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Dienstag, 26. September 2023

Mama

 Dieser Artikel wird schwer. Mein Mamele ist mit 76 Jahren heimgegangen zu ihrem Herrn Jesus. Von Kindesbeinen an hat sie ihn als ihren guten Hirten erkannt und ist mit ihm durchs Leben gegangen wie kein zweiter Mensch, den ich kenne. Und ebenfalls wie kein zweiter besaß sie eine tiefe Liebe zu Menschen, vielseitige Interessen, Mut, Neugier und Offenheit, die sie im Herzen und auch äußerlich immer jung gehalten haben. Sie wollte alt und lebenssatt mit 120 Jahren an Papas Seite gehen, doch Gottes Plan sah anders aus. 


Im Kindergarten.


Sie war mir Mama, Freundin und Ratgeberin zugleich. Die Erinnerungen, die ich an sie habe, sind nur schön, aber gerade jetzt auch sehr schmerzlich. Gemeinsam haben wir Häkelpüppchen nach eingeschickten Fotovorlagen gefertigt, wobei sie vor keiner noch so heiklen Herausforderung zurückschreckte. Wenn ich meinte, das sei zu schwer, meinte sie leichthin: "Lass es uns doch probieren, das schaffen wir schon." Und so war es auch. Die Puppen, die in die Welt hinausgingen, waren zum Großteil durch ihre Ideen und deren perfekte Umsetzung so wertvoll wie wunderschön anzusehen. Dazu bei trugen z.B. aufgenähte Borten, aufgestickte Gold- und Silberfäden als Verzierung und Zusatzmaterial wie alte Knöpfe. Was Handarbeit anging, konnte ihr niemand das Wasser reichen. Vermittelt hat sie mir ihr Wissen auf diesem Gebiet mit einer Engelsgeduld. Dennoch habe ich es nie zu solch großem Geschick gebracht wie sie, die schon als Mädchen die Nachbarskinder Häkeln und Sticken gelehrt hat. Dass sie so gut war in Handarbeit, wurde ihr in der Schule sogar zum Verhängnis: die Lehrerin war der Überzeugung, dass sie niemals selbst die Taschentücher so fein und fehlerlos bestickt haben könne und es jemand anderes für sie erledigt hatte, also erhielt sie eine schlechte Note.

 


 

Als kreativer Mensch, gelernte Krankenschwester und Diplom-Gesundheitsberaterin fand sie immer Lösungen. In allen Bereichen. Vielen Menschen hat sie geholfen. Unaufdringlich, aber konsequent. Mein Opa überwand dank ihr seine Demenz und hatte noch sechs schöne Jahre bei uns und in seiner eigenen Wohnung. Und es gab viel Besuch, häufig auch Gäste, die jahrelang blieben und bei uns respektive im Haus meiner Eltern wohnten, weil sie sich dort wohlfühlten und gut aufgehoben. Es gab ja immer einen Ansprechpartner mit einem offenen Ohr. Ich erinnere mich an ein Ehepaar aus den USA, das mehrere Tage bei meinen Eltern zu Gast war. Der dunkelhäutige Mann hat beim Abschied geweint und gesagt, dass er sich nirgends so akzeptiert gefühlt hat wie bei uns. Und dabei sprach Mama nicht einmal Englisch.

Sie hatte ein großes Herz und war ein richtiger Sonnenschein. Der Mittelpunkt unserer Familie. Mit ihrer liebevollen, humorvollen und freundlichen Art nahm sie jeden für sich ein. Manchmal sogar unfreiwillig, denn häufig kamen Leute zu ihr, um ihr von ihren Sorgen und Nöten zu erzählen, ohne dass sie dazu aufforderte. Ihre Ausstrahlung und ihre Anteilnahme für andere waren einzigartig und außergewöhnlich; etwas, das mir erst jetzt bewusst wird. 

Nie gab es ernsthaft Streit oder Meinungsverschiedenheiten mit meinem Papa, den sie sechzig Jahre lang kannte und der sie so gut ergänzt hat. Ein so harmonisches Paar über Jahrzehnte hinweg wie meine Eltern gibt es heutzutage nur noch selten. 


Hochzeit mit Papa.

 Gemeinsam haben sie Höhen und Tiefen erlebt, als frühe Wahlbayern Wanderungen in den Bergen geliebt und uns, die Kinder, die erst spät geplant wurden, aber rechtzeitig genug, um noch wirklich junge Eltern zu sein. Als Familie waren wir wohl ebenfalls etwas Besonderes: Gerade zu Coronazeiten sind wir noch ein bisschen enger zusammengerückt, und zuvor waren wir allein durch den Familienbetrieb, den wir bis 2013 führten, aufeinander angewiesen. Auch durch meine Depression ein paar Jahre zuvor hat sie mir geholfen. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich vermutlich immer noch daran zu schlucken.

 

Rottenburg am Neckar, 2019

 

Durch ihren Glauben und ihre "radikale" Nachfolge zu Jesus ist sie mehrmals angeeckt, doch auch das konnte sie nie beirren auf ihrem Weg. Obwohl sie vielen Menschen begeistert von Jesus erzählt hat, war es vor allem ihre Art, die erkennen ließ, wie natürlich und ernst und doch leicht und praktisch sie den Glauben nahm und umsetzte. Niemand, der ihrer Hilfe bedurfte, wurde abgewiesen. Allen, die zu uns kamen und mit denen sie redete, begegnete sie mit Offenheit und Wärme. Es kam vor, dass sie Obdachlose und Flüchtlinge mit nach Hause brachte, die sie auf der Straße um Geld anbettelten, um ihnen stattdessen ein Essen zu kochen. 

Für viele war sie eine Inspiration in gelebter Nächstenliebe. Und wenngleich sie sich selbst nie als "mütterlich" bezeichnet hätte, war sie es irgendwie doch. Mein Mamele, mein geliebtes. Alles konnte man ihr erzählen, zu ihr kommen, um Rat fragen, sich ausweinen. Aber am schönsten waren ihre Ermutigung und ihre Freude über die Freude anderer. Vielleicht ist sie dadurch in ihren eigenen Bedürfnissen etwas zu kurz gekommen, wie das bei Mamas oft der Fall ist. Trotzdem glaube ich, dass sie nichts vermisst hat. Sie liebte ihre Familie, das Haus, Blumen und die Natur mit ihren Schätzen, sie genoss neue Begegnungen, um sie als Freundschaften zu pflegen, und sie steckte immer voller Ideen, Projekte und Visionen. Langeweile kannte sie nicht. 

 

Rast beim Wandern, unserem Steckenpferd.

 

Mit fünfzig absolvierte sie eine Ausbildung an der Reformhausfachakademie, nachdem sie sich schon Jahre zuvor mit gesunder Ernährung und einem positiven Lebensstil befasst hatte. Dankbarkeit war ihr sehr wichtig. Es gibt viele handschriftliche Aufzeichnungen von ihr, die ich später, wenn es nicht mehr so weh tut, einmal sichten muss. Denn es sind ermutigende Gedanken, die es wert sind, gelesen und verinnerlicht zu werden.

Ich kann es immer noch nicht wirklich begreifen, dass sie nicht mehr da ist. Wer so gern gelebt hat, so tatkräftig und aktiv war und auf sich geachtet hat wie Mama, der hätte es verdient, noch länger auf der Erde zu verweilen, die für sie als Gottes Schöpfung wunderschön war. 

Viele Freunde meinten, das Erste, was ihnen zu Mama einfällt, ist ihr herzliches Lachen. Andererseits nahm sie sich viel im Weltgeschehen zu Herzen und hat sich gelegentlich überfordert, wie zum Beispiel mit Webinaren, Videos und Onlinekursen. Computerarbeit war nicht ihre Sache, auch wenn sie es versucht hat. Lieber sprach sie mit Leuten von Angesicht zu Angesicht, doch im Sommer wurde auch das zu anstrengend, bis Jesus sie am 9. September ins himmlische Vaterland führte.

 

Dezember 2022, im WIRTHs HAUS

Wir vermissen dich, Mama. Man sagt, du lebst in unseren Herzen weiter, aber das ist mir zu abstrakt und wenig nachvollziehbar. In meinem Herz herrscht Leere, seit du fort bist. Mein einziger Trost ist, dass es dir gut geht und du glücklich bist da, wo du jetzt bist. Wo du geliebte Menschen wie Opa Fritz und Oma Emma wiedertriffst und auch unsere Haustiere, die du so geliebt hast. Wo du einen blühenden Garten hast, nach dem du dich gesehnt hast, seit wir den Rittersbruch verlassen haben. Berge und Seen zum Umwandern. Und dass wir uns wiedersehen. Die Saat, die du auf Erden gesät hast, hat für uns reiche Früchte gebracht. Wie groß muss dann erst deine Ernte im Himmel sein!

Shalom, Mamele! Danke für die kostbare irdische Zeit mit dir als Mama, die doch viel zu kurz war. Wir lieben dich!