Translate

Posts mit dem Label Außenseiter werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Außenseiter werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 1. März 2023

"Leo und das ganze Glück" ~ Synne Lea

 Die ungewöhnliche Freundschaft von Leo und Mei aus der lyrischen Feder der norwegischen Autorin Synne Lea war nominiert für den Jugendliteraturpreis 2014 - und das merkt man ihr an. Den Einstieg fand ich sehr schwierig, denn lange weiß man bei der kryptisch geschilderten Beziehung nicht, worum es geht. Außer dass die Ich-Erzählerin Mei eine leidenschaftliche Läuferin ist und wohlbehütet aufwächst, während Leo mit einem verkürzten Bein genau das Gegenteil von Mei ist. Licht und Dunkelheit, so wird es im wenig aufschlussreichen Klappentext beschrieben.




Bis ca. Seite 70 war ich versucht, das Buch wegzulegen, da mich der verschnörkelt-verschwurbelte Stil an "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak erinnert hat, die ich abgebrochen habe, weil ich den Stil als bemüht und zu blumig empfand. Ich mag es nicht, wenn Dinge und Elemente in schwülstigen Beschreibungen durch Taten Leben eingehaucht bekommen, außer im Märchen. Und ein Märchen ist "Leo und das ganze Glück" überhaupt nicht. Aber es wurde dann besser zu lesen, nicht mehr so sperrig, oder ich hatte mich daran gewöhnt. 

Handlung: Mei und Leo sind Nachbarn und etwa zehn Jahre alt. Mei sieht sich ein bisschen als Beschützerin von Leo, der nur selten aus dem Haus geht, sommers wie winters eine rote Wollmütze trägt und Käfer sammelt (die mich anfangs etwas erschreckt haben, da sie die Abschnitte markieren und bei Schummerlicht lebensecht wirken).

Gemeinsam bauen sie ein Baumhaus, das vermutlich das "ganze Glück" symbolisiert. Leo und Mei übernachten sogar in den Wipfeln und sägen die unteren Äste ab, damit niemand sonst ihren geheimen Ort entdeckt. Vergeblich, denn Leos Vater findet sie und hangelt sich an der Strickleiter nach oben, um Leo zu fassen zu bekommen und zu bestrafen. Und spätestens da merkt man als Leser, dass etwas nicht stimmt (wenngleich Leos Vater schon zuvor unangenehm auffällt). Denn Leo springt bzw. lässt sich aus großer Höhe fallen.

 

Mikewildadventure / Pixabay

 

Im Krankenhaus besucht Mel den im Koma liegenden Leo drei Nächte lang, in denen sie hofft, dass er bis dahin wieder aufwacht und alles wie früher ist. Der folgende Abschnitt hat mir übrigens am besten gefallen, trotz der Tatsache, dass ein Krankenhaus unbeweglich ist:

"Das Zimmer, in dem Leo liegt, summt und vibriert leise wie ein Schiff. Ich weiß nicht, ob es der Tag draußen oder das Krankenhaus ist, das sich bewegt, aber eines von beiden treibt davon."

Aber wie früher kann es nicht mehr werden, besonders nicht für Leo. Ich war mir am Schluss nicht sicher, ob ich Bedauern empfinden sollte oder Erleichterung.

 ~

Fazit: Als Jugend- und vor allem Kinderbuch halte ich "Leo und das ganze Glück" für nicht unbedingt geeignet. Dazu ist es zu lyrisch, zu wenig ausführlich und in vielen Dingen zu *erwachsen*. Eine Zehnjährige würde sich wahrscheinlich nicht so poetisch ausdrücken. Aber auch die Thematik (häusliche Gewalt und evtl. sogar sexueller Missbrauch) halte ich für schwierig in Romanen für junge Leser. 

Insgesamt gibt es dreieinhalb Käfer / Sterne für das schön gestaltete Cover und die Originalität. Ein ähnliches Buch habe ich nämlich noch nie gelesen.


Bewertung: 💫💫💫 und ein halber 💫



Donnerstag, 13. Juli 2017

Ein besonderer Junge ~ Philippe Grimbert

Weiter geht's mit meinem Lese-Sommer. So für zwischendurch und das durchwachsene Wetter habe ich ein kleines Büchlein gelesen, das mich in seiner Kürze sehr beeindruckt hat - obwohl ich mit dem poetischen, fast lyrischen Stil anfangs ein bisschen meine Probleme hatte. Im Nachhinein konnte "Ein besonderer Junge" jedoch nicht anders geschrieben sein, und wenn ich ehrlich bin, habe ich beim Schlusssatz ein paar Tränchen verdrückt.




Inhalt: 1970er Jahre: Der Student Louis ist ein Träumer und lebt in den Tag hinein. Ein abgebrochenes Psychologiestudium liegt hinter ihm, und mit der Juristerei kann er sich auch nicht so recht anfreunden. Seine Vorliebe für Bücher und seine bevorzugte Position, allein zu sein, machen es ihm schwer, Kontakt zu anderen zu knüpfen. Seine Eltern nennen ihn einen Sonderling oder, wenn sie es nett meinen, einen "besonderen Jungen." In den Semesterferien wird er auf eine Anzeige am schwarzen Brett der Universität aufmerksam, in dem ein Aufpasser für einen schwierigen Jugendlichen gesucht wird. Der genannte Ort ist es, der Louis schließlich dazu bringt, seine Scheu zu überwinden: in Horville verbrachte er regelmäßig die Sommerferien mit seinen Eltern, und er fand seinen einzigen Freund dort, den übermütigen und seelenverwandten Antoine, dem am letzten Urlaubstag sein Übermut zum Verhängnis wurde.

In Horville angekommen, lernt Louis die sarkastische, sexuell frustrierte  Helene und deren sechzehnjährigen Sohn Iannis kennen. Helene bezeichnet sich als Erotik-Autorin und möchte einen Roman schreiben, weswegen sie Ruhe braucht und nicht von Iannis abgelenkt werden möchte, der rund um die Uhr betreut werden muss: er spricht nicht, lebt in seiner eigenen Welt, verweigert den Toilettengang so lange wie möglich und neigt zu Selbstverletzung und Panikattacken. Für Louis stehen alle Anzeichen zunächst auf Flucht, doch Iannis verändert ihn ohne Worte und ohne große Gesten. Ganz allmählich entwickelt sich eine Beziehung zwischen den beiden, die in ihrer Sparsamkeit und in den Gedankengängen des Ich-Erzählers Louis rätselhaft und rührend ist. Und als Louis sich nach acht Wochen verabschieden muss, zeigt ihm Iannis auf eigene Art seinen Schmerz darüber.

Meinung: Ein wenig klischeehaft klingt sie, die Geschichte zweier besonderer Jungen, die zueinander finden. Und ist es dabei absolut nicht. Es ist auch keine Rain Man-Variante, obwohl Iannis Autist ist. Louis ist fasziniert von seinem "Anders-Sein", von seinem schaukelnden Gang, seiner Schönheit, seiner ungefilterten Wildheit. Und er erkennt, dass Iannis Fähigkeiten hat, die ihn in den Augen der anderen unheimlich erscheinen lassen. So ergründet er z.B. Louis' Geheimnis um dessen Ferienbekanntschaft Antoine, und er spürt das Verlangen seiner Mutter, Louis zu verführen. All das äußert sich auf eine Weise, die mitunter bizarr anmutet und gerade darum erstaunlich originell und trotzdem glaubhaft für Iannis' Charakter wirkt.

 Durch den knappen und lyrischen Stil war es mir nicht wirklich möglich, "dabeizusein", aber eigentlich hat der Roman ein Eintauchen ins Geschehen nicht nötig. Gefühle kommen trotz des geringen Umfangs der Geschichte und den häufig etwas bemüht kunstvoll formulierten Sätzen nicht zu kurz. Wie gesagt, am Ende habe ich ein bisschen geweint, und das sagt viel über Louis und Iannis und ihr Verhältnis zueinander aus. Lesenswert!

Bewertung:
👍👍👍👍