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Mittwoch, 30. Juli 2014

Leseprobe "Fairlight" (II)

Das schwüle Wetter zurzeit macht mich ein wenig ramdösig. Daher erlaube ich mir heute ausnahmsweise, schreibfaul zu sein und ohne große Einleitung eine Leseprobe aus meinem Roman "Fairlight" zu posten.




Darin geht es um eine mysteriöse Familie auf einem abgelegenen Anwesen in Mittelengland um 1916. Drei Ärzte werden "notgedrungen" von dem aus Frankreich heimkehrenden Soldat Francis Fairlight als Gäste aufgenommen, als sie auf dem Weg zu einem Medizinerkongress nach London eine Reifenpanne haben.

Dieses Buch ist ein Beispiel für detailiertes Setting, da der "Star" des Romans der düstere, buchstäbliche Herrensitz ist. Ich hoffe, ich habe mich nicht zu sehr in Kleinigkeiten verloren - ein Schönheitsfehler, der mir hin und wieder unterläuft, wenn mir Szenen allzu bildhaft vor Augen stehen.^^

Feel-Good-Reader beware: "Fairlight" behandelt delikate Themen, die weder für Kinder noch für Sensibelchen geeignet sind.

Bildquelle: Pixabay






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Unschlüssig sahen sich die Besucher in ihrem vorläufigen Quartier um, wie bestellt und nicht abgeholt.

 "Auf Traditionen scheint man hier nicht viel zu geben“, konstatierte Vaughan in charakteristisch weinerlichem Tonfall, nachdem er einen Blick auf seine Taschenuhr geworfen hatte. "Von einem Fünf-Uhr-Tee war noch gar nicht die Rede."

Thorpe schlug vor, die Küche aufzusuchen, was von Raeburn und Vaughan verworfen wurde. Das Haus war viel zu riesig, höchstwahrscheinlich würden sie sich verirren, eine Peinsamkeit, die keiner von ihnen verwinden würde. Sie waren britische Gentlemen und würden, wenn es sein musste, bis zum Ende der Welt in diesem kalten, verlassenen Raum auf einen Fairlight warten. Ganz so lange mussten sie sich nicht gedulden; Francis stob atemlos mit fliegenden Rockschößen herein und lächelte verbindlich. In seinem dunkelbraunen, jetzt verstrubbelten Haar steckten Späne und Stroh, wie Raeburn belustigt feststellte. Die ganze Zeit schon hatte er sich gefragt, warum er bei der lästigen Prozedur des Striegelns und Abreibens des schweißnassen Pferdes solch ein geruhsames Tempo vorgezogen hatte. Er legte den Zeigefinger vor den Mund, um ein Schmunzeln zu verbergen.

"Entschuldigen Sie, Gentlemen." Die eigentümlich kehlige Stimme klang zerknirscht. "Mein Bruder ist ein netter Kerl, aber zuweilen ein wenig zerstreut. Er meint es nicht persönlich. Mrs. Falkenberg erwartet Sie. Bitte kommen Sie mit mir."

Trotz seiner bestenfalls durchschnittlichen Körpergröße, oder gerade deswegen, war sein Gang weitausgreifend und federnd. Die Doktoren hatten Mühe, ihm auf den Fersen zu bleiben, da sie sich allein aus Interesse an dem alten Haus gemächlicher vorwärtsbewegten. Das gesamte Mobiliar – ohnehin sparsam verteilt – bestand in pedantischer Ordnung aus gediegenen Chippendalestücken, die in den oft abgedunkelten Räumlichkeiten nicht unbedingt eine wohnliche Atmosphäre vermittelten. Francis hüpfte die Stufen zur entlegenen Küche hinab, Thorpe fühlte sich bemüßigt, seine Verletzung zu berücksichtigen.

"Um eine Untersuchung kommen Sie nicht herum, Francis. Bis dahin befolgen Sie artig ärztlichen Rat und schonen sich."

"Die Sache mit Ihrem Kongress ist bedauerlich“, entgegnete der junge Mann, als hätte er den leisen Vorwurf nicht vernommen. "Mein Vater hat den Wagen. Ich könnte Ihnen die Kutsche anbieten, doch wenn Sie damit London erreicht haben, tagt schon der nächste. Außerdem -" Er kicherte, als würde ihn die folgende Tatsache eher amüsieren statt zu verärgern, "- ist sie wie das Auto verschwunden, sowie unsere beiden zuverlässigsten Droschkengäule. Ich werde Florey zur Rede stellen müssen, aus Langeweile hat er sie anscheinend veräußert, der kleine Schuft."

"Was ist mit der Bahn?" erkundigte sich Edward, diese Alternative lockte ihn weit mehr als die vertrackten Vorgänge eines Automobils. Der Gedanke, einen weiteren ihm nicht vertrauten Wagen zu Schrott zu fahren, schmeichelte ihm nicht sonderlich.

"Ich würde gerne einige Tage hier verweilen, sofern es Ihnen genehm ist, Mr. Fairlight... Francis“, wagte Raeburn einzuwenden. An diesen staubtrockenen Medizinerbeweihräucherungen konnte teilnehmen, wer wollte; ihn beschäftigte der Junge, in dem er seine Herausforderung erkannte.

Gleichgültig zuckte Fairlight die Achseln. "Mich wundert es, dass Sie sich schon vor einer Kostprobe von Mrs. Falkenbergs Geschmortem dafür entscheiden. Sie ist eine Fritz, aber ein fabelhafter Koch und eine geistreiche Unterhalterin."

In der Küche, die noch großzügiger angelegt war als die übrigen Gemächer, fuhrwerkte Mrs. Falkenberg zwischen Töpfen und Kesseln herum; sie war eine korpulente Mittvierzigerin aus Bayern mit einem großen Herzen für 'ihre beiden Kinder' Francis und Florey unter ihrem wogenden Busen. Tatsächlich ersetzte sie dem Jüngeren die früh verlorene Mutter, zumindest bildete sie sich das gerne ein, und bis zu einem gewissen Grad entsprach es sogar der Wahrheit. Vor Jahren hatte sie Tränen über ein aufgeschrammtes Knie oder einen toten Vogel getrocknet, geduldig zugehört, wenn Eugene mit einem scheinbar unlösbaren Problem zu ihr flüchtete. Das einzige, was sie an dem Jungen störte, war sein mangelnder Appetit. Als Francis die Küche betrat, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen.

"Jesusmariaundjosef!" rief sie fassungslos. "Der Herr Francis!"

"Ursula!" Stürmisch umhalste der nun zerbrechlich wirkende Francis seine matronenhafte Ziehmutter, die ihn mindestens genauso stürmisch abküsste. "Ich bin wieder da. Haben Sie mich vermisst?"

"Mein Gott, Bub! Was können Sie fragen! Der Florey hat mich informiert, dass Besuch kommt, aber mit Ihnen habe ich ja gar nicht gerechnet! Wie sehen Sie denn aus?"

"Ich hätte mich in Schale geworfen, extra für Sie, Ursula. Wenn ich bloß einen Frack im Schrank hätte."

Mrs. Falkenberg, die nahe am Wasser gebaut hatte und sich in ihren freien Stunden hinter billigen Groschenromanen vergrub, schluchzte.

"Sie sind so romantisch, Herr Francis."

Raeburn bemerkte aus den Augenwinkeln ein herbes Mädchen, das aus einem nebulösen Hintereingang erschien und eilends ihre Diensthaube zurechtrückte, ihr großer Mund, aus dem pfeifend der Atem entwich, verzerrte sich dabei vor Anstrengung. Dann strich sie ihre Schürze glatt und trippelte auf Francis zu, um einen höfischen Knicks vor ihm und seinen Begleitern anzudeuten. Von dem Idealbild einer barocken Schönheit meilenweit entfernt, war ihr Gesicht blass und knochig, ihre Figur knabenhaft; der Doktor assoziierte sie unverzüglich mit dem hässlichen kleinen Entlein aus Andersens Märchen. Ihre störrische schwarzbraune Mähne wollte sich nicht unter das Häubchen zwängen lassen, darüber ungehalten, stieß sie ein tierisches Knurren aus. Francis grinste, er streckte die Hand, um das magere Ding zärtlich-kameradschaftlich in die kaum vorhandene aschfahle Wange zu kneifen.

"Sieh an. Die kleine Nellie. Wo hast du dich wieder rumgetrieben, hm?"

Raeburn konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Nellie nicht nur für die Küchenarbeit und das Heizen des Kamins zuständig war. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er vorhin einen Strohhalm auf ihrem Rock entdeckt.



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