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Samstag, 13. Mai 2023

Rezension "Daddy Langbein" ~ Jean Webster

 Offenbar ein Jugendbuchklassiker im englischsprachigen Raum, kannte ich diesen Brief-Roman aus dem Jahr 1912 vorher nicht, wenngleich der Begriff "Daddy Longlegs" natürlich bekannt ist und ich ihn auch mit Fred Astaire in Verbindung bringen konnte, der in einer Verfilmung des Stoffes mitgewirkt hat. Oder mit Tom Hiddleston, den man in Kollegenkreisen aufgrund seiner langen Gliedmaßen ebenfalls als Weberknecht tituliert.

 


Inhalt: Die phantasievolle und gewitzte Jerusha Abbott ist eine "alte" Waise im John-Grier-Heim. Mit achtzehn Jahren übernimmt sie sämtliche Pflichten, indem sie sich um die jüngeren Kinder kümmert und Wäsche bügelt. Bis sie eines Tages zur Heimleiterin zitiert wird, die ihr eröffnet, dass ein reicher Gönner sie zur Schriftstellerin ausbilden und sie dabei finanziell unterstützen möchte. Daher erhält sie einen Platz am College. Die einzige Bedingung, die der anonyme und großzügige Spender stellt, besteht darin, dass Jerusha ihm regelmäßig schreibt und ihn über ihre Fortschritte, Gedanken und Freizeitaktivitäten informiert, ohne eine Antwort zu erwarten oder Fragen zu stellen. 

Das tut Jerusha auf ihre ganz eigene Art: witzig, frech, offenherzig, manchmal sogar vertraulich und philosophisch knöpft sie sich jedes Thema vor, das sie beschäftigt, um Daddy Langbein daran teilhaben zu lassen. Sei das ihre Schule, die Ferien, Freundinnen, Weberknechte, Jane Eyre, Religion, das unbekannte Land Männer oder gar der Sozialismus. Nur der Sekretär des Gönners weist sie gelegentlich in die Schranken mit einer schriftlichen Anweisung als Reaktion. Sie kennt weder den richtigen Namen noch Stand, Aussehen oder Alter ihres "Daddys", und trotzdem entwickelt sie durch ihre Briefe eine so innige Beziehung zu dem Unbekannten, wie sie sie als Waise nie hatte. Außerdem setzen sie einen Reifeprozess in Gang, der aus dem aufmüpfigen Mädchen eine junge, selbstbewusste Dame macht.


Die Adirondacks /  renee_burnell  Pixabay


Meinung: Sämtliche Kapitel bis auf das erste sind in Briefform verfasst, was es mir oft schwergemacht hat, dranzubleiben. Bei aller Originalität und erfrischender Formulierungen der jugendlichen und unwissenden Schriftstellerin in spe zieht sich das ewige "Lieber Daddy Langbein" auf Dauer dann doch, und man würde zur Abwechslung gern aus einer anderen Perspektive oder ein "normales" Kapitel lesen. Zumal Jerusha nie auf eine Antwort hoffen darf, nicht einmal, wenn sie ihm droht, sich seinen Anweisungen und Wünschen zu widersetzen. Und das war etwas ermüdend. Man merkt auch, dass der Roman einer Zeit entstammt, in der Frauen wenig zu sagen hatten und sich für bestimmte Dinge nicht interessieren durften. In dieser Hinsicht ist Jerusha verblüffend modern und auch weise. Sie erkennt, dass der Augenblick wichtiger ist als Vergangenheit oder Zukunft. Dass Glücklichsein nicht von materiellem Reichtum abhängt und Aufgeben keine Option ist (ihre Manuskripte werden mehrmals vom Verlag zurückgeschickt). Und dass Gönner eines Waisenhauses nicht immer dem gängigen Klischee entsprechen. 

Ich mochte das Büchlein trotz seiner Längen, weil mir Jerusha irgendwie sympathisch war und nicht eine der schnippischen, altklugen Gören, denen man in "Mädchenromanen" häufig begegnet. Ihre Abenteuer sind zwar nicht besonders aufregend und erinnern mich an meine eigenen frühen Tagebucheinträge, doch ihre Gedanken zu abstrakten Dingen wie Politik und Gesellschaft fand ich bemerkenswert. Wie gesagt, vor allem für die Zeit der Entstehung des Romans. Die Zeichnungen, mit der Jerusha / Judy gelegentlich ihre Briefe versieht, sind ebenfalls ein liebevoller Einfall der Autorin.

Man bezeichnet "Daddy Longlegs" auch als einen Liebesroman für Jugendliche. Quasi ein antiquierter Young Adult. Ich werde jetzt nicht spoilern, warum, aber auch das war rührend und erfrischend, fast ein kleiner Gänsehautmoment. Obwohl es natürlich Andeutungen gab.

Fazit: Ein nett zu lesendes Buch, das man am besten als Zweitbuch zur Hand hat, wenn das erste gerade ein bisschen schwierig ist.

 

Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫

 

Donnerstag, 11. Mai 2023

Zum 50. Todestag von Lex Barker

 Ein Idol meiner frühen Kindheit war Lex Barker, der hünenhafte Held aus den Karl May-Filmen. Die meisten Mädchen meiner Altersklasse und darüber schwärmten für Winnetou / Pierre Brice, was ich nie so recht verstanden habe - war doch Old Shatterhand so viel kerniger und trug einen echten, wunderschön silberblonden Skalp, der romantischer im Abendwind flatterte als Monsieur Brices Perücke. Und wenn man ihn reiten sah und ein bisschen Ahnung von Pferden hatte (und das hatte ich als Mädchen), dann wusste man: er und sein Hatatitla / Rih verstehen sich. Was kein Wunder ist, saß Barker doch schon als Fünfjähriger fest im Sattel und besaß später hin und wieder eigene Pferde.


 

Die Begeisterung für Lex Barker begleitet mich bereits mein ganzes Leben lang. Manchmal bricht sie sich in regelrechten Schüben Bahn, die mir (merkwürdigerweise) in meinen Teenagerjahren und frühen Zwanzigern peinlich waren. Verschämt wurde dann in Mediencentern abseits von Amazon nach "anspruchsvollen" Filmen mit Lex Barker gefragt, bis der Verkäufer allmählich spitzkriegte, dass ich sie nur wegen dem Schauspieler bestellte. Verwandte und Freunde wurden gebeten, mir vom Kabelfernsehen Videos mitzuschneiden (Gott, bin ich alt!), da ich relativ spät in den Genuss von mehr als drei Programmen gekommen bin. 

Ich kann mich an einen Urlaub erinnern, während dem ich es kaum abwarten konnte, nach Hause zu fliegen, weil dort ein paar ungesehene Barker-Filme auf mich warteten, die ich zu horrenden Preisen von meinem Lehrlingsgehalt erworben hatte und mir per Post schicken ließ. Schmonzes wie "Frauenarzt Dr. Sibelius" oder zweitklassige italienische Kostümfilme und europäische Abenteuerfilme standen damals hoch in meinem Kurs. Freilich ganz geheim. Irgendwie habe ich mich immer ein bisschen uncool gefühlt, wenn man mir auf die Schliche kam, weil in meinem Zimmer ein altes Bravo-Poster hing. Statt Brad Pitt und George Clooney mochte ich Lex Barker, den man im Allgemeinen als eher durchschnittlich talentierten Akteur wahrnahm, wenn überhaupt. Immerhin war er zu meiner Jugendzeit auch schon ein paar Jahrzehnte tot, und unsterblichen Ruhm hat er nur unter den Karl May-Fans eingefahren, die erst jetzt wieder ungeniert und nostalgisch zu ihrer Leidenschaft stehen. Und natürlich als Tarzan in den USA. Tarzandarsteller gab es allerdings mehrere, auch wenn mein subjektives Urteilsvermögen überzeugt ist, dass er der schönste und strahlendste Lord Greystoke war, der je mit nackten Füßen oder in hautfarbenen Ballettschuhen den sumpfigen Hollywood-Dschungel betreten hat.

 

Ich Jane, du scheyn!


 Leider ist Lex Barker nicht alt geworden. Vielleicht war sein Leben als Kosmopolit anstrengender und weniger glamourös, als es den Anschein hatte oder er es sich anmerken ließ. Auch sagt man über ihn, dass er nicht gut allein sein konnte, wenngleich die Geselligkeit in großer Runde oft vorgetäuscht war. Wenn man sich in seine umfangreiche Biografie vertieft, nimmt es nicht weiter wunder, dass ein Leben wie seines früher oder später einen Tribut fordert. Denn Pausen oder Auszeiten hat Lex Barker offenbar nicht gekannt. Ständig war er auf allen Teilen der Erde unterwegs, drehte oft bis zu sechs Filme im Jahr und wurde privat und beruflich nicht nur einmal auf eine harte Probe gestellt. Vor genau fünfzig Jahren starb er in Manhattan, New York an einem Herzinfarkt auf offener Straße - ironischerweise im selben Bundesstaat, in dem er auch geboren wurde. Für einen Weltenbummler wie ihn ist das schon irgendwie bemerkenswert. 

 

Mit Ehefrau Nr. 5 in Spanien
 

Bereits vor über zehn Jahren habe ich einen Artikel über Lex Barker auf dem Autorenportal Pagewizz verfasst, der einen Überblick über sein kurzes, aber ereignisreiches Leben gibt. Und eines ist sicher: Peinlich wird mir meine "Schwärmerei" für einen so interesssanten Menschen nie wieder sein.

Hier geht's zu meinem Bericht: *Klick*

Bildquelle: Pinterest



Donnerstag, 4. Mai 2023

Rezension "Eskapaden" ~ Walter Satterthwait

 Dieser Roman befindet sich seit Ewigkeiten in meinem / unseren Besitz. Ich hatte ihn ursprünglich in mein Booklooker-Regal gestellt, um ihn zu verkaufen. Zu Recht, denn mein Ding waren die Eskapaden nicht wirklich. Wer nach meiner durchwachsenen Meinung immer noch neugierig ist, darf die Neugier gern befriedigen, indem er meinem Regal einen Besuch abstattet. 😏



 Inhalt: Devon, England, 1921. Auf Maplewhite, dem Anwesen von Lord und Lady Purleigh, trifft sich eine Schar auserlesener Gäste zu einer Séance, darunter der Zauberkünstler Harry Houdini und Sir Arthur Conan Doyle. In der Absicht, das Medium bloßzustellen, reist Houdini mit seinem amerikanischen Sekretär Phil Beaumont an, der sich im Lauf der Geschichte als ein Pinkerton-Mann entpuppt und zudem als Erzähler fungiert. Daneben schreibt Jane Turner - ebenfalls Gast - etwas überspannte Briefe an ihre Freundin in London, um zu berichten, was jeden Tag so Unglaubliches geschieht. Das Unglaubliche hat weniger mit Geistern zu tun (obwohl angeblich Sir Reginald durch das Anwesen spukt), sondern mit dem mysteriösen Tod des Earls, der aufgeklärt werden muss. Man vermutet zunächst einen Berufsgenossen und Neider von Houdini, der ihm mutmaßlich aus den USA nach England gefolgt ist, um ihn zu vernichten. Weitere Mordversuche erhärten den Verdacht, und Scotland Yard wird eingeschaltet. Privatdetektiv Beaumont ermittelt auf eigene Faust, und Houdini folgt diesem Beispiel. Wurde der Earl tatsächlich ermordet oder war es Selbstmord? Wer schoss im Park aus dem Wald heraus auf seinen Sohn, Lord Bob Purleigh? Und was geht es mich eigentlich an?

 

olleaugust /Pixabay

 Meinung: Der letzte Satz sagt es schon: Ich fand das Buch in weiten Teilen dröge, verwirrend und langatmig. Aufgrund der Erzählstruktur wurden viele Dinge mehrmals von verschiedenen Personen durchgekaut, und das hat mich glaube ich, noch mehr genervt als der österreichische Akzent von Dr. Auerbach und die weitschweifigen Beschreibungen von unzweifelhaft lieblichen Landschaften und einem handlungsirrelevanten Boxkampf. 

Interessanterweise hätte mir die Geschichte in ihrer Detailfülle vor ein paar Jahren noch gefallen. Denke ich zumindest. Jetzt habe ich mich mehr oder weniger durchgequält, um kurz vor dem Epilog immer noch dazustehen wie der Ochs vorm Berg. Doch der folgte dem Muster von Agatha Christie in einem - pardon - müden Abklatsch. Handlungsstränge werden phantasievoll zusammengerafft, auf die man als Leser nicht kommt, weil sie in den vorigen Kapiteln nicht einmal angedeutet werden. Wer ein paar Wochen zur Lektüre braucht wie ich, verliert da schon bald den Faden. Von was ist denn da die Rede, habe ich mich oft gefragt und mich am Kopf gekratzt. Und ich habe in der Regel ein gutes Gedächtnis.

Gut gefallen haben mir allerdings die Personenbeschreibungen, dank denen ich jede einzelne Figur plastisch vor Augen hatte. Das war aber auch nicht so schwer, wenn man schon ein paar Christie-Krimis im Fernsehen geguckt hat. Hercule Poirot alias Peter Ustinov hätte als Sir Arthur Conan Doyle eine gute Figur gemacht, sowie Harvey Keitel als der damals weltweit bekannte Entfesslungskünstler Houdini, den er tatsächlich bereits verkörpert hat. Insofern war "Eskapaden" zuweilen recht amüsant. Zu drei durchschnittlichen Sternen reicht es dennoch nicht. Ich hatte mehr Spannung und Grusel erwartet.

Bewertung:  💫💫 und ein halber 💫