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Donnerstag, 30. April 2020

Leseprobe aus "Affettuoso"

Es folgt ein kleiner Ausschnitt aus meinem "Roadmovie"- Roman "Affettuoso". Die Szene beschreibt Joshuas erste Schritte ohne Auge, das er nach einem Unfall mit einem Oldtimer verloren hat. Mickeys Knastkumpan, mit dem ihm die Flucht gelang, ist Epileptiker und darf eigentlich keinen Wagen führen. Doch wie das so ist: der Reiz am Verbotenen war stärker. Mickey (der Erzähler) macht sich Vorwürfe, obwohl ihn keine Schuld trifft. Er hat Joshua aber auch trotz oder gerade aufgrund seiner Unzulänglichkeiten fest ins große Herz geschlossen.


DesCor / Pixabay


• Hör mal, Alter, sagte Richard. Moira und ich haben uns überlegt, ob du im Hotel pennen willst, solange Joshua weg ist, es wird ja allmählich auch was kalt da draußen, und wir hausen in `nem Luxusappartement, ich lass was meine Connections spielen, dann ist das kein Problem, wenn du auf’m Sofa ratzt und dich friedlich verhältst.
• Klar, sagte ich. Ist gebongt. Danke.
Ich war wirklich froh; im Strandhaus fraß ich manchmal vor Einsamkeit schier einen Besen, ich zögerte das so lang wie möglich raus und werkelte bis in die frühen Morgenstunden wie besessen in der Tankstelle.
Ich brauste auch mal mit der Intruder raus zum Unfallort und errichtete ein kleines Holzkreuz für Joshuas Auge; das war albern, ich weiß, doch ich glaubte, dass ich ihm das schuldig war, dem Auge.
Das Zimmer mochte ein Luxusappartement sein, es besaß immerhin eine winzige Kochnische nebst Kaffeemaschine, so war ich befähigt, mich durch die schlaflosen Nächte zu putschen, denn die Wände waren verflixt dünn, ich hörte Geräusche von allen Seiten, außerdem dröhnte der Kirchturm wie aufgezogen, irgendwo röllerten paarungswütige Katzen, und bestimmt flitzte demnächst ein Schnellzug mit Schallgeschwindigkeit durch meine Gehörgänge.
Zu dritt rückten wir in der Klinik an, als Joshua entlassen wurde, sie hatten ihn nur kurz dabehalten, da die Notfallstation von Bettenmangel bedroht war. Moira stöckelte auf ihn zu und riss ihn Besitz ergreifend an sich. Unterdessen bedankte ich mich bei Dr. Alvardo, Richard hatte hinter mir Position bezogen und rollte nervös den Bund seines rot-weiß-blaugestreiften Muscleshirts auf und zu.
• Er wird in der ersten Zeit vermehrt auf Ihre Hilfe angewiesen sein, sagte Dr. Alvarado. Haben Sie Geduld, es ist eine große Umstellung für Sie alle.
• Wie fühlt man sich so als Capt’n Hook, fragte Richard, Joshua grinste.
• Ich wollte lieber Tinkerbell sein. Die kann fliegen und schüttelt Feenstaub aus’m Röckchen.
Es waren auf den ersten Blick Banalitäten, die zu schier unüberwindlichen Hürden avancierten, es fing bei den Treppenstufen der Klinik an, Joshua weigerte sich, nach unten zu gehen, er hatte das Gefühl, in ein Loch zu fallen, das waren Dinge, in die man sich erst hineinversetzen musste, um zu verstehen, dass Treppenstufen eine ernste Gefahr darstellten.
• Lasst uns den Lift nehmen, schlug Richard vor, doch die Idee verwarf ich gleich wieder, in Fahrstühlen flippte Joshua vollkommen aus, er hatte als Kind mal in einem einen traumatischen Anfall gekriegt.
Er umkrampfte das Geländer und schlang den rechten Arm um Moiras Taille, er setzte jedes Mal einen Fuß neben den anderen, bevor er die nächste Stufe in Angriff nahm, Richard und ich, hinter ihnen, ahmten unabsichtlich seinen Gang nach.
• Mir ist schlecht, sagte er, wir hatten noch `ne Menge Stufen vor uns, Richard sagte:
• Moira, vergiss unser Meeting mit den Tennisfreunden nicht.
• Zum Teufel mit dem verpissten Meeting, fauchte sie. Wir stecken in Schwierigkeiten, Dick!
Sie knickte ein bisschen in der Hüfte ein, Joshua merkte, dass er sie zu sehr belastete; er taumelte auf mich zu und hängte sich an meinen Hals.
• Danke für die Unterstützung, Mädels, sagte ich. Den Rest schaffen wir allein.
Richard, der Gute, wollte seinen Fauxpas ausbügeln, er tätschelte flüchtig Joshuas Po. Wenn du Probleme hast, Junge, kannst du jederzeit zu mir kommen, klar?
Hand in Hand hüpften sie die Treppe hinunter, insgeheim glücklich, einer ihnen fremden Welt zu entkommen.
• Wir haben alle Zeit der Welt, beruhigte ich Joshua. Lass dich nicht entmutigen. Das ist eben so, am Anfang.
Er sagte nichts, sondern rückte noch ein Stück näher an mich ran, ich hatte Schiss, mit der Schulter irgendwie der verpflasterten empfindlichen Naht zu schaden. Joshua, sagte ich. Ich kann dich tragen. Willst du, dass ich das tue?
Er nickte gedemütigt, und ich hob ihn hoch.


Samstag, 25. April 2020

Ich lese gerade... Die Nebel von Avalon ~ Marion Zimmer Bradley

Von diesem Buch habe ich eigentlich nur Gutes gehört, und auch meine Tante hat es mir mit strahlenden Augen und dem Satz "Du liest doch so gerne Artus-Geschichten" überreicht. Das war schon vor ein paar Wochen, und seitdem lese ich immer wieder ein Stück, ohne dass der Funke wirklich überspringt. Mittlerweile bin ich beim vierten Teil (der letzte), und frage mich, was an dem Roman so Besonderes sein soll. Immerhin zählt er mittlerweile ja zu den Klassikern im Fantasygenre.





Die Handlung wird hauptsächlich aus Morgaines Sicht geschildert, wobei ihre Erziehung in Avalon und ihr Hin und Her zwischen dem alten heidnischen und dem neu aufkommenden christlichen Zeitalter im Fokus stehen. Ihre Aufgabe nach dem Plan ihrer Tante Viviane bzw. der großen Göttin ist es, Halbbruder Artus, mit dem sie beim Beltanefest ein Kind gezeugt hat, zu überreden, die alten Riten von Britannien wiederaufleben zu lassen, oder ihm im Fall seiner Verweigerung das in Avalon geschmiedete Zauberschwert Excalibur abzunehmen und ihn als König zu stürzen. Dazwischen schwankt sie zwischen ihrer Liebe zu Cousin Lancelot, der ihr im Jugendalter einen Korb gibt, findet sich hässlich und unwürdig der großen Göttin und zweifelt an sich selbst, während sie sich in besseren Tagen zum Vamp und zur Nachfolgerin der Herrin vom See aufschwingt, nachdem Viviane, ihre überdimensionale Ziehmutter und Mutter von Lancelot, hinterhältig an Artus' Hof ermordet wurde.

Das Buch wird auf der Rückseite als die "wunderbarste Artus-Interpretation" gepriesen, aber ganz ehrlich, ich habe schon bessere gelesen. Die Protagonistin ist mir unsympathisch, und eigentlich auch alle weiteren Charaktere im Buch. Wahrscheinlich soll Morgaine eine emanzipierte Frau sein, aber für mich wirkt sie ebenso schwach und oberflächlich wie die hyperfromme Gwynhwyfar (was für eine Schreibweise!), der bisexuelle Lancelot (eine recht mutige Interpretation) und Artus selbst. Ihr weltlicher Alltag als Herrscherin von Nordwales und Kammerzofe auf Camelot besteht aus Spinnen, Weben, Waschen, Verkuppeln und Hofklatsch, also nichts Aufregendes, und das oft seitenlang. Da war ich versucht, querzulesen. Sie verurteilt das Christentum mit krassen Worten, die ihr die Autorin in den Mund und die Gedanken legt, und das ist ein Punkt, der mich bei Romanen, in denen Religion thematisiert wird, über die Maßen stört. Besonders, da ihre eigene Religion um die große Göttin und Mutter Erde irgendwie auch eine ziemliche Enttäuschung ist, die ihren ständig fastenden Priesterinnen Verbote auferlegt und ihnen vorschreibt, was sie tun müssen, um der Göttin zu gefallen. Denn obwohl Morgaine in deren Sinn handelt, tut sie es nicht ohne ständige Zweifel und Bedenken, auch wenn sie dafür über Leichen geht.


GregMontani / Pixabay


Allerdings muss ich dem Buch zugute halten, dass es verflixt gut geschrieben ist. Ich hätte schon längst abgebrochen, wenn die Geschichte mich aufgrund des schnörkellosen aber bildreichen Stils nicht sofort irgendwie gefangen genommen hätte. Ich lese es noch zu Ende und lasse dann eine Bewertung da. Ich glaube, eine ausführliche Rezension würde mich bei dem Umfang von über 1100 Seiten ein bisschen überfordern... (O;


Samstag, 18. April 2020

Filme in Zeiten von Corona (VI): "The Lost Prince" (1999)

Nachdem mir "Perfect Strangers" von Stephen Poliakoff so gut gefallen hat, ging ich auf die Suche nach weiteren Produktionen von ihm und bin auf "The Lost Prince" gestoßen, ein Biopic des jüngsten Sohnes von King George V. und Queen Mary und offenbar auch die Inspiration zu "Perfect Strangers".

Lange war die Existenz des kleinen Johnnie (1905 -1919), Onkel der heutigen Queen Elizabeth, ein Geheimnis; mit vier Jahren wurde er offiziell zum Epileptiker erklärt und litt anscheinend unter einer milden Form von Autismus, ehe er im Alter von 13 Jahren starb und  - grausamerweise zur Erleichterung der Familie - in Vergessenheit geriet, bis man gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Frankreich auf Erinnerungsstücke im Nachlass seines ältesten Bruders Edward stieß (der, der Wally Simpson einer königlichen Laufbahn vorzog).





Inhalt: Es gibt ein schwarzes Lämmchen in der königlichen Familie, und das ist Prinz John. Er ist nicht wie seine fünf Geschwister, passt sich nicht dem höfischen Leben an und sagt geradeheraus, was er denkt, auch und gerade zu Anlässen, bei denen ein Kindermund zur damaligen Zeit schweigen soll, besonders ein royaler. Das Lernen fällt ihm schwer, und aus heiterem Himmel befallen ihn epileptische Anfälle, die jeden, der davon Zeuge wird, "traumatisieren". Die Ärzte, die nach einem solchen Anfall gerufen werden, raten u.a. darum dringend, ihn "in Isolation" zu geben (ein aktueller Bezug zu Corona!). Lange fackeln ist Queen Marys (streng und gewohnt furchteinflößend: Miranda Richardson) Sache nicht, und so schickt sie ihn mit dem treuen Kindermädchen Lalla von Sandringham aufs Land in ein kleines Cottage. Dort lebt er fern von königlichen Pflichten gemeinsam mit Lalla (Gina McKee), einem müßigen Gehilfen und einem Hauslehrer, dem irgendwann der Geduldsfaden mit seinem unwilligen Schüler reißt und der sich freiwillig zur Armee meldet. 

Bruder George besucht ihn hin und wieder und hält den engsten Kontakt zu ihm, denn er liebt Johnnie nicht nur, er bewundert ihn und freut sich über seine Fortschritte. Anders als George und die übrigen Geschwister ist Johnnie frei, sich selbst zu sein und muss sich nicht verstellen, um in die Gesellschaft zu passen. Politik, der von Cousin Bill angezettelte Erste Weltkrieg, Internat, Etikette, lästige Treffen mit dem Rest der weit verzeigten königlichen Verwandtschaft - all das bleibt Johnnie erspart. Er ist glücklich auf dem Land mit Lalla, seinem Grammophon, seiner Malerei und seiner Trompete. Doch zumindest im Film er ist sich seines Standes wohl bewusst und zeigt sich als Teenager höflich aber auch majestätisch bestimmend während der seltenen Besuche seiner zugeknöpften Eltern, die sich heimlich für ihn schämen. 

Meinung: Nach dem grandiosen und emotional packenden "Perfect Strangers" war "The Lost Prince" zunächst eine herbe Enttäuschung. Viel zu (monarchisch) steif, zu wenig erzählerisch, zu wenig Sympathie mit den Schauspielern; selbst die Kinderdarsteller - obwohl gut gewählt - konnten mich nicht überzeugen. Erst am Ende des Zweiteilers flossen Tränen im vertrauten Poliakoff-Modus. Und zwar nicht nur deshalb, weil es uns für heutige Verhältnisse herzlos vorkommt, Kinder, die anders sind, zu vernachlässigen und ihnen nicht helfen zu wollen oder zu können (die Erforschung und Behandlung von Epilepsie steckte noch in den Kinderschuhen), sondern auch vor Rührung. 


Prince John. Bildquelle: Wikimedia Commons

Mir wurde erst später klar, dass Johnnie eigentlich am besten dran war von allen Beteiligten, nämlich dann, als ich ein wenig genauer über ihn recherchiert habe. Trotz seiner Neigung zum Autismus hatte Johnnie Freunde und einfache Leute in seinem "Exil", denen er wichtig war und die ihm ein gutes Leben ermöglicht haben. Die aufrichtig um ihn getrauert haben, als er nach einem schweren Anfall im Schlaf gestorben ist. Die echte Lalla bewahrte zeitlebens ein Foto von ihm auf, das über ihrem Kamin hing. Sie hat nie geheiratet und eigene Kinder bekommen, denn, wie sie auch zu Queen Mary unter Tränen im Film sagt, war Johnnie etwas Besonderes. 

Trotz der etwas schwerfälligen und manchmal wirren Erzählweise empfand ich wieder eine bittersüße Traurigkeit, die mich beim Anschauen solcher Filme nach wahren Begebenheiten oft überkommt. Dass sie nicht von Beginn an da war, liegt wohl an der zurückhaltenden und eisigen royalen Atmosphäre der Geschichte. Man sagt, dass George V. und Queen Mary sich trotz ihrer Liebe nur brieflich verständigten, weil sie Sprechen als ungehörig und notwendiges Übel erachteten. Selbst Georgie, der seinem Bruder am nächsten steht, wirkt steif und hölzern aufgrund der Erziehung und der Zukunft, die ihn als Marineoffizier erwartet. Ich bin allerdings auch wahrlich kein Fan von irgendwelchen Royals und kenne mich mit den Gepflogenheiten, Schrullen und Dramen bei Hofe nicht aus. Insofern war "The Lost Prince" eine Neuentdeckung und hat mich sogar neugierig auf weitere Informationen über Prince John gemacht. Denn interessant und außergewöhnlich war er allemal.

Bewertung: nach reiflicher Überlegung knappe vier 





Sonntag, 12. April 2020

Gesegnete Ostern trotz (oder gerade wegen) Corona

Allen meinen Lesern wünsche ich ein frohes und gesegnetes Osterfest. Und da viele meinen, es ginge "nur" um Osterhasen, die die Eier verstecken und man sie heuer leider nicht im Freien suchen kann, möchte ich die Ostergeschichte aus dem Lukas-Evangelium posten. Wer daran glaubt, braucht keine buntbemalten Eier und auch kein Festessen mit der Verwandtschaft aus Nah und Fern. Denn Jesus hat allen ein Geschenk gemacht, das so viel größer ist als alles Glück und Unglück dieser Welt. 💖💖

In diesem Sinne geht in euch und an die frische Luft und seid gewiss, dass nichts euch schaden kann, wenn ihr mit Jesus geht.


Pixabay

1 Am Sonntagmorgen dann, in aller Frühe, nahmen die Frauen die wohlriechenden Öle, die sie sich beschafft hatten, und gingen zum Grab.

2 Da sahen sie, dass der Stein vom Grabeingang weggerollt war.

3 Sie gingen hinein, doch der Leichnam von Jesus, dem Herrn, war nicht mehr da.

4 Während sie noch ratlos dastanden, traten plötzlich zwei Männer in strahlend hellem Gewand zu ihnen.

5 Die Frauen fürchteten sich und wagten sie nicht anzusehen; sie blickten zu Boden.
 Die beiden sagten zu ihnen: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?

6 Er ist nicht hier; Gott hat ihn vom Tod auferweckt! Erinnert euch an das, was er euch schon in Galiläa gesagt hat:

7 'Der Menschensohn muss den Menschen, den Sündern, ausgeliefert und ans Kreuz genagelt werden und am dritten Tag vom Tod auferstehen.'«

8 Da erinnerten sich die Frauen an seine Worte.

9 Sie verließen das Grab und gingen zu den Elf und allen Übrigen, die bei ihnen waren, und berichteten ihnen alles.

10a Es waren Maria aus Magdala und Johanna und Maria, die Mutter von Jakobus, sowie die anderen Frauen, die mit ihnen am Grab gewesen waren.

Quelle:  Deutsche Bibelgesellschaft

Mittwoch, 8. April 2020

Filme in Zeiten von Corona (V): "The Others" (2001)

Bei diesem Film mit einer fantastischen Nicole Kidman, der seit Jahren zu einem meiner Lieblingsfilme zählt, weiß ich gar nicht recht, ob ich ihn gut beschreiben kann, ohne allzu viel zu verraten. Ich versuche es trotzdem, denn wer auf Mystery-Thriller und Grusel ohne Splatter und Gore steht, der sollte sich "The Others" unbedingt ansehen! 




 Inhalt: Während des zweiten Weltkriegs: auf den abgeschiedenen Kanalinseln lebt die streng katholische Grace in einem alten Herrenhaus ohne Elektrizität mit ihren beiden Kindern Anne und Nicholas, die unter einer seltenen Krankheit leiden: sie reagieren allergisch auf Licht und müssen sich stets in abgedunkelten Räumen aufhalten, da sie sonst sterben könnten. Ihr Mann gilt als im Krieg verschollen, doch Grace weigert sich, seinen Tod zu akzeptieren und hofft auf seine Rückkehr. 

Nachdem die Dienerschaft das Anwesen quasi grundlos und über Nacht verlassen hat, gibt Grace eine Anzeige auf der Suche nach neuen Dienern auf. Bevor sie sie abschicken kann, klopfen drei Leute an ihre Tür, die behaupten, das Haus von früher zu kennen und die ihre Dienste anbieten. Schon bald merkt Grace, dass mit der rätselhaften Berta Mills, dem stummen Mädchen Lydia und dem Gärtner Tuttle etwas nicht stimmt. Seit deren Ankunft geschehen merkwürdige Dinge im Haus, die Grace mit der Zeit an ihrem Verstand zweifeln lassen. Doch Geister gibt es nicht. Oder doch?

Meinung:  "The Others" ist wirklich anders. Regie geführt hat Alejandro Amenábar, ein Spanier. Und ich meine, das ist zu erkennen, denn qualitativ erinnert der Film stark an "Crimson Peak" und "Das Waisenhaus". Der Horror kommt nicht mit dem Holzhammer daher, sondern subtil gänsehauterzeugend und allmählich, bis er sich zu einem überraschenden und bizarren Showdown verdichtet, mit dem vermutlich kein Zuschauer gerechnet hat. Auch das macht "The Others" einzigartig. Man ist einfach verblüfft und erstaunt über den raffinierten Schluss, der es eigentlich überflüssig macht, sich den Film ein zweites Mal anzusehen. Wären da nicht die tollen Leistungen der Schauspieler (allen voran Nicole Kidman und Fionnula Flanagan als Hauswirtschafterin Berta Mills und die Kinder, die ihre Parts als widerspenstige Anne und als der ängstliche Nicholas überzeugend spielen) und die düstere Atmosphäre des Herrenhauses, das einen sofort gefangen nimmt. Die Idee mit den Post Mortem-Fotos, die im ausgehenden 19. Jahrhundert groß in Mode waren, trägt viel zum unheimlichen Geschehen bei und lässt den Zuschauer grausig fasziniert auf spätere Google-Bildersuche gehen (zumindest mich). Gefallen hat mir auch Christopher Ecclestone als kurzzeitig heimkehrender Ehemann, der sich von seiner Familie verabschiedet, denn bleiben kann er nicht...

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich, der allerdings nur ins Gewicht fällt, wenn man "The Others" nicht als reine Unterhaltung betrachtet, sondern vielleicht als Wahrheit des Regisseurs, der auch das Drehbuch schrieb. Vorsicht, jetzt kommt er doch noch, der winzige Spoiler: Es wird im Film viel von "verschiedenen Wahrheiten" geredet, und dass die von Grace derart verzerrt war und sie enttäuscht wird von dem, was sie ihren Kindern beibringt (sie lässt sie in der Bibel lesen, und ja, dabei ist sie ziemlich penetrant, streng und pedantisch), empfinde ich als gläubiger Mensch ein wenig geringschätzig. Die biblischen Geschichten am Ende als Märchen hinzustellen und Grace' Glauben derart krass zu desillusionieren, das war dann doch nicht so fein. Andererseits ist der Schluss plausibel, wenn man ihn vom Aspekt des alten Volksglauben ableitet.




 Fazit und Bewertung:  Da ich ein Fan von gut gemachten Schauergeschichten in Literatur und Kino bin und diese nicht so leicht zu finden sind, erhält der Film trotz dem etwas bitteren Nachgeschmack





Sonntag, 5. April 2020

Filme in Zeiten von Corona (IV): "Topkapi" (1964)

Bevor ich etwas zum Rififi-Ableger von Jules Dassin schreibe, muss ich kurz erklären, dass ich als Teenager eine Schwäche für Maximilian Schell hatte und ihn bis heute neben David Bowie als einen der vielfältigsten und bemerkenswertesten Künstler unserer Zeit betrachte. In meiner Schell-Phase habe ich sämtliches Material über den Mann gesammelt, den ich damals richtig sexy fand, u.a. auch Filme von und mit ihm, die heute kaum jemand mehr kennt. Dazu gehört leider auch die Gangsterkomödie "Topkapi", in der neben Maximilian Schell ein weiteres Multitalent namens Peter Ustinov glänzt. Zudem erfreut sich die Kernsequenz des Films vieler Nachahmer und Reminiszenzen in neueren Filme, wie z.B. in Mission Impossible mit Tom Cruise.




Inhalt: In einem psychedelisch gefärbten und gewöhnungsbedürftig anmutenden Vorspann führt die exaltierte Klepto- und Nymphomanin Elizabeth Libb (ein bisschen overacting von Melina Mercouri) durch das Topkapi-Museum in Instanbul und zeigt uns das Objekt ihrer Begierde, bei dessen Anblick nicht nur ihre Augen feucht werden.

Gemeinsam mit ihrem Komplizen und Gelegenheitsliebhaber Walter Harper/Häberli (Maximilian Schell) will sie den unschätzbar wertvollen Dolch des Sultans im Glaskasten aus dem Museum entwenden. Dazu fertigt sie eine Kopie des Dolchs an, um sie mit dem echten zu ersetzen. Die Hauptarbeit geht an den eleganten Walter, der als Schweizer präzise wie ein Uhrwerk den bombensicheren Coup austüftelt. Nicht nur seine unleugbare Herkunft wirkt anziehend auf Elizabeth - beide sind wohl ein wenig außergewöhnlich in ihren sexuellen Vorlieben, was in den 1960er Jahren natürlich nur mehr oder weniger vage angedeutet werden kann, etwa mit komplizierten Knoten, die  - höhö! - beim Pfadfinderlager erlernt wurden.

Der Coup wird von dem an der türkisch-griechischen Grenze lebenden Arthur Simpson (Peter Ustinov) unbeabsichtigt vereitelt, den sich das kinky Paar gemeinsam mit drei weiteren Beteiligten als neutralen Amateurdieb erwählt. Dummerweise fliegt er mit dem Gangsterwagen beim Zoll auf und soll fortan für den türkischen Geheimdienst spionieren, um zu beweisen, dass er keiner terroristischen Organisation angehört. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt, bei dem der arme Arthur nicht nur einmal an die Grenzen seiner physischen und psychischen Belastbarkeit kommt.


"Vernünftig ausgeben. Zwei Packungen Klopapier, verstanden?"


Meinung: Lang lang ist's her, dass dieser Film zu meinen Top-Favoriten zählte, auch wenn er nach wie vor einen ganz eigenen Charme hat und - abgesehen von Mercouri, die mich in ihrer Penetranz wirklich genervt hat - bis in die Nebenrollen der türkischen Polizisten und Geheimagenten grandios besetzt ist. Die Bilder sind toll und atmosphärisch, teilweise erstaunlich historisch und fangen das Flair des Mittelmeerraums in der 1960ern ein. Fast wirken einzelne Szenen von der Bevölkerung und von maroden Häusern wie in einem alten Reisemagazin. Ein bisschen primitiv und angestaubt auch, nicht nur die Bilder, sondern auch die Methoden, mit denen der Geheimdienst seine Pflicht erfüllt. Ich musste schmunzeln, als Arthur vom Geheimdienst angewiesen wird, wie er seine Meldungen betreffs der Tätigkeit der Gangster übermitteln muss: in einer leeren Zigarettenschachtel, die er auf die Straße wirft und die dann von einem VW Käfer aufgesammelt wird. Da würde selbst der junge Connery-Bond den Kopf schütteln, oder? Sei's drum, es war irgendwie nett und garantiert wanzenfrei.

Ein Highlight ist natürlich die Szene des raffinierten Diebstahls, die minutenlang ohne Musik oder Dialog gedreht wurde. Da hält man als Zuschauer unweigerlich den Atem an und bangt mit Julio, der nicht nur aufgrund seiner athletischen Fähigkeiten ausgewählt wurde, sondern dem es zudem noch zum Vorteil gereicht, dass er stumm ist und somit nicht aufschreien kann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Das war schon sehr clever und schweizerisch gedacht von Walter. Überführt werden die sympathischen Ganoven dann doch trotz aller Akribie und Arthurs widerwilliger Hilfe, nämlich von einem Spatz. Und so sagt der Geheimdienstchef Ali Tufkan beim Treffen mit der Bande mit einem süffisanten Grinsen, dass ihm ein kleines Vögelchen etwas gezwitschert hätte. Jetzt wissen wir, wo die Redewendung herkommt... (O;

Fazit und Bewertung: Früher habe ich "Topkapi" geliebt. Oft angeschaut auch, denn die Dialoge kenne ich selbst nach Jahren noch. Aber wenn ich ehrlich bin, hat sich mein Geschmack anscheinend ein wenig geändert, oder es war in der Tat *nur* Herr Schell, der meine Faszination für den Film ausgelöst hat. Kein Zweifel, der Film ist unterhaltsam und zu Unrecht mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Doch die Machart und die markigen Sprüche sind schon sehr speziell und nicht das, was man zeitlos nennen würde. Zumindest für mich schien der Film an einigen Stellen etwas altbacken, was aber auch daran liegen mag, dass es schon ewig her ist, als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Trotzdem gebe ich gute



und einen halben obendrauf für den schmissigen Soundtrack und den originellen Abspann.


Bildquelle: Amazon



Samstag, 4. April 2020

Filme in Zeiten von Corona (III): "Sag kein Wort" (2001)

Eigentlich hatte ich diesen Film aus der Kategorie "typische Psychothriller aus den 1990/2000ern" bereits aussortiert, um ihn zum Verkauf anzubieten. Warum, wurde mir jetzt wieder klar.


Inhalt: Die achtjährige Tochter des New Yorker Psychologen Nathan Conrad (irgendwie creepy in der Rolle: Michael Douglas) wird von Sean Bean und Komplizen entführt. Zur Freigabe wollen die Gangster kein Geld in Millionenhöhe, sondern eine Zahl aus dem Kopf von Elizabeth (ein bisschen nervig wie immer, dann aber auch wieder überzeugend: Brittany Murphy), einer jungen Frau, die nach einer scheinbar grundlosen Attacke auf einen Mann in der Psychiatrie sitzt und vor sich hindämmert. Conrad hat acht Stunden Zeit, ihr den Code zu entlocken, sonst wird er seine Tochter Jessie nie wiedersehen. Der Anfang ist schwierig, doch Elizabeth fasst Vertrauen zu Nathan (warum auch immer), und er hat bessere Karten als der Kollege (Oliver Platt), dessen Freundin ebenfalls entführt wurde - weil auch er Kontakt zu Elizabeth hat und sie ursprünglich seine Patientin ist. Im Gegensatz zum Kollegen erweist sich Conrad  trotz aller Druckmittel cool und patent. Am Ende gelingt es ihm, den Spieß umzudrehen und in einem Westernmäßig inszenierten Showdown den Kopf der Bande zu überwältigen. Es ist wahrscheinlich kein Megaspoiler, wenn ich an dieser Stelle verrate, dass Sean Bean ein Ende findet, das an Horror kaum zu überbieten ist.





Meinung: Obwohl ich Michael Douglas ganz gern sehe und ihn für einen tollen Schauspieler halte, hätte ich mir als Erstes eine andere Besetzung gewünscht. Gefunkt hat es zwischen Douglas und Murphy gar nicht - ihr Verhältnis als Arzt und Patientin war trotz Händchenhalten und tröstenden Umarmungen so klinisch und karg wie die unglaublich versiffte Anstalt, in der Elizabeth untergebracht war (Ehrlich, *das* sollte eine Einrichtung aus dem 21. Jahrhundert sein?!).

Und ständig tanzte mir Harrison Ford vor Augen, der in den zwei besagten Jahrzehnten den Archetyp des aufrechten, guten und gewitzten Amerikaners gepachtet hatte und wahrscheinlich eine bessere Figur als Psychiater abgegeben hätte. Im Vergleich mit Mr. Ford war Michael Douglas meiner Meinung nach die klassische Fehlbesetzung. Dazu gehörte auch die jovial-anbiedernde "Guter-Onkel-Masche", mit der er Patienten jeden Geschlechts und Frau und Tochter umgarnt. Fand ich echt zu plakativ für einen Psychologen, beinahe schon gruselig. Apropos Frauen: die müssen neben tough vor allem sexy sein. Sowohl die ermittelnde Polizistin als auch die zur Untätigkeit verdammte Mrs. Conrad im Bett mit Gipsbein sahen aus wie einem Hochglanzmagazin entsprungen, mit den weiblichen Kurven an den richtigen Stellen. Da bekam ich fast ein bisschen Komplexe. Die Zeiten haben sich zum Glück auch in Hollywood ein wenig geändert.

Die Story an sich ist temporeich und auch ziemlich originell. Was sich hinter der Zahlenkombination verbirgt, derer Sean Bean & Co. habhaft werden wollen, und wie es zudem dazu kam, da musste ich tatsächlich den Hut ziehen. Allerdings gab es für mich auch einige Lücken im Plot, etwa woher die Gauner wussten, dass Elizabeth sich die Zahl gemerkt hatte. Vielleicht bin ich bei der Szene aber auch einfach mal kurz eingenickt oder war für kleine Mädchen.

Jedenfalls bin ich von Michael Douglas ein besseres und subtileres Spiel gewöhnt.

Bewertung: Kein Reißer, obwohl ich mir vorstellen kann, dass es viele Fans dieser Art Filme gibt, auch wenn sie ein bisschen angestaubt wirken. Ich meine mich zu erinnern, dass mich "Sag' kein Wort" beim ersten Mal Anschauen recht gut unterhalten hat, daher