Es fällt mir unglaublich schwer, mich an die Situation ohne Mama zu gewöhnen. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass es das irgendwann einmal gibt, und wenn, dann erst, wenn beide Eltern weit über Neunzig sind und ich dann auch nicht mehr taufrisch und bereit für die Ewigkeit. Mama selbst wollte gut über Hundert werden.
Eigentlich war mein Wunsch immer, dass wir alle mitsamt unseren Katzen von einem goldenen Wagen abgeholt werden würden wie einst der Prophet Elias in der Bibel. Das habe ich auch Mama erzählt, als es ihr schon nicht mehr so gut ging. Sie hat nicht gelacht. Es hat sie getröstet. Und wie gern hätte ich gehabt, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht! Dass es nicht nach des Menschen Willen geht, sondern Gottes, das weiß ich nun. Selbst wenn dieser Wunsch niemandem schadet und man darum bittet.
Bald kommt der Frühling wieder, und ich empfinde keine Freude darüber. Mein Alltag, der früher eher unabhängig war, hat sich gewandelt. Und ich weine öfter. Immer noch. Manchmal wegen Kleinigkeiten. Dinge, die mich an Mama erinnern und an die ich mit Wehmut denke. Lieder, die sie gern gehört hat. Ihre schönen Hände, ihre gepflegten, unlackierten Fingernägel mit den hellen Halbmonden. Das Streicheln, wenn sie manchmal meine Hand nahm. Früher mochte ich das nicht immer; jetzt sehne ich mich danach. Nach ihrer jugendlich klingenden Stimme, in der oft ein Lachen mitschwang. Und nach ihrem unerschütterlichen Humor, der auch in schwierigen Zeiten da war und uns andere ermutigt hat.
Aber nicht nur die Erinnerung bringt mich zum Weinen, sondern auch die Welt an sich, die mir jetzt unsicherer und unfreundlicher vorkommt ohne sie. Mitunter glaube ich sogar, dass Gott sie uns nahm, damit sie die Zwistigkeiten hier nicht mehr erleben muss, die ihr als sensibler Mensch zweifelsohne zugesetzt hätten. Zum Beispiel das Massaker am 7. Oktober 2023 in dem israelischen Kibbuz oder der jetzt salonfähige Antiamerikanismus wegen eines tatkräftigen Präsidenten, der immerhin Bewegung in viele Angelegenheiten bringt, die längst angepackt gehören. Aber wir hätten ja uns gehabt, um damit gemeinsam fertigzuwerden.
Viele meinen, es sei für mich besonders schwer, weil ich Mamas "Sorgenkind" gewesen sei. Das stimmt nicht. Es ist für uns alle schwer. Immer noch gehe ich nicht auf den Friedhof. Es kommt mir nicht richtig vor, richtig surreal, und ich bin froh, dass Nicole sich um die Bepflanzung dort kümmert, obwohl auch ihr der Gang nicht leichtfällt. Mama ist nicht mehr dort, das wissen wir alle.
Sie lebt jetzt bei Jesus. Und ich bin sicher, wir sehen sie wieder. Doch bis dahin fehlt mir erst mal die Freude am Leben. Sie kommt auch nach nun anderthalb Jahren nicht wieder, was mich bedenklich stimmt und doch nicht wundert. Der Verlust von Mama verändert mich, macht mich ernster und nachdenklicher, vielleicht auch trauriger im Allgemeinen. Und manchmal fast depressiv, wogegen ich mich aber wehre, auch wenn es Tage gibt, an denen mir alles sinnlos erscheint. Ich möchte sie gern wieder umarmen, ihren heimeligen Duft einatmen und von ihr hören, dass alles gut ist. Kind sein. Das konnte ich bei Mama. Nirgends sonst. Um so vieles muss man sich kümmern, regelmäßig kochen, viel mehr putzen, der Job im Rolloshop, der wohl bald nicht mehr in der Form ausgeführt werden wird wie in den letzten Jahren, da sich vieles in der Firma verändert. Ich hoffe, dass er mir auf die eine oder andere Weise trotzdem erhalten bleibt, denn er bietet ein bisschen Ablenkung und beschäftigt mich.
Gern würde ich schreiben, dass ich mit schönen Gefühlen und in Liebe an Mama denke. Dass ich das Leben trotz des Verlustes noch genießen kann. Zumindest Ersteres trifft zu. Ich bin dankbar dafür, dass sie mich so lange begleitet hat. Ich wollte keine andere Mama haben. Es gibt keine Situation, von der ich sagen müsste, dass ich als Kind darunter gelitten oder sie sich falsch verhalten hätte. Und das ist etwas ganz Seltenes innerhalb von Familien. Im Gegenteil, sie hat uns immer unterstützt, wenn wir nach Hilfe fragten, uns aber auch zur Eigenständigkeit erzogen. Und später waren wir mehr Freundinnen als Mutter und Töchter.
Ich bereue ein wenig, dass ich sie generell selten in die Arme genommen habe. Oder dass ich sie nicht mehr gesehen habe am letzten Tag im Krankenhaus. Vielleicht hätte ich doch wenigstens noch einmal Adieu sagen sollen, später. Doch ich konnte nicht. Ich möchte sie lebendig in Erinnerung behalten, mit ihrem herzlichen Lachen und ihrer Warmherzigkeit. Das versteht sie bestimmt. Aber es macht mich traurig, wie alles gelaufen ist. Auch wenn sie jetzt im Himmel ist und sich freut an Dingen, die sie hier nie zur Vollkommenheit erlebt hat; davon bin ich überzeugt. Möchte es sein, denn einen anderen Weg, sie wiederzusehen, gibt es nicht. Ich weiß, dass viele mich auslachen für diese Überzeugung. Genauso sicher weiß ich aber, dass sie wahr ist. Das gibt mir Hoffnung und Trost. Auch für Nicole und Papa.
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