I solve crimes and blog about it

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Samstag, 13. Mai 2023

Rezension "Daddy Langbein" ~ Jean Webster

 Offenbar ein Jugendbuchklassiker im englischsprachigen Raum, kannte ich diesen Brief-Roman aus dem Jahr 1912 vorher nicht, wenngleich der Begriff "Daddy Longlegs" natürlich bekannt ist und ich ihn auch mit Fred Astaire in Verbindung bringen konnte, der in einer Verfilmung des Stoffes mitgewirkt hat. Oder mit Tom Hiddleston, den man in Kollegenkreisen aufgrund seiner langen Gliedmaßen ebenfalls als Weberknecht tituliert.

 


Inhalt: Die phantasievolle und gewitzte Jerusha Abbott ist eine "alte" Waise im John-Grier-Heim. Mit achtzehn Jahren übernimmt sie sämtliche Pflichten, indem sie sich um die jüngeren Kinder kümmert und Wäsche bügelt. Bis sie eines Tages zur Heimleiterin zitiert wird, die ihr eröffnet, dass ein reicher Gönner sie zur Schriftstellerin ausbilden und sie dabei finanziell unterstützen möchte. Daher erhält sie einen Platz am College. Die einzige Bedingung, die der anonyme und großzügige Spender stellt, besteht darin, dass Jerusha ihm regelmäßig schreibt und ihn über ihre Fortschritte, Gedanken und Freizeitaktivitäten informiert, ohne eine Antwort zu erwarten oder Fragen zu stellen. 

Das tut Jerusha auf ihre ganz eigene Art: witzig, frech, offenherzig, manchmal sogar vertraulich und philosophisch knöpft sie sich jedes Thema vor, das sie beschäftigt, um Daddy Langbein daran teilhaben zu lassen. Sei das ihre Schule, die Ferien, Freundinnen, Weberknechte, Jane Eyre, Religion, das unbekannte Land Männer oder gar der Sozialismus. Nur der Sekretär des Gönners weist sie gelegentlich in die Schranken mit einer schriftlichen Anweisung als Reaktion. Sie kennt weder den richtigen Namen noch Stand, Aussehen oder Alter ihres "Daddys", und trotzdem entwickelt sie durch ihre Briefe eine so innige Beziehung zu dem Unbekannten, wie sie sie als Waise nie hatte. Außerdem setzen sie einen Reifeprozess in Gang, der aus dem aufmüpfigen Mädchen eine junge, selbstbewusste Dame macht.


Die Adirondacks /  renee_burnell  Pixabay


Meinung: Sämtliche Kapitel bis auf das erste sind in Briefform verfasst, was es mir oft schwergemacht hat, dranzubleiben. Bei aller Originalität und erfrischender Formulierungen der jugendlichen und unwissenden Schriftstellerin in spe zieht sich das ewige "Lieber Daddy Langbein" auf Dauer dann doch, und man würde zur Abwechslung gern aus einer anderen Perspektive oder ein "normales" Kapitel lesen. Zumal Jerusha nie auf eine Antwort hoffen darf, nicht einmal, wenn sie ihm droht, sich seinen Anweisungen und Wünschen zu widersetzen. Und das war etwas ermüdend. Man merkt auch, dass der Roman einer Zeit entstammt, in der Frauen wenig zu sagen hatten und sich für bestimmte Dinge nicht interessieren durften. In dieser Hinsicht ist Jerusha verblüffend modern und auch weise. Sie erkennt, dass der Augenblick wichtiger ist als Vergangenheit oder Zukunft. Dass Glücklichsein nicht von materiellem Reichtum abhängt und Aufgeben keine Option ist (ihre Manuskripte werden mehrmals vom Verlag zurückgeschickt). Und dass Gönner eines Waisenhauses nicht immer dem gängigen Klischee entsprechen. 

Ich mochte das Büchlein trotz seiner Längen, weil mir Jerusha irgendwie sympathisch war und nicht eine der schnippischen, altklugen Gören, denen man in "Mädchenromanen" häufig begegnet. Ihre Abenteuer sind zwar nicht besonders aufregend und erinnern mich an meine eigenen frühen Tagebucheinträge, doch ihre Gedanken zu abstrakten Dingen wie Politik und Gesellschaft fand ich bemerkenswert. Wie gesagt, vor allem für die Zeit der Entstehung des Romans. Die Zeichnungen, mit der Jerusha / Judy gelegentlich ihre Briefe versieht, sind ebenfalls ein liebevoller Einfall der Autorin.

Man bezeichnet "Daddy Longlegs" auch als einen Liebesroman für Jugendliche. Quasi ein antiquierter Young Adult. Ich werde jetzt nicht spoilern, warum, aber auch das war rührend und erfrischend, fast ein kleiner Gänsehautmoment. Obwohl es natürlich Andeutungen gab.

Fazit: Ein nett zu lesendes Buch, das man am besten als Zweitbuch zur Hand hat, wenn das erste gerade ein bisschen schwierig ist.

 

Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫

 

Donnerstag, 11. Mai 2023

Zum 50. Todestag von Lex Barker

 Ein Idol meiner frühen Kindheit war Lex Barker, der hünenhafte Held aus den Karl May-Filmen. Die meisten Mädchen meiner Altersklasse und darüber schwärmten für Winnetou / Pierre Brice, was ich nie so recht verstanden habe - war doch Old Shatterhand so viel kerniger und trug einen echten, wunderschön silberblonden Skalp, der romantischer im Abendwind flatterte als Monsieur Brices Perücke. Und wenn man ihn reiten sah und ein bisschen Ahnung von Pferden hatte (und das hatte ich als Mädchen), dann wusste man: er und sein Hatatitla / Rih verstehen sich. Was kein Wunder ist, saß Barker doch schon als Fünfjähriger fest im Sattel und besaß später hin und wieder eigene Pferde.


 

Die Begeisterung für Lex Barker begleitet mich bereits mein ganzes Leben lang. Manchmal bricht sie sich in regelrechten Schüben Bahn, die mir (merkwürdigerweise) in meinen Teenagerjahren und frühen Zwanzigern peinlich waren. Verschämt wurde dann in Mediencentern abseits von Amazon nach "anspruchsvollen" Filmen mit Lex Barker gefragt, bis der Verkäufer allmählich spitzkriegte, dass ich sie nur wegen dem Schauspieler bestellte. Verwandte und Freunde wurden gebeten, mir vom Kabelfernsehen Videos mitzuschneiden (Gott, bin ich alt!), da ich relativ spät in den Genuss von mehr als drei Programmen gekommen bin. 

Ich kann mich an einen Urlaub erinnern, während dem ich es kaum abwarten konnte, nach Hause zu fliegen, weil dort ein paar ungesehene Barker-Filme auf mich warteten, die ich zu horrenden Preisen von meinem Lehrlingsgehalt erworben hatte und mir per Post schicken ließ. Schmonzes wie "Frauenarzt Dr. Sibelius" oder zweitklassige italienische Kostümfilme und europäische Abenteuerfilme standen damals hoch in meinem Kurs. Freilich ganz geheim. Irgendwie habe ich mich immer ein bisschen uncool gefühlt, wenn man mir auf die Schliche kam, weil in meinem Zimmer ein altes Bravo-Poster hing. Statt Brad Pitt und George Clooney mochte ich Lex Barker, den man im Allgemeinen als eher durchschnittlich talentierten Akteur wahrnahm, wenn überhaupt. Immerhin war er zu meiner Jugendzeit auch schon ein paar Jahrzehnte tot, und unsterblichen Ruhm hat er nur unter den Karl May-Fans eingefahren, die erst jetzt wieder ungeniert und nostalgisch zu ihrer Leidenschaft stehen. Und natürlich als Tarzan in den USA. Tarzandarsteller gab es allerdings mehrere, auch wenn mein subjektives Urteilsvermögen überzeugt ist, dass er der schönste und strahlendste Lord Greystoke war, der je mit nackten Füßen oder in hautfarbenen Ballettschuhen den sumpfigen Hollywood-Dschungel betreten hat.

 

Ich Jane, du scheyn!


 Leider ist Lex Barker nicht alt geworden. Vielleicht war sein Leben als Kosmopolit anstrengender und weniger glamourös, als es den Anschein hatte oder er es sich anmerken ließ. Auch sagt man über ihn, dass er nicht gut allein sein konnte, wenngleich die Geselligkeit in großer Runde oft vorgetäuscht war. Wenn man sich in seine umfangreiche Biografie vertieft, nimmt es nicht weiter wunder, dass ein Leben wie seines früher oder später einen Tribut fordert. Denn Pausen oder Auszeiten hat Lex Barker offenbar nicht gekannt. Ständig war er auf allen Teilen der Erde unterwegs, drehte oft bis zu sechs Filme im Jahr und wurde privat und beruflich nicht nur einmal auf eine harte Probe gestellt. Vor genau fünfzig Jahren starb er in Manhattan, New York an einem Herzinfarkt auf offener Straße - ironischerweise im selben Bundesstaat, in dem er auch geboren wurde. Für einen Weltenbummler wie ihn ist das schon irgendwie bemerkenswert. 

 

Mit Ehefrau Nr. 5 in Spanien
 

Bereits vor über zehn Jahren habe ich einen Artikel über Lex Barker auf dem Autorenportal Pagewizz verfasst, der einen Überblick über sein kurzes, aber ereignisreiches Leben gibt. Und eines ist sicher: Peinlich wird mir meine "Schwärmerei" für einen so interesssanten Menschen nie wieder sein.

Hier geht's zu meinem Bericht: *Klick*

Bildquelle: Pinterest



Donnerstag, 4. Mai 2023

Rezension "Eskapaden" ~ Walter Satterthwait

 Dieser Roman befindet sich seit Ewigkeiten in meinem / unseren Besitz. Ich hatte ihn ursprünglich in mein Booklooker-Regal gestellt, um ihn zu verkaufen. Zu Recht, denn mein Ding waren die Eskapaden nicht wirklich. Wer nach meiner durchwachsenen Meinung immer noch neugierig ist, darf die Neugier gern befriedigen, indem er meinem Regal einen Besuch abstattet. 😏



 Inhalt: Devon, England, 1921. Auf Maplewhite, dem Anwesen von Lord und Lady Purleigh, trifft sich eine Schar auserlesener Gäste zu einer Séance, darunter der Zauberkünstler Harry Houdini und Sir Arthur Conan Doyle. In der Absicht, das Medium bloßzustellen, reist Houdini mit seinem amerikanischen Sekretär Phil Beaumont an, der sich im Lauf der Geschichte als ein Pinkerton-Mann entpuppt und zudem als Erzähler fungiert. Daneben schreibt Jane Turner - ebenfalls Gast - etwas überspannte Briefe an ihre Freundin in London, um zu berichten, was jeden Tag so Unglaubliches geschieht. Das Unglaubliche hat weniger mit Geistern zu tun (obwohl angeblich Sir Reginald durch das Anwesen spukt), sondern mit dem mysteriösen Tod des Earls, der aufgeklärt werden muss. Man vermutet zunächst einen Berufsgenossen und Neider von Houdini, der ihm mutmaßlich aus den USA nach England gefolgt ist, um ihn zu vernichten. Weitere Mordversuche erhärten den Verdacht, und Scotland Yard wird eingeschaltet. Privatdetektiv Beaumont ermittelt auf eigene Faust, und Houdini folgt diesem Beispiel. Wurde der Earl tatsächlich ermordet oder war es Selbstmord? Wer schoss im Park aus dem Wald heraus auf seinen Sohn, Lord Bob Purleigh? Und was geht es mich eigentlich an?

 

olleaugust /Pixabay

 Meinung: Der letzte Satz sagt es schon: Ich fand das Buch in weiten Teilen dröge, verwirrend und langatmig. Aufgrund der Erzählstruktur wurden viele Dinge mehrmals von verschiedenen Personen durchgekaut, und das hat mich glaube ich, noch mehr genervt als der österreichische Akzent von Dr. Auerbach und die weitschweifigen Beschreibungen von unzweifelhaft lieblichen Landschaften und einem handlungsirrelevanten Boxkampf. 

Interessanterweise hätte mir die Geschichte in ihrer Detailfülle vor ein paar Jahren noch gefallen. Denke ich zumindest. Jetzt habe ich mich mehr oder weniger durchgequält, um kurz vor dem Epilog immer noch dazustehen wie der Ochs vorm Berg. Doch der folgte dem Muster von Agatha Christie in einem - pardon - müden Abklatsch. Handlungsstränge werden phantasievoll zusammengerafft, auf die man als Leser nicht kommt, weil sie in den vorigen Kapiteln nicht einmal angedeutet werden. Wer ein paar Wochen zur Lektüre braucht wie ich, verliert da schon bald den Faden. Von was ist denn da die Rede, habe ich mich oft gefragt und mich am Kopf gekratzt. Und ich habe in der Regel ein gutes Gedächtnis.

Gut gefallen haben mir allerdings die Personenbeschreibungen, dank denen ich jede einzelne Figur plastisch vor Augen hatte. Das war aber auch nicht so schwer, wenn man schon ein paar Christie-Krimis im Fernsehen geguckt hat. Hercule Poirot alias Peter Ustinov hätte als Sir Arthur Conan Doyle eine gute Figur gemacht, sowie Harvey Keitel als der damals weltweit bekannte Entfesslungskünstler Houdini, den er tatsächlich bereits verkörpert hat. Insofern war "Eskapaden" zuweilen recht amüsant. Zu drei durchschnittlichen Sternen reicht es dennoch nicht. Ich hatte mehr Spannung und Grusel erwartet.

Bewertung:  💫💫 und ein halber 💫


Mittwoch, 26. April 2023

Ein lebenslanger Weggefährte: Harry Belafonte (1927 - 2023)

 Am 25. April starb mit 96 Jahren ein Ausnahmekünstler, der mich von der Wiege an begleitet hat. Das klingt ein bisschen komisch, ist aber tatsächlich so. Harry Belafonte zählt mit Neil Diamond, Simon & Garfunkel und ABBA zu den Lieblingsmusikern meiner Eltern, die Langspielplatten besaßen, welche mir schon als Baby und Kleinkind Vertrautheit geschenkt haben. Ihre Songs sang ich phonetisch nach, ohne zu wissen, von was die Texte handelten.

 

 

Es war mir auch egal, über *was* da gesungen wurde - der lebensfrohe Calypso-Rhythmus hat mich unglaublich mitgerissen, und die wehmütigen Lieder wie "Island in the Sun" oder "Try to Remember" treiben mir bis heute die Tränen in die Augen, wenn ich sie höre; Tränen des Glücks und der inneren Bewegung. 

Ich glaube, kein Musiker hat es geschafft, mich so zu berühren wie Harry Belafonte, der mir immer präsent war. Meine Eltern sahen ihn in den 1980er Jahren live und meinten, er sei auf der Bühne noch charismatischer als auf seinen Platten. Dass er nicht nur ein begnadeter Sänger war, sondern auch Bürgerrechtler, der gemeinsam mit Martin Luther King für die Freiheit der Schwarzen gekämpft und zudem Filme gemacht hat, wusste ich lange nicht, doch für mich war ohnehin klar, dass Mr. Belafonte ein außergewöhnlicher Mensch war. Allein die Tatsache, dass er mit seiner Musik Herzen froh machen konnte, rückte ihn für mich in die Nähe eines Zauberers. Seinem typischen Calypso-Sound und der warmen Stimme kann man sich einfach nicht entziehen. Sobald "Angelina" erklingt, "Mathilda" oder der "Banana Boat Song", überkommt mich das Bedürfnis, zu tanzen und herumzuspringen. Und das, wo ich absolut keine begabte Tänzerin bin. 

Sicherlich hat ein Mann wie Harry Belafonte ein viel größeres Vermächtnis hinterlassen als *nur* seine Musik. Vor kurzem habe ich eine Dokumentation über sein bewegtes Leben gesehen (das meinetwegen viel länger hätte dauern können), und war überrascht, wie vielseitig interessiert und engagiert er war. Auch, dass er als einer der wenigen ausländischen Künstler in der damaligen DDR auftreten durfte, fand ich enorm. Dass er als Kind Jamaika nicht mochte, wohin ihn die mittellose Mutter schickte und er erst später so etwas wie Verbundenheit mit der Insel empfand, die er mehrmals besingt und die eigentlich gar nicht so sonnig war, war ebenfalls neu für mich. 

 


 

Doch was mir sehr imponiert und gefallen hat, war, dass er offenbar nie mit etwas haderte, das nicht zu ändern war, und dort, wo es Möglichkeiten gab, gehandelt hat. Sich als Brückenbauer zwischen Nationen und Völkern verstand, und dabei so bescheiden geblieben ist. Sein Talent für den unverwechselbaren Feelgood-Groove sah er genau so als Geschenk Gottes wie seine Wirkung als Botschafter für eine bessere Welt. Und für die hat er nicht nur gekämpft, sondern durch leise und ruhige Töne etwas verändert. In den Vordergrund hat er sich dabei nicht gedrängt, und das verdient besonderen Respekt und Hochachtung. 




Menschen wie er werden in der Zukunft vermisst werden. Nicht nur deshalb bedaure ich seinen Tod, der mir trotz seines gesegneten Alters immer noch unwirklich vorkommt. Aber seine Musik lebt ewig weiter. Und falls im Himmel noch kein Calypso getanzt wird, haben die Engel nun den perfekten Lehrmeister. Farewell, lieber Harry! 



Montag, 17. April 2023

Oskar der Familienvater ~ Cefischer

Einige meiner Kinder-und Jugendbücher sind wahre Schätze und werden sorgfältig aufbewahrt. In die wenigsten schaue ich noch hinein geschweige denn lese sie durch, doch Oskar möchte ich an dieser Stelle einfach mal einen Artikel widmen. Geschenkt bekam ich ihn, weil wir damals einen Kater desselben Namens hatten, unser erster. Zwar war er schwarz und nicht gestreift wie der Buchheld, doch eine Familie hatte er zeitweise auch, die im Hasenstall in der Garage genächtigt hat. Eigentlich Oskars Schlafplatz, wenn das Wetter schlecht war. Da hat er ganz schön dumm aus dem Fell geguckt. Ähnlich wie Cefischers Kater, der häufig aber auch ganz schön gewitzt war. Vor allem, wenn es ums (Achtung Triggerwarnung!) Trinken, Rauchen und Spielen ging. Oder um die konventionelle Kindererziehung zu umgehen. Ich habe es geliebt!

 


 Oskar hat eine fünfköpfige Kinderschar und eine rassige Kätzin zur Frau ("Mutti"), der er treu ist, selbst wenn er gern mal einer anderen hinterherschaut. Aber immer sehr subtil und so, dass die Gattin nichts davon merkt. Ähnlich verhält es sich mit seinen anderen Lastern, denen er frönt, wenn sie nicht zugegen ist bzw. er glaubt, davonzukommen. Umgekehrt ist aber auch die Kätzin mit allen Wassern gewaschen, und nicht selten tappt er beduselt in eine ihrer (raffiniert weiblichen) Fallen. Denn das Rasseweib nimmt zwar das Familienleben sehr ernst, ist aber durchaus emanzipiert. Die Erziehung und Freizeitgestaltung der fünf Racker wird ebenbürtig aufgeteilt. Kein Wunder, dass Oskar da schnell überfordert ist... doch bei allen Querelen ist er ein gutmütiger und gerechter, manchmal etwas begriffsstutziger Vater, der viel mit seinen frechen Kindern unternimmt. Und sich sogar einen Hund kauft.

Ich habe immer viel über die liebevoll gezeichneten Comicstrips gelacht, die in den 1950er Jahren bis in die 1960er in der Frankfurter Illustrierten erschienen sind. Ein bisschen erinnert mich Oskar auch an meinen Opa Karl, der zwar kein Casanova war wie Oskar, aber auch gern geraucht hat und draußen noch meist einen Hut trug (wie Oskar). Außerdem liebte er Katzen. Ich glaube, das Buch hätte ihm gefallen, wenn er es gekannt hätte.

 


Ich jedenfalls konnte Stunden mit Oskar zubringen und über seine Streiche und Einfälle lachen. Das Buch kam häufig mit in den Urlaub, weil ich nicht einmal in der Fremde auf Oskar verzichten wollte. Und irgendwie hatte ich laut meiner Kinderlogik dann ja auch unseren Kater mit dabei, der daheim blieb. 

Politisch korrekt ist der gewitzte Familienkater Oskar schon lange nicht mehr - allein die bereits erwähnten Eigenschaften, ein unverbrämter Chauvinismus und die fragwürdige Kindererziehung sorgen dafür, dass seine Alltagsgeschichten trotz seiner damaligen Beliebtheit nicht mehr aufgelegt werden und vermutlich nur noch antiquarisch erhältlich sind. Oder zu fast unerschwinglichen Preisen.

 Was ihn mir auch besonders lieb macht, sind die ausdrucksstarken und ansprechend rundlichen Zeichnungen mit sparsamer Farbgebung (da Zeitungen damals vorwiegend schwarzweiß gedruckt wurden), die Carl Ernst Fischer / Cefischer mit dem Mund malte, nachdem er bei einem Bombenangriff 1944 beide Arme verloren hatte. Mit Oskar hat er sich einen Alter Ego erschaffen, der so liebenswert ist, dass ich es schade finde, sein Werk in Vergessenheit geraten zu lassen. Daher lege ich das Buch jedem Katzen- und Retrofan ans Herz.

 


Wie gesagt, für mich ist dieses Buch ein Schatz. Ich habe die unten verlinkte Sonderausgabe von Bertelsmann, doch wer sich schlau macht, findet im Internet noch einige Perlen und Abenteuer des allzu menschlichen Katzenkaters.




Freitag, 7. April 2023

Pesach Sameach, Happy Good Friday und Gesegnete Osterzeit mit "The Chosen"!

 Vor einiger Zeit haben meine Familie und ich angefangen, "The Chosen" von AngelStudios auf Bibel-TV anzusehen, von denen ein paar Folgen sogar kostenlos im hiesigen Kino zu sehen sind. Die Serie wird offenbar besonders in "frommen" Kreisen kontrovers diskutiert, häufig sogar scharf kritisiert. Warum, ist mir ein Rätsel. Weltweit kommen durch das neuartige und ungewöhnliche Konzept Millionen Menschen zum Glauben und lesen wieder in der Bibel, um mehr über Jesus zu erfahren. Allein das sollte Grund genug sein, der Serie eine Chance zu geben. Man kann sie übrigens auf allen gängigen Filmportalen streamen. Leider habe ich kein Abo für Netflix oder ähnliches, so dass wir warten müssen, bis die dritte Staffel im Fernsehen ausgestrahlt wird.

 

Bildquelle: Julia Soke


Uns alle hat "The Chosen" beginnend mit dem cleveren und schmissigen Vorspann nämlich komplett begeistert, obwohl der Anfang verwirrend und schwierig war. Dass Israel zu Jesu Zeit derart unter römischer Besatzung gelitten hat und man ursprünglich auf den Messias gewartet hat, damit er die Römer vertreibt, war neu - zumindest bekommt man den Umstand in der Bibel weniger plastisch vor Augen geführt. Nicht nur das lässt einen die biblischen Geschehnisse und das Wirken von Jesus aus einem anderen Blickwinkel sehen; so, als wäre man hautnah dabei. 

 


 

In den ersten beiden Folgen tritt Jesus kaum in Erscheinung, dafür umso mehr einige seiner späteren Jünger und wie deren Leben aussieht. Meine Lieblinge waren anfangs der schneidige, impulsive und schlitzohrige Fischer Simon Petrus (Shahar Isaac) und Matthäus (Paras Patel), der die Steuern eintreiben muss und das trotz seiner Unbeliebtheit sehr gewissenhaft tut. Was ihm dabei hilft, überkorrekt zu sein und sich ein dickes Fell gegen die Anfeindungen zuzulegen, auf die er von beiden Seiten stößt (Juden und Römer) ist sein fast autistisch anmutender Charakter. Heute würde man bei ihm das Asperger-Syndrom diagnostizieren. Und da wären wir bein nächsten Punkt, der uns positiv auffiel. Alle Schauspieler sind lebensnah und nachvollziehbar angelegt und wunderbar in ihrer jeweiligen Rolle. Es gibt keine/n, die / der fehlbesetzt wirkt. Menschen, die man nur dem Namen nach aus der Bibel kennt, bekommen plötzlich Gesichter und Eigenschaften.

 

Blau, violett oder rot? Die blaue Schärpe macht das Rennen.

 

Die größte Überraschung ist für viele vermutlich die Darstellung von Jesus durch Jonathan Roumie. Er ist völlig anders als die übrigen ätherischen Film-Jesuse zusammen. Humorvoll, warmherzig, interessiert an allem und auch manchmal auf die Hilfe seiner Jünger angewiesen ("Was meinst du, Matthäus, bin ich ein wenig zu streng in der Predigt? Sollte ich anders anfangen?" - Hier erfährt man wie nebenbei, warum es Matthäus war, der die Bergpredigt aufgeschrieben hat), wirkt er sehr viel menschlicher, ohne dabei vergessen zu lassen, dass er göttlich ist. Sein Charisma ist nicht aufdringlich oder macht ihn zu etwas Besonderem, sieht man von der Tatsache ab, dass er Wunder tut und Kranke heilt, mit denen er sich immer freut und mit ihnen lacht, wenn sie merken, dass sie von nun an gesund sind und seine Taten weitererzählen möchten. Auch versichert er seinen Jüngern (und Frauen und uns allen bis heute), dass sie noch viel größere Wunder bewirken können, wenn sie nach Gottes Plan leben und daran glauben. Durch sein gesamtes Auftreten wird klar, dass Gott jeden Menschen liebt - ohne Unterschied. Selbst das Gespräch zwischen dem römischen Hauptmann Quintus und Jesus ist geprägt von gegenseitigem Respekt und Humor.

Die liebevolle Beziehung zu Maria, die ihn gelegentlich auf seinen Reisen begleitet, nimmt in "The Chosen" ebenfalls Gestalt an; wir erfahren, wie sehr sie einander schätzen und dass Jesus seine Mutter ehrt, denn sie ist "die wichtigste und mächtigste Person in meinem Leben", so Jesus auf dem Weg zur Hochzeit in Kanaan. Und wir werden Zeugen von den Sorgen, die sie sich bei allem mütterlichen Stolz um ihn macht, kennt sie doch seinen Auftrag.

 

Die noch nicht ganz komplette Jesus-Gang.


Überhaupt die Beziehungen untereinander sind supertoll ausgearbeitet und oft sogar witzig, etwa die kleinen Kabbeleien zwischen den "Jungs". 

Solange die Serie dem biblischen Geist treu bleibt (und das tut sie), finde ich es nicht verwerflich, das Ganze ein wenig auszuschmücken. Oft wurden mir Zusammenhänge klar, die in der Bibel zwar erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt werden. "The Chosen" nimmt sich diese Freiheit, und kommt dabei oft zu erstaunlichen, weil logischen Schlussfolgerungen, und selbst der bibelfeste Zuschauer (nicht dass ich das überzeugt von mir sagen kann) zu neuen Aha-Erkenntnissen. Es muss in der Realität natürlich nicht so gewesen sein, könnte aber. Als Beispiele zu nennen wären die Krankheit von Petrus' Schwiegermutter und Jesu Umgang mit Kindern; das letztere fand ich besonders schön, denn Jesus nimmt die Mädchen und Jungs sehr ernst, die den "komischen" Zimmermann besuchen kommen, und unterhält sich mit ihnen in ermutigender und aufmerksamer Weise, ohne dabei wie der seltsame Onkel rüberzukommen. Als er der kleinen Abigail am Ende der Folge einen Brief schreibt und ihr einen Stall / ein Haus mit Tieren geschnitzt hat, das sie beides an der verlassenen Feuerstelle findet, ist man einfach nur gerührt.

Ich glaube schon, dass für eine Serie in diesem epischen Ausmaß und ihrer Handlung sehr viel Recherche und eine lebendige Beziehung zu Jesus notwendig sind. Sonst hätte sie bestimmt nicht so funktioniert, viele Menschen abgeholt und für die Bibel interessiert, gläubig oder nicht. Sieben Staffeln sind geplant, von denen jetzt bald drei im Kasten sind.

Die beiden ersten, bereits auf DVD erhältlichen Staffeln habe ich gekauft, denn es gibt immer etwas, das einem beim zweiten Mal klarer wird oder beim ersten Anschauen unterging. Außerdem finde ich es mega, dass man bei den unzähligen aufwendigen Serien mal ein Thema ausgewählt hat, das nicht nur unterhaltsam und lehrreich ist, sondern auch Leben rettet. Jesus halt. Um die unter Christen beliebte Frage zu stellen: Was würde Jesus tun? Sich freuen, dass es "The Chosen" gibt.


Christine Wirth

In dem Sinn wünsche ich allen ein gesegnetes und friedliches Osterfest! Und natürlich ein frohes Pessachfest, das wie immer mehr oder weniger parallel zu Ostern stattfindet, vom 5. - 13. April dieses Mal.
 


Mittwoch, 5. April 2023

Rezension "Lancelot" ~ Giles Kristian

 Inhalt: Lancelot vom See, allgemein anerkannter Lieblingsritter der Tafelrunde und somit Intimus von König Artus, erzählt von seinem Leben. Als Achtjähriger muss er mit seiner Familie und seinem Gefolge aus Aremorica fliehen. Auf der Flucht nach Britannien verliert er bei einem unappetitlich blutigen Festmahl heimtückisch Eltern und Bruder. Nur ein ihm anvertrautes, aber störrisches Sperberweibchen bleibt ihm, das später während seines Aufenthaltes auf der Insel Karrak Loos yn Koos, auf der er die Kriegskunst erlernt, ebenfalls getötet wird und späte Rache erfährt. 

 


 Lancelot rettet Guinevere vorm Ertrinken, die wie er einige Jahre auf der Insel der Herrin vom See verbringt. Obwohl sie beide noch Kinder sind, verlieben sie sich. Als Guinevere um ein Haar von einem Krieger vergewaltigt wird, rettet sie Lancelot abermals und schlüpft zu ihr ins Bett. Einziger (makabrer) Zeuge der leidenschaftlichen Vereinigung wird der gerade erst kaltgestellte Krieger, der wenig später von Lancelot im Fluss "entsorgt" wird. Der jugendlichen Liebe ist das Glück nicht hold: mit siebzehn muss Guinevere fort, um an einen Edelmann verheiratet zu werden. Außerdem hat der Druide Merlin eine andere Aufgabe für sowohl Guinevere als auch den drei Jahre jüngeren Lancelot.

Nach Jahren, in denen sich der junge Krieger die Sporen bei Fürst Artus verdient hat und zu seinem engsten Vertrauten geworden ist, lässt Artus seine Frau nach Camelot kommen. Der versierte Artus-Kenner ahnt, wer das ist.

Überhaupt macht der Großkönig in spe plötzlich ziemlich in Familie, denn auch Mordred taucht auf, der "verlorene Sohn." Doch bevor es zur modernen Patchwork-Reunion kommt, muss Artus die einfallenden Sachsen bekämpfen und in den Krieg ziehen. Obwohl Lancelot sich im Kampf bewährt, schickt ihn Artus über den Kanal nach Gallien, um dort ein Eidversprechen einzulösen, das er als junger Mann dem dortigen König gegeben hat. Und um ihn von Guinevere fernzuhalten. Dennoch kann Lancelot sie nicht vergessen. Da spinnt Mordred eine Intrige... und es wird nicht die letzte sein.

 

La belle dame sans merci / Sir Frank Dicksee

 

Meinung: Ich habe schon zu viele Interpretationen des König Artus-Mythos gelesen, um diesen Roman als wirklich gelungen zu betrachten. Sprachlich ausgefeilt und oft auch ein wenig blumig, machte er es mir anfangs nicht leicht, in die Geschichte hineinzufinden. Auch die kursiv geschriebenen Abschnitte waren verwirrend, bis ich begriff, dass es sich um sogenannte "Seelenreisen" handelt, eine Gabe, die Guinevere eigen ist und von Merlin gefördert wird - sehr zu Lancelots Verdruss.

Okay, keine Arthus-Mystik ohne Artus-Schlachten. Leider - wie in so vielen Tafelritterromanen aus männlicher Feder - omnipräsent und sozusagen ekelerregend ausführlich. Abgeschlagene Köpfe schwirren durch gefühlt die Hälfte der über achthundert Seiten, Bäuche werden aufgeschlitzt, und viele tausend blutverschmierte Klingen landen in entsetzt geöffneten Sachsenrachen. Es nahm daher nicht weiter wunder, im Nachwort zu erfahren, dass die Trilogie von Bernard Cornwell die große Inspiration von Giles Kristians "Lancelot" war. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht gelesen. 

Allerdings hat es durchaus seine Momente. Der ergreifendste war für mich Lancelots Sperberin, von der ich bereits berichtet habe. Gefallen hat mir, dass Lancelot von Kindesbeinen an nur ein Mädchen bzw. eine Frau geliebt hat, selbst wenn Artus dafür recht blass geblieben ist. Ein bisschen hoffe ich ja immer auf eine deftige Bromance zwischen den beiden, aber dafür müsste ich wohl selbst zur Feder greifen / in die Tasten hauen.

 

Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫



Samstag, 1. April 2023

Wann wird's mal wieder richtig Frühling?

 Es fing so gut an. Pünktlich am 21. März, dem kalendarischen Frühlingsanfang, schien die Sonne und blühten die Krokusse und Minitulpen in unserem Garten. Damit hatte es sich dann aber weitgehend. Die folgenden Tage waren ein Mix aus Sonne (wenig), Hagelschauer (mehrmals) und Regen und Sturm (heftig und oft).

 

Blumenpracht am 21. März

 Und dabei sehne ich mir so sehr nach wärmeren Temperaturen. Genau wie meine beiden Katerchen, die trotz Nieselregen nach draußen drängen und dann ganz enttäuscht und verärgert mit nassem Fell und gerümpfter Nase ins Trockene zurückkehren. Immerhin grünt es im Hof jetzt explosionsartig durch den übermäßigen Niederschlag, so dass ihr über den Winter eher trostloses "Gehege" wieder interessanter und lebendiger wird mit Regenwürmern, Insekten und Vögeln. Ich mag es, den zweien zuzusehen, wie sie lustige Sprünge zum Besten geben und sich balgen oder Verstecken spielen. Den Solarbrunnen von letztem Jahr haben wir in den vergangenen Wochen aus dem Winterschlaf geweckt, und er tut seine Dienste, so gut er eben kann. 

Apropos solare Energie: Seit Anfang März haben wir sechzehn Module auf dem Dach, von denen "überflüssig produzierter" Strom ins Netz eingespeist wird und uns somit eine Kleinigkeit dazuverdienen lässt. Die Produktion ist selbst bei sonnenlosen Tagen aktiv. Eine clevere Sache bei den steigenden Heizkosten, auch wenn der lärmige Einbau von den vielen Handwerkern für den seniblen Mikkel mit so viel Stress verbunden war, dass er und Toby für einen Tag umgezogen sind, um dem Krach von Bohrern und dem geschäftigen Treiben im ganzen Haus zu entkommen. Allerdings muss man sagen, dass die Firma Enpal und ihre Mitarbeiter fix und zuverlässig in weniger als einer Woche das Kind geschaukelt hatten. Kann ich nur empfehlen!

 

Am Brunnen vor dem Tore...

 Nicht nur deswegen wünsche ich mir, dass es bald richtig Frühling wird. Der Winter war lange genug da. Unsere Linde treibt gerade erst schüchtern die Knospen aus - vielleicht ahnt sie, dass noch nicht der geeignete Zeitpunkt ist, ihr grünes Kleid anzulegen, das uns im Sommer so wohltuend Schatten und ein angenehmes Klima selbst bei über 30°C beschert. Als Trost bleiben mir die unübersehbaren Vorboten des Frühlings, wie der wunderschöne Magnolienbaum in der Nachbarschaft. Ich hatte gestern einen eher miesen Tag, doch auf dem Weg zum Einkaufen konnte ich nicht an der Blütenpracht vorbei, ohne ein Foto zu knipsen. 


Faszinierend!


Selbst das Haus dahinter sieht aus wie in einem Märchen. Ein frontales Foto davon habe ich mir dann aber doch verkniffen. Und ein Aprilscherz. Mir wollte irgendwie auch keiner einfallen; zudem sind in diesen Zeiten, glaube ich, die wenigsten zu Scherzen aufgelegt. In den April geschickt worden bin ich nämlich auch schon lange nicht mehr. Oder ich bin einfach abgeklärter geworden.




Montag, 27. März 2023

Der dritte Mann (1949) ~ Klassiker des film noir mit Orson Welles

 Sicherlich gibt es viele Reviews zum dritten Mann - und vermutlich bessere als meines es werden wird, habe ich den Verlauf der Handlung doch nicht allzu konzentriert mitverfolgt. Trotzdem hat mich der Film beeindruckt, vielleicht sogar wider Willen, da ich häufig der Meinung bin, dass Klassiker in Film und Literatur überbewertet sind. Dieser hier hat mich weniger aufgrund der damals technischen Specialeffects wie der expressionistischen Kameraperspektiven und dem Showdown durch die Wiener Kanalisation fasziniert, sondern vielmehr aufgrund der Handlung (Harry Lime / Orson Welles ist Schwarzmarkthändler mit verheerenden Folgen), der unaufgeregten Erzählweise und dem atmosphärischen und authentischen Nachkriegs-Wien, das zu jener Zeit abwechselnd von den vier Siegermächten verwaltet wurde. 

Ziemlich raffiniert ist der dritte Mann obendrein, und dennoch irgendwie simpel. Das muss Graham Greene respektive Carol Reed erst mal einer nachmachen.


Bildquelle: Amazon


Bemerkenswert ist natürlich auch die Eingangsmusik von Anton Karas, der die gesamte Musik für den Film komponiert hat, obwohl er nur in einer Gaststätte spielte, in der Regisseur Carol Reed ihn sozusagen entdeckte und unsterblich machte mit der unverwechselbaren Zithermusik.

Handlung: Der Groschenroman-Autor Holly Martins (Joseph Cotton) ist finanziell am Ende. Durch einen Brief seines Jugendfreundes Harry Lime (Orson Welles), in dem dieser ihm einen lukrativen Job verspricht, reist er von den USA nach Wien, um dort unterrichtet zu werden, dass Harry kurz vor seiner Ankunft einen tödlichen Verkehrsunfall hatte. 

Auf der Beerdigung erzählt ihm der britische Major Calloway (Trevor Howard), dass Harry in üble Geschäfte verwickelt und sein Tod das Beste für alle gewesen sei. Martins ist entsetzt und bezichtigt den Major der Verleumdung. Doch der mysteriöse Tod des Freundes, bei dem ausschließlich dessen Bekannte anwesend waren, lässt ihn nicht los, und so beginnt er, auf eigene Faust Recherchen zu Harrys Ableben anzustellen. Dabei gerät er immer tiefer in die skrupellose Wiener Unterwelt der Nachkriegsjahre und sieht sich bald selbst als Teil in einer unmenschlichen Maschinerie, die unaufhaltsam über ihn hinwegrollt. Und wer ist der dritte Mann, der half, Harry Lime von der Straße zu tragen, nachdem er verunfallt war?

Zu allem Überfluss verliebt sich der verdruckste Martins auch noch in Harrys Ex-Freundin, der Schauspielerin Anna Schmidt (Alida Valli), und es geschieht ein Mord am Portier, bei dem Martins nur knapp seine Unschuld beweisen kann. 

Major Calloway verpflichtet ihn als sein "Chefspitzel". Längst scheint Harry Lime nicht mehr so unbescholten zu sein, wie Martins ihn aus vergangenen Tagen kannte. Er erfährt, dass Harry Schiebergeschäfte mit verschnittenen Medikamenten machte, die bei Kranken und Patienten im Spital zu schweren bleibenden Schäden oder zum Tod geführt haben. Entschlossen, dem ein Ende zu setzen, willigt Martins in die Suche nach Harry ein, als nach einer Exhuminierung des Grabes feststeht, dass nicht Harry, sondern ein früherer Informant des Majors dort seine letzte Ruhe gefunden hat.


Kuckucksuhr? Nee du, das ist 'ne Knarre...


Meinung: Beim Bewerten und Anschauen von Klassikern versuche ich immer zu ergründen, was den Klassiker zu einem solchen gemacht hat. Natürlich wurde eingangs schon von der innovativen Kameratechnik, der damals wagemutig gefilmten Verfolgungsjagd und den expressionistischen Bildern geredet. Hinzu kommt eine vielzitierte Rede über Kuckucksuhren aus der Schweiz (!!!), die Orson Welles hält, als Joseph Cotton ihn stellt und die verdeutlichen soll, dass Großes nur aus Kriegen und schlechten Zeiten hervorgehen kann. Wahrscheinlich hat er da gar nicht mal so unrecht, der gute Orson. Und trotzdem wünscht man sich, alle Länder wären wie die Schweiz (auch wenn es dort keine Kuckucksuhrmacher gab - die kommen ursprünglich aus dem Schwarzwald). Was genau den Film zu einem Meilenstein der Filmgeschichte macht, kann ich nicht sagen. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn er gab Stoff zum Nachdenken und anschließenden Diskutieren, vielleicht sogar ein wenig Philosophieren.

Alles in allem habe ich mich gut unterhalten gefühlt. Es gab keine überdurchschnittlich dramatischen Momente - was ich als sehr wohltuend empfand - und dennoch blieb die Geschichte spannend und durchdacht.

Und last but not least hieß der Major wie mein Romanheld Mickey in "Affettuoso" und "Camera Obscura", das war ein weiterer Pluspunkt. Wenngleich ich meine, dass ich mir den Namen wohl aus dem großen Gatsby entliehen habe. Noch so ein Klassiker...


Bewertung: Vier von fünf Penicillinspritzen 💫💫💫💫


Montag, 20. März 2023

Ich lese gerade... "Lancelot" von Giles Kristian (leichte Spoiler!).

 Mein erster Wälzer seit vielen Jahren mit über 800 Seiten ist "Lancelot" von Giles Kristian. Darin geht es - unschwer zu erraten - um die Artussage und wie Lancelot zum Tafelritter und Liebhaber der Königsgattin Guinevere wurde, die er bereits in Kindertagen auf der Insel der Herrin vom See kennenlernt, indem er sie aus einem schweren Schiffsunglück errettet, bei dem alle anderen Passagiere ertrinken. 

 


Im vorigen Beitrag habe ich mich bereits ansatzweise darüber ausgelassen, wie seltsam es anmutet, dass Artus-Romane aus männlicher Autorensicht ungleich gewalttätiger wirken als aus weiblicher, und mich dennoch die Vorgänge nicht besonders tangieren, wenn ich für keine der Figuren Sympathie hege. Daher hatte ich nicht vermutet, dass mich gestern eine Stelle zum Heulen gebracht hat, die andere höchstens mit einem Gefühl des leisen Bedauerns gelesen hätten. Die Rede ist von Lancelots Sperberin, die er trainieren soll ("Abtragen" nennt man das in der Sprache der Falkner). Der Falknermeister erteilt ihm diesen unliebsamen Auftrag, kurz bevor König Clauda und sein Gefolge über König Ban herfallen, also gleich zu Beginn der Geschichte. 

Lancelot und der Vogel werden keine Freunde. Im Gegenteil. Es scheint so, als würde die aggressive Sperberin ihren neuen Herrn demonstrativ verachten, während Lancelot sich zwar Mühe mit ihr gibt, sich aber ihrer insgeheim schämt, weil ihm nicht der viel wertvollere und imposantere Gefalke anvertraut worden ist. Er wird zum Spott der Jungs auf der Insel Karrek, und auch die erwachsenen Männer ziehen ihn wegen seines ungehorsamen Sperberweibchens auf, das zwar keinen Namen hat, aber im Lauf der Zeit doch so etwas wie eine Gefährtin für Lancelot wird, wenn auch unfreiwillig. Lancelot hängt an ihr, haben sie gemeinsam doch eine Menge durchgestanden.


papaya45 / Pixabay
 

Sie überlebt wie er die Flucht von Benoic nach Aremorica und von dort nach der Insel über den Kanal in einem Weidenkörbchen, das Lancelot ständig mit sich trägt. Und als unerwarteter Sieger des alljährlichen Seerennens erhält er von der Herrin Nimue einen exquisiten Falknerhandschuh aus Hirschleder. 

Ich mochte das ungleiche Gespann Vogel und Mensch, und besonders gefiel mir, dass die Sperberin nicht klein bei gab. Immer war sie wild, unberechenbar und auch starrköpfig. Es gibt auch Momente, in denen es scheint, dass Lancelot ihr Vertrauen gewinnt, doch sie bleibt stets auf der Hut und reagiert selten so, wie er es von ihr erwartet.

 Eines Tages verheddert sie sich aufgrund ihres aggressiven Verhaltens in der Lederfessel und wird von Lancelot zu spät entdeckt: ihr Flügel ist gebrochen. Ich war zwar ein bisschen in Sorge, aber da Lancelot optimistisch daran ging, ihre Verletzung zu behandeln, dachte ich nichts Böses, als alle anderen Charaktere ihn mahnten, es zu einem Ende zu bringen und dem Vogel den Hals umzudrehen. Er tut es nicht, doch die gefiederte Diva verliert ihren Lebenswillen und wird immer schwächer, bis sie nach einer kurzen trügerischen Besserung doch zu den Göttern fährt bzw. fliegt. 

Als ich lesen muste, wie Lancelot und Guinevere die tote Sperberin in den Weidenkorb betten und ihn aufs offene Meer hinaustreiben lassen und Lancelot im Stillen denkt, dass sie vielleicht in die alte Heimat zurückkehrt, war es um meine bis dato mühsam aufrechterhaltene Fassung geschehen. Ich habe geheult wie schon lange nicht mehr aufgrund einer fiktiven Geschichte, so berührt hat mich das Schicksal des kleinen Vogels. Dabei wusste ich nicht einmal, wie Sperber aussehen.  


139904 / Pixabay


Am nächsten Morgen hatte ich geschwollene Augen und keine Sonnenbrille und Regenwetter. Das war ein bisschen ungünstig für mein Alibi. Ich hoffe mal, dass Lancelot bei seiner nächsten Beziehung zu einem Tier mehr Glück hat als mit dem Sperberweibchen. Oder dass es nur scheintot ist und aus tiefem Schlaf erweckt werden kann. Das kommt in Legenden und Sagen schließlich öfter vor. Hoffentlich steht das unglückliche Sperberweibchen jedenfalls nicht für Lancelots Versagen auf ganzer Linie. Denn eigentlich ist er ja selbst eine Art Pechvogel.




Sonntag, 19. März 2023

Ein Unterschied zwischen Autorinnen und Autoren am Beispiel von König Artus

  Seit längerem habe ich nichts mehr über König Artus gelesen, wobei mich das Thema nach wie vor interessiert. Wie schön, dass es auch bei Autoren und Autorinnen nie alt wird. Die Legende lebt, möchte man sagen. Allerdings merke ich nach der Lektüre diverser Artus-Romane, dass ich die Geschichten aus weiblicher Feder bevorzuge. Es mag ein Klischee sein, das sich an dieser Stelle als keines erweist: Männer legen mehr Wert auf den *historischen* Artus, der unzählige Schlachten gekämpft haben soll, während Frauen sich mehr mit der Mystik und dem Unerklärlichen bzw. dem Erlösertum des Pendragon befassen, der ja sein Volk mit (Edel-)Mut, Klugheit und Tatkraft von den Römern respektive den Sachsen befreit hat. 

Was mir eindeutig eher liegt, obwohl ich ansonsten tatsächlich (unbewusst) mehr Bücher von Männern lese. 

 

rottonara / Pixabay

 

 Erneut ist es mir bei meiner aktuellen Lektüre von "Lancelot" aufgefallen, dass Männer irgendwie das primitive Kriegerische als faszinierend und erwähnenswert in allen erdenklich scheußlichen Details betrachten. Und darauf könnte ich gut und gern verzichten. 

Die Idee, Lancelots Lebenslauf aus dessen Sicht zu schildern, finde ich eine gelungene Idee, wenn sie auch gewiss nicht neu ist. Aber doch so publikumswirksam, dass der Autor Giles Kristian es damit auf die Bestsellerlisten geschafft hat, ebenso wie der Kollege Bernard Cornwell mit seiner Artus-Trilogie Jahre zuvor. 

Und ebenso wie Mr. Cornwell ergeht und ergötzt sich der Autor an ermüdenden Details (die entbehrungsreiche Flucht von König Ban und seinem Volk aus Benoic zum Bettelkönig am Rand der heutigen Normandie dauert über siebzig Seiten) und verstörenden Tötungsszenen; die für meine Begriffe brutalste am Festbankett des vermeintlich wohlwollenden Gastgebers. Natürlich war das Leben als Ritter und mittelalterlicher Herrscher kein Honigschlecken, doch ganz so krass muss man die Auslöschung von Lancelots Familie und Entourage nicht beschreiben. Da hätte man ruhig ein wenig subtiler vorgehen können, zumal ich in letzter Zeit wieder angefangen habe, kurz vor dem Schlafen ein paar Seiten zu lesen... Gottseidank sind mir die Charaktere allesamt bisher wenig sympathisch und hinterlassen keinen allzu großen Eindruck, so dass ich trotz der grausigen Ereignisse auf Aremorica relativ gut durch die Nacht gekommen bin. Trotzdem weiß ich bisher nicht so recht, was ich von dem Buch halten soll und ob ich es schaffe, eine Rezension dazu zu schreiben.

 Schon der Einstieg war zäh. Einem Prolog, der bis jetzt immer noch rätselhaft und komisch wirkt und der aufgrund der verkünstelt-verschwurbelten Sätze anstrengend zu lesen ist, bin ich nur ungern gefolgt. Allmählich wird es etwas besser mit den bemühten Stilblüten, die wahrscheinlich als literarisch wertvoll gelten, mich jedoch teilweise den letzten Nerv gekostet und meinen Lesefluss empfindlich unterbrochen haben.


RoySnyder / Pixabay


Allerdings weiß ich jetzt immerhin, warum man Artus' Liebling der Tafelrunde "Lancelot vom See" nannte. Das ging bisher an mir vorbei, oder ich habe es wieder vergessen. Mein Liebligsritter ist nämlich Gillian Bradshaws Gawain und nicht Lancelot. Ihre Version der Artus-Sage hat mir am besten von allen gefallen. Wenig blutrünstig und vor allem emotional und hoffnungsvoll beschreibt sie Artus' Kampf gegen die bösen Mächte, vergisst dabei aber nicht das Zwischenmenschliche und Abenteuerliche, das dieses urbritische Thema auszeichnet. Klar, es ist ein Jugendbuch und schon deshalb weniger gewalttätig als die Werke der männlichen Kollegen. Auch die weiteren von mir gelesenen und für gut befundenen Artusbücher sind für jugendliche Leser gedacht. Und dennoch scheint es, dass sich männliche Autoren hauptsächlich deshalb mit Artus befassen, weil sie sich genüsslich ins Schlachtengetümmel stürzen können. Das finde ich sehr schade. Denn ich bin niemand, die sich gern auf Rollenklischees versteift  und "Typisch Mann!" sagt. Ich hätte auch nichts gegen einen sensiblen Artus-Biografen. Oder eine etwas härtere -Biografin. Das würde ich vermutlich aber nicht lesen wollen, Autorin hin oder her. Denn ein Klischee über mich ist, dass ich zartbesaitet bin. Ich lese seit einiger Zeit keine Thriller mehr, und was an Mord und Totschlag so toll sein soll, entgeht mir komplett. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb ich momentan lieber zu Kinder- und Jugendbüchern greife.


Ritterschach / Christine Wirth

 

Allerdings - allzu mystisch und realitätsfern sollte die Artus-Sage auch nicht sein. Ein extremes Beispiel dafür ist die Avalon-Reihe von Marion Zimmer Bradley, mit der ich mich echt rumgeschlagen habe. 

Ohne Skrupel kann man das zentnerschwere Werk als semi-feministische Esoteriklektüre bezeichnen, die zur Entstehungszeit der 1970 / 80er in Mode war. Konfus geht's da zu, Hexen treiben ihr (Un)wesen und traditionelle Werte sind irgendwie für Spießer und die Männer allesamt Idioten. Außerdem lockt die Reinkarnation als Erdengöttin. Oder so ähnlich. Den Inhalt habe ich komplett vergessen, was auch kein Verlust ist. Eine solch rücksichtslose Schwarzweißmalerei müsste in der heutigen Zeit eigentlich als spießig und angestaubt gelten, auch für Feministen. Dennoch - "Die Nebel von Avalon" haben sich zum Klassiker gemausert und erfreuen sich anscheinend heute noch einer großen Fangemeinde.

Jedenfalls liebe ich persönlich meinen Artus charismatisch, zielstrebig und gerecht und vorurteilsfrei. Vielleicht liegt es auch daran, dass Gillian Bradshaws Trilogie meine erste Berührung mit der Artussage war. Lesetechnisch. Und das war definitiv ein Vergnügen der besonderen Art. 

Es soll übrigens auch männliche Autoren geben, die Frauenliteratur bzw- Liebesromane schreiben, nach dem Vorbild von Nicholas Sparks. Da das überhaupt nicht mein Genre ist, kann ich nicht beurteilen, ob es da weniger handfest zur Sache geht als in Abenteuerromanen.

 



Montag, 13. März 2023

Spendenaufruf für das Plüsch Tierheim

Da vor einigen Tagen das Geschäftskonto des Plüsch Tierheims gehackt wurde und Versandlabels im Wert von über 20.000 €uro gedruckt wurden, die das Unternehmen nun unverschuldeteterweise zurückzahlen muss, habe ich mich entschlossen, zu helfen, wo ich kann. 

 

Stilleben mit Feige, 42 x 59 cm, € 30,00

 

 Meine Bilder auf Instagram  

 verkaufe ich zugunsten einer Spendenaktion für das Plüsch Tierheim zu sensationellen Niedrigpreisen. Die kleinformatigen kosten € 20,00, die großen € 30,00 plus deutschlandweiter Versand € 5,00. 

Ihr findet eine noch größere Auswahl in unserem Atelier vor Ort am Burgplatz in Sinsheim. Wer in der Nähe ist, kann auf einen Kaffee vorbeikommen und in hunderten Originalen stöbern. Wer sich die Bilder per Post verschicken lassen möchte, kann über mein Blog oder Facebook Kontakt aufnehmen.

  Ich freue mich sehr über Interessenten und jedes verkaufte Kunstwerk! Die Hälfte des Erlöses geht an das Plüsch Tierheim, das unbedingt bestehen bleiben soll.


Donar, 42 x 59 cm, € 30,00

Vielen Dank für eure Hilfe, mit der ihr drei Parteien glücklich macht (mich, das Plüschtierheim und euch selbst).


Freitag, 3. März 2023

"Nemi und der Hehmann" ~ Wieland Freund und Hanna Jung

 Zurzeit lese ich am liebsten Kinder- und Jugendbücher älteren Datums (wobei dieses aus dem Jahr 2019 recht aktuell ist). Merkwürdigerweise sagen sie mir mehr als Neuerscheinungen, gleich welchen Genres. Ein naturverbundenes und umweltbewusstes ist "Nemi und der Hehmann", das ich irgendwie einzigartig finde im Aufbau mit den verschieden großen Schriften. Zugleich wirken die Geschichte und die entzückenden Illustrationen von Hanna Jung ein bisschen skurril; etwas, das ich sehr mag. 



Erworben habe ich das Buch auf einem Kinderflohmarkt letzten Sommer. Das Cover ist mir sofort ins Auge gesprungen, und der Preis war fast geschenkt. Da musste ich einfach zugreifen.

Inhalt: Auf dem Schulweg hört Nemi plötzlich ein lautes "Heh!" aus dem nahen Wald an der Bushaltestelle. Sie beschließt, dem Ruf zu folgen und entdeckt nach langem Suchen den Hehmann, ein Wesen aus dem Wald, das Größe und Aussehen verändern kann. Meist ist er ziemlich brummig, denn er hat wenig zu lachen, ist durch seinen Wald doch der Bau einer Straße geplant. Das gefällt dem Hehmann gar nicht, und auch dem kleinen Mädchen bringt er zunächst Misstrauen entgegen. Keiner erinnert sich mehr an ihn, klagt er ihr, und bald wird er auch sich selbst vergessen haben. 

Nemi ermutigt ihn, ihr seine Geschichten und Lieder über den Wald und die Tiere zu erzählen; eine Bitte, der er freudig überrascht nachkommt. Doch sein Gedächtnis ist nicht das Beste nach all der Zeit, in der niemand mehr auf ihn geachtet hat, so dass er des öfteren verzagt und nicht weiter weiß. Eifrig hilft ihm Nemi, sein Gedächtnis aufzufrischen, indem sie malt und sich Notizen selbst über die kleinsten Wunder der Natur macht, wie etwa einen Spinnfaden im Morgentau.

Von einer alten Frau, der sie immer wieder auf ihren Streifzügen durch den Wald begegnet, erfährt sie, dass der Hehmann früher zum Allgemeinwissen  gehört hat und nun nur noch von wenigen wahrgenommen wird, da sich der Mensch durch Fortschritt und Technik immer mehr der Natur entfremdet. Das merkt auch Nemi, deren Schwester nur Augen für das Smartphone hat. Da wird klar: Der Hehmann ist vom Aussterben bedroht! Umso entschlossener ist sie, dem Hehmann wieder zu Popularität zu verhelfen.


blende12 / Pixabay


Meinung: Idee und Zeichnungen fand ich sehr liebenswert und ungewöhnlich. Für den kindlichen Leser war allerdings zu wenig Spannung in der etwas wehmütig angehauchten Geschichte, die sich über sieben Tage erstreckt. Um Kindern die Natur näherzubringen, ist es sinnvoll, das Buch gemeinsam zu lesen und in den Wald zu gehen, um die dortige Fauna und Flora besser kennenzulernen, zu beobachten und zu bestimmen. Das ist übrigens auch für Erwachsene ein Abenteuer. Und wer weiß, wenn man ganz leise ist, kann man vielleicht sogar ein leises "Heh!" aus den Büschen heraushören.

Fazit: Ein amitioniertes Buch mit wirklich bezaubernden Zeichnungen, das eher für Jugendliche und Erwachsene gedacht ist. Für mich als visueller Mensch war es ein besonderer Genuss, die Bilder zu bewundern, die über den ganzen Text verteilt sind und in ihrer Detailfülle verblüffen.

 

Bewertung für Erwachsene: 💫💫💫💫

Bewertung für Kinder:  💫💫💫



Mittwoch, 1. März 2023

"Leo und das ganze Glück" ~ Synne Lea

 Die ungewöhnliche Freundschaft von Leo und Mei aus der lyrischen Feder der norwegischen Autorin Synne Lea war nominiert für den Jugendliteraturpreis 2014 - und das merkt man ihr an. Den Einstieg fand ich sehr schwierig, denn lange weiß man bei der kryptisch geschilderten Beziehung nicht, worum es geht. Außer dass die Ich-Erzählerin Mei eine leidenschaftliche Läuferin ist und wohlbehütet aufwächst, während Leo mit einem verkürzten Bein genau das Gegenteil von Mei ist. Licht und Dunkelheit, so wird es im wenig aufschlussreichen Klappentext beschrieben.




Bis ca. Seite 70 war ich versucht, das Buch wegzulegen, da mich der verschnörkelt-verschwurbelte Stil an "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak erinnert hat, die ich abgebrochen habe, weil ich den Stil als bemüht und zu blumig empfand. Ich mag es nicht, wenn Dinge und Elemente in schwülstigen Beschreibungen durch Taten Leben eingehaucht bekommen, außer im Märchen. Und ein Märchen ist "Leo und das ganze Glück" überhaupt nicht. Aber es wurde dann besser zu lesen, nicht mehr so sperrig, oder ich hatte mich daran gewöhnt. 

Handlung: Mei und Leo sind Nachbarn und etwa zehn Jahre alt. Mei sieht sich ein bisschen als Beschützerin von Leo, der nur selten aus dem Haus geht, sommers wie winters eine rote Wollmütze trägt und Käfer sammelt (die mich anfangs etwas erschreckt haben, da sie die Abschnitte markieren und bei Schummerlicht lebensecht wirken).

Gemeinsam bauen sie ein Baumhaus, das vermutlich das "ganze Glück" symbolisiert. Leo und Mei übernachten sogar in den Wipfeln und sägen die unteren Äste ab, damit niemand sonst ihren geheimen Ort entdeckt. Vergeblich, denn Leos Vater findet sie und hangelt sich an der Strickleiter nach oben, um Leo zu fassen zu bekommen und zu bestrafen. Und spätestens da merkt man als Leser, dass etwas nicht stimmt (wenngleich Leos Vater schon zuvor unangenehm auffällt). Denn Leo springt bzw. lässt sich aus großer Höhe fallen.

 

Mikewildadventure / Pixabay

 

Im Krankenhaus besucht Mel den im Koma liegenden Leo drei Nächte lang, in denen sie hofft, dass er bis dahin wieder aufwacht und alles wie früher ist. Der folgende Abschnitt hat mir übrigens am besten gefallen, trotz der Tatsache, dass ein Krankenhaus unbeweglich ist:

"Das Zimmer, in dem Leo liegt, summt und vibriert leise wie ein Schiff. Ich weiß nicht, ob es der Tag draußen oder das Krankenhaus ist, das sich bewegt, aber eines von beiden treibt davon."

Aber wie früher kann es nicht mehr werden, besonders nicht für Leo. Ich war mir am Schluss nicht sicher, ob ich Bedauern empfinden sollte oder Erleichterung.

 ~

Fazit: Als Jugend- und vor allem Kinderbuch halte ich "Leo und das ganze Glück" für nicht unbedingt geeignet. Dazu ist es zu lyrisch, zu wenig ausführlich und in vielen Dingen zu *erwachsen*. Eine Zehnjährige würde sich wahrscheinlich nicht so poetisch ausdrücken. Aber auch die Thematik (häusliche Gewalt und evtl. sogar sexueller Missbrauch) halte ich für schwierig in Romanen für junge Leser. 

Insgesamt gibt es dreieinhalb Käfer / Sterne für das schön gestaltete Cover und die Originalität. Ein ähnliches Buch habe ich nämlich noch nie gelesen.


Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫


Sonntag, 26. Februar 2023

Vergleich meiner Lieblingsfilme "Rain Man" (1988) und "Kramer vs. Kramer" (1979).

 Diese beiden Klassiker mit Dustin Hoffman in der jeweiligen Titelrolle sind tatsächlich meine absoluten Highlights in den persönlichen Top Ten. Nun könnte man meinen, das läge am Schauspieler (zumal ich bei meiner Filmwahl in der Regel sehr schauspielerfixiert bin), doch hier hat es andere Gründe. Der erste und wichtigste ist wohl der, dass ich beide Filme zu einer Zeit in meinem Leben sah, in der vieles neu für mich war. 


 

 Ein Vater, der sich um das Sorgerecht des Kindes im Fall einer Scheidung bemüht - wow! Das hätte ich als Teenager nie gedacht. Eigentlich sind es doch immer die Mütter, die automatisch das Kind bei sich behalten. Hier kämpft Ted Kramer um Billy, als die Mutter Joanna ihn nach einem Selbstfindungstrip zurückverlangt. Krass! Und wirklich sehr emotional und eindrucksvoll gespielt von allen Beteiligten. Den Film hatte ich aus Schottland als Souvenir mitgenommen und ihn mehrmals angeschaut. So kommt es, dass es sowohl aus diesem wie auch aus "Rain Man" geflügelte Worte gibt, die mir manchmal aus heiterem Himmel einfallen und mich nicht loslassen, bis mir der jeweilige Dialog oder die Zeile wieder aus dem einen oder anderen Film erinnerlich wird.

Beide Filme liebe ich auch aufgrund ihrer zeitgenössischen Authentiziät. Schaut man sie sich an, dann werden die 1970er bzw. '80er lebendig. In "Kramer vs. Kramer" fällt mir vor allem auf, wie fast beschaulich eine große Stadt wie New York damals noch wirkte, und trotzdem riesig war. Die Twin Towers waren erst ein paar Jahre fertiggestellt, Männer und Jungs trugen die Haare lang und erstere zudem knallenge Hemden und Schlaghosen. Damals war Übergewicht auch in den USA noch kein medienbeherrschendes Thema. Vielleicht sind Dustin Hoffmans dichte schwarze Haare auch ein bisschen ein Grund, warum ich den Film so mag. Und überhaupt finde ich ihn als Ted und auch Ray in Rain Man total liebenswert. Es gibt eigentlich nichts, was Ted verkehrt macht, außer dass er sich in der ersten Zeit ohne Joanna im Ton vergreift, als der kleine Billy aufsässig wird. Ansonsten ist er so liebevoll mit seinem Sohn, dass der Darsteller Justin Henry am Ende der Dreharbeiten beinahe nicht mehr nach Hause zu seinen richtigen Eltern wollte...




Und dann Rain Man. Episch! Schon der Vorspann hat mich total in seinen Bann gezogen. Sportwagen, die zu afrikanischen Klängen von Belle Star scheinbar vom Himmel fliegen! Bis heute beschert mir die Szene Gänsehaut. Solche Gänsehautmomente hat Rain Man erstaunlich viele für mich. Evtl. liegt das zumindest teilweise an dem wehmütigen Soundtrack von Hans Zimmer und den sorgfätig ausgewählten Songs von Jazz bis Pop.

Ähnlich wie Kramer vs. Kramer handelt der Film von einem Thema, das zu jener Zeit noch außerhalb der Normen und der Akzeptanz in der Gesellschaft lag. Ein Autist, der auf Reisen geht. Unfreiwillig zwar, aber er geht, um sich einem breiten Publikum vorzustellen, das zuvor nur vage oder gar nicht von Autismus und Aspergerspektrum gehört hat, sofern man nicht betroffen war. Rain Man hat - denke ich - die Türen geöffnet zu mehr Interesse an Randgruppen. Heute findet man Hochsensibilität und Aspergerspektren normal, vielleicht sogar cool. Ende der Achtziger war die Coolness neu, die der Film tatsächlich bewirkt hat. Plötzlich schämten sich Kinder ihrer autistischen Familienangehörigen nicht mehr und konnten sich wie Charlie Babbitt fühlen, der im Lauf der Geschichte immer mehr von seinem ursprünglichen Plan abrückt, seinen Bruder gegen Lösegeld / das väterliche Erbe zu kidnappen und nach erfolgreicher Aktion wieder in die Anstalt für geistig Behinderte zu überführen. Er erkennt, dass er gerne einen Bruder gehabt hätte, mit dem aufzuwachsen ihm nicht vergönnt war, weil Raymond durch seinen Autismus gefährlich war für Baby Charlie. 

Ich liebe die Story bis heute, die leicht in Kitsch hätte abdriften können, es aber nie tut. Das ist vor allem Tom Cruise zu verdanken, der hier in seiner besten Rolle glänzt. Ich hätte ihm ja einen Oscar verliehen. Den hat aber Dustin Hoffman ergattert, und ich glaube, es war der zweite nach Kramer vs. Kramer.


 

Auch verdient, ohne Zweifel. Trotzdem hätte Tom Cruise nicht leer ausgehen dürfen. Zumindest ein Mini-Oscar wäre angebracht gewesen, so wie zehn Jahre zuvor der kleine Justin mit einem solchen ausgezeichnet wurde. 😏 

Jedenfalls haben beide Filme erstaunlich viel gemeinsam und sind dennoch sehr unterschiedlich. Ich kann sie immer wieder angucken, und immer wieder sind die Geschichten um einen alleinerziehenden Vater und einen Autist auf Abwegen ein Erlebnis.