Inhalt und Leseprobe:
Die Ehe des erfolgreichen
Unfallchirurgen Branko Schuster steht auf der Kippe; er und seine
Frau Annika leben getrennt voneinander, da er jahrelang ein
Verhältnis mit der wesentlich jüngeren Krankenschwester Carolin
Cremer hatte.
Auf
der Beerdigung seiner dreiundachtzigjährigen Mutter sieht er einen
Mann bei Annika und der gemeinsamen Tochter Jana stehen, von dem er
annimmt, es sei Annikas neuer Lebensgefährte. Doch der Fremde folgt
ihm, stellt sich als Seraphin Engel vor und scheint ein wenig
wunderlich zu sein. Er redet von einer Aufgabe, die mit Branko zu tun
hat und lässt sich durch nichts vertreiben. Branko nimmt ihn
vorläufig bei sich auf, weiht jedoch am nächsten Morgen seinen
Vorgesetzten Dr. Wolf-Horvath ein, der die psychiatrische Abteilung
leitet. Allerdings gibt es keinen Insassen dieses Namens, auch in der
näheren Umgebung nicht. Branko nimmt den Fremden wieder mit nach
Hause, der sich erstaunlich anhänglich und hilfsbereit zeigt. Er
hilft Branko, seinen schwierigen Klinikalltag zu meistern und hat
außergewöhnliche Fähigkeiten.
Bald
erregt Brankos ständiger Begleiter allgemeine Aufmerksamkeit und
stellt nicht nur dessen Leben völlig auf den Kopf…
Auf
der Heimfahrt beruhigte sich Branko; sein Aussetzer war ihm nun
peinlich, und er war Seraphin dankbar, dass er so gelassen darauf
reagiert hatte. Der saß verzückt neben ihm und beobachtete jeden
Handgriff Brankos. Seine Begeisterung fürs Autofahren und das
gleichzeitige Versäumnis, es je gelernt zu haben, bewogen Branko
dazu, ihn zu einer Probefahrt aufzufordern.
„Was?“
Seraphin fiel aus allen Wolken, als Branko den Wagen rechts an den
Straßenrand fuhr und anhielt. „Ich darf ans Steuer?“
„Natürlich!
Ich bring’s dir bei, das hab’ ich doch versprochen. In der Stadt
fahr’ ich wieder, aber hier herrscht ja so gut wie kein Verkehr.
Vielleicht bist du mit Autos auch so ein Naturtalent wie mit Kindern.
Wenn du einen Fehler machst, ist das auch nicht tragisch, ich sitz’
ja gleich nebendran und kann eingreifen.“
Sie
wechselten die Sitze, und Branko stellte sich auf eine gemächliche
Tour mit vielen Getriebevergewaltigungen und Motorabsaufungen ein.
Der BMW war sowieso schon alt, er würde sich demnächst einen neuen
kaufen. Er war es Seraphin schuldig, ihm seine Freundschaft zu
beweisen. „Mit dem linken Pedal gibst Gas, das aber nur ganz
vorsichtig antippen für den Anfang. In der Mitte liegt die Bremse,
rechts kuppelst... wenn du einen anderen Gang einlegst, verstehst du?
Also wenn du langsamer oder schneller fährst. Und wenn du den
Zündschlüssel umdrehst, dann ganz vorsichtig mit Gefühl die
Kupplung...“
Verdutzt
unterbrach er sich. Seraphin wendete den Wagen, fuhr einmal im Kreis
und spritzte dann mit hundert Sachen über die Landstraße. Trotz des
Tempos fuhr er sicher und völlig unbefangen. „Wahnsinn“, schrie
er und johlte vor Freude. „Das ist der Wahnsinn! Nicht so schnell
wie früher, aber immerhin.“
„Du
bist schon mal Auto gefahren“, argwöhnte Branko, der sich nicht
sicher war, ob er in die Euphorie miteinstimmen sollte oder es mit
Anfängerglück zu tun hatte.
„Nein!“
beteuerte Seraphin lachend. „Wirklich nicht! Aber es ist eine
Mordgaudi! Lass uns das öfter machen!“
Schließlich
entspannte sich Branko, der Bursche war tatsächlich ein Genie. So,
wie er den Wagen steuerte, würde er sich sogar im Getümmel der
Stadt durchbeißen, da hatte er überhaupt keine Zweifel. Es hatte
fast den Anschein, als hauche Seraphins Fahrstil dem BMW neue
Lebensgeister ein. So geschmeidig war er nicht mal als Neuwagen
gelaufen, und Branko kannte sich aus mit Autos.
Dasselbe
Vertrauen, als Seraphin die Beruhigungsspritze für den kleinen Buben
erbeten hatte, erfüllte ihn. Grenzenloses Vertrauen, in das er sich
werfen konnte ohne den rivalisierenden Geltungsdrang, es besser zu
können.
Ein
Schwertransporter, der Baumstämme geladen hatte, veranlasste
Seraphin zu einer gedrosselten Geschwindigkeit. Branko ermahnte ihn
eindrücklich, nicht zu überholen. Die Sicht nach vorne war schlecht
und der Lieferwagen extrem lang.
„Ooch“,
maulte Seraphin und trommelte mit den schlanken Fingern ungeduldig
auf das Lenkrad. „Der versaut mir den ganzen Spaß.“ Mehrmals
fingierte er ein Überholmanöver, drehte dann aber auf Brankos
barschen Befehl wieder in die Mitte der einspurigen Straße.
„Warte
bitte“, sagte er. „Vielleicht biegt er ja bei der nächsten
Kreuzung ab.“
Plötzlich
geschah etwas so unerwartetes, dass sich Branko später kaum daran
erinnern konnte. Die Ladefläche des Lkw klappte auf, ein
ungesicherter Baumstamm geriet über den anderen ins Rollen und
bewegte sich zielstrebig auf sie zu. All das geschah so fix, dass das
Auge nicht fähig war, das Gesehene an das Gehirn weiterzuleiten.
Trotzdem empfand Branko besagten Sekundenbruchteil wie in Zeitlupe,
er starrte entsetzt auf den widerspenstigen Baum, der sich ihrer
Windschutzscheibe unaufhaltsam näherte und bildete sich ein, die
Altersringe zählen zu können. Gleich würde es krachen und sie
beide vor dem lieben Herrgott stehen.
Geistesgegenwärtig
schlug Seraphin das Lenkrad ein und bretterte mit hoher
Geschwindigkeit über die relativ steile Böschung. Vor Brankos Augen
wirbelten Sterne, sein Magen verkrampfte sich und gab den
Schweinsbraten wieder her, als das, was eigentlich der Schwerkraft
gehorchend unten sein musste und affenartig schnell nach oben
schwenkte. Der Wagen überschlug sich über einem Felsbrocken, dopste
ein paar Mal über die unebene Erde und blieb dann stehen. Erst da
gestattete Branko seinen Sinnen, zu entschwinden.
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