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Sonntag, 15. Mai 2022

"Die Schlange von Essex" ~ Sarah Perry

 Eine Rezension hierzu wird schwierig. Eigentlich mochte ich den Roman nicht. Zu behäbig, zu viktorianisch unterkühlt und dabei hin und wieder doch unpassend poetisch-kryptisch mit manchmal lustigen Vergleichen, die mich wider Willen begeistert haben. Die Geschichte war dann doch irgendwie originell und auch hintersinnig, sobald man sich an den etwas bemühten Stil und die langen Klammersätze gewöhnt hatte.



 

Inhalt: Die junge, forscherfreudige Witwe und zudem Hobby-Paläontologin Cora Seaborne kommt mit ihrem sonderbaren Teenagersohn Francis (heute weiß man: er wäre ein Aspergerkandidat) und der resoluten Haushälterin Martha - die mehr eine Freundin ist - nach Essex, um dort die legendäre Seeschlange aufzuspüren, die das Dorf Aldwinter mit mysteriösen Todesfällen und Aberglauben in Atem hält. Statt den erhofften Ichthyrosaurus oder ein zeitgenössisches Seeungeheuer zu finden, begegnet sie dem Pfarrer William Ransome. Dieser ist glücklich verheiratet mit der zarten, alles verstehenden Stella und hat drei Kinder. Dennoch und trotz ihrer unterschiedlichen Meinungen und Ansichten verlieben sich Cora und Will ineinander. 

Der Roman wurde mit Tom Hiddleston und Claire Danes in den Hauptrollen als Miniserie gedreht (warum auch immer).




Meinung: ist gespalten wie die Zunge einer Schlange. Wie gesagt, ich hatte über lange Strecken Schwierigkeiten, bei Stange zu bleiben und nicht vor lauter Langweile einzuschlafen. Die abrupten Briefwechsel sämtlicher Protagonisten haben mich etwas gestört ("aus dem Lesefluss gerissen" wäre zu viel gesagt), und vor allem das "Head hopping" der Erzählweise bin ich nicht mehr gewohnt. Früher war es ganz normal, aus verschiedenen Perspektiven auf einer einzigen Seite zu lesen, aber heute wirkt das angestaubt und auch verwirrend. Ich musste mehrere Sätze zweimal lesen, um sie zu verstehen, was auch dem beliebten Stilmittel der ellenlangen Klammersätze zu verdanken war. 

Ich nehme an, Sarah Perry hat ihre Vorbilder in Donna Tartt und anderen populären Schriftsteller(innen) der frühen 2000er, als ein blumiger Erzählstil nicht hoch genug geschätzt werden konnte. Denn genauso weitschweifig, detailverliebt und trotzdem irgendwie ereignislos bleibt "Die Schlange von Essex". Als sich gegen Ende doch noch zaghaft eine Wende anbahnt, ist sie nicht einmal besonders überraschend. Eher banal. Und das nicht nur in Bezug auf den Titel. Schade, nahm die Geschichte immerhin noch ein bisschen Fahrt auf. Aber auf etwas wirklich Ungewöhnliches wartet der Leser vergebens.

Alles ist irgendwie gedämpft, stets ist von Nebel die Rede und von unausgesprochenen Gefühlen und von Charakteren, die mir nicht wirklich nahe kamen - vielleicht nicht ohne Grund. Bis - erstaunlicherweise - auf das "Odd Couple" Luke Garrett und George Spencer, wobei ich Ersteren zu Beginn mega-unsympathisch fand. Cora mochte ich überhaupt nicht. Ich konnte mir irgendwie kein Bild von ihr machen. Was vermutlich daran lag, dass sie zwar emanzipiert und burschikos daherkommt und ihr Herz auf der Zunge trägt, aber andererseits in der gesamten Geschichte distanziert bleibt bis zu dem Moment, als Will (endlich!) ihren Rock hochhebt. Und selbst da erfahren wir nur in Wills Erinnerung, wie hingebungsvoll sie war.

Fazit: Wer es ruhig und ohne Drama mag oder eine fein formulierte Einschlafhilfe sucht, dem kann ich dieses Buch empfehlen. Manche Passagen haben mich berührt und sind auch ein wenig das Spiegelbild zu dem, was die menschliche Natur aus Unerklärlichem macht. Oder dass der Verstand und die Forschung für viele Menschen die einzige Wahrheit sind, während es viel mehr gibt als das, was man mit Wissen ergründen kann. Da war die Autorin erfrischend urteilsfrei und fern von Klischees, denn auch der Pfarrer ist kein Dummkopf.

 

Bewertung: 💫💫💫



Dienstag, 3. Mai 2022

Ein Gespenst auf Freiersfüßen (1947) mit Rex Harrison und Gene Tierney

 Diesen Film wollte ich schon lange sehen und war umso erfreuter, als ich sah, dass er im Fernsehen lief. Leider habe ich die ersten Minuten, in denen die attraktive Witwe Mrs. Muir gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter die "Spukvilla" bezieht, verpasst, aber dennoch möchte ich ein Review schreiben, da der Film in seiner herzerwärmenden, undramatischen Schlichtheit gerade das Richtige für mich war.



Inhalt: Anfang des 20. Jahrhunderts: Die junge Witwe Lucy Muir zieht von London mit ihrer kleinen Tochter Anna (Nathalie Wood) in eine "Spukvilla" an der englischen Küste. Trotz der Warnung des Maklers kauft sie das Haus und macht sich sogleich mit Tochter und der treuen Haushälterin Martha dort heimisch. 

Von der raubeinigen und unmanierlichen Erscheinung des toten Vorbesitzers und Erbauers, dem knurrigen Seekapitän Daniel Gregg (Rex Harrison), lässt sie sich nicht schrecken, obwohl er sämtliche Vorinteressenten erfolgreich vergraulen konnte. Man munkelt, er habe Selbstmord gegangen, doch in Wahrheit beruht sein Tod auf einem dummen Unfall mit dem Gashebel, den er selbst verursacht hat. Mit widerwilligem Respekt lässt er Mrs. Muir vorerst im Haus bleiben, unter der Bedingung, dass sein Porträt im Schlafzimmer hängenbleibt (pikant, pikant). 

Als sie in Finanznot gerät und in Gefahr, die Villa nicht länger halten zu können, hat Capt. Gregg die rettende Idee: er spinnt "ungeschminktes" Seemannsgarn aus seinem bewegten Leben, das er Mrs. Muir diktiert und unter dem Pseudonym "Capt. X" veröffentlicht werden soll. Mit einem Tipp des Captains kann Mrs. Muir das Buch "Blut und Mut" in einem Verlag unterbringen, bei dem sie den Autorenkollegen Miles Fairley (George Sanders) kennen- und lieben lernt. Obwohl der Captain schwer eifersüchtig ist, will er dem Glück nicht im Weg stehen, erkennt er doch, dass es für seine Liebe zu Lucia ("Nur Frauen, die sich erniedrigen lassen, heißen Lucy!") keine Chance geben kann. Bevor er geht, redet er Lucy ein, dass sie ihn und die Zusammenarbeit am Buch nur geträumt hat (wie edel!).

 Miles Fairley ist jedoch nicht nur ein Blender, was sein literarisches Werk angeht (unter "Onkel Neddy" schreibt er Kinderbücher für Leser, die er als "Monster" bezeichnet), sondern auch was Frauen betrifft. Enttäuscht trennt sich Mrs. Muir von ihm, als sie die Wahrheit erfährt und lebt seitdem ein Leben ohne Partner an ihrer Seite. Anna heiratet einen Kapitän, und auch deren Tochter wird die Frau eines Seekommandanten. Erst spät wird Mrs. Muir klar, dass sie sich ihr ganzes Leben lang nach Daniel Gregg gesehnt hat, der seinerzeit auch ihrer Tochter erschienen ist, um ihr blutrünstige Piraten-Gute-Nacht-Geschichten zu erzählen. Als Lucy / Lucia schließlich hochbetagt in ihrer Villa stirbt, ist das Happy End zum Greifen nah. Und irgendwie fast so schön wie bei Kate und Leo. Nur Martha hat mir leidgetan...



 Meinung: Ich liebe solche Geschichten! Auf den ersten Blick unrealistisch, aber doch zum Nachdenken und voller Wärme und sogar Tiefgang. Auch ein bisschen wehmütig. Und ich mochte Rex Harrison in der Rolle, an der er sichtlich Spaß hatte und in der er mich optisch an Toby Stephens in "Black Sails" erinnert hat. Auch Gene Tierney und "Shere Khan" George Sanders können überzeugen (letzterer hatte offenbar ein Abo für leichtlebige Charaktere, kenne ich ihn doch als Jack Favell in einer ähnlichen Rolle). 

Natürlich ist ein fast 75 Jahre alter Film gesellschaftlich und politisch nicht up-to-date, und über manche Dialoge würde die Mehrheit der modernen Zuschauer/innen sicher die Augen verdrehen und die Hände ringen. Denn dass ein gewaltiges Epos wie "Blut und Mut" nicht aus der Feder einer Frau fließen kann, bewahrheitet sich ja letztendlich, da Mrs. Muir nur als "Ghostwriter" fungierte. Und das war nur eine wirklich *in your face* veraltete Sichtweise, zu der sich noch einige andere gesellen in dem Film. Da ich nicht zu den empfindsamen Gemüter*innen (😜) gehöre und auch gern mal old-school-movies sehe, in denen die Geschlechter noch klassisch unterschieden werden, war mein Fernsehabend ungetrübt und auch nicht allzu gruselig. Wie gesagt, genau das Richtige für den gestrigen Abend.

 

Bewertung: 💫💫💫💫💫