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Donnerstag, 20. Mai 2021

Wandern mit der Family ~ eine neue Leidenschaft

Letztes Jahr hatte ich es schon mehrmals erwähnt: Corona hat uns zu hiesigen Backpackern gemacht. Heißt, wir checken das Wetter, suchen uns eine Wanderroute in der Umgebung aus (anfangs ganz old school mit Karte, jetzt mit einer App auf dem Smartphone), verstauen ein üppiges Picknick in unsere zweieinhalb Rucksäcke und los geht's. Meist erst im Auto, dann zwischen sechs und acht Kilometern zu Fuß. Wenn Petrus uns nicht allzu gnädig gestimmt ist, kommen auch ein paar Knirpse - Taschenregenschirme - ins Gepäck. Die haben wir bisher allerdings kaum gebraucht. Was immer mit dabei ist, ist meine Handykamera. Seit ich nun doch ein Smartphone mein eigen nennen kann, fotografiere ich damit unheimlich gern. Ein Muss auf unseren Touren ist immer das Selfie-To-Go, das mittlerweile von jedem souverän in Kauf genommen wird. Manchmal sogar mit Grimassenschneiden. Und natürlich haben wir uns alle vier mit robusten, aber schicken und bequemen Wanderschuhen ausgestattet.


Wir in Bad Rappenau bei Heilbronn, 8. Mai 2021

 

Unsere Touren führen uns an die verschiedensten Orte, und oft sogar dahin, wo ich selbst noch nie gewesen bin. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass es keine zehn Kilometer von meinem Wohnort entfernt ein gigantisches Mausoleum eines seinerzeit berühmten Unternehmers gibt, das unseligerweise nach der Reichspogromnacht im Jahr 1938 geplündert und geschändet wurde. Zwischen 1980 und 2012 wurde es in Teilen rekonstruiert und wiederhergestellt. 

Heute kann man es sogar von innen besichtigen, was wir uns zunächst nicht trauten, bis vorbeigehende Passanten uns darauf aufmerksam machten, dass das Tor geöffnet werden kann. Angesichts der Popularität des Steinsfurter Wohltäters und dem Schicksal seiner verschollenen Urne, der seiner Frau und der seiner Pflegerin wurde ich richtig ehrfürchtig, wozu auch die Erhabenheit des Mausoleums beigetragen hat, das mitten im Wald fast ein bisschen exotisch, weil orientalisch, wirkt. 

Wenige hundert Meter weiter in den Wald hinein liegt dann ein großer Judenfriedhof, auf dem Herr Weil nicht bestattet werden durfte, weil er auf eine Kremation bestand. Darum ließ er auch die Grabstätte errichten, die aber mehr für fröhliche und gesellige Zwecke mitkonzipiert worden war. Wie unfassbar traurig, dass daraus nichts wurde. Immerhin steht nun vor dem Mausoleum, das dem Jerusalemer Tempel nachempfunden ist, ein großer Tisch mit zwei langen Bänken. Vielleicht um Herr Weils seligen Angedenkens. Das wäre zumindest eine kleine "Entschädigung", wenn man davon überhaupt sprechen kann. 

 

Blick vom Inneren des Mausoleums, Waibstadt.

 Jedenfalls hätte ich mir gewünscht, dass der Mann, der viel für die Region und die Menschen getan hat, nicht in Vergessenheit geraten und mehr gewürdigt worden wäre. Ein kleiner, nach ihm benannter Weg in den Wald hinauf erinnert an ihn, aber ich finde, man hätte die neu renovierte Stadthalle nach ihm benennen sollen. "Hermann-Weil-Halle", das klingt irgendwie fast episch.

So auf den Spuren der Vergangenheit zu wandeln finde ich total interessant. Auch die Eltern erzählen auf den Wanderungen gern über ihre Kindheit und was man damals noch alles hatte bzw. entbehren musste. Oder dass nicht alles schlechter war, nur weil es weniger Komfort gab. Beinahe unvorstellbar, dass in den 1950 / 60er Jahren fast jeder Haushalt Vieh wie Hühner und mindestens eine Sau besaß und damit weitgehend Selbstversorger war, zumindest auf dem Dorf. Apropos Nostalgie: auf selbigem Trip waren wir vor kurzem, als wir von Stebbach nach Gemmingen gewandert sind, dem Geburtsort meiner Mama. Das fand ich sehr süß und rührend, wie sie sich über alles gefreut und uns gezeigt hat, wo die Nachbarn und Bekannten gewohnt hatten. Und dann trafen wir tatsächlich noch jemand von früher!


Kurz übers Feld, auch in Waibstadt.

 Insgesamt sind die Wanderungen durch Wald und Flur für jeden von uns ungeheuer bereichernd. Wir sehen viel Neues und Ungewöhnliches, tauschen uns aus, lernen dazu, haben Spaß mit unseren Fotos und den Wald-Selfies, trainieren unsere Ausdauer und freuen uns auf die zünftige Brotzeit, ein Highlight unserer Touren. Mittlerweile nehmen wir auch Kaffee und Kekse mit neben den belegten Broten / selbstgebackenen Brötchen, Gemüse, Eiern und Snacks und mit Traubensaft gemischtem Wasser, denn manchmal verfliegt die Zeit schneller als es uns lieb ist. Aber wir haben es nie eilig. Im Gegenteil. Nur können wir es oft gar nicht abwarten bis zu den Wochenenden, wo dann die nächste Wanderung geplant wird. Für mich ist das sehr erstaunlich, weil ich vorher immer eher dachte, Wandern sei irgendwie eine spießige Sache. So blöd kann man sein. Wer sich gut mit seiner Familie versteht und sie trotzdem besser kennenlernen möchte, dem kann ich Wandern wärmstens empfehlen. Komisch, dass die meisten Leute, wie wir, erst seit der Pandemie darauf gekommen sind, als Familie gemeinsam etwas zu unternehmen. Vielleicht dehnen wir sie in Zukunft sogar mehr in den Schwarzwald aus und machen eine Ganztagestour. Dort gibt es nämlich auch fast magische Orte. Und wenn mich nicht alles täuscht, öffnen demnächst auch wieder Gaststätten und Restaurants, falls wir mal unser Picknick vergessen oder zu wenig vorbereiten. Letzeres war jedoch noch nie der Fall. 

 

These shoes are made for walking...

 

Nicht nur, dass Wandern ein tolles Erlebnis ist; irgendwie hat es auch etwas Philosophisches und Gemütliches an sich. Häufig sind wir zu viert auf weiter Flur, sehen Eichhörnchen, Rehe und winzigkleine Mäuschen durchs Unterholz oder an den Bäumen hochflitzen. Oder wir sitzen auf einer verlassenen Bank mitten im Nirgendwo, während wir einträchtig unseren Proviant mampfen oder in die Luft gucken. Dann ist das ein wenig ein Gefühl, als ob alles ganz friedlich wäre und die Welt stillsteht. In der hektischen und auch leider sehr unruhigen Zeit überall schätzt man Momente wie diese umso mehr.

Wanderführer für die Umgebung sind ja jetzt schwer im Kommen; obwohl ich Bücher und Karten aufgrund der Haptik bevorzuge, finde ich die WanderApp Komoot besonders praktisch. Man kann sogar Routen speichern und archivieren. Oder ganz neue entdecken.




1 Kommentar:

  1. Danke Christine für deinen super Bericht. Ich finde immer wieder faszinierend, wie du deine Geschichten schreibst. Fühle mich richtig wohl beim Lesen...

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