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Sonntag, 19. November 2017

Neue Lieblingsserie: Poldark (2015 - ?)

Lange habe ich mich trotz der interessanten Zeitperiode und der offenbar riesigen Fangemeinde gesträubt, die Neuauflage von "Poldark" nach den Romanen von Winston Graham aus den 1940er Jahren zu gucken. Ich fand, dass die Geschichte eher banal klang (Landadliger kehrt vom Krieg in Übersee heim und bringt sein verwahrlostes Gut auf Vordermann), und zudem war mir der Schauspieler Aidan Turner (die Hauptfigur Ross Poldark) als Zwerg Killi im Hobbit in eher durchschnittlicher Erinnerung. Das glutvolle Latino-Aussehen, naja, davon sollen andere schwärmen; ich steh' ja generell eher auf den nordischen Typ. Und auch nicht so wirklich auf Romanzen.




Vor kurzem gab es bei Amazon ein Triple-Angebot über die ersten Staffeln neuer Serien. Wir wählten Taboo, Königin Victoria und Poldark. Das erste war ein ziemlicher Reinfall, und ganz ehrlich, auf die Queen habe ich seit Poldark keine Lust mehr.

Ich warte jetzt sehnsüchtig auf Staffel 3 als DVD / Bluray-Box mit englischer und deutscher Tonspur, würde am liebsten die ersten beiden Staffel gleich nochmal gucken und überrasche damit mich selbst. Warum finde ich die Serie eigentlich so klasse, denn ganz ehrlich: viel Spannung und Unvorhergesehenes geschieht in Poldark nicht. Ganz im Stil des 18. Jahrhunderts wird geliebt und gelitten, geheiratet (freiwillig und unfreiwillig), intrigiert, geboren und gestorben, und man kann ziemlich sicher sein, dass keine fantastischen oder übersinnlichen Phänomene diese Routine und die Idylle von Cornwall auf Dauer trüben. Was mich aber doch sehr beeindruckt hat, waren neben den atmosphärischen Bildern und der Ausstattung vor allem die sorgfältig ausgearbeiteten und authentisch handelnden Charaktere. Und - ich gebe es zu - die wechselhafte Geschichte von Ross und Demelza.

Mit der bodenständigen Bergmannstochter kam endlich mal eine fiktive Frauenfigur, die ich mag. Sie sieht apart aus und hat eine natürliche Ausstrahlung, und sie liebt ihren ihr gegenüber manchmal unverständig reagierenden Ross, lässt sich aber nichts gefallen, ist kein Zuckerpüppchen und hat ihren eigenen Kopf. Zugleich ist sie verletzlich und braucht ihren Mann, den sie als ihren Seelenverwandten betrachtet und umgekehrt. Eitel Sonnenscheint herrscht bei den Poldarks darum keineswegs, doch ich freue mich immer auf Szenen, in denen sich die beiden necken und respektvoll miteinander umgehen, ohne den jeweils anderen auf ein Podest zu heben. Lebensnah, halt. So, wie eine Ehe sein sollte. Diesbezüglich macht Ross am Ende der zweiten Staffel Demelza eine bewegende Liebeserklärung.

Auch die weiteren Figuren sind mir ans Herz gewachsen. Besonders der gutherzige und erstaunlich progressive Landarzt Dwight Enys (Luke Norris) hat mich im Sturm erobert. Ich hoffe ja, dass ihm als frischgebackener Marineoffizier in der nächsten Staffel nichts allzu Schlimmes passiert; der Tod von Ross' Cousin Francis war schon ein richtiger Schock, dabei gehören er und seine Frau (und Ross' erste Liebe) Elisabeth eher zu den etwas statischeren Charakteren, mit denen ich nicht allzu viel anfangen konnte. Und doch, mit einem Trost an Demelzas Zweifel kurz vor dem tragischen Unfall im Bergwerk hat er es geschafft, mich zu Tränen zu rühren. Vielleicht ist das das Geheimnis, was für mich den Reiz der Serie ausmacht. Jede Figur hat ihre Fehler, aber auch Stärken, und vor allem: sie haben das Herz am rechten Fleck. Alle, bis auf den fiesen George Warleggan (Jack Farthing). Aber selbst er handelt nachvollziehbar in seinem Neid auf Ross und hat nicht nur dunkle Seiten, ist er doch ebenso wie sein Erzrivale für Elisabeth entflammt.

Viele Szenen und Dialoge überwältigen in ihrer Schönheit und Weisheit, ohne in Kitsch abzudriften, denn man spürt, dass die Charaktere tatsächlich meinen, was sie sagen oder tun. In anderen Serien wäre das wohl ein biederes und wenig zugkräftiges Konzept, doch bei Poldark funktioniert es. Ich freue mich jedenfalls sehr, nach Turn: Washington's Spies wieder eine Serie gefunden zu haben, bei der ich richtig mitfiebern kann. Von der tollen Landschaft Cornwalls will ich gar nicht erst reden; für viele Zuschauer ist sie der heimliche Star der Show.

Poldark ist nicht nur Unterhaltung auf hohem Niveau vor eindrucksvoller Kulisse, sondern irgendwie genauso erdverbunden wie die meisten ihrer Darsteller. Und das tut schon mal ganz gut bei dem ganzen Effekt-Overload mit Welten-Retten-Gedöns und dem Schenkelklopf-Sarkasmus der neuen Serien und Filme auf dem Markt. Liebenswert altmodisch eben.

Bildquelle: BBC One





Sonntag, 5. November 2017

Thor - Tag der Entscheidung " Thor - Ragnarok"

Am vergangenen Donnerstag war ich mal wieder im Kino. Eher mit wenig Erwartung, dass der Film gut ist: es war eine Marvel-Produktion, und von denen bin ich - von zwei oder drei Ausnahmen - nicht allzu begeistert. Zu viel Spektakel, Krach und zähflüssige Längen, die mich unruhig im Sitz hin und her rutschen lassen, weil ein dringendes Bedürfnis sich meldet.




Trotzdem habe ich "Thor - Tag der Entscheidung" eine Chance gegeben. Die beiden ersten Teile um den nordischen Donnergott habe ich ebenfalls gesehen, und der Vollständigkeit halber musste der dritte auch noch sein. Außerdem: Tom Hiddleston. Ich mag ihn einfach zu sehr, um die Gelegenheit verstreichen zu lassen, ihn auf der großen Leinwand anzuschmachten... (O; Und es war nicht nur Mr. Hiddleston, der den Film für mich zu einer positiven Überraschung hat werden lassen.

Über die Handlung kann und will ich nicht viel erzählen. Denn die war praktisch kaum vorhanden. Worum es ging, wurde eigentlich erst in den letzten zehn Minuten des Films klar, und das war auch gut so. Jedenfalls hat mir schon die Eröffnungsszene mit Thor in der Unterwelt ein herzhaftes Lachen entlockt, auch wenn sie ein bisschen sehr gruselig war. Aber die Selbstironie, die Thor-Chris Hemsworth konsequent durchzieht, war für mich ein echtes Highlight. Hätte ich ihm so gar nicht zugetraut. Sein etwas unbeholfener Besuch beim elegant die Treppe hinabschwebenden Uberzauberer Dr. Strange gehört ebenso dazu wie die weinerliche Trauer um den Hammer Mjölnir, der ihm abhanden kommt, genauer gesagt von seiner älteren Halbschwester Hela (Cate Blanchett)  in einem Duell zu Brei zerquetscht wird.

Überhaupt, die gute Hela. Als Göttin des Todes ist ihr schwer beizukommen, da sie ja praktisch unverwüstlich ist. Doch bevor es zum fulminanten Showdown kommt, wird der Zuschauer mit unzähligen Witzen und Gags bei Stange gehalten, die sich teilweise nur dem eingefleischten Marvel-Fan erschließen (und ich denke mit Schaudern an das unheimliche Nerd-Lachen des Typen hinter mir).

 Aber auch ich hatte meinen Spaß. Etwa wenn Loki Thor zeigt, wohin er Allvater Odin alias Anthony Hopkins verbannt hat, oder als Thor auf einem Müllplaneten landet, der von dem abgefahrenen "Grandmaster" Jeff Goldblum regiert wird. Weniger toll fand ich den Auftritt von "Hulk" Mark Ruffalo. Irgendwie wirkte er fehl am Platz, obwohl er nach dem albernen Gladiatoren-Kampf ein ganz passables Teammitglied  abgegeben hat, das auch ein paar coole Sprüche zum besten geben durfte ("Ich hab' mir Asgard prächtiger vorgestellt.") und ein Duran Duran-T-Shirt trug. Die große Überraschung war für mich der Gott des Unheils, der hinterlistige Loki, der in diesem Film nicht gar so hinterlistig agiert wie gewohnt und damit ein paar Zuschauer herbe enttäuscht hat. Ich persönlich fand es ganz gut, dass man ihm - nachdem Thor ihm ins (tatsächlich vorhandene!) Gewissen geredet hat, eine "change of heart" gegönnt hat, die ihn hat erkennen lassen, dass Familie (vorläufig) wichtiger ist als List und Tücke. Wer weiß, wie lange der Edelmut anhält bei Lokis Wankelmut. Oder ob er nicht doch nur vorgetäuscht war.

Milder Spoiler: Zumindest besinnt er sich am Ende eines guten besseren und steht Thor zur Seite. Der Deal mit Dr. Strange geht so oder so nicht auf: da Asgard vernichtet wird, muss Loki nun gemeinsam mit dem neuen Allvater Thor auf Midgard Asyl beantragen, das ihm sicher gewährt wird. Dumm gelaufen!

Fazit: Schrilles Popcornkino, das erstaunlicherweise meine Art von Humor getroffen und mir einen unterhaltsamen Abend beschert hat. Ein bisschen zu viel Chris Hemsworth vielleicht, der aber eine überzeugende und witzige One-Man-Show abliefert und von seinen Mitspielern von Mensch über versoffene Walküre bis zu den Göttern kongenial unterstützt wird. Nach dem für mich eher abtörnenden, weil lärmigen Trailer doch ein gelungener dritter Teil der Thor-Saga.

Bewertung: 
und ein halber



Freitag, 27. Oktober 2017

Gut wa(h)r schön - Pariser Salonkunst in München

Ja, ich weiß... dieses Jahr habe ich die Bayernmetropole schon einmal unsicher gemacht. Und trotzdem musste ich gestern für einen Tag dort wieder mein Unwesen treiben. Der Grund war eine Ausstellung in der Kunsthalle, die mich brennend interessiert hat. Um ehrlich zu sein, war ein bestimmtes Exponat das Objekt meiner Begierde: der erschlagene Abel von Emile Feugère de Fort aus dem Jahr 1865. Etwas Schöneres habe ich in Marmor noch nie gesehen. Allerdings bisher nur auf Fotos. Und da er normalerweise im Musée d'Orsay in Paris steht (liegt), und ich schneller in München bin, entschlossen wir uns zu einem Kurztrip dorthin.


Ganz in Weiß...


Ein bisschen verrückt klingt es wohl schon: um 5.30 Uhr wurde der Wecker gestellt, und dann in der Kälte und bei Dunkelheit ohne Frühstück und Kaffee (!) das Haus verlassen, um den Zug zu erwischen. Flugs umsteigen in Mannheim in den EC Saarbrücken-Graz, und erst mal einen brühend heißen Styroporbecher-Kaffee schlürfen. Nachdem ich wirklich k.o. war ohne Kaffee, hat mir der sogar fast gemundet...

Nach ein paar Stunden Fahrt (mit Verspätung, natürlich) kamen wir in München an. Mittlerweile war ich ein bisschen wacher und auch ziemlich aufgeregt. Merkwürdig, aber ich habe mich wirklich gefühlt, als würde das Treffen mit einer berühmten Persönlichkeit anstehen. Apropos: da man in München selbigen alle naslang über den Weg läuft, ist mir tatsächlich der dunkelhaarige Antiquitätenhändler aus der Sendung "Bares für Rares" aufgefallen, der mit Handy am Ohr und auf seinen Gesprächspartner einredend an mir vorbeigehastet ist. Leider fällt mir jetzt sein Name nicht ein. Hoffentlich wollte er nicht einen Spottpreis für den guten Abel aushandeln... (O; Der hat übrigens den ganzen Raum überstrahlt, in dem er ausgestellt war. Ich muss gestehen, dass ich ein bisschen überwältigt war, ihn so nahe zu sehen. Obwohl ich ihn ja nicht selbst erschaffen habe, konnte ich auf einmal die Geschichte von Pygmalion und Galatea irgendwie nachempfinden. Etwas Feineres und Lebensechteres sucht in der Bildhauerei bestimmt seinesgleichen. Dabei ist der abgebildete Abel ja tot - the irony!


Perfektion vom Scheitel bis zum Zeh

Mit seinen immerhin stolzen 169 cm dominiert er den gesamten Raum und wurde von den erstaunlich vielen Besuchern doch ein wenig links liegengelassen. Auch den Museumsführern war er nur einen kleinen Nebensatz wert. Da traf es sich gut, dass wir beide mit Kameras bewaffnet über seinen Schönheitsschlaf gewacht haben. Die weiteren Räume wurden ebenfalls besichtigt, aber es trieb uns immer wieder magisch zur Skulptur, die wir am liebsten verpackt und mit nach Hause genommen hätten. Schade eigentlich, dass der Bildhauer mittlerweile wohl in Vergessenheit geraten ist. Allerdings hat er uns mit seinem Werk posthum superhappy gemacht!


Wie gern würd' ich ihn wachküssen... leider etwas unscharf.

Einmal München und zurück an einem Tag war ein bisschen anstrengend, hat sich aber alles in allem wirklich gelohnt. Zudem hatten wir richtig schönes Spätsommerwetter, so dass ich mir fast einen kleinen Sonnenbrand auf der Nase geholt habe, während wir auf unseren Chauffeur für den Rückweg gewartet haben.

Fazit: Die Ausstellung "Gut Wahr Schön" ist für den modernen Kunstkenner vielleicht ein wenig kitschig, und wenn ich ehrlich bin, fand ich die übrigen Exponate nicht so recht ansprechend, auch wenn ich nie verstanden habe, warum realistische Kunst und Historismus allgemein etwas verpönt sind / waren. Dennoch kann ich sie jedem empfehlen. Vielleicht lässt sich ja noch jemand von Abels Charme verzaubern, denn in echt ist er noch viel eindrucksvoller als auf den Fotos. Und wenn ich euch verrate, wie viele ich davon gemacht habe, erklärt ihr mich für komplett verrückt...


*Fair*well and adieu...


Sonntag, 22. Oktober 2017

Christines einzigartige Häkelpüppchen

Ein bisschen Werbung in eigener Sache mit einem Video, das für sich selbst spricht.




 Ich bin für jeden Vorschlag bezüglich eures Wunschpüppchens offen.


Samstag, 14. Oktober 2017

Meine Halloween-Favoriten

Bald ist Halloween, die Zeit des Gruselns. Manche gruseln sich ja schon, wenn das Wetter schlechter wird und die Dunkelheit früh anbricht - so wie ich. Bin ein absoluter Sommermensch und hätte nichts dagegen, sogar Weihnachten unter Palmen am Strand zu feiern. Schnee würde ich nicht wirklich vermissen. Das behaupte ich zumindest mal.

Aber ich gebe zu: der Herbst hat auch seine schönen Zeiten. Kuscheln auf dem Sofa, Tee trinken und ein gutes Buch lesen oder spannende Filme glotzen, das mache ich eher in der kalten Jahreszeit. Daher habe ich mal ein kleines Video zusammengebastelt, das meine literarischen und cineastisch-medialen Schmankerln vereint. Vielleicht findet ihr die eine oder andere Anregung für einen gelungenen Grusel-Herbst.





Wenn ihr eure eigenen Gruselschocker habt und mir ein Buch oder Film des Genres empfehlen möchtet, ruhig her damit im Kommentarbereich. Aber bitte kein Splatter/Gore und diverse "nervige Teenager verirren sich in altem Haus das ihnen Böses will"-Filme. (O;


Dienstag, 3. Oktober 2017

Die BBC-Serie "The Living and the Dead" ~ Grusel für Fortgeschrittene

An und für sich bin ich für Serien und Filme, in denen ich die Schauspieler nicht kenne oder nicht mag, nicht so sehr zu haben. Aber ich liebe Geschichten aus dem Viktorianischen, und wenn es dabei noch um Grusel und unheimliche Phänomene geht, ist mein Interesse unweigerlich geweckt. So auch bei "The Living and the Dead" mit Colin *Merlin* Morgan als Nathan Appleby und Charlotte Spencer als seine Frau Charlotte. Leider gibt es nur eine Staffel mit sechs Folgen, aber die hat es in sich!




Inhalt: Somerset, England, 1894: Der Psychologe und Farm-Neuling Nathan Appleby kehrt nach dem Tod seiner Mutter in das elterliche Anwesen Shepzoy zurück, um die dortige Landwirtschaft wieder aufleben zu lassen. Angestellte fürchten um ihren Job, doch er behält die Belegschaft komplett und sorgt mit seiner ehrgeizigen Frau dafür, dass sogar eine Eisenbahnstrecke nahe Shepzoy erschlossen wird. Es gibt Arbeit für alle, und die neuen Besitzer geben sich Mühe, zu lernen. Besonders Charlotte blüht als Gutsherrin auf. Doch mit der Familie Appleby zieht das Böse in die kleine Gemeinde. Das behaupten zumindest die Bewohner, und ganz von der Hand zu weisen ist ihre Befürchtung nicht. Unheimliche Dinge geschehen mit der Tochter des Reverends, die plötzlich von Geistern besessen zu sein scheint und in Absencen mit der Stimme von Nathans Sohn aus erster Ehe spricht. Der kleine Gabriel ertrank beim Spielen, als Nathan keine Zeit für ihn hatte. Seitdem plagen ihn Schuldgefühle und Vorwürfe.

Charlotte hofft, seiner Melancholie mit dem Ortswechsel ein Ende zu setzen, doch Nathan steigert sich immer mehr in die Vorstellung hinein, dass Gabriel ihm etwas sagen möchte und ihn sucht. Als er eine Zeichnung findet, die "einen Engel mit einem leuchtenden Buch" zeigt, ist er überzeugt, eine geheime Botschaft erhalten zu haben und begibt sich weiter auf Geistersuche. Tatsächlich erscheint ihm eine junge Frau mit einem Tablet aus dem Jahr 2016 (das Nathan 1894 natürlich nicht zu benennen wusste), die jedes Mal auf rätselhafte Weise verschwindet, sobald er mit ihr reden will. Nicht nur die jetzt schwangere und pragmatische Ehefrau leidet darunter; alte, morbide Geschichten kommen zutage, die sich in Shepzoy ereigneten und über die seinerzeit diskret das Mäntelchen des Schweigens gebreitet wurde. Die Ereignisse der Vergangenheit werden zur Gefahr für jeden der Bewohner, die nun um ihr Leben bangen oder gar zum Selbstmord getrieben werden. Das Dorf wendet sich gegen die Applebys, das Personal kündigt, und am Ende hat Nathan keinen größeren Wunsch, als wieder mit Gabriel vereint zu sein... aber ist das so einfach, wie es scheint?

Meinung: Beeindruckend atmosphärisches Setting, die passende schaurige Musik, schöne Bilder und wirklich tolle Darsteller in einer originellen und raffinierten Handlung haben mich zu einem Fan der kurzen, aber feinen und sorgfältig inszenierten Serie gemacht. Anfangs ist der Aufbau etwas gewöhnungsbedürftig, vor allem, wenn man bedenkt, wie rasant das Tempo einer Serie heute eigentlich ist, um die Zuschauer bei Laune zu halten. In Shepzoy drehen sich die Räder noch langsamer, und vielleicht ist das sogar beabsichtigt: das Personal steht Veränderungen und Fortschritt mit Misstrauen gegenüber; Charlotte, die fotografiert und Zugmaschinen einführt, daher unter Generalverdacht. Und irgendwann beginnt man zu verstehen, dass die Menschen damals in einer ähnlichen Situation des Umbruchs waren wie wir heute, in der die Technik den Ton angibt. Sozialkritisch ist "The Living and the Dead" also auch noch!





Besonders berührend fand ich die Episode mit dem Bergarbeiter-Buben Charlie, der von den roten Brüdern geholt wird, weil man ihn damals offenbar vergessen / er den Weg nicht gefunden hat. Teilweise konnte ich allerdings ein leichtes Unbehagen nicht abschütteln, etwa wenn Nathan mit einen Ouija-Brett hantiert oder die Pfarrerstochter Harriett hypnotisiert. Das war mir ein bisschen zu klischeehaft und letzteres außerdem zum Fremdschämen.

Die letzten beiden Folgen heben dann die Zeit vollständig auf. Erst war es merkwürdig, bis man die Zusammenhänge erkennt und einer dieser Aha!-Effekte einsetzt, die ich an Geschichten so sehr schätze. Wirklich eine super durchdachte Story, die man nicht nur zu Halloween anschauen kann.


Bewertung:


Mittwoch, 6. September 2017

There ain't no time for the Summertime Blues...

Ein bisschen ruhig ist es geworden auf meinem Blog seit den Sommerferien. Das Buch, an dem ich gerade lese ("Das Haus der leeren Zimmer" von Lesley Turney), langweilt mich, und außerdem war ich ein paar Tage weg und kaum online. Das soll keine Entschuldigung sein für meine Faulheit, aber es gab tatsächlich wenig, das der Rede bzw. des Bloggens wert gewesen wäre.

Hannigram No.1, jetzt in Oregon

Meine Häkelpüppchen werden immer beliebter. Derzeit sind "Hannigram", also Dr. Hannibal Lecter und sein Kompagnon Will Graham, aus der Serie Hannibal der Renner. Auf meinem Etsy-Shop biete ich Spezialanfertigungen an, und es läuft ganz gut. Vor allem amerikanische Kunden sind begeistert von der Idee, ihre Film- und Serienhelden als anschmiegsames, individuell gefertigtes Püppchen zu besitzen. Wenn man sie so sieht (und vor allem in der Hand hält), ist das schon nachvollziehbar. Ich bin froh, dass ich da etwas gefunden habe, womit ich mein Gehalt aufbessern kann und zugleich viel Spaß habe.

Wills Brille - die er in der Serie im Übrigen nur trägt, wenn er sich extrem unwohl fühlt - ist aus Draht gebogen, was fast das Heikelste an dem Ganzen war. Trotzdem ist sie gut gelungen und zudem abnehmbar. Und Hannibal musste natürlich mit Weste und Krawatte ausgestattet werden; auf ein gepflegtes und tadelloses Äußere legt er bekanntlich enormen Wert.


Hannigram No.2: Die beiden sind jetzt auf dem Weg nach Georgia

Irgendwie schön, wenn man Leuten eine Freude mit den eigenen Begabungen machen kann. Vielleicht ist das das Beglückendste an der Sache, auch wenn ich zugebe, dass mir der Verdienst aus den Püppchen nicht unwichtig ist.

Und wie gesagt, in der letzten Augustwoche war ich im Urlaub in meiner Wahlheimat München. Dort bin ich schon als Kind immer gern gewesen, weil die Stadt trotz ihrer Größe ein fast dörfliches Flair verströmt, das mir als Landei total entgegenkommt, und sie dennoch viel zu bieten hat. Diesmal waren wir in Obergiesing, in der momentan leerstehenden Wohnung meiner Cousine. Da gibt's noch richtige Urbayern, die im Laden und auf der Straße gern mal ein Schwätzchen halten. Hauptsächlich haben wir während unseres Aufenthaltes in Kultur gemacht, wobei gesagt werden muss, dass mir der botanische Garten in Nymphenburg eigentlich am besten gefallen hat - aber nur eigentlich.


Pst! Nicht aufwecken! Sonst will er spielen.

Denn der barbarinische Faun in der Glyptothek war schon krass beeindruckend und hat für ein paar dreckig-frivole Lacher gesorgt (so viel zum Thema Kulturbanausen). Nein, im Ernst, Skulpturen sind derzeit unser Thema, und in den verschiedenen Galerien und Museen kamen wir voll auf unsere Kosten. Erstaunlich, wie exakt und lebensnah die Bildhauer bereits vor über zweitausend Jahren gearbeitet haben. Auch in der Pinakothek gab es einiges in der Richtung zu sehen und zu bewundern. Sonntags bezahlt man dort nur € 1,00 / Person, und zwar sowohl in der Alten, der Neuen und der Moderne. Letztere haben wir allerdings nicht mehr geschafft; dafür gab es ein paar leckere Scones zur Stärkung im Victorian House. Ach ja, und Eggs Benedict hatte ich ein paar Tage zuvor auch probiert - zum ersten Mal. Musste ich ja, als Cumberbatch-Fan. (O; Berauschend oder ein unvergessenes Geschmackserlebnis stelle ich mir zwar anders vor, aber ich habe mich damit getröstet, dass es "typisch britisch" ist: ein bisserl fad und kalorienreich. Mein doch in der Hinsicht deutscher Gaumen hält sich da in Zukunft lieber an Toast Hawaii, Fangirl hin oder her.


Das frühstückt Mr. Cumberbatch. - Really?!

Jedenfalls hatten wir eine gute Zeit und jeden Tag Temperaturen von über dreißig Grad, was hin und wieder nachteilig war, da wir in der größten Hitze unterwegs waren und es bis nach acht Uhr abends nicht abgekühlt hat. Gut, dass es die Museen und Biergärten gab (in dem ich ganz zünftig einen Schweinsbraten verspachtelt habe). An die Isar sind wir nicht gekommen, obwohl wir direkt dran waren und ich auch einen Bikini im leichten Gepäck hatte. Am Flaucher soll es im Sommer ja herrlich sein. Aber wir hatten immer so viel zu entdecken, dass wir an einen ausgesprochenen Ruhetag überhaupt nicht gedacht haben.


Paradiesischer botanischer Garten

Ein Klischee über München finde ich übrigens immer wieder bestätigt, wenn ich da bin: Es ist tatsächlich eine Weltstadt mit Herz, und die (meisten) Menschen dort sind freundlich und rücksichtsvoll. Ich glaube, ich könnte mir gut vorstellen, dort zu wohnen. Nicht direkt in der Stadt, sondern näher an den Bergen, das wäre traumhaft. Oder in Bora Bora ... (O;


Samstag, 29. Juli 2017

Major John André (not) at your service

Der kleine Major John André aus den USA ist gerade auf einem Besuch in Deutschland, um sich von seiner Erfinderin, also mir, aufhübschen zu lassen. Wer wollte ihm einen Hauch männlicher Eitelkeit verübeln, nachdem er doch zu twitterweitem Ruhm gelangt ist und auch in historischen Parks und bei Kollegen im Mittelpunkt steht. Da muss die Frisur sitzen und das Köpfchen hocherhoben sein.


Auf du junger Wandersmann...


Am 17. Juli hat ihn seine Mama auf die Reise per Express geschickt, doch nach den berechneten fünf Geschäftstagen war er immer noch nicht bei mir. Ich dachte mir zuerst, dass er als Königstreuer wohl einen Abstecher nach Heidelberg zu William und Kate machen wollte (die auf dem Neckar ruderten) und war erst beunruhigt, als Holly mir mitteilte, dass er scheinbar in Frankfurt am Zoll feststeckt. Was tun? Erst mal habe ich die Sendeverfolgung ermittelt und festgestellt, dass er als "verdächtige" Ware bereits Frankfurt und Speyer passiert hatte und sein derzeitiger Aufenthaltsort unbekannt war. Panik! Das Püppchen ist meiner Freundin sehr wichtig, und selbst mir tat es in der Seele weh, daran zu denken, dass ihm als verdächtige Ware am Zoll evtl. der beknopfte Bauch aufgeschlitzt worden war.

Besuche und Anrufe von Post- und Zollamt, dazwischen Nachrichten an die besorgte Holly, hielten mich zwei Tage auf Trab. Und das, wo ich so ungern telefoniere! Gestern jedenfalls konnte ich ihn am Binnenzollamt Bruchsal abholen - ca. zwei Stunden Fahrt hin und zurück. Zum Glück ging dort alles glatt. Der Fehler lag im Formular (wie so oft). Holly, eher unbedarft mit Überseesendungen, hatte keine korrekten Angaben gemacht und ihn versehentlich als Handelsware mit einem Wert von 50 Dollar deklariert. Wir haben alles aufgeklärt (Kommentar der Zollbeamtin: "Ich muss das ja nicht verstehen."), und endlich durfte ich einen etwas miefigen, grauen, platten Major mit nach Hause nehmen. Unser Wiedersehen habe ich mir etwas anders vorgestellt.

Daheim habe ich ihn erst mal gründlich gewaschen und ihn somit vom Duft der großen weiten Welt befreit. Fast ein bisschen schade, hafteten doch so viele berühmte Handabdrücke an ihm. Ich habe mich allerdings gefragt, welches Parfüm der gute Seth Numrich benutzt...


Wie ein begossener Pudel schaut er aus nach dem Bad, der Arme!

In zeitnaher Absprache mit Holly wurde dann sein wackeliger Kopf wieder geradegerückt (ich gehe besser nicht ins Detail, wie das geschehen ist), und seine Frisur neu gestaltet, aber nicht zu sehr anders als der vorige Blondschopf. Alles in allem ging die Spa-Behandlung recht schnell, leise und unkompliziert über die Bühne, was wieder einmal beweist, dass der kleine John André ein echter Profi in Sachen geheimer Mission ist - zumindest nachdem wir ihn aus den Fängen des Feindes befreit hatten. (O;

Am Montag geht es zurück nach Virginia, wo am 12. August die Final-Party von Turn:Washington's Spies stattfindet. Da darf er natürlich nicht fehlen! Und ich hoffe, Holly freut sich genauso wie ich über ihren wieder blitzeblank geputzten und aufrechten Hauptmann...


"I'm the king of the world!"

Ein bisschen wird es mir schon schwerfallen, mich ein zweites Mal von ihm zu trennen. Obwohl er verglichen mit meinen weiteren Püppchen fast ein wenig simpel gestrickt - pardon! -gehäkelt ist, hat er doch einen gewissen Charme, dem man ziemlich bald erliegen kann. Vielleicht liegt es aber auch an seiner unbändigen Abenteuerlust und seinem selbstbewussten Heldenmut. Beides soll Männer ja bekanntlich attraktiv machen. Travel safe, Major André!



Samstag, 22. Juli 2017

Keine Nacht dir zu lang ~ Barbara Vine

Nachdem mich "Es scheint die Sonne noch so schön" so beindruckt hat, habe ich mir ein paar mehr Romane von Barbara Vine/Ruth Rendell gegönnt. Von "Keine Nacht dir zu lang", dem nächsten,  wurde ich nicht enttäuscht.




Inhalt: Suffolk, Anfang der 1990er Jahre: Der 25-jährige Tim Cornish - gutaussehend, aber wenig an Beziehungen zu Mädchen oder Herzensangelegenheiten überhaupt interessiert - belegt einen "Creative Writing"-Kurs. Sein schwuler Dozent bietet ihm eine Wohngemeinschaft mit seinem Untermieter Dr. Ivo Steadman an. Für Tim eine Offenbarung, denn er fühlt sich sofort von dem etwas älteren Mann angezogen. Gegen seine Gewohnheit lässt er alle Schüchternheit fahren und küsst ihn schon beim ersten Treffen auf den Mund. Seine Gefühle werden erwidert. Nach ernsthaften Zweifeln über die Existenz seiner sexuellen Begierden meint Tim, die wahre Liebe endlich gefunden zu haben. Die kühlt allerdings ab, als Ivo sich in den nächsten Wochen als etwas herablassend ihm gegenüber herausstellt und ihm während eines gemeinsamen Essens fast beiläufig seine Gefühle offenbart. Er liebe Tim und wolle nie mehr ohne ihn sein. Tim, an seine Freiheit gewöhnt, fühlt sich plötzlich gefangen.

Auf einer von Ivo beruflich bedingten Kreuzfahrt durch Alaska und einem Aufenthalt ohne ihn in Seattle kommt ihm der Gedanke, sich von Ivo zu trennen. Isabel, zunächst nur eine Reisebekanntschaft, verstärkt diesen Wunsch. Im Gegensatz zu Ivo engt sie ihn nicht ein, sie ist gebildet wie Ivo, ohne dabei lehrerhaft zu sein und ihn wie ein launisches Kind zu behandeln (das Tim strenggenommen allerdings auch ist). Seine Liebe zu Isabel und die Verzweiflung und Angst vor einem eifersüchtigen Ivo treiben ihn zu einem Schritt, über den er später tiefe Reue empfindet. Zuhause angekommen, beginnt er, sich die Geschehnisse von der Seele zu schreiben - und wird dabei immer wieder von Ivo verfolgt.

Meinung: Dieser Roman zählt erstaunlicherweise zu den weniger beliebten der Autorin, was für mich nicht wirklich nachvollziehbar ist. Der kluge Aufbau der Geschichte, ein angenehmer und hin und wieder humorvoller Stil, Spannung bis zuletzt, und die Aha-Erlebnisse im letzten Drittel sind die Zutaten, die mich über einem Buch die Zeit vergessen lassen. Auch mochte ich den an der Oberfläche kühlen Ivo sehr, obwohl er tatsächlich etwas arrogant und vielleicht fast so narzisstisch wirkt wie der Haupterzähler Tim Cornish. Der sieht aus wie ein junger Robert Redford (eine Umschreibung, die mich ein bisschen gestört hat), und hatte daher schon im Vorfeld schlechte Karten bei mir. Ein bisschen zäh war der Mittelteil, in dem sich Tim in seiner Liebe zu Isabel irgendwie zum Deppen macht und sich in Alkohol und Selbstmitleid suhlt.

Auf einen Punkt, der von vielen Kritikern angeprangert wird, möchte ich eingehen: ganz sicher hat die Autorin mit "Keine Nacht dir zu lang" kein Plädoyer für Heterobeziehungen schreiben wollen. Dafür ist die Geschichte zu komplex, zu vielschichtig und zu wenig analytisch bzw. beurteilend im Hinblick auf die Beziehungen Ivo/Tim und Tim/Isabel. Wie Tim selbst in seiner Beichte sagt, würde er der wahren Liebe kein geschlechtliches Label aufdrücken wollen. Die Überraschung darüber, warum er sich letztendlich in beide verliebt hat, ist Barbara Vine gut gelungen. Ich dachte in diesem Augenblick: das war's, Peng! Die Story ist erzählt. Und trotzdem gab es noch einige weitere Wendungen und unausgesprochene Geheimnisse, auf die ich nie gekommen wäre.


arvid97 / Pixabay


Psychologisches Geschick, seelische Abgründe und eine auf den ersten Blick gewöhnliche und doch so originelle Dreiecksbeziehung haben den Roman zu einem großen Lesevergnügen für mich gemacht.


Bewertung:  

  und ein halber




Donnerstag, 13. Juli 2017

Ein besonderer Junge ~ Philippe Grimbert

Weiter geht's mit meinem Lese-Sommer. So für zwischendurch und das durchwachsene Wetter habe ich ein kleines Büchlein gelesen, das mich in seiner Kürze sehr beeindruckt hat - obwohl ich mit dem poetischen, fast lyrischen Stil anfangs ein bisschen meine Probleme hatte. Im Nachhinein konnte "Ein besonderer Junge" jedoch nicht anders geschrieben sein, und wenn ich ehrlich bin, habe ich beim Schlusssatz ein paar Tränchen verdrückt.




Inhalt: 1970er Jahre: Der Student Louis ist ein Träumer und lebt in den Tag hinein. Ein abgebrochenes Psychologiestudium liegt hinter ihm, und mit der Juristerei kann er sich auch nicht so recht anfreunden. Seine Vorliebe für Bücher und seine bevorzugte Position, allein zu sein, machen es ihm schwer, Kontakt zu anderen zu knüpfen. Seine Eltern nennen ihn einen Sonderling oder, wenn sie es nett meinen, einen "besonderen Jungen." In den Semesterferien wird er auf eine Anzeige am schwarzen Brett der Universität aufmerksam, in dem ein Aufpasser für einen schwierigen Jugendlichen gesucht wird. Der genannte Ort ist es, der Louis schließlich dazu bringt, seine Scheu zu überwinden: in Horville verbrachte er regelmäßig die Sommerferien mit seinen Eltern, und er fand seinen einzigen Freund dort, den übermütigen und seelenverwandten Antoine, dem am letzten Urlaubstag sein Übermut zum Verhängnis wurde.

In Horville angekommen, lernt Louis die sarkastische, sexuell frustrierte  Helene und deren sechzehnjährigen Sohn Iannis kennen. Helene bezeichnet sich als Erotik-Autorin und möchte einen Roman schreiben, weswegen sie Ruhe braucht und nicht von Iannis abgelenkt werden möchte, der rund um die Uhr betreut werden muss: er spricht nicht, lebt in seiner eigenen Welt, verweigert den Toilettengang so lange wie möglich und neigt zu Selbstverletzung und Panikattacken. Für Louis stehen alle Anzeichen zunächst auf Flucht, doch Iannis verändert ihn ohne Worte und ohne große Gesten. Ganz allmählich entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden, die in ihrer Sparsamkeit und in den Gedankengängen des Ich-Erzählers Louis rätselhaft und rührend ist. Und als Louis sich nach acht Wochen verabschieden muss, zeigt ihm Iannis auf eigene Art seinen Schmerz darüber.


credits: reginaspics / pixabay


Meinung: Ein wenig klischeehaft klingt sie, die Geschichte zweier besonderer Jungen, die zueinander finden. Und ist es dabei absolut nicht. Es ist auch keine Rain Man-Variante, obwohl Iannis Autist ist. Louis ist fasziniert von seinem "Anders-Sein", von seinem schaukelnden Gang, seiner Schönheit, seiner ungefilterten Wildheit. Und er erkennt, dass Iannis Fähigkeiten hat, die ihn in den Augen der anderen unheimlich erscheinen lassen. So ergründet er z.B. Louis' Geheimnis um dessen Ferienbekanntschaft Antoine, und er spürt das Verlangen seiner Mutter, Louis zu verführen. All das äußert sich auf eine Weise, die mitunter bizarr anmutet und gerade darum erstaunlich originell und trotzdem glaubhaft für Iannis' Charakter wirkt.

 Durch den knappen und lyrischen Stil war es mir nicht wirklich möglich, "dabeizusein", aber eigentlich hat der Roman ein Eintauchen ins Geschehen nicht nötig. Gefühle kommen trotz des geringen Umfangs der Geschichte und den häufig etwas bemüht kunstvoll formulierten Sätzen nicht zu kurz. Wie gesagt, am Ende habe ich ein bisschen geweint, und das sagt viel über Louis und Iannis und ihr Verhältnis zueinander aus. Lesenswert!

Bewertung:


Samstag, 8. Juli 2017

Es scheint die Sonne noch so schön ~ Barbara Vine

Passend zur Hitzewelle (die ich genieße!) habe ich zu einem Buch gegriffen, das schon jetzt zu meinen Jahreshighlights zählt und ein richtiger Pageturner ist: obwohl ich eher langsam lese, hatte ich die spannende und einfallsreiche Geschichte innerhalb von drei Tagen verschlungen.




Inhalt: Im Jahr 1986 kehrt der 29-jährige Adam Verne-Smith aus dem Urlaub mit Frau und Tochter zurück und findet durch die Presse heraus, dass auf seinem ehemaligen Landsitz Wyvis Hall in Suffolk ein grausiger Fund gemacht wurde. Die neuen Besitzer hatten bei der Bestattung ihres Hundes einen Tierfriedhof entdeckt, in dem sich neben den verblichenen Hausgenossen vergangener Jahrzehnte auch das Skelett einer jungen Frau und eines Babys befanden. Die Ermittlungen der Polizei laufen auf Hochtouren, und Adam gerät in Panik: vor zehn Jahren lebte er zwei Monate mit seinem Freund Rufus, der verrückten Zosie, der mütterlichen Vivien und Shiva, dem sanftmütigen Inder, in einer Art Hippie-Kommune auf Wyvis Hall, das er von seinem Großonkel überraschend geerbt hatte. Seit dieser Zeit hatten sich die fünf nie wieder gesehen und geschworen, so zu tun, als seien sie Fremde, sollten sie sich zufällig über den Weg laufen. Der Fund jedoch ändert die Situation. Adam nimmt Kontakt zu Rufus auf, der inzwischen ein erfolgreicher, aber dem Alkohol übermäßig zusprechender Gynäkologe ist, um ihn um Rat zu fragen, was zu tun sei - genauso wie in jenem ungewöhnlich heißen Sommer des Jahres 1976, der das Leben der jungen Leute nachhaltig geprägt hat - und zwar nicht zum Guten.

Meinung: Erzählt wird die Geschichte abwechselnd auf zwei Zeitebenen und aus der Perspektive von Adam Verne-Smith, Shiva dem Inder und dem abgeklärten Rufus Fletcher. Das war gelegentlich etwas verwirrend, und mehrere Male musste ich einen Absatz zweimal anfangen, um zu verstehen, ob ich nun in den 1970ern oder 1980ern war. Doch das ist mein einziger Kritikpunkt, wenn es denn überhaupt einer ist. Selten habe ich in jüngster Zeit Bücher gelesen, in denen die Atmosphäre und die Charaktere derart gut und bildhaft beschrieben wurden und in die man sich hineinversetzen konnte, als fläzte man sich in der aufgeheizten und dennoch nonchalanten Stimmung mit den drei Jungs und den zwei Mädels auf der riesigen Terrasse von Wyvis Hall. Ein Roman fürs Kopfkino, der mich vor allem durch die Figuren überzeugt hat. Keiner ist gut oder böse, weder besonders sympathisch noch hassenswert. Jeder handelt nach seinen Eigenschaften nachvollziehbar. Besonders der experimentierfreudige, ambivalente und lässige Rufus hat mir gut gefallen. Eher unfreiwillig nimmt er die Rolle des "Vaters" der zusammengewürfelten Kommune ein, während Vivien - stark beeinflusst durch fernöstliche Philosophien, typisch für die damalige Zeit - für Shiva und Zosie eine Art Mutterersatz wird. Wirkliche Gefühle gibt es unter den Fünf, die sich erst auf dem Anwesen kennenlernen, nicht, auch wenn sich Adam zu Rufus hingezogen fühlt und erschrocken reagiert, als Rufus ihn in einer Nacht mit Joints und zu viel Wein auf die Probe stellt. Gerade die psychologische Komponente und die Beziehung der Protagonisten untereinander fand ich bemerkenswert, gemeinsam mit dem untrüglichen Geschick der Autorin, dabei nie in Kitsch oder Klischees abzudriften und eine Geschichte zu erzählen, die bis zum Ende atemberaubend spannend bleibt, auch nachdem die Opfer schon längst feststehen.

Mir kam beim Lesen der Verdacht, dass ältere Bücher irgendwie origineller und frischer sind als die heutigen, aber das mag ein Trugschluss sein, da mich die meisten Neuerscheinungen bisher nie in der Weise fesseln konnten wie es "Es scheint die Sonne noch so schön" gelungen ist. Ein wirklich toller, kurzweiliger Roman und bestimmt nicht mein letzter von Barbara Vine.


Bewertung: 




Freitag, 30. Juni 2017

Der freundliche Mr Crippen ~ John Boyne

Eigentlich weiß ich nicht, weshalb ich dieses Buch gelesen habe, nachdem "Haus der Geister" eine solche Pleite für mich war. Vielleicht, weil John Boyne meist ungewöhnliche Themen in der Vergangenheit aufgreift, ohne dabei penetrant und trocken in jedem zweiten Satz in historische Details zu gehen. Der Stoff und die Zeit, in denen seine Romane spielen, interessieren mich, und so habe ich Dr. Crippen doch noch eine Chance gegeben.

Inhalt: Juli 1910. Im belgischen Antwerpen bricht die SS Montrose zu einer Atlantiküberquerung nach Kanada auf. An Bord sind Mr Robinson und sein Sohn Edmund, die schon bald das Misstrauen der übrigen Passagiere und des Käptains erregen. Tatsächlich fliegt die Maskerade der beiden früh auf, nachdem Käptain Kendall die beiden im Dunkeln erwischt und feststellt, dass die Robinsons nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Spekulationen nehmen ihren Lauf, und als Scotland Yard - alarmiert durch den vagen Verdacht, Crippen hätte seine Frau getötet - die Verfolgung aufnimmt, scheint das Schicksal des freundlichen Mr Robinson besiegelt.




Meinung: Die Geschichte beruht auf einem wahren Fall, von dem Boyne in Rückblenden und von der Überfahrt gleichermaßen mit künstlerischer Freiheit erzählt. Das ist an sich nicht verwerflich, im Gegenteil. Doch leider gewinnen die detailverliebt beschriebenen Charaktere nicht an Tiefe, geschweige denn dass ich Sympathie für sie empfunden habe. Die verschiedenen Erzählperspektiven sollten anscheinend für Spannung sorgen; mich haben sie oft verwirrt und ein bisschen geärgert. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit daran. Nicht gewöhnt habe ich mich an die Vorhersehbarkeit der Story und die plumpen "tierischen" Vergleiche (grinsende Katze beim Anblick einer Schale Milch, schielende Ratte auf der Suche nach Käse, Känguru mit Verdauungsproblemen, um nur ein paar zu nennen). Auch war mir vieles zu ausführlich; unfreiwillig komische und unwichtige Dinge wie "schmerzverzerrte Augen" oder weitschweifende Details, die nicht im Entferntesten der Handlung dienen, haben mich gestört (wobei erstgenannter Kritikpunkt vielleicht auf das Konto des Übersetzers geht).

ACHTUNG SPOILER: Eingedenk des Frauenbildes, das Boyne in diesem Roman vermittelt, überrascht es nicht weiter, wer der wahre Mörder von Crippens unausstehlicher Gattin Cora ist. Der duldsame, langweilige Doktor, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, opfert sich am Ende für die einzige Liebe seines Lebens. Mit der Charakterisierung des in England immer noch recht bekannten "Frauenmörders" konnte ich mich trotz seines Gentlemantums und Edelmuts nicht anfreunden. Zu schwach, zu fad, zu passiv. Dagegen sind die Frauenzimmer richtige Furien: hohl, oberflächlich, machtgeil. Außer Ethel LeNeve. Aber die sieht ja auch aus wie ein Junge. 

Ein paar Logikfehler fielen mir auf, von denen mir besonders die Hutschachtel mit Coras Überresten Kopfzerbrechen bereitet hat. Müsste die nicht irgendwann anfangen, einen hmmm... üblen Geruch zu verströmen? Und wie kann eine zierliche Frau eine viel schwerere Frau auf die beschriebene Weise ermorden, zudem noch mit Fachkenntnissen, die man Dr. Crippen zuschrieb? Das war mir dann doch zu viel der künstlerischen Freiheit.

Berührt hat mich einzig das Nachwort des Autors, in dem er berichtet, dass sowohl Dr. Hawley Crippen als auch seine Geliebte sechzig Jahre später auf ihren Wunsch hin mit dem jeweiligen Foto ihrer großen Liebe bestattet wurden. Ich hoffe nur, die Anekdote ist nicht erfunden. (O;

Fazit: Mein vermutlich letztes Buch von John Boyne. Schade, trotz allem. Immerhin bin ich aus Ermangelung einer neuen Lektüre bis zum Schluss drangeblieben, was ich nach der ersten Hälfte ursprünglich nicht vorhatte, daher vergebe ich zwei Sterne.







Donnerstag, 22. Juni 2017

Rezension "Der Engelmacher" von Stefan Brijs

Dieser Roman ist mein erster eines niederländischen Autors, und obwohl ich die Geschichte originell und über weite Strecken spannend fand, wird das in der nächsten Zeit wohl so bleiben. Nicht, dass ich ihn nicht verstanden habe oder madig machen möchte, aber das Thema war mir gegen Ende hin doch zu schwerverdaulich.

Inhalt: Herbst 1984. In das Dorf Wolfheim an der deutsch-belgischen Grenze zieht der sonderbare und stoische Arzt Dr. Victor Hoppe mit drei Säuglingen ein, welche die neugierigen Bewohner erst zu Gesicht bekommen, als der scheue, aber äußerlich markante Doktor zu einem Notfall gerufen und daraufhin von dem dankbaren Vater des Jungen zu einem Drink ins Gasthaus eingeladen wird. Er nimmt die Einladung widerwillig an und auf das Drängen der Bewohner die Kinder mit, die großes Erstaunen, aber auch Ekel auslösen: alle drei sehen genau gleich aus, nicht wie "normale" Babys und ähneln dem Doktor bis auf die im Kindesalter operierte Hasenscharte. Die Bewohner beschließen, Victor Hoppe bei der Erziehung zu helfen, doch der lehnt ab. Erst die pensionierte Lehrerin Charlotte Maenhout scheint gut genug als Kindermädchen für Michael, Raphael und Gabriel und unterrichtet die ungewöhnlich intelligenten Kinder Zuhause, denn sie besitzt fundierte Kenntnisse im Allgemeinwissen. Wissen - das wichtigste für Victor Hoppe. Käme er nur nicht immer in Konflikt mit seinem Glauben, der zu einer Katastrophe führt, die das eigentliche Drama erst einleitet...







Meinung: Der Engelmacher gliedert sich in drei Teile: Die Ankunft des Doktors in Wolfheim, seine Kindheit in streng katholischen Institutionen und seine Zeit an den Universitäten, an denen er auf eigene Verantwortung im Alleingang Zellforschung betreibt und damit Unmögliches scheinbar möglich macht. Immer wieder springt der Autor dabei in die Gegenwart; ein Kunstgriff, der gut gelöst ist, denn trotz der vielen Zeitebenen verliert man nie den Faden und kann den Geschehnissen gut folgen. Auch die persönliche Entwicklung von Victor Hoppe ist nachvollziehbar, der aufgrund eines Asperger-Syndroms (das in den 1980er Jahren noch weitgehend unbekannt war) weder Metaphern oder Gefühle noch Ironie zu deuten weiß und daher alles, was er hört und liest, wörtlich nimmt. Diese Charaktereigenschaft fand ich sehr spannend, denn sie hat mir geholfen, Victor Hoppe bis zuletzt zu verstehen, so schrecklich seine Motive und sein Handeln auch sind. Für Victors Denkweise, die Prägung in seiner Kindheit und seiner Gegenwart ergibt alles, was er tut, einen Sinn. Die Referenz an Victor Frankenstein fällt mir übrigens erst jetzt ein...

Der dritte Teil war es dann, der mir die Spannung ein wenig verhagelt hat. Dort geht es in der Hauptsache um religiösen Wahn, dem Victor anheimfällt, und das nicht nur als Konkurrent zum Schöpfer, sondern als eine Art Seelenverwandter von Jesus, der nach Victors Verständnis von Gott genauso missverstanden wurde wie er selbst von seinem Vater und allen, die nicht an seinen Erfolg glaubten. Das war für meine Begriffe ein bisschen zu weit hergeholt und irgendwie auch ziemlich grässlich. Die Figuren und vor allem Victors Denken waren jedoch trotz aller Kritik plausibel dargestellt, daher vergebe ich


  und ein halber