Briefe an ihre Freundin in London, um zu berichten, was jeden Tag so Unglaubliches geschieht. Das Unglaubliche hat weniger mit Geistern zu tun (obwohl angeblich Sir Reginald durch das Anwesen spukt), sondern mit dem mysteriösen Tod des Earls, der aufgeklärt werden muss. Man vermutet zunächst einen Berufsgenossen und Neider von Houdini, der ihm mutmaßlich aus den USA nach England gefolgt ist, um ihn zu vernichten. Weitere Mordversuche erhärten den Verdacht, und Scotland Yard wird eingeschaltet. Privatdetektiv Beaumont ermittelt auf eigene Faust, und Houdini folgt diesem Beispiel. Wurde der Earl tatsächlich ermordet oder war es Selbstmord? Wer schoss im Park aus dem Wald heraus auf seinen Sohn, Lord Bob Purleigh? Und was geht es mich eigentlich an?

 

olleaugust /Pixabay

 Meinung: Der letzte Satz sagt es schon: Ich fand das Buch in weiten Teilen dröge, verwirrend und langatmig. Aufgrund der Erzählstruktur wurden viele Dinge mehrmals von verschiedenen Personen durchgekaut, und das hat mich glaube ich, noch mehr genervt als der österreichische Akzent von Dr. Auerbach und die weitschweifigen Beschreibungen von unzweifelhaft lieblichen Landschaften und einem handlungsirrelevanten Boxkampf. 

Interessanterweise hätte mir die Geschichte in ihrer Detailfülle vor ein paar Jahren noch gefallen. Denke ich zumindest. Jetzt habe ich mich mehr oder weniger durchgequält, um kurz vor dem Epilog immer noch dazustehen wie der Ochs vorm Berg. Doch der folgte dem Muster von Agatha Christie in einem - pardon - müden Abklatsch. Handlungsstränge werden phantasievoll zusammengerafft, auf die man als Leser nicht kommt, weil sie in den vorigen Kapiteln nicht einmal angedeutet werden. Wer ein paar Wochen zur Lektüre braucht wie ich, verliert da schon bald den Faden. Von was ist denn da die Rede, habe ich mich oft gefragt und mich am Kopf gekratzt. Und ich habe in der Regel ein gutes Gedächtnis.

Gut gefallen haben mir allerdings die Personenbeschreibungen, dank denen ich jede einzelne Figur plastisch vor Augen hatte. Das war aber auch nicht so schwer, wenn man schon ein paar Christie-Krimis im Fernsehen geguckt hat. Hercule Poirot alias Peter Ustinov hätte als Sir Arthur Conan Doyle eine gute Figur gemacht, sowie Harvey Keitel als der damals weltweit bekannte Entfesslungskünstler Houdini, den er tatsächlich bereits verkörpert hat. Insofern war "Eskapaden" zuweilen recht amüsant. Zu drei durchschnittlichen Sternen reicht es dennoch nicht. Ich hatte mehr Spannung und Grusel erwartet.

Bewertung:  💫💫 und ein halber 💫


Mittwoch, 26. April 2023

Ein lebenslanger Weggefährte: Harry Belafonte (1927 - 2023)

 Am 25. April starb mit 96 Jahren ein Ausnahmekünstler, der mich von der Wiege an begleitet hat. Das klingt ein bisschen komisch, ist aber tatsächlich so. Harry Belafonte zählt mit Neil Diamond, Simon & Garfunkel und ABBA zu den Lieblingsmusikern meiner Eltern, die Langspielplatten besaßen, welche mir schon als Baby und Kleinkind Vertrautheit geschenkt haben. Ihre Songs sang ich phonetisch nach, ohne zu wissen, von was die Texte handelten.

 

 

Es war mir auch egal, über *was* da gesungen wurde - der lebensfrohe Calypso-Rhythmus hat mich unglaublich mitgerissen, und die wehmütigen Lieder wie "Island in the Sun" oder "Try to Remember" treiben mir bis heute die Tränen in die Augen, wenn ich sie höre; Tränen des Glücks und der inneren Bewegung. 

Ich glaube, kein Musiker hat es geschafft, mich so zu berühren wie Harry Belafonte, der mir immer präsent war. Meine Eltern sahen ihn in den 1980er Jahren live und meinten, er sei auf der Bühne noch charismatischer als auf seinen Platten. Dass er nicht nur ein begnadeter Sänger war, sondern auch Bürgerrechtler, der gemeinsam mit Martin Luther King für die Freiheit der Schwarzen gekämpft und zudem Filme gemacht hat, wusste ich lange nicht, doch für mich war ohnehin klar, dass Mr. Belafonte ein außergewöhnlicher Mensch war. Allein die Tatsache, dass er mit seiner Musik Herzen froh machen konnte, rückte ihn für mich in die Nähe eines Zauberers. Seinem typischen Calypso-Sound und der warmen Stimme kann man sich einfach nicht entziehen. Sobald "Angelina" erklingt, "Mathilda" oder der "Banana Boat Song", überkommt mich das Bedürfnis, zu tanzen und herumzuspringen. Und das, wo ich absolut keine begabte Tänzerin bin. 

Sicherlich hat ein Mann wie Harry Belafonte ein viel größeres Vermächtnis hinterlassen als *nur* seine Musik. Vor kurzem habe ich eine Dokumentation über sein bewegtes Leben gesehen (das meinetwegen viel länger hätte dauern können), und war überrascht, wie vielseitig interessiert und engagiert er war. Auch, dass er als einer der wenigen ausländischen Künstler in der damaligen DDR auftreten durfte, fand ich enorm. Dass er als Kind Jamaika nicht mochte, wohin ihn die mittellose Mutter schickte und er erst später so etwas wie Verbundenheit mit der Insel empfand, die er mehrmals besingt und die eigentlich gar nicht so sonnig war, war ebenfalls neu für mich. 

 


 

Doch was mir sehr imponiert und gefallen hat, war, dass er offenbar nie mit etwas haderte, das nicht zu ändern war, und dort, wo es Möglichkeiten gab, gehandelt hat. Sich als Brückenbauer zwischen Nationen und Völkern verstand, und dabei so bescheiden geblieben ist. Sein Talent für den unverwechselbaren Feelgood-Groove sah er genau so als Geschenk Gottes wie seine Wirkung als Botschafter für eine bessere Welt. Und für die hat er nicht nur gekämpft, sondern durch leise und ruhige Töne etwas verändert. In den Vordergrund hat er sich dabei nicht gedrängt, und das verdient besonderen Respekt und Hochachtung. 




Menschen wie er werden in der Zukunft vermisst werden. Nicht nur deshalb bedaure ich seinen Tod, der mir trotz seines gesegneten Alters immer noch unwirklich vorkommt. Aber seine Musik lebt ewig weiter. Und falls im Himmel noch kein Calypso getanzt wird, haben die Engel nun den perfekten Lehrmeister. Farewell, lieber Harry!