Translate

Sonntag, 19. Juni 2022

"Des Fremden Kind" ~ Alan Hollinghurst

 Merkwürdigerweise scheine ich dieses Jahr hauptsächlich Bücher zu lesen, die mich zunächst absolut nicht fesseln können. Dieses hier gehört eindeutig dazu. Epochal, gemächlich, kunstvoll, very british - das sind die Attribute, die mir dazu einfallen. Und das weder im eindeutig positiven noch negativen Sinn. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, mich einzulesen. Das lag an den teils bemüht, teils amüsant verkünstelten Sätzen und der Tatsache, dass es - bis auf den früh verstorbenen Dichter Cecil Valance - keine ausdrücklichen, durchgängigen Hauptprotagonisten gibt. Und selbiger liegt nach dem ersten Teil bereits untätig  in einer Marmorgruft der Kapelle von Corley Court, dem Sitz der Familie Valance, das während des Romans einige Metamophosen durchläuft.

 


 

 Der Inhalt: gliedert sich in fünf Teile, die mich in Erzählstruktur und Aufbau erheblich verwirrt haben. Teil Eins beginnt mit dem aristokratischen und unglaublich weltmännischen und geheimnisvollen 22-jährigen Cecil Valance - in Cambridge bereits eine Legende -, der kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf Wunsch seines Kommilitonen und Liebhabers George Sawles dessen Familie auf dem Anwesen Two Acres besucht, Schwester Daphne ein Gedicht widmet und ihr somit den Kopf verdreht. Darum ranken sich mehr oder weniger die folgenden, jeweils mindestens eine Dekade später spielenden Teile, in denen es um wenig Cecil und mehr verzwickte Verwandtschaftsverhältnisse und noch mehr scheinbar unzusammenhängende Personen geht. Und um die Befindlichkeiten junger Männer, die in verbrämter Weise Scham empfinden, wenn sie sich in das gleiche Geschlecht verlieben. Very british, eben. Dass der Autor Cecil noch mit der Bloomsbury Group und Lytton Strachey in Verbindung bringt, hat mich ebenfalls ziemlich verwirrt, bis mir klar wurde, dass das wohl der künstlerischen Freiheit geschuldet ist.

Meinung: In seiner Weitschweifigkeit und Liebe zum Detail bei selbst den nichtigsten Kleinigkeiten erinnert mich "Des Fremden Kind" sehr an "Brideshead", das ich mir als Buch erspart, dafür aber die langweilige Verfilmung angesehen habe. 

 


 

Einen Spannungsbogen sucht bzw. erwartet man auf den fast 700 Seiten vergebens. Dennoch habe ich mich nach anfänglichen Hürden, in die Geschichte hineinzufinden, einigermaßen gut unterhalten gefühlt und wollte wissen, was es mit Cecil auf sich hatte. Licht ins Dunkel bringt nach etlichem Vorlauf der junge Bankangestellte Paul Bryant, der eine Biografie über den fast in Vergessenheit geratenen Dichter schreiben möchte und dazu Zeitzeugen fast über siebzig Jahre nach dessen Ableben befragt. Zuvor ergeht sich der Roman in mal amüsanten, mal anstrengenden Beschreibungen über Architektur bzw. deren Ex-und Interieur und Parties und der Vergangenheit, was - wie ich fand - nach erstem Befremden gut zu lesen war, da nicht ohne Witz und Hintersinn. Obwohl so gut wie nichts passiert und man keine Gelegenheit entwickeln kann, zu irgendeiner Figur etwas wie Sympathie zu entwickeln (dafür werden sie zu grob angerissen, und es sind überdies viel zu viele, die man auseinanderklamüsern muss), mochte ich den Roman auf eine verquere Weise, die ich mir selbst nicht erklären kann. Normalerweise hätte ich nach dem spannungsarmen ersten Teil die Segel gestrichen - spätestens, als ich mit dicken Fragezeichen in den Augen Teil Zwei begonnen habe. 

Doch etwas an "Des Fremden Kind" hat mich fasziniert. Vielleicht die englische Atmosphäre durch die Jahrzehnte, die der Autor gekonnt einfängt. Die Charaktere bleiben dagegen eher blass. Und selbst das passt irgendwie ins Bild. Kunstvoll skurrile Begebenheiten, ein Eigenleben von Dingen und der Geist des Vergangenen sind wichtigere Zutaten als Charakterstudien. Langweilig, sollte man meinen. Ist es irgendwie auch. Und trotzdem voller Wehmut und mit Gespür für jede vorgestellte Figur. Einen Satz möchte ich anbringen, der symptomatisch ist für den gesamten Roman und vielleicht zeigt, was ich mit kunstvoll skurril meine: 

"Für drei, vier Sekunden, die möglicherweise eine ekstatische Minute lang waren, bekam Paul eine seltsame und intensive Ahnung vom Leben dieser ihm unbekannten Frau, das seins nie wieder kreuzen würde, und das hypnotische Detail ihres abstehendes Etiketts zeigte ihm vieles, was ihr selbst gar nicht bewusst war."

Das Ende hat  mich dann doch enttäuscht und unbefriedigt zurückgelassen. Aber für die heißen, müßigen Sommertage in der letzten Woche war es keine uninteressante Lektüre.


Bewertung: 💫💫💫




Donnerstag, 9. Juni 2022

Mal ein bisschen Personality...

In den neuneinhalb Jahren, in denen ich nun meinen Blog führe, fällt mir auf, dass ich selten etwas von mir persönlich erzähle. Ob das überhaupt interessiert, weiß ich nicht, aber ich lese immer gern von Leuten, die mich auf irgendeine Art gut unterhalten haben, und ich hoffe, ich tue das für einige mit meinem Blog. Also werde ich mal eine Art "Über mich"-Artikel starten.

 

Katzenliebhaberin mit Herz & Seele.

 

Geboren wurde ich im letzten Jahrtausend, als das Internet Privathaushalten noch unvorstellbar fern war. Mittlerweile kann ich mir fast nicht mehr vorstellen, dass es eine solche Zeit überhaupt gab. Was irgendwie auch traurig ist, denn ich bin froh und dankbar für eine mehr oder weniger harmonische Kindheit mit Spielen im Freien und ohne Smartphone und sonstigem technischen Schnickschnack. Mittlerweile bin ich in einem Alter, in dem man diese Zeit vermutlich romantisch verklärt. Trotzdem habe ich oft das Gefühl, dass man bis vor zwanzig Jahren noch weniger sorgenvoll gelebt hat oder sich nicht so viele Gedanken um jeden Sack Reis gemacht hat, der in China umfällt, das sowieso immer näher rückt im Globalismus. Aber das ist rein subjektiv.

 

Blumen mag ich! Egal welche.

 

Früher habe ich Blumen und der Natur im Allgemeinen wenig Beachtung geschenkt bzw. sie als selbstverständlich angesehen. Jetzt wird mir immer bewusster, dass man als Mensch ein Teil des großen Ganzen ist und man daher respektvoll und achtsam mit den Mitgeschöpfen umgehen muss, klein, groß, Tier oder Pflanze. Obwohl in einem solchen Bewusstsein und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn aufgewachsen, fällt es mir in manchen Bereichen schwer, mich daran zu halten. Ich esse sehr gern Fleisch. Nicht häufig, aber zum Frühstück gibt's in der Regel eine Scheibe Kochschinken mit Tomate oder Gurke auf Toast. Ich versuche, Biomarken im Supermarkt zu vertrauen, die das Tierwohl hervorheben, doch wirklich überzeugt bin ich nicht. Daher kaufe ich meinen Schinken vorzugsweise auf dem Wochenmarkt beim Metzger meines Vertrauens, wo ich die Aufzucht der Tiere nachverfolgen kann. Am liebsten wäre ich ohnehin Veganer oder wenigstens Vegetarier, aber dafür schmeckt Fleisch einfach zu gut... 😞


Wandern ist ein großes Hobby.

 Ich reise nicht (mehr) viel. Zumindest Fernreisen waren seit Jahren keine mehr drin. Nicht, weil ich es mir nicht leisten könnte. Irgendwie mag ich keine langen Strecken mit dem Flugzeug zurücklegen, nur um mich ereignislose Wochen am Strand zu fläzen oder andererseits als Tourist jede Sehenswürdigkeit abzuklappern, um kulturell möglichst alles erlebt zu haben. Obwohl ich Leute toll finde, für die Fliegen nicht viel anders ist als Radfahren - ob beruflich oder privat - möchte ich nicht mit ihnen tauschen. Wandern dagegen gibt mir viel. Da wären wir wieder bei der Achtung der Natur und den Wundern der Schöpfung. Über die kann man wirklich nicht genug staunen. 

Prinzipiell glaube ich, dass Sprüche wie "Reisen bildet" und "Bildung ist alles" überbewertet werden. Viel wichtiger sind für mich Wertschätzung und emotionale Intelligenz - Empathie, die von Herzen kommt. Ach so, und Lesen natürlich. Fernsehen auch.


Life is a roller coaster... äh, Kettenkarussell.


Mit meinem Leben, wie es bisher verlaufen ist, bin ich im Großen und Ganzen zufrieden. Manches hab' ich verpasst, anderes hätte ich besser gelassen, und die beste Zeit war für mich in meinen Zwanzigern, wenngleich man ja so gern sagt "The best is yet to come", und ich diesbezüglich die Hoffnung nicht fahren lassen möchte. 

Trotzdem war für mich die Zeit der ersten eigenen Wohnung eine besondere Epoche. Das merke ich immer, wenn ich Musik aus dieser Zeit höre. Mein Lieblingsradiosender ist allerdings seit ein paar Jahren SWR4, der internationale Oldies bis zurück zu den 1950ern spielt und Schlager aus den 1970ern bis heute. Dann verfalle ich immer ein bisschen der Nostalgie, zu der ich ohnehin neige, oft zu meinem eigenen Leidwesen, denn *so* alt fühle ich mich noch nicht, dass ich die alten Zeiten bejubeln müsste. Trotzdem ist es wohl so, dass ich eine derjenigen wäre, die eine Rückkehr zu mehr Menschlichkeit und dafür weniger Technik und überflüssiger täglicher Information begrüßen würden. Denn ganz ehrlich, die Reizüberflutung und Schreckensmeldungen von überall her machen viele von uns depressiv und krank; mitunter ohne dass wir es merken oder die Ursache erkennen.

 

Mach' mal Pause.

 

Irgendwie bin ich tief drinnen doch ein analoges Mädel, das mit den kleinen Dingen happy ist und sich gelegentlich wünscht, in eine Zeitmaschine steigen zu können.