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Donnerstag, 24. Juni 2021

Eine australische Ikone: Phar Lap

 Schon seit einiger Zeit kenne ich die Legende von Phar Lap (1926 - 1932), dem australischen Rennchampion, der seinerzeit weltweit für Schlagzeilen sorgte. Das liegt daran, dass ich Pferde im Allgemeinen faszinierend finde und auch das Land, aus dem Phar Lap stammt (wobei er genaugenommen in Neuseeland geboren wurde).  

Jetzt habe ich endlich sein "Biopic" gesehen, das 1983 gedreht wurde, und es hat mich irgendwie - wenn überhaupt emotional berührt - traurig gemacht. 

 

Der ewig imposante Phar Lap im Melbourne Museum

 

Der Film selbst wirkte auf mich bis auf die Atmosphäre und das Setting nicht wirklich toll; daran war zum großen Teil die schlechte Synchro schuld, die den Lippenbewegungen der mir unbekannten Schauspieler völlig hinterherhinkte. Was mich aber wirklich verstört und fassungslos zurückgelassen hat, war die Habgier der Menschen, für die das arme Pferd Rennen lief. Es gab keine Schonung von Trainer Harry Telford, der zudem total unsympathisch dargestellt wurde, und auch fast alle anderen, die mit Phar Lap zu tun hatten, meinten es nicht gut mit ihm. Ausnahmen waren nur sein Stallbursche Tom Woodcock und sein australischer Jockey Jimmy Pike. Doch sie können nichts ausrichten gegen die Neider und die harten Trainingseinheiten.

Bereits auf heimatlichem Boden kommt es zu Attentatversuchen, als Phar Lap ein wichtiges Turnier gewinnen oder zugunsten seiner Konkurrenten am besten gar nicht daran teilnehmen soll. Sein legendäres Talent, fast jedes Rennen für sich zu entscheiden, wird auch im weit entfernten Amerika zur Kenntnis genommen, und so reist er gemeinsam mit Tom Woodcock und seinem Besitzer David Davis dorthin, um in Mexiko und Kalifornien anzutreten. Immer wieder ist er schon vorher aufgrund der Profitgier und den Schikanen seiner Besitzer, Buchmacher und Rennveranstalter krank, erschöpft oder leidet unter gespaltenen Hufen; trotzdem gibt es kein Pardon und keine Pause: Rennen um Rennen läuft das Wunderpferd, von denen es über dreißig von insgesamt 55 in seiner Karriere gewinnt. Und das scheinbar aus eigenem Willen, nachdem er als Fohlen eher "ein Reinfall" zu werden drohte und als "Missgeburt" bezeichnet wurde (so ein schönes Pferd, das kann doch nicht sein!).


Historische Aufnahme, ca. 1930

Sein qualvoller Tod in Kalifornien kurz nach einem Rennen gibt bis heute Rätsel auf, obwohl ich finde, dass es gar nicht verwunderlich ist, wenn ein Tier, das so geschunden wird, nicht lange leben kann. Lange dachte man, er wäre absichtlich vergiftet worden, doch spekuliert bzw. vermutet wird heute, nach einer DNA-Analyse der Mähne aus dem Jahr 2008, dass Tom Woodcock als neuernannter Trainer in den USA die Dosierung des von Harry Telford speziell gemischtem Futter falsch angesetzt hat. Telford glaubte nämlich, dass Arsen und Strychnin (!) als Bestandteil des Heus appetitanregend wirken.

Zwar ist Phar Lap bis heute vor allem in Australien bekannt, wo er sorgsam präpariert im Museum in Melbourne bewundert werden kann, doch ich hätte dem sanften Riesen ein ruhigeres und vor allem artgerechtes Leben gewünscht. Und viel Liebe, die er zumindest im Film nicht bekommen hat. Alles, was zählte, waren Leistung und das Geld, das damit gescheffelt wurde. Sein Ruhm, gemeinsam mit Errol Flynn und Vegemite als typisch australische Errungenschaft angesehen zu werden, war teuer erkauft. 

"Live fast, die young" trifft nicht nur auf zweibeinige Promis zu. Und wenn man es so sieht, wäre es besser für Bobby / Phar Lap (thailändisch für "schneller Blitz") gewesen, keine Legende zu werden.


Montag, 21. Juni 2021

Meinung und Fazit zu "Die Pendragon Legende" ~ Antal Szerb

Schade. Der anfangs spannende und originelle Roman hat mich merkwürdig unbefriedigt zurückgelassen. Enttäuscht auch. Ich konnte dem wirren Treiben um die Geheimnisse der Pendragons respektive der Earls of Gwynedd nicht mehr folgen, als sich die Ereignisse überschlagen und herauskommt, dass der Spion auf Llanvygan arglos alles der Drahtzieherin mitteilt, seit der ungarische Doktor walisischen Boden betreten hat. Was genau, ist mir immer noch ein Rätsel. Ging es nun um eine Verschwörung, die Suche nach dem ewigen Leben oder einfach um einen irren Drogentrip, den der Autor seinen Erzähler Janos Bátky erleben ließ? Ich kann es nicht sagen. Was mich umso mehr irritiert, da ich immer gerne mitfiebere und mitrate und oft auf der richtigen Fährte bin.

 



Vielleicht sind mir Bücher von solch hochgelobten Autoren einfach zu hoch und zu intellektuell, als dass ich sie durchschauen könnte. Oder es war zu heiß in den letzten Tagen mit 35° im Schatten. Hilfreich wäre wohl eine zweite Meinung, denn ich glaube schon, dass sich der gute Antal durchaus etwas dabei gedacht hat. Also wenn jemand das Buch gelesen und verstanden hat, scheut euch nicht, mir eure Erklärung im Kommentarbereich mitzuteilen, so absurd sie auch sein mag. (O;

Der negative Wendepunkt für mich kam mit dem Verschwinden Cynthias. Bátky, Osborne und die resolute Deutsche Lene Kretsch - Anhängerin der neuen Sachlichkeit - machen sich auf die Suche nach ihr, wobei sie sich trennen. Bákty wirft wohl irgendwas ein; anders sind mir die absonderlichen Visionen nicht erklärbar, die ihn heimsuchen, als er auf einen würfelförmigen Felsen in der Pampa trifft, in (!) dem sich Dinge abspielen, die ich ziemlich grausig fand. Es geht um Menschenopfer und finstere Mächte; etwas, das mir auch in schriftlicher Form nicht behagt. Der Ahnherr Asaph Pendragon entführt einen kleinen Jungen, den der aktuelle Earl Owain of Gwynedd rettet, indem er seine ehemalige Geliebte opfert, die den reichen Mr. Roscoe geheiratet hat, der den Earl später in seinem Testament bedenkt, wenn herauskommt, dass Roscoe unter "künstlich herbeigeführten Umständen" starb. Ein ziemliches Kuddelmuddel also, aus dem ich nicht schlau wurde. Was hatte Asaph Pendragon damit zu tun? Und ist er wahrhaftig wieder auferstanden, als mitternächtlicher Reiter und Beschützer des jetzigen Earls? Warum greift er zu solch drastischen Mitteln wie Menschenopfer und hält schwarze Messen ab? Und warum wollte man den akuellen Earl überhaupt aus dem Weg schaffen - ein Beweis für den Mord an Roscoe durch seine Witwe wurde doch nie erbracht? 

Fragen über Fragen, und ich hätte noch mehr. War Bátky nur zufällig da oder durch einen Wink des Schicksals? Ich weiß es einfach nicht und empfinde mein eifriges Lesen im Nachhinein als vergeudete Zeit (wobei ich genug habe - trotzdem fühle ich mich irgendwie verkohlt).


Richard Löwenherz könnte auch Asaph sein. Gaz_Chapp / Pixabay

 

Fazit: Leider kein tolles. Ich habe mit Staunen festgestellt, dass ich den Roman während der Leserunde vor über zehn Jahren mit drei Sternen von fünf bewertet habe, was ich als ziemlich gut bezeichnen würde. Wahrscheinlich ist mir durch den gemeinsamen Austausch damals einiges klar geworden, das jetzt immer noch nebulös und völlig konfus erscheint. Da ich mich an überhaupt nichts mehr erinnern kann bis auf die Axolotl als Versuchstiere des Earls, muss ich bei meiner aktuellen Bewertung einen Stern abziehen. Es tut mir selbst leid, da ich wie gesagt zu Beginn gefesselt war von der Geschichte, auch viele Sätze gelungen fand und das Setting und die spukige Atmosphäre genau mein Ding sind. Eigentlich. 

In der "Pendragon-Legende" kam für mich zu viel (Pseudo-) Intellekt und ein gegen Ende zu fantastisches Element vor, das in die eher nüchtern gehaltene Erzählung nach meinem Empfinden nicht gepasst hat. Ganz abgesehen davon, dass mir der Protagonist nicht sympathischer wurde im Lauf der Geschichte, vergebe ich angestrengte zwei Sterne.


💫💫


Donnerstag, 17. Juni 2021

Ich lese gerade: "Die Pendragon Legende" von Antal Szerb

 Dies ist einer meiner seltenen Re-Reads. Vor zwölf Jahren habe ich es gemeinsam mit einer Freundin online gelesen und diskutiert und muss zu meiner Schmach gestehen, dass nichts, absolut nichts hängengeblieben ist. Und das, wo der Roman von 1934 (!) von einem Besuch auf einem unheimlichen Schloss in Wales handelt, auf das der Earl of Gwynedd den ungarischen, etwas umständlichen "Historiosoziologen" Janos Bátky einlädt.

 


 

Inhaltlich klingt es wirklich interessant: mehr zufällig (?) wird der Ich-Erzähler mit zwei anderen Männern von dem Earl eingeladen, der zudem Graf des Geschlechts Pendragon ist, dessen Familiengeschichte weit zurückreicht und einige höchst sonderbare Persönlichkeiten hervorgebracht hat, von denen die Bewohner des Dorfes glauben, sie trieben nachts auf der Ruine Pendragon ihr Unwesen. Kurz: es spukt auf Pendragon und auch auf Llanvygan wie auf jedem britischen alten Schloss, das etwas auf sich hält. Der Earl selbst ist ebenfalls ein schräger Vogel: Getreu dem Motto auf dem Familienwappen "Ich glaube an die Auferstehung des Fleisches" tüftelt er an einer Formel zum Ewigen Leben. Nicht von ungefähr, hat doch der berüchtigte Asaph Pendragon aka mitternächtlicher Reiter den alchimistischen Orden der Rosenkreuzer gegründet, die so geheim sind, dass die Freimaurer sich dagegen wie Plaudertaschen ausnehmen. Aber man weiß immerhin, dass sie dem ewigen irdischen Leben auf der Spur waren, nachdem sie herausgefunden hatten, wie man Gold herstellt.

Mit auf Schloss Llanvygan - dem Wohnsitz des Earls in unmittelbarer Nachbarschaft zu Pendragon - befinden sich der draufgängerische Maloney aus Connemara, der junge schöne Neffe des Earls, Osborne, und dessen Schwester Cynthia, in die Bátky sich verliebt. Zumindest nachdem sich herausstellt, dass sie ihm auf Bildungsebene und intellektuell offenbar nicht das Wasser reichen kann, weil sie Béla Bartok für einen Russen hält. Und spätestens hier fing der Kerl an, mir komplett unsympathisch zu werden. Seine sexistische und oberflächliche Meinung über Frauen würde in einem aktuellen Roman vermutlich zensiert bzw. entschärft werden, denn sie zieht nicht nur überzeugten Feministinnen die Birkenstöcke aus. Und ich bin in der Hinsicht wirklich nicht empfindlich.

Leider hat mir das den vielversprechenden Anfang etwas verdorben. Zwar lese ich überwiegend und bevorzugt über männliche Protagonisten, doch wer Frauen nur als hübsches Beiwerk versteht oder arglistige Ränkeschmiederinnen, kann nicht viel Menschenkenntnis besitzen. Mir kommt der belesene Janos Bátky mindestens ebenso hohl vor wie Cynthia, die ihn wahrscheinlich ohnehin an der Nase herumführt. Denn welche anständige Frau entflammt schon für einen so erbärmlichen Chauvi? Oder sie ist tatsächlich so dumm, wie Bátky vermutet.


enriquelopezgarre / Pixabay

Die eigentliche Geschichte gefällt mir bisher ganz gut. Irgendwie ist die Atmosphäre spooky und alles sehr rätselhaft, was auf Schloss Llanvygan und auch außerhalb bei der benachbarten Pendragon-Ruine geschieht. Etwas langatmig erzählt, vielleicht, aber solange mich eine Story fesselt und ich mehr wissen will, ist das ok. Als Maloney, Osborne und Bátky in der Nacht eine mysteriöse Entdeckung am See machen, hatte ich tatsächlich Gänsehaut. Es scheint fast schon so, als sei der Earl zumindest teilweise erfolgreich in seiner Forschung; das jedenfalls war mein Eindruck.

Ich bin jetzt bei ca. 100 Seiten (etwas mehr als ein Viertel des Buches) und lese mit gemischten Gefühlen weiter. Einerseits bin ich natürlich gespannt auf die Lösung des Geheimnisses vom Earl und warum man den ungarischen "Doktor" hat holen lassen, der ganz zu Beginn einen Drohanruf erhält; andererseits vergällen mir die eindeutige Arroganz und Besserwisserei des ach so schlauen Protagonisten ein bisschen die Lesefreude. Ob eine vollständige Rezension folgt, kann ich daher noch nicht sagen. Ein Fazit werde ich auf jeden Fall dalassen.


Montag, 7. Juni 2021

Filme in Zeiten von Corona (VIIII): "Johnny" (2010)

 Ok. Dieses Review wird schwierig. Denn erstens wollte ich den Film eigentlich nicht anschauen, weil er von einem an Leukämie sterbenden Kind handelt, zweitens erwies er sich als eine emotionale Tour de Force und drittens war er zu gut, um nicht darüber zu schreiben. Klingt sonderbar? Ist es irgendwie auch. Und trotzdem möchte ich ihn hier vorstellen in der Hoffnung, dass er viele (nicht nur gläubige) Zuschauer findet. Mich hat er berührt wie selten ein Film.



Inhalt: Der aufgeweckte und bibelfeste Johnny ist Waisenjunge, seit er denken kann. Vermitteln lässt er sich aufgrund seiner Krankheit nicht, obwohl er sich nichts sehnlicher wünscht als eine Familie. Statt aber mit seiner Situation zu hadern oder in Selbstmitleid zu versinken, findet er einen Sinn im Leben: Gott - davon ist er überzeugt - hat ihn, wie alle Menschen, für eine besondere Mission auserwählt. Er ist freundlich, pfiffig und liebevoll mit seinen Freunden und hat immer Zeit für sie. 

Als sich sein Zustand verschlechtert, überweist ihn sein Arzt Dr. Miller (Lee Majors) an den Kollegen und Freund Drew Carter (Mel Fair), der das Besondere an Johnny erkennt und die Gelegenheit sozusagen beim Schopf packt: Er könnte ihn mit nach Hause nehmen und seiner Frau (Musetta Vander) damit über den Verlust des eigenen Sohnes hinweghelfen, der bei einem Autounfall starb, an dem die Mutter beteiligt war. Meint er zumindest. Doch Julia ist voller Schuldgefühle und Verbitterung und wirft ihrem Mann Rohheit vor, will er doch anscheinend, dass Robbie ersetzt wird und die Eltern und die kleine Kayla (Aubyn Cole) mit einer weiteren familiären Tragödie fertigwerden müssen. Wird Johnny dennoch seine Aufgabe erfüllen können?




Meinung: Natürlich kann er. Klischee und Tränendrücker, sagen jetzt bestimmt einige. Und haben mit dem zweiten recht. Die Klischees werden verblüffend geschickt vermieden, was vor allem dem großartigen Jerry Phillips zu verdanken ist und den Worten, die ihm der Drehbuchautor in den Mund legt. Obwohl erst elf / zwölf Jahre alt, weiß Johnny, dass Gott ihn bedingungslos liebt und man nicht gut sein muss oder möglichst viele gute Taten tun, um Gott zu gefallen. Man muss ihn nur machen lassen, seine eigenen Talente nutzen, nach ihm fragen und ihn zum Kumpel haben. Das tut Johnny, und auf diese Weise erobert er seine Mitmenschen - selbst die, die ihn anfangs nicht mögen oder ihn in der Pause auf der neuen Schule zusammenschlagen. Als Johnny in der Klasse von Gott erzählt, applaudiert der Rowdy, der die Prügelei angezettelt hat und entschuldigt sich später bei ihm mit der Begründung, dass er es mutig findet, wenn jemand so vertraut über Gott spricht, was er noch nie zuvor gehört hätte. Johnny selbst nimmt die Entschuldigung gelassen an.

Ein Spruch, den Lee Majors seinem Kollegen Drew Carter mit auf den Weg gibt, hat mir gut gefallen: "Jesus ist ein Gentleman, Drew. Wenn du ihm nicht öffnest, kommt er nicht herein." Johnny ist offen für Jesus, zu dem er eine innige Beziehung hat - selbst inniger als die zu seiner neuen Familie, die ihn - Überraschung - letztlich doch komplett akzeptiert und adoptiert.

Geweint habe ich viel während des Films. Leicht anzusehen war er nicht, wirklich nicht. Es gibt eine Szene, in der Julia in Robbies Zimmer, das sie unverändert gelassen hat seit dessen Tod, Johnnys Football auf dem Schoß hält und sich mit ihm wiegt, während Johnny im Krankenhaus um sein Leben kämpft. Dieser Schlüsselmoment und auch der Brief der kleinen Schwester Kayla bringen mich jetzt noch fast zum Heulen. Damit möchte ich nicht sagen, dass zu dick aufgetragen wurde - ich fand den Film so wahr, dass es mir einfach mehrmals fast das Herz gebrochen hat. Und außerdem ist Johnny trotz seinem besonderen und tiefen Glauben ein Kind, das Spaß hat am Leben und auch Angst vorm Sterben, wenngleich er sicher ist, dass Jesus ihn abholt.

Gefehlt hat mir ein bisschen der herzliche Kontakt zur neuen Familie Carter. Abgesehen davon, dass Johnny mit Julia eine harte Nuss knacken muss, war eigentlich nur Kayla diejenige, die sich Zeit genommen hat für ihn. Oder aber die Filmdauer reichte nicht aus für entsprechende Szenen. Und wenn ich genau darüber nachdenke, war das vielleicht sogar beabsichtigt und kein Manko. 

 


 

Der Trailer wird dem Film nicht so ganz gerecht. Es lohnt sich, sich selbst ein Urteil zu bilden und "Johnny" anzusehen, der sehr ungewöhnlich wirkt und trotzdem authentisch. Ich werde es vermutlich nicht mehr tun, dazu war er emotional zu anstrengend, aber lege ihn uneingeschränkt jedem ans Herz, der sich nicht berieseln, sondern anrühren lassen möchte von Johnny und seiner Sicht auf die Welt, die so schön wäre, wenn alle Menschen sich lieben und einander verzeihen würden wie von Gott gedacht.


Bewertung: 💫💫💫💫💫

 

Donnerstag, 3. Juni 2021

Rezension "Wir waren Glückskinder - trotz allem" von Michael Wolffsohn

 Dieses Buch, das ich im Rahmen einer Facebook-Verlosung gewonnen habe, ist als Kinder- und Jugendbuch konzipiert (es gibt auch eine "Erwachsenenausgabe", die ich weiter unten verlinke), und ich kann sagen, dass ich es nach dem Lesen unbedingt als Schullektüre empfehle. Obwohl schon aus familiärer Hinsicht interessiert am Judentum, dessen Geschichte und dem Nahost-Konflikt, war selbst mir einiges neu bzw. ist mir neu aufgegangen. Fragen, die sich "Nachkriegsdeutsche" eigentlich nie stellen, werden von Herrn Wolffsohn am Beispiel seiner Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits und seinen Eltern Thea und Max aufgeworfen. Allein das war ein Aha-Moment für mich.



Inhalt: In einfachen und kindgerechten Worten beschreibt das Buch die Schicksale der Familien Saalheimer und Wolffsohn, die in Bamberg und Berlin ansässig waren und ein gutes Leben führten. Zwar gab es Unterschiede zu den Katholiken und Protestanten, doch man sah das nicht als Problem an. Im Gegenteil: Thea Saalheimer geht sogar auf eine katholische Schule in Bamberg, in der Protestanten weit weniger gern gesehen sind als Juden. Zu spüren bekommt sie ihr "Anders-Sein" erst wirklich, als in der Reichpogromnacht die Synagogen brennen. Ihr Vater Justus (der mir sehr sympathisch war in seiner Klugheit und emotionaler Intelligenz) nimmt die Zeichen lange nicht ernst, sind die Saalheimers doch Deutsche und stolz darauf, im Land der Dichter und Denker dazuzugehören. Doch als Justus für kurze Zeit in ein Konzentrationslager kommt und nur durch einen wohlwollenden Angestellten wieder freigelassen wird, ändert sich alles. Thea muss das Internat in Berlin verlassen, auf das sie sich als Siebzehnjährige so sehr gefreut hat, und gemeinsam flüchtet die Familie vor dem Hitlerwahn nach Palästina.

Den Wolffsohns ergeht es ähnlich: Opa Karl, ein erfolgreicher Unternehmer in der Unterhaltungsbranche und leidenschaftlicher Kinobetreiber (u.a. der "Lichtburg" in Essen), muss alles zurücklassen und wird seine Projekte nie mehr weiterentwickeln können. Seine Frau Recha leidet sehr darunter, nicht mehr auf Parties gehen zu dürfen und den Wohlstand aufzugeben, in dem die Wolffsohns als angesehene und gutbetuchte Bürger gelebt hatten. Ihre Flucht über Holland und Belgien nach Palästina war für mich fast unerträglich zu lesen, wobei ich froh bin, dass Herr Wolffsohn im Allgemeinen auf allzu detaillierte Schilderungen verzichtet hat.

Die Einreise nach dem damaligen Britisch-Palästina geht durchaus nicht reibungslos vonstatten, und auch dort ist das Leben kein Honigschlecken. Nicht nur werden harte Arbeit und eine neue Sprache verlangt, auch Gefahr droht - von den arabischen Nachbarn, die ein Abkommen mit den Briten hatten, und christlichen Sekten. Auch unter Schicksalsgenossen und zuvor eingewanderten Juden bahnen sich hin und wieder Unstimmigkeiten an - irgendwann beschließt Großmutter Recha, nicht mehr auf den Markt in Tel Aviv zu gehen (ihre Gründe mögen simpel gewesen sein; ich konnte sie gut verstehen). Aber auch etwas Gutes hat die "Luftveränderung". Im "Beit Israel" - einer Art Treffpunkt für deutsche Juden - lernen sich Thea Saalheimer und Max Wolffsohn kennen und lieben. Sie und die Großeltern Wolffssohn kehren einige Jahre nach dem Krieg mit dem kleinen Michael nach Berlin zurück.

Gegen Ende wird die aktuelle Situation von Juden in Deutschland beleuchtet, was ich sehr gut fand, zeigt sie doch gewisse Tendenzen zu 1933. Damit das nie wieder geschieht, dafür plädiert Michael Wolffsohn eindrücklich und wendet sich dabei direkt an den jungen Leser. Denn jeder kann dazu beitragen, auch und vielleicht gerade die nächste Generation.

                                                        

Kurioses und Frivoles auf dem Markt von Tel Aviv / Foto: Christine Wirth

 

Meinung: Ein Buch, das trotz der kindgerechten Aufbearbeitung unter die Haut geht. Ich kannte selbst eine Familie, die während des Krieges ausgewandert und wieder zurückgekehrt ist, doch den unvorstellbaren Schrecken der Hitlerära und das Gefühl der Entwurzelung im fremden Land, darüber haben sie nie gesprochen. Zeitzeugen gibt es heute nur noch wenige. Umso plastischer beschreibt der Autor mit seiner eigenen Familie die Entbehrungen und sogar Schuldgefühle, aber tatsächlich auch das Glück, das ihr inmitten all des Chaos und der Unruhe widerfuhr. Durch die Saalheimers und die Wolffsohns werden die sechs Millionen auf einmal persönlich; man fühlt mit ihnen, staunt und fürchtet sich. Dabei vergisst Michael Wolffsohn nie das Positive. Mit der richtigen Prise Humor erzählt er von den köstlichen Jaffa-Orangen, familieneigener Chuzpe, Sprachenwirrwarr und heißen Sommertagen, die den buchstäblich zugeknöpften osteuropäischen und deutschen Einwanderern den Spitznamen "Jeckes" einbrachten. 

Was mir nicht gar so gut gefiel, war die zwar im Kontext verständliche, aber mitunter etwas schulmeisterliche Art, zu biblischen Geschichten Bezug zu nehmen und den Gottesglauben teilweise ins Reich der Märchen zu verbannen. Aber das sei dem Autor als Historiker und "Besserwisser", als der er sich selbstironisch bezeichnet, verziehen und hat keinen Einfluss auf meine Gesamtbewertung.

Ich werde das Buch weiterverleihen und würde mir wie gesagt sehr wünschen, dass "Wir waren Glückskinder - trotz allem" Einzug in sämtliche Klassenzimmer erhält. Für mich ein zwar etwas schwer lesendes, da emotional aufwühlendes, aber unbedingt lesenswertes Zeitzeugnis von Herr Wolffsohn, dessen Enkel ihn erst auf die Idee brachte, die bewegende, aber dennoch hoffnungsvolle Biografie seiner Familie niederzuschreiben. Danke, Noah! 


 

Bewertung:  💫💫💫💫 💫