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Sonntag, 5. November 2023

Die Sache mit der Trauer...

 Auf der Suche danach, meinen Schmerz durch Mamas Verlust zu lindern, habe ich vor kurzem zwei Bücher gelesen (es fällt gerade schwer, das Lesen), nämlich "Dem Himmel auf der Spur" des Journalisten Lee Strobel und "Es ist okay, wenn du traurig bist" von der Psychologin Megan Devine. Eins vorweg: Geholfen haben beide Bücher nicht, aber das ist nicht schlimm. Es war gut, sie zu lesen, denn beide sind ungewöhnlich und mit neuen Erkenntnissen gefüllt, so dass sie mir ein Trost waren und ich einiges für mich daraus ziehen konnte.



Was mir beim Lesen des Ratgebers auffiel, war, dass die Sprüche, die Bekannte und Freunde von sich geben, um zu "trösten", häufig die gleichen sind. 

"Sei froh um die Zeit, die ihr hattet." (Antwort: Sie hätte doch noch nicht vorbeisein müssen!)

"Jetzt eröffnen sich neue Wege." (Antwort: Meine Wege waren gut, solange der geliebte Mensch da war. Sie müssten sich nicht ändern. Ich stecke jetzt mehr in einer Sackgasse als je zuvor.) 

"Alles hat seinen Grund." (Antwort: Um mich elend zu fühlen? Einen Verlust zu beklagen, der sich nicht ändern lässt? Dafür gibt es keinen ersichtlichen Grund.)

Und jeder Spruch, jede Floskel wird von der Autorin (zu Recht) scharf kritisiert. Sie ist selbst Trauertherapeutin und hat ihren Mann durch einen Badeunfall verloren, der sie zwang, alles Althergebrachte über Trauer zu überdenken. 

Teilweise fand ich ihre Ausführungen und Ratschläge etwas überspitzt - vor allem der letzte Teil mit ihrem "Stamm" -, aber im Großen und Ganzen lesenswert auch für das Umfeld von Trauernden, für das es ein Extrakapitel im Buch gibt. Es wird nichts wieder gut nach dem Verlust eines geliebten Menschen, nichts wie vorher. Nie mehr. Das ist eine Tatsache, die ich gern ignorieren würde, die aber stimmt. Wenn man plötzlich und endgültig ohne Partner, ohne den geliebten Menschen auskommen muss, steht die Welt Kopf. Man versteht sie nicht mehr und fühlt sich wie beraubt und verwundet. Alles um einen herum schmerzt: die Erinnerungen, Anblicke von Menschen, die nichts wissen von deinem Elend, ältere Pärchen, die Hand in Hand gehen. Eine Tochter, die ihre Mutter umarmt. Selbst das Einkaufen tut weh; abgesehen davon, dass körperliche Aktivitäten einem Kraftakt gleichen. Wie oft ich beim Anblick des Buko-Frischkäse im Kühlregal schon in Tränen ausgebrochen bin!

Und bevor es pauschal klingt: das ist es nicht. Auch das betont Megan Devine immer wieder: Trauer ist individuell. Keine Krankheit, die es möglichst rasch zu überwinden gilt. Die auch nicht immer den von Elisabeth Kübler-Ross entworfenen Trauerphasen folgt, auf die sich viele berufen. Selbst dieselben Verluste auf ähnliche Art werden unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet. Trauer muss ihre Akzeptanz in der Gesellschaft finden. Da sie bei Nicht-Trauernden Unbehagen und Verlegenheit auslöst, wird das nicht so einfach sein. 

 

Kranich17 / Pixabay

 

Erstaunlicherweise erntet man als Trauernder viel Unverständnis, wenn man sagt, dass man Zeit braucht und keine guten Ratschläge, die eh nicht helfen. Nach den oben genannten Sprüchen (die eigentlich nur hohle Phrasen sind) gibt es auch Gespräche, die zwar gut gemeint sind, aber verletzend für Betroffene. Die einem - natürlich unbewusst - Schuldgefühle einreden, von denen man vielleicht sowieso schon genug hat. Die Ansage, wir hätten selbstsüchtig gebetet, war der Tupfen auf dem I. Ganz ehrlich, das hat mich sehr getroffen.

Es ist sonderbar: obwohl ich eher introvertiert bin, hilft es mir, unter Leuten zu sein, die z.B. ein Familienunternehmen führen, aus dieser Gemeinsamkeit heraus wissen, wie eng Familien zusammenhalten können und auch, dass ich Mama nicht vermisse, weil sie "viel für mich gemacht hat". Nein, das ist es nicht. Auch wenn sie als Mama gut für uns gesorgt hat, waren wir doch erwachsen und selbständig. Es ist die Person um ihrer selbst willen, die eine nicht zu schließende Lücke hinterlässt. Wir kommen auch jetzt gut zurecht. Oberflächlich betrachtet. Besser, als viele gedacht hätten, die den Eindruck haben, dass Mama wortwörtlich unser Zugpferd war.

Aber wir trauern auf unsere Art. Nicht, wie andere es von uns erwarten oder vorschreiben. Zum Glück haben wir Freunde, die auch Tränen aushalten. Die nicht unbedingt irgendetwas sagen müssen vor lauter Verlegenheit oder uns gar nicht zu Wort kommen lassen, nur damit wir das "Thema" nicht anschneiden. Dabei tut es uns gut, über Mama zu reden. Vor allem mit Leuten, die sie kennen. Wenn dabei die Tränen fließen, was ist schon dabei? Es zeigt nur, dass sie fehlt und unsere Liebe zu ihr von ewiger Dauer ist. Das ist nicht verkehrt. Eine mitfühlende Umarmung tut gut. Es muss nicht mehr sein. 


Mein kreativer Weg: Bible Art Journaling

 In Megan Devines Buch werden praxisnahe Tipps gegeben, mit der Trauer umzugehen. Kreativität ist neben Freundlichkeit zu sich selbst der wichtigste davon. Und tatsächlich habe ich Bible Art Journaling entdeckt, nachdem ich Mamas entsprechende Bibel ein paar Tage mit Ehrfurcht vor ihren Zeichnungen und zu Papier gebrachten Gedanken betrachtet habe. Ich glaube, es freut sie, dass ich sie weiterführe. Denn zum ersten Mal empfinde ich etwas wie Trost, wenn ich über eine Bibelstelle nachdenke und sie dann grafisch an den dafür vorgesehenen Seitenrand setze. Ich bin Mama dann irgendwie nahe. Und Gott sowieso. 

Da ich mich wenig in der Bibel auskenne, ist das Bible Art Journaling eine tolle Möglichkeit, sie besser zu verstehen bzw. zu verinnerlichen. Vieles, worauf ich gestoßen bin, hat mit meiner derzeitigen Situation zu tun und erweckt in mir den Eindruck, dass Gott irgendwann doch wieder in mein Leben kommt. Bisher habe ich es noch nicht wieder geschafft, ihn komplett hereinzulassen in meine verwüstete Seele. Aber auch das ist vorerst okay. Ich weiß, dass Gott ein geduldiger Gentleman ist.