Auch wenn der Roman in einem etwas ungewöhnlichen Stil und der Ich-Perspektive verfasst ist, so trägt er keine autobiografischen Züge. Natürlich wurden eigene Erfahrungen darin verarbeitet, aber es ist mir doch wichtig, zu erwähnen, dass das Werk fiktional ist - allein die Zeit, in der es spielt, ist mir fremd. Aber gerade das ist meiner Ansicht nach das Schöne am Schreiben - dass man seiner Fantasie freien Lauf lassen und sich etwas ausdenken kann, das so ganz anders ist als das, was man normalerweise kennt. Und natürlich - damit es trotz aller Fantasie noch glaubwürdig und authentisch ist - die Recherche, mit der ich es tatsächlich sehr genau nehme.
Eine Liebegeschichte im herkömmlichen Sinn ist mein Roman nicht; es geht um die Suche nach sich selbst und darum, sich von Ängsten und Abhängigkeit zu befreien. Ein ziemlich philosophischer Ansatz also, dem ich hoffentlich gerecht werde. Immerhin war ich zum Zeitpunkt der Entstehung der Geschichte genauso alt bzw. jung wie die Protagonistin.
Eine Leseprobe folgt unter weitere Informationen.
K
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eine
Fragen, sage ich, als Milan mir die Tür öffnet, es ist ungewöhnlich, ihn um diese
Zeit in der Wohnung vorzufinden, doch ich habe seinen Wagen vor dem Haus parken
sehen. Ich wasche meine Schminke herunter, sie ist verschmiert, ich sehe
scheußlich aus, ich kann nicht anders, ich muss mein Spiegelbild auslachen, ein
trauriger Harlekin. Milan lehnt im Türrahmen. Wo warst du?
Ich
sagte keine Fragen.
Meinst
du nicht, wir sollten miteinander reden?
Sic transit gloria mundi, sage ich, dass mir das jetzt einfällt, ich lache
wieder. Milan bleibt stumm, er mustert mich, taxiert die Unsicherheit, die
hinter meiner heiteren Maske steckt; wie sehr mir das vertraut ist.
Es
ist nichts vorgefallen, absolut nichts, spar‘ dir die Mühe, ich habe nichts zu
erzählen, ich muss dir nicht Rechenschaft ablegen über das, was ich tue.
Ich
warte darauf, dass er etwas sagt, aber er schweigt weiterhin.
War
etwas, frage ich daher, ich werde ein wenig nervös.
Deine
Mutter war hier, sagt er nach einer schier endlosen Pause.
Ich
muss mich verhört haben, sie weiß doch von nichts, wer war die Frau im Café?
Nein,
sage ich, das ist nicht möglich, diese Frau kann unmöglich meine Mutter gewesen
sein, sie hat dir was vorgelogen – nein, das war nicht meine Mutter.
Warum
nicht, wie willst du das wissen?
Ich
bin verzweifelt: Oh, bitte keine Fragen, Milan, später vielleicht, aber jetzt
nicht, ich weiß nicht, was ich denken soll –
Milan
packt mich, als ich das Bad verlassen will, es erscheint mir irrational, aus
irgendeinem Grund ist er zornig auf mich.
Interessiert
es dich denn gar nicht, was sie gesagt hat; du musst endlich lernen, dich mit
alldem auseinanderzusetzen, du kannst nicht glauben, es gäbe nur dich und
vielleicht noch mich. Die Frau, die hier war, ist kein böser Geist aus deiner
Vergangenheit – sie ist deine Mutter.
Hör
auf, sage ich. Hör doch auf, ich glaube, mir wird schlecht, wenn ich dich so
reden höre –
Und
dann, in einer plötzlichen Eingebung, spiele ich meinem Trumpf aus: Weshalb
sprichst du eigentlich immer nur von meiner Vergangenheit, gibt es nicht auch
bei dir Dinge, die einer Klärung bedürfen – die Sache mit Frederic zum Beispiel?
Gleich
wird er mich schlagen, ich bereue meine Worte schon, ich habe mich noch nie mit
Milan gestritten. Der flache Hieb auf die Wange trifft mich nicht
unvorbereitet, doch die Wucht lässt mich taumeln. Es ist meine Schuld, ich habe
ihn provoziert in der Annahme, er ließe sich nicht provozieren. Eine Weile noch
starren wir uns gegenseitig an, als könnten wir beide nicht fassen, was eben
geschehen ist, meine Hand liegt schützend auf der glühenden Wange. Milan
streicht sein Haar zurück und geht ins Arbeitszimmer. Später tut es uns beiden
leid.
Milan:
Erzähl mir ein bisschen von Jean-Pierre.
Ich:
Mich wundert, dass du erst jetzt nach ihm fragst.
Milan:
Ich weiß nicht, das klingt alles so fantastisch, ich dachte, du hättest es
erfunden.
Ich
(empört): Es ist alles wahr.
Milan:
Schon gut, ich glaube dir ja. Komm, erzähl, was war Jean-Pierre für ein Mensch?
Offensichtlich habt ihr euch gut verstanden. War er dir ähnlich?
Ich:
Wie kannst du so was auch nur vermuten. Dieser Mensch war doch krank, geistesgestört,
na schön, es gab ein paar Kleinigkeiten, die uns einander näher brachten.
Milan:
Welche?
Ich: Nun, das was du schon weißt, wir waren beide
Nachtmenschen –
Milan:
Ist das wirklich alles? Hast du nicht manchmal auch den Wunsch, dein Leben zu
beenden, genau wie Jean-Pierre?
Ich:
Wer hat noch nie einen Gedanken an Selbstmord verschwendet? Aber mir fehlt der
Mut, es zu tun, ich bin ziemlich sicher, dass ich es auch nie versuchen würde,
wenn ich ihn hätte, denn paradoxerweise halte ich es auch für sehr feige, du
nicht? Man macht es sich zu bequem, indem man sich das Leben nimmt, manche
möchten mit ihrem Freitod auch nur Aufmerksamkeit erregen, schau dir nur
Hemingway an.
Milan:
Ich denke, Hemingway hatte Aufmerksamkeit genug.
Ich:
Niemand hat das, niemand hat je genug, doch lassen wir das, kehren wir zu
Jean-Pierre zurück, in gewissem Sinn habe ich ihn bewundert. Sicher, er war
verrückt, aber er hat es fertig gebracht, das zu tun, was er sich vorgenommen
hat, nie wäre ich mutig genug –
Milan:
Wir drehen uns im Kreis. Warum hast du dich befreit, als Jean-Pierre die
Schlinge zuzog? Du hättest dich nicht einmal selbst umgebracht, was du so
verachtest.
Ich:
Ich weiß es nicht, es war merkwürdig, ein reflexartiger Selbsterhaltungstrieb,
ich habe nicht nachgedacht in diesem Moment. Außerdem kann ich nicht behaupten,
ich hätte ständig Todessehnsucht, nicht öfter als du beispielsweise. Die ganze
Situation hat mich erschreckt, weil er nie vorher davon sprach, sich
umzubringen, und mich erst recht nicht, ich hätte es mir überlegen können, wäre
es nicht so plötzlich gekommen.
Milan:
Was ja wieder einem Selbstmord gleichgekommen wäre –
Ich:
Das hätte keiner erfahren, aber es ist ohne Bedeutung, da es sich so nicht
ereignet hat. Du darfst es nicht so interpretieren, dass ich darauf aus war,
Schluss zu machen. Ich bin nicht lebensmüde, ich kann nur oft das Leben nicht
verstehen, das Leben, das ich habe, gibt es tatsächlich Leute, die ihr Leben jeden Tag als Geschenk sehen?
Milan:
Es tut weh, dich so reden zu hören; du solltest so nicht reden mit
zweiundzwanzig Jahren.
Ich:
Was ich erlebt habe, kann ich nicht rückgängig machen. Glaubst du es, ich wäre
die Erste, die in eine Zeitmaschine steigt, um alles anders zu machen.
Milan:
Du kannst nichts dafür, dass es so gekommen ist.
Ich:
Ich wünschte, ich könnte das glauben, du ahnst nicht, wie sehr. Nein, wenn auch
nicht alles an mir liegen sollte, dann doch ein beträchtlicher Teil, ich habe
soviel falsch gemacht.
Milan:
Was würdest du denn verändern?
Hier
endet unser Gespräch, ich weiß nicht, was ich verändern wollte, tatsächlich
fällt mir kein einziges Beispiel ein, wo ich anders gehandelt hätte, hätte man
mir die Möglichkeit dazu gegeben; die Frage hat etwas demütigendes an sich.
Ich
tanze allein einen Walzer zu Mozarts Violinkonzert (Adagio) KV. 216.
Selbstvergessen schwebe ich durch das Zimmer. Die Musik füllt alle seine
Ritzen, sie ist so überirdisch, dass mir die Tränen kommen; wenn ich Mozart
höre, bin ich überzeugt, dass nichts verloren ist, dass es das Gute noch gibt.
Milan schaut zur Tür herein, ich bemerke ihn erst, als er sich räuspert. Bevor
ich Zeit habe, verlegen zu sein, nimmt er meine Hand und führt mich, er tanzt
so gut, dass ich mir meines kranken Fußes nicht mehr bewusst bin. Er sieht ein
wenig spöttisch auf mich herunter, in meinen Augen muss es noch glitzern.
Hast
du gepackt für Hamburg, erkundigt er sich. Wir fahren schon am Samstag.
Um
Himmels Willen, das habe ich ganz vergessen, eigentlich habe ich gehofft, ich
hätte nur geträumt, ich bin nicht gut genug für ein Singspiel, natürlich habe
ich Gesangsunterricht gehabt, aber reicht das denn?
Wir
sehen uns alles erst mal an, beruhigt er mich. Wenn du nicht vorspielen willst,
musst du auch nicht, kein Grund, gleich in Panik auszubrechen. Einverstanden?
Ich
habe immer versucht, Milan in seiner Gelassenheit nachzuahmen, etwas davon zu
erhaschen, doch sie gehört ganz ihm; wenn er in der Nähe ist um mich zu
beschwichtigen, um mir zu versichern, dass die Dinge nicht so tragisch sind,
wie ich sie gern aufbausche, nur dann springt ein Funke der Ruhe auf mich über,
und ich sehe ein, dass er recht hat. Vorher können die albernsten Kleinigkeiten
unüberwindlich vor mir aufragen, was würden Leute wie ich ohne Leute wie Milan
tun.
Es
ist schwer, mich Milans Lebensstil anzupassen, ich liebe es nicht, in der
Weltgeschichte herumzugondeln, ich brauche einen Ort, ein Haus, von dem ich
sagen kann, hier bin ich daheim, sogar die Anstalt war eine Heimat, solange ich
dort gelebt habe. Das Haus in der Sophienstraße ist meine Zufluchtsstätte, ein
Platz, wo ich mich verschanzen und ganz ich selber sein kann, ich brauche mich
nicht zu verstellen, was ich draußen zu meinem Schutz tue, ich bin Meister
darin, außer Milan weiß niemand, wie es tief drinnen in mir aussieht, mit Ausnahme
meiner gelegentlichen Anfälle bin ich für die anderen völlig normal.
Auf
Dauer ist es anstrengend, die Fassade aufrecht zu halten, in Hamburg werde ich
den ganzen Tag mit Fremden zu tun haben, wenn ich mich in mein Hotelzimmer
zurückziehe, wird es nicht dasselbe sein wie hier, ich werde wahnsinnig in Hotelzimmern.
Auch Milan hält nicht viel vom Verreisen, sein Beruf zwingt ihn dazu. Schon
deshalb spielt es für ihn keine große Rolle, wo er sich befindet; wenn er im
Ausland arbeitet, nimmt er sich dort nicht selten eine Wohnung für mehrere
Monate.
Seit
unserem Streit hat er nicht mehr über den Besuch meiner Mutter gesprochen,
vermutlich will er, dass ich aus eigenem Antrieb frage. Meine Neugier kämpft
mit der Angst und siegt, ich komme nicht dagegen an. Doch als ich mich endlich
dazu durchringe, sieht er mich beinahe erschrocken an. Du wolltest doch, dass
ich frage, sage ich, oder?
Schau
– er zögert, sucht die Wand mit Blicken ab, als fände er dort eine Antwort
geschrieben. Ich war an dem Tag ein bisschen außer mir, du solltest nicht ernst
nehmen, was ich damals gesagt und getan habe.
Ich
will nur wissen, was sie gesagt hat, beharre ich. Und warum du zu Hause warst,
es war doch ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag.
Meine
Mutter hat in Erfahrung gebracht, dass ich eine Schauspielausbildung mache, vom
Jugendamt erhielt sie die Auskunft, ich sei nach München zu einem tschechischen
Regisseur gezogen, und da sie in diesen Kreisen nicht ganz unbedarft ist (sie
hat nie aufgehört, sich für Theater zu interessieren), wusste sie, dass es sich
dabei um Milan handeln musste. Im Stadttheater hat sie nach ihm gefragt, er war
natürlich anwesend, und sie hat sich ihm gleich vorgestellt. Ich weiß nicht, ob
es eine Überraschung für ihn war, wie er überhaupt auf sie reagiert hat, er
erwähnt nichts davon. Sie bestand darauf, zu ihm nach Hause zu fahren, weil die
Angelegenheit äußerst wichtig und persönlich sei. Ich muss die Tatsache
hinnehmen, dass sie nicht gekommen ist, um mit mir zu reden, sondern mit Milan
über mich. Milan weigert sich, mir den Inhalt des Gesprächs mitzuteilen, er
behauptet, es sei nichts Neues gewesen, nichts, was er nicht eh schon gewusst
habe. Es trifft mich, dass es meiner Mutter offenbar nur gelegen kam, mich
nicht zu sehen, obwohl ich mich vor dem Augenblick, ihr gegenüberzustehen,
fürchte. Dazu wirst du so schnell keine Gelegenheit haben, meint Milan. Erstens
bleibt sie längere Zeit in Dänemark, und zweitens scheint deine Gesinnung auf
Gegenseitigkeit zu beruhen; sie will dich nicht sehen.
Die
schonungslose Art, mit der er es mir beibringt, bestürzt mich mehr als der Sinn
der Worte, ich schaue in seine Augen, ich bin so hilflos in meinem Elend, ich
kann es nicht allein bewältigen, hilf mir doch.
Milan
liest meine Stimmung von den Augen ab, er nimmt mich in die Arme; da er sitzt
und ich stehe, kann ich meinen Kopf auf seinen legen, ich rieche den Duft in
seinem Haar, den ich als „typisch männlich“ bezeichne, eine Mischung von Zigarettenrauch,
After Shave und etwas Herbem, das ich nicht definieren kann, es ist tröstlich,
diesen Geruch einzuatmen.
Sag
nichts, wispere ich. So wie es jetzt ist, ist es gut, du bist so gut zu mir.
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