Vor der Veröffentlichung hatte ich lange überlegt, in welchem Genre die Erzählung am besten aufgehoben wäre - und bin mir bis heute nicht ganz schlüssig. Historisch verbürgte Elemente werden weniger beleuchtet, dafür die Beziehung der fünf jungen Männer untereinander und ihre jeweiligen Charaktere. Ein zentraler Punkt in der Geschichte ist die Verbindung des impulsiven Galen zu dem charismatischen "Anführer" der Truppe, Irving Van Sander, und wie sie sich wandelt, als Galen etwas über ihn herausfindet, das lange Zeit ein Geheimnis bleibt und die bis dahin mehr oder weniger harmonische Gruppendynamik verändert.
Insofern bezeichne ich den Roman gern als historischen Psycho-Thriller, auch wenn es keinen Serienmörder im engen Sinn oder allzu blutige Szenen gibt. Vielmehr handelt der Roman von Verlustängsten und wohin sie jemanden treiben können, der sich seiner selbst nicht sicher ist und Bestätigung in der seelischen und physischen Abhängigkeit Anderer sucht. Oder wozu man fähig ist, wenn man jemanden nicht loslassen kann.
In der ausgewählten Leseprobe kehrt Galen zum zweiten Mal zu seinem früheren Adoptivvater Raphael Blake zurück, nachdem er einige persönliche Sachen geholt hat, um für einen längeren Zeitraum bei ihm zu wohnen und eine Schuld abzuarbeiten. Beide wissen nicht eindeutig um die Identität ihres Gegenübers, da sie durch unglückliche Umstände recht früh wieder voneinander getrennt wurden und Galen als Sechsjähriger in den Gassen Londons verschwand. Erst nach und nach lernen sie sich besser kennen. Wenn das der eifersüchtige Irving wüsste...
Als er Dorset mit dem Spätzug erreichte, war der Bahnhof verlassen
und finster, kein Ort, an dem sich ein Gestrandeter lange aufzuhalten
wünschte. Wie anders präsentierte sich der Londoner Bahnhof, wo in
jeder Station reges Treiben herrschte und Imbissbuden um den
heißesten Snack wetteiferten. Schmerzlich berührt von diesem
Gedanken umklammerte er seine aus Lederresten selbstgenähte
Reisetasche, deren Trageriemen abgefetzt war, als er mit einem
Gepäckständer in der Victoria Station kollidiert und am Bügel des
Gestells hängengeblieben war. Während der Fahrt hatte er noch
einmal Zeit zum Nachdenken gehabt und war zu dem Schluss gelangt,
dass er keine andere Wahl hatte.
Allein Orests wegen musste er zurück. Mr. Blake erwartete ihn zwar
ebenfalls, zählte jedoch nicht unbedingt auf ihn. Sein Ausdruck
hätte gleichgültiger nicht sein können, sowie Galen sich mit dem
Vorwand davonstahl, einige persönliche Gegenstände zu holen.
Wäre das Gespräch mit Orest nicht gewesen, so wäre er vielleicht
tatsächlich fortgegangen, Ziel unbekannt. So war er gestrickt.
Schwierigkeiten waren dazu da, umschifft zu werden.
Damals, als Irving zu dicht an ihn getreten war und ihn durch die
Blume wissen ließ, dass er nicht mehr ohne ihn sein wollte, hatte er
genauso mimosenhaft reagiert statt Klartext zu reden. Der
unmittelbare Kontakt zu anderen erschreckte ihn. Was er Orest erklärt
hatte, traf es auf den Punkt: Beide waren dermaßen verwundbar und
durch ihren Werdegang geprägt, dass sie zwischenmenschliche
Beziehungen blockierten, nicht zuließen, dass Fremde sich mit ihnen
befassten. Ab jetzt gedachte er nicht mehr davonzulaufen. Das wollte
er auch Orest vermitteln. Es war nicht gut, arrogant zu sein,
anzunehmen, man sei imstande, sich alleine durchzuboxen. Schließlich
hatte das niemand von ihm erwartet. Das falsche Bestreben stellte er
an sich selbst, hatte es sich regelrecht eingetrichtert, so dass es
ihm schwerfiel, anders zu handeln und sich auf Freunde zu verlassen.
Das taten Schwächlinge. Dieser Aufgabe hatte er sich allein zu
stellen. Falls er sie erfolgreich löste, würde die Einsamkeit nicht
mehr an ihm nagen.
Bis zu Blakes Haus war es noch ein Stück Weg, das er gemächlich
abspazierte. Dessenungeachtet hoffte er, bis zum Einbruch der
Dunkelheit angekommen zu sein. Sie jagte ihm immer noch Angst ein.
Weshalb hatte Blake nicht direkt im Ort seinen Hof? Wie dumm,
sinnierte er, dass es für nichts im Leben Patentrezepte gab.
An Blakes Haustür klebten immer noch Blutreste in den Einkerbungen
der Kassetten. Morgen schrubbe ich sie gründlich, nahm er
sich vor. Nichts soll mehr an meinen unkontrollierten Wahnsinn
erinnern. Ich bin hier jetzt fürs Erste zu Hause.
Licht brannte, also war der Alte noch auf.
Vor Anstrengung, die Tasche vom Bahnsteig bis hierher in den Armen zu
transportieren, keuchte er. Doch er log sich selbst etwas vor.
Weniger die Last des Gepäcks brachte ihn aus der körperlichen
Gleichmütigkeit, vielmehr das bevorstehende Zusammentreffen mit
Blake. Ein Rückzug wäre ihm nun jedoch feige erschienen, da er
bereits angekommen war. Ferner hatte er es Orest versprochen.
Das dämmrige Licht als gutes Omen deutend setzte er sein Gepäck auf
die Stufe neben sich und klopfte an. Minuten vergingen, in denen er
mehrmals versucht war, davonzurennen, bevor Mr. Blake den Riegel
entsicherte. Seine geweiteten, blutunterlaufenen Augen glänzten und
sahen im Radius der Außenlaterne, die unheimliche Schatten warf,
fast schwarz aus. Das Schattenspiel der Lichtquelle akzentuierte die
ausgebildeten Konturen der Sehnen auf seinen schlanken, aber
muskulösen Armen, auf die Galen zuerst schaute. Irrationale Furcht
kroch in ihm hoch und drohte ihn zu überwältigen, während er
langsam hochblickte. Mr. Blake überragte ihn schon auf gleicher
Ebene um einen halben Kopf; jetzt stand er zudem einige Stufen höher
als er und verschaffte sich somit eine überlegene Postion.
Unnatürlich vergrößerte Pupillen und der geradezu nachlässige
Auftritt mit dem aus der Hose lugendem Unterhemd ließen in Galen die
Befürchtung reifen, er habe getrunken. Manchen gelang es, Unmengen
in sich hineinzuschütten ohne auch nur einen Millimeter zu
schwanken.
Er schien nicht erfreut über ein Wiedersehen, und er hätte wetten
mögen, dass er kurz davor war, ihn zu ohrfeigen und es ihm im Grunde
egal war, an wem er seine latente Aggression auslebte. Noch
eigenartiger allerdings dünkte ihm seine wahrnehmbare Unruhe. Bisher
war er der festen Überzeugung, dass Blake nichts aus der Fassung
brachte. Wessen er nun ansichtig wurde, belehrte ihn eines Besseren.
Das dunkle, etwas zu lange Haar war zerzaust, als habe er es sich
gerauft. Seine sonst eleganten Bewegungen wirkten fahrig und riefen
in Galen Nervosität hervor, als er ihn mit einer flüchtigen Geste
seiner Hand in den schmalen Korridor hereinbat. Es war ein Fehler
gewesen. Er hätte nicht mehr kommen sollen.
Pochenden Herzens nahm Galen den Rucksack auf, unfähig, einen
Schritt nach vorne zu tun oder den Blick zu heben. Seiner Einladung
spottend verharrte Mr. Blake im Türrahmen wie ein Fels in der
Brandung. „Ich bin wieder da.“
„Guten Abend.“ Immerhin seine Stimme war noch die alte, sonor und
souverän, wenn auch leicht bebend. „Um ehrlich zu sein, habe ich
nicht mehr mit Ihnen gerechnet. Meine Bedingungen waren vielleicht
ein bisschen zu hart. Dachte, ich seh’ Sie nie mehr wieder. Ich bin
mir nicht sicher, ob ich es bedauert hätte.“
Der Unterton verriet Selbstmitleid. Gewohnt, auf Stimmen und Timbres
zu achten, hörte Galen es heraus und zierte sich. Der Alte sollte
nicht der Illusion erliegen, dass er sich nach seiner Gegenwart
verzehrt hatte, was im Übrigen auch nicht den Tatsachen entsprach.
„Wenn Sie möchten, verschwinde ich. Ich nehme mir ein Zimmer in
einem Hotel und reise morgen früh ab.“
Er erwiderte angespannt den steten Blick und bemerkte Blakes
uneingeschränkte Aufmerksamkeit, die sich dahingehend äußerte,
dass er ihn taxierte wie ein Gegner, der die Schwachstellen des
anderen erkundete.
„Bis zur nächsten Herberge ist es weit zu Fuß, besonders mit
schwerem Gepäck. In Ihrer Tasche scheinen sich Wäsche und
Habseligkeiten für Monate zu stapeln. Oder befindet sich darin ein
Sortiment Wetzsteine, um Ihr Messer scharf zu halten?“
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