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Freitag, 30. Juni 2017

Der freundliche Mr Crippen ~ John Boyne

Eigentlich weiß ich nicht, weshalb ich dieses Buch gelesen habe, nachdem "Haus der Geister" eine solche Pleite für mich war. Vielleicht, weil John Boyne meist ungewöhnliche Themen in der Vergangenheit aufgreift, ohne dabei penetrant und trocken in jedem zweiten Satz in historische Details zu gehen. Der Stoff und die Zeit, in denen seine Romane spielen, interessieren mich, und so habe ich Dr. Crippen doch noch eine Chance gegeben.

Inhalt: Juli 1910. Im belgischen Antwerpen bricht die SS Montrose zu einer Atlantiküberquerung nach Kanada auf. An Bord sind Mr Robinson und sein Sohn Edmund, die schon bald das Misstrauen der übrigen Passagiere und des Käptains erregen. Tatsächlich fliegt die Maskerade der beiden früh auf, nachdem Käptain Kendall die beiden im Dunkeln erwischt und feststellt, dass die Robinsons nicht das sind, was sie zu sein scheinen. Spekulationen nehmen ihren Lauf, und als Scotland Yard - alarmiert durch den vagen Verdacht, Crippen hätte seine Frau getötet - die Verfolgung aufnimmt, scheint das Schicksal des freundlichen Mr Robinson besiegelt.




Meinung: Die Geschichte beruht auf einem wahren Fall, von dem Boyne in Rückblenden und von der Überfahrt gleichermaßen mit künstlerischer Freiheit erzählt. Das ist an sich nicht verwerflich, im Gegenteil. Doch leider gewinnen die detailverliebt beschriebenen Charaktere nicht an Tiefe, geschweige denn dass ich Sympathie für sie empfunden habe. Die verschiedenen Erzählperspektiven sollten anscheinend für Spannung sorgen; mich haben sie oft verwirrt und ein bisschen geärgert. Allerdings gewöhnt man sich mit der Zeit daran. Nicht gewöhnt habe ich mich an die Vorhersehbarkeit der Story und die plumpen "tierischen" Vergleiche (grinsende Katze beim Anblick einer Schale Milch, schielende Ratte auf der Suche nach Käse, Känguru mit Verdauungsproblemen, um nur ein paar zu nennen). Auch war mir vieles zu ausführlich; unfreiwillig komische und unwichtige Dinge wie "schmerzverzerrte Augen" oder weitschweifende Details, die nicht im Entferntesten der Handlung dienen, haben mich gestört (wobei erstgenannter Kritikpunkt vielleicht auf das Konto des Übersetzers geht).

ACHTUNG SPOILER: Eingedenk des Frauenbildes, das Boyne in diesem Roman vermittelt, überrascht es nicht weiter, wer der wahre Mörder von Crippens unausstehlicher Gattin Cora ist. Der duldsame, langweilige Doktor, der keiner Fliege etwas zuleide tun kann, opfert sich am Ende für die einzige Liebe seines Lebens. Mit der Charakterisierung des in England immer noch recht bekannten "Frauenmörders" konnte ich mich trotz seines Gentlemantums und Edelmuts nicht anfreunden. Zu schwach, zu fad, zu passiv. Dagegen sind die Frauenzimmer richtige Furien: hohl, oberflächlich, machtgeil. Außer Ethel LeNeve. Aber die sieht ja auch aus wie ein Junge. 

Ein paar Logikfehler fielen mir auf, von denen mir besonders die Hutschachtel mit Coras Überresten Kopfzerbrechen bereitet hat. Müsste die nicht irgendwann anfangen, einen hmmm... üblen Geruch zu verströmen? Und wie kann eine zierliche Frau eine viel schwerere Frau auf die beschriebene Weise ermorden, zudem noch mit Fachkenntnissen, die man Dr. Crippen zuschrieb? Das war mir dann doch zu viel der künstlerischen Freiheit.

Berührt hat mich einzig das Nachwort des Autors, in dem er berichtet, dass sowohl Dr. Hawley Crippen als auch seine Geliebte sechzig Jahre später auf ihren Wunsch hin mit dem jeweiligen Foto ihrer großen Liebe bestattet wurden. Ich hoffe nur, die Anekdote ist nicht erfunden. (O;

Fazit: Mein vermutlich letztes Buch von John Boyne. Schade, trotz allem. Immerhin bin ich aus Ermangelung einer neuen Lektüre bis zum Schluss drangeblieben, was ich nach der ersten Hälfte ursprünglich nicht vorhatte, daher vergebe ich zwei Sterne.







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