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Mittwoch, 24. März 2021

Mein Lese-Highlight der letzten Jahre: "Haus der Schatten" von S.Y. Blank

 Nach einiger Überlegung habe ich mich entschlossen, mein derzeit absolutes Lieblingsbuch vorzustellen, das ich bereits kurz nach dessen Erscheinen im Jahr 2016 auf Amazon rezensiert habe, nicht aber auf meinem Blog. Dabei hat die ungewöhnlich berührende, aufregende und buchstäblich magische Geschichte es verdient, weiterverbreitet zu werden und anspruchsvolle Leser und Leserinnen zu unterhalten, ihnen Gänsehaut zu bescheren und sich in Cumberland Ende des 19. Jahrhunderts mit dem jungen Protagonisten Giles zu verlieren und zu gruseln. Leider gibt es solche Bücher viel zu wenig, wobei es sicher auch schwierig ist, eine ähnlich atmosphärische und vielschichtige Lektüre vor allem unter Neuerscheinungen zu finden. 

Hier kommt also meine Rezension. Schaut euch die weiteren, sehr ausführlichen auf Amazon an und dann nichts wie ab nach Marmond House! Allerdings möchte ich hier auch eine kleine Warnung aussprechen. Für allzu zartbesaitete Gemüter/innen (hehe!) ist "Haus der Schatten" in mehrerer Hinsicht evtl. starker Tobak.

 

 

Handlung: Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von einem der beiden Jungen, Giles Favell, der zu Beginn im Waisenhaus in London lebt. Kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag erhält er die Nachricht, dass ein Baron aus Cumberland ihn adoptieren möchte. Für Giles ein Rätsel, ist er doch fast schon zu alt und gilt zudem als schwer vermittelbar, da er unter *dämonischen* Krampfanfällen leidet, die kein Doktor erklären kann. 

Auf Marmond House lernt er den gleichaltrigen Victor Cavendish kennen, der ebenfalls vom Baron adoptiert wurde und von einem Trauma in der Kindheit gezeichnet ist: er spricht kein einziges Wort, findet jedoch Wege, sich mit Giles zu verständigen. Bald werden die beiden Freunde und mehr. Sie fühlen sich zueinander hingezogen und stellen viele Gemeinsamkeiten fest. Beide bewundern und verehren ihren neuen Erziehungsberechtigten Baron Duncan Asquith, der ihnen Akzeptanz und Zuneigung entgegenbringt und sich sehr um seine zukünftigen Erben kümmert. 

Duncans Charisma und Charme zu erliegen, ist nicht schwer, und dennoch spüren Victor und Giles, dass ihn etwas bedrückt, das er ihnen nicht sagen kann oder will. Die anfangs offensichtliche Idylle wird durch unheimliche Geschehnisse im Haus erschüttert; etwas geht darin vor, das vor allem für den rational denkenden Giles nicht greifbar ist. Er tut die Phänomene als Halluzinationen ab, bedingt durch seine Krankheit. Doch auch Victor, ein sensibler Träumer, ist beunruhigt, zumal sich der Baron in Bezug auf das Haus sehr verschlossen gibt. Wie zum Ausgleich dafür tut er alles, damit die beiden sich wohl fühlen; er öffnet nach ihrem Dafürhalten verbotene Türen und zeigt ihnen inmitten des Schreckens von Marmond House eine sinnliche und schöne, fast paradiesisch anmutende Welt, von der die beiden in der Einsamkeit ihres früheren Daseins nie zu träumen gewagt hätten.

Der vielseitig begabte und meist souverän auftretende Duncan ist nicht nur ihr Vormund, sondern wird verständnisvoller Arzt, Berater, Vertrauter und später ihr Liebhaber, der die beiden ermutigt, sich selbst zu sein und sich so anzunehmen, wie sie sind. Was Giles und Victor auf Marmond widerfährt und was sie entdecken, ist ein Wechselbad der Gefühle. Dazu trägt auch Lady Christina Ashbrooke bei, eine frivole Mitbewohnerin, die sich ständige Wortgefechte (und mehr) mit Duncan liefert und ihm das Leben zur Hölle macht. Giles und Victor verstehen nicht, weshalb sie dem Haus nicht einfach endgültig den Rücken kehrt, bis ihnen klar wird, dass sie wie Duncan und dessen verschwiegene Dienerschaft auf rätselhafte Weise in Marmond gefangen ist. Sind die Jungen nur Mittel zum Zweck, und ist Duncan ein ganz anderer als der, der er vorgibt zu sein? Die Hinweise darauf jedenfalls verdichten sich, je mehr Giles in die Familiengeschichte der Asquiths und seiner eigenen vordringt.

 

Tama66 / Pixabay


Meinung: 'Haus der Schatten' war für mich als Schauergeschichten- und Gay Romance-Fan ein besonderes Vergnügen. Die Geschichte ist atmosphärisch, originell, berührend und besonders in Bezug auf den medizinischen Aspekt adäquat zeitgenössisch recherchiert. Viel Wert wurde ebenfalls auf niveauvolle und prickelnde Erotik gelegt; etwas, das ich sehr schätze. Die Charaktere sind wundervoll beschrieben, jede Figur mit ihren Fehlern auf ihre Art nachvollziehbar und liebenswert, selbst die zänkisch-derbe Christina, die mein heimlicher Favorit war. Doch vor allem die Jungs und der ambivalente Duncan sind mir ans Herz gewachsen. Durch den Detailreichtum und die sorgfältige Schreibe geht sofort das Kopfkino an, und man fühlt und leidet, freut und gruselt sich mit dem sympathischen Erzähler, der es wahrhaftig nicht leicht hat und sich trotzdem keine andere Zukunft vorstellen kann als mit Victor und Duncan auf Marmond House. Das Ende war für mich stimmig und passend zur gesamten dichten Atmosphäre des Romans.

Fazit: Empfehlenswert für alle, die das Ungewöhnliche lieben und die noch gerne über eine Geschichte nachdenken, wenn die Buchdeckel längst geschlossen sind. Denn sie hat viel mehr zu bieten als gepflegten Grusel und entführt den Leser in eine Welt, die man trotz all ihrer Unheimlichkeiten nur ungern wieder verlässt. 

 

 Bewertung:   💫💫💫💫💫

 

Donnerstag, 18. März 2021

Passfotos selber machen ~ ganz bequem daheim.

 Der Notarbesuch vor knapp zwei Wochen brachte es an den Tag: mein Pass läuft im April ab. Ich war ein wenig bestürzt. Nicht, weil ich den Perso dringend bräuchte, sondern weil ein ungültiger Pass den baldigen Gang zum Fotografen impliziert, und ganz ehrlich - ich hasse das! Beim Fotografen habe ich mich nie wohl gefühlt, und mit den biometrischen Fotos schon gar nicht. Auf meinem alten Pass erkenne ich mich daher nicht wieder und habe ihn verschämt in der hintersten Tasche meines Portemonnaies stecken. Jedesmal, wenn ich ihn vorzeigen musste, hatte ich Zweifel, dass die Amtsperson mir meine Identität abnimmt, so fremd und schlimm finde ich das Bild.

 

Das neue Foto. 100 Prozent Bio(-metrie).
 

Im Zeitalter von hochauflösenden Smartphonekameras und Corona dachte ich, müsste es doch möglich sein, eigene Passbilder im stillen Kämmerchen zu machen, die man entweder direkt ausdrucken kann oder bei speziellen Anbietern als physisches Objekt zurückgeschickt bekommt. Und siehe da: das gibt es tatsächlich! Schickt man das Foto ein, wird es auf biometrische Standards und optimale Farbgebung geprüft, auf unschmeichelhaftes Perso-Format geschnitten und dem Kunden zugeschickt. 

Ich habe drei Anbieter ausprobiert, bis es endlich geklappt hat. Dafür war https://www.online-passfoto.de/ der schnellste und unkomplizierteste, denn das Foto hat auf Anhieb gepasst und die strengen Standards erfüllt. Kein Wunder, mittlerweile hatte ich Übung; so oft wie ich vorher Modell gesessen habe. Aber es hat sich gelohnt. Die Position ist ja nicht so wirklich dazu geeignet, sich ins rechte Licht zu rücken bzw. sich von seiner Schokoladenseite zu zeigen, aber ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis und empfehle den Online-Dienst gern weiter. 

 

Qualität, die überzeugt.

 

Tipps und Kriterien zum biometrisch perfekt ausgerichteten Foto sind folgende: 

- Ganz wichtig: das Gesicht wird frontal abgebildet. Von beiden Gesichtshälften muss gleich viel zu sehen sein. Wenn möglich, freundlich aussehen, ohne zu lächeln (schwierig!). Ein bisschen die Mundwinkel hochbiegen ist erlaubt - aber wirklich nur ein kleines bisschen. Der Mund selbst bleibt geschlossen.

- Der Hintergrund sollte hell und einfarbig sein, kann jedoch gegebenenfalls vom Anbieter retuschiert werden. Ich habe mich vor eine weiße Wand gesetzt. 

- Die Kamera muss auf Augenhöhe sein, der Kopf gerade erhoben und die Schultern sollten entspannt sein, d.h. nicht hochgezogen oder gedreht.

- Wenn man keinen zweiten Mann zur Hand hat, der die Kamera hält, kann man sie auch auf einen Tisch vor sich platzieren. Zu achten ist dabei auf die richtige Höhe (evtl. Buchstabel oder Schachteln zu Hilfe nehmen und das Handy daraufstellen und Selbstauslöser mit Timer aktivieren).

- Licht muss von vorne kommen, damit keine Schatten im Gesicht zu sehen sind. Am besten eine Lampe vor sich stellen oder sich selbst vor ein Fenster. Tageslicht ist empfohlen. Ich habe eine Lampe benutzt, die normalerweise bei Videokonferenzen hilfreich ist und auch beim Film eingesetzt wird. Und beim Selfie knipsen. (O;

 ~*~

Jetzt wünsche ich viel Erfolg und viel Spaß mit dem selbstgeschossenen Passfoto, das zumindest ich garantiert nicht mehr zu verstecken brauche.

Hier noch einmal der Link zum Anbieter, bei dem nach meiner positiven Erfahrung die gesamte Familie ihre Passbilder fertigen lässt: 

https://www.online-passfoto.de

Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Wenn ihr den Gang zum hiesigen Fotografen nicht so scheut wie ich, lasst dort ein Passbild machen und unterstützt den lokalen Einzelhandel, wo immer es geht. Der hat es momentan schwer genug.




Freitag, 12. März 2021

Buchtrailer 2021

Ohne viele Worte stelle ich hier das neue Video zu meinen erschienenen Romanen vor. Es sind neun, und manchmal denke ich, dass es Zeit wäre, das Maß vollzumachen, mich also an den zehnten zu setzen. Leider will die Muse nicht so wie der Kopf. Das Gefühl des Flows einer Geschichte im Entstehungsprozess vermisse ich gelegentlich. Und dabei würde es an Ideen gar nicht mal unbedingt mangeln. Trotzdem habe ich vor der Leistung, es auf neun Geschichten geschafft zu haben, schon Respekt - das muss ich mir einfach mal sagen. Man lobt sich ja sonst nicht. 
 
 

 
 Rückblickend wundert es mich, dass ich in so vielen Genres unterwegs war / bin, wobei ich glaube, dass ich mich am liebsten in der edwardianischen Epoche verlustiert habe und die Gattungen nicht einmal klar abgegrenzt sind, sondern miteinander verfließen. So wie beim Grafen Krimi, Mystery und historisch.
 
Aber auch an den "Kurzgeschichten" hatte ich Spaß. Und mir fällt auf, dass ich teilweise sogar durch Mitmenschen inspiriert wurde, von denen ich es nicht vermutet hatte. 


 

 

Zum Beispiel der kürzlich verstorbene Herr Trapp. Vielleicht war er unbewusst das Vorbild für den neurotischen Rupert Grayson in "Vom Ernst des Lebens"; auch wenn ich es eigentlich vermeide, Bekannte bzw. deren Eigenschaften in meinen Romanen zu verwenden, denn die Wiedererkennungsgefahr wäre mir doch zu groß. 

Obwohl Rupert sehr viel jünger ist, hat er einige Charakterzüge, die denen von Herrn Trapp ähnlich sind. Daher ist es möglicherweise kein Zufall, dass dieses Buch das einzige neben den gesammelten Werken Kurt Kusenbergs ist, das er je gelesen hat. (O;

 


Montag, 8. März 2021

Rezension "Giovannis Zimmer" ~ James Baldwin

 

Ohne zu wissen, dass es sich bei dem Buch um einen Klassiker handelt, habe ich es aufgrund der Thematik und des ansprechenden Covers gekauft. Anfangs fühlte ich mich stilistisch und auch thematisch sehr an André Acimans "Ruf mich bei deinem Namen" erinnert.

 


 Auch dieses ist mit ca. 200 Seiten nicht besonders lang, aber ungewöhnlich poetisch, und handelt von zwei jungen Männern, die einander begehren. 

 Handlung: Der Amerikaner David - Ich-Erzähler des Romans - wächst ohne Mutter, dafür mit dem vergnügungssüchtigen, schwach wirkenden Vater und dessen unverheirateter Schwester auf. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend in den 1940er Jahren mit blumigen, aber beeindruckenden Sätzen als problematisch und schuldbeladen. Hauptsächlich deswegen, weil er als Teenager mit einem Jungen geschlafen hat; ein Makel in seinen Augen, von dem er sich nicht reinwaschen kann. So bald wie möglich verlässt er die Familie und zieht nach Paris, wo es ihn in einschlägige Clubs und zu Männern zieht, obwohl er sich sagt, heterosexuell zu sein. Durch seinen ältlichen Gönner Jacques lernt er den Italiener Giovanni kennen, der für den ebenfalls schwulen Guillaume als Barkeeper arbeitet, und hinter dem eigentlich Jacques her ist. Eigentlich sind beide - Jacques und Guillaume - hinter den dort schwärmenden jungen Männern her. Doch David ist es, der Giovanni bekommt. Trotz seiner Verlobten Hella, die nach Spanien gereist ist, um über Davids und ihre Beziehung nachzudenken.

Sie verbringen einige Monate zusammen, in denen David abermals von Schuld geplagt wird und Giovanni sich vom charmanten, etwas überheblichen Sonnyboy zu einem ständig weinenden, schwachen Etwas entwickelt, als er erkennt, dass David ihn nicht wirklich liebt. Als Hella zurückkommt, findet David nicht den Mut, ihm zu sagen, dass er abreisen und Giovanni verlassen wird. Endlich überwindet er sich und stellt Giovanni vor vollendete Tatsachen - mit folgenschweren Konsequenzen.


Frank Winkler / Pixabay

Meinung: Zuerst mochte ich das Buch. Stil und Protagonisten sind beeindruckend und manchmal sogar so originell, dass ich beim Lesen abwechselnd erstaunt oder versonnen vor mich hinlächeln musste. Doch je weiter man liest, desto deprimierender und verkopfter wird "Giovannis Zimmer", und desto unsympathischer werden einem David und Giovanni. Ersterer kann seinen Schuldkomplex nicht überwinden und empfindet am Ende nicht einmal mehr etwas für Hella, die er bald unansehnlich findet. Letzterer ist ein schwacher Charakter, dem ich mehr Glück gegönnt hätte, der aber nach Davids Entscheidung, sich von Giovanni zu trennen, den fatalen Fehler begeht, sich dem lüsternen Guillaume auszuliefern und daraufhin empfindlich gedemütigt auf spontane Rache sinnt. 

Da "Giovannis Zimmer" als hochgelobter und berühmtester Roman Baldwins gewürdigt wird, entging mir vermutlich unter den ganzen philosophischen Betrachtungen und der emotionslos geschilderten Liebe beider Protagonisten etwas Wichtiges, das es mir unmöglich macht, in die Würdigung miteinzustimmen. Schade eigentlich, denn der Anfang war vielversprechend. Mir persönlich war zu wenig Gefühl und zu wenig Handlung, dafür zu viel Geschwafel zwischen den Seiten. Ich hätte mir etwas mehr Interaktion gewünscht, oder etwas, das die Zuneigung der beiden irgendwie persönlich macht. Über Giovannis Zimmer findet der Leser heraus, dass es klein und schmutzig ist und Giovanni es mit allen Mitteln verändern möchte, seit David es mit ihm teilt. Die Metapher fand ich schön, aber leider lieblos abgehandelt. 

Fazit: Nicht so meins. Vielleicht liegt es daran, dass mir als Frau Gefühl gefehlt hat, ein bisschen mehr Details und mehr Einsicht in Davids Psyche, die mir rätselhaft geblieben ist - mehr als Schuld und Zerrissenheit scheint darin kein Platz zu haben. Insgesamt wohl zu Recht zu seiner Zeit (1956) ein gewagtes Werk und Befreiungsschlag zugleich und heute ein Klassiker, hat mich der Roman nicht vom Hocker reißen können.

Bewertung:

 💫💫💫


Donnerstag, 4. März 2021

In Gedenken an Heinz-Dieter Trapp

 Am Montag starb ein Bekannter von mir mit Mitte Siebzig an Corona, der lange Zeit im Haus meiner Eltern gelebt hat, genauer gesagt von 2005 bis 2018. Er kam im Rahmen des Projekts "Betreutes Wohnen" als Patient einer psychiatrischen Einrichtung zu uns, nachdem die "Vorbesitzerin" ihn nicht mehr verpflegen konnte / wollte. 

 

Foto: Karl Schramm


Und in der Tat erwies sich Herr Trapp (den ich nie "Heinz-Dieter" nennen konnte, wenngleich er es uns mehrmals anbot) als ziemlich eigenartig. Obwohl als schizophren diagnostiziert, hatte ich eher den Eindruck, er gehörte dem Asperger-Spektrum an, auch und gerade, weil er häufig von seinem "Wahn" sprach - etwas, das Schizophrene meines Wissens nach nicht tun. 

Er liebte klassische Musik, Beethovens Fidelio und Don Pasquale und Märklin-Eisenbahnen. Mehr interessierte ihn eigentlich nicht, und im Lauf der dreizehn Jahre gab es nichts anderes, mit dem man ihn begeistern oder seinen Horizont hätte erweitern können. Menschen, die ihn nicht näher kannten, hatten ihn, seine kleine dünne Gestalt und sein Auftreten als höflich und auch "goldig" bezeichnet. Er wusste zu formulieren und schenkte großzügig Sekt und Weinbrandbohnen - Dinge, die er selbst mochte. Er tat es auch dann noch, wenn man seine Aufmerksamkeiten ablehnte. Vielleicht im Bemühen, Ärger abzuwenden, den er selbst immer wieder heraufbeschwor. 

Allerdings wäre mir lieber gewesen, er hätte sich etwas mehr Mühe gegeben, sich in ein soziales Zusammenleben zu integrieren. Denn mitunter war er sehr nervend in seiner mehr als schrulligen Art. Empathie ging ihm völlig ab. Seine Gespräche kreisten ständig um sich selbst und die erwähnten Themen, ohne auf sein Umfeld einzugehen. Ich kann mich an Vorfälle erinnern, die mich fast zur Weißglut getrieben haben, und ich bin im Allgemeinen ein geduldiger Mensch.

Trotzdem tat es mir leid, von seinem Tod zu erfahren. Nachdem er in eine andere Familie an einen anderen Ort kam, die weniger nachsichtig mit ihm und seinen Macken war, blieb er dort nicht lange und hatte wohl eine regelrechte Odyssee vor sich; etwas, das ihm zutiefst widerstrebte, saß er doch am liebsten den ganzen Tag in seinem Zimmer, ohne einen Finger zu rühren. Da er sich nie körperlich betätigte und sein jahrzehntelanger Medikamentenkonsum enorm war, machten offenbar gegen Ende seine Muskelfunktion und sein geschwächter Körper schlapp. Sein ereignisloses, aber für ihn erfülltes Leben endete auf der Intensivstation. Das hätte ich ihm nie gewünscht und auch nicht erwartet. Die Nachricht - heute Mittag telefonisch überbracht von einer seiner Betreuerinnen - hat mich doch sehr erschüttert. Ich frage mich, ob er jetzt Beethoven beim Komponieren zusehen kann. Und wer seine Eisenbahnen erbt. Wer an ihn denkt, wem er wichtig war. Nicht zuletzt deshalb möchte ich ihm hier ein Andenken bewahren. 

Als wir uns im November 2019 sahen, machte er mir sogar ein für ihn in zweifacher Hinsicht ungewöhnliches Kompliment: mein Roman "Vom Ernst des Lebens" hatte er laut eigenen Worten zweimal gelesen, wo er ansonsten nur Kurt Kusenberg als Autor kennt und liest. Seine weiteren Bücher stehen / standen sauber verschweißt im Regal. Da war ich wider Willen richtig gerührt.


Ri_Xa / Pixabay

 

Den Wunsch, in einem gläsernen Schneewittchensarg bestattet zu werden, wird man ihm wohl nicht gewähren. Aber den braucht er im Himmel ja nicht. Und ich hoffe sehr, dass er jetzt dort und glücklich ist. Vielleicht begegnet er ja auch unserem Joschi, der nach schönen jungen Frauen, der Musik und Modelleisenbahnen hoch in seiner Gunst stand.