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Samstag, 18. April 2020

Filme in Zeiten von Corona (VI): "The Lost Prince" (1999)

Nachdem mir "Perfect Strangers" von Stephen Poliakoff so gut gefallen hat, ging ich auf die Suche nach weiteren Produktionen von ihm und bin auf "The Lost Prince" gestoßen, ein Biopic des jüngsten Sohnes von King George V. und Queen Mary und offenbar auch die Inspiration zu "Perfect Strangers".

Lange war die Existenz des kleinen Johnnie (1905 -1919), Onkel der heutigen Queen Elizabeth, ein Geheimnis; mit vier Jahren wurde er offiziell zum Epileptiker erklärt und litt anscheinend unter einer milden Form von Autismus, ehe er im Alter von 13 Jahren starb und  - grausamerweise zur Erleichterung der Familie - in Vergessenheit geriet, bis man gegen Ende des 20. Jahrhunderts in Frankreich auf Erinnerungsstücke im Nachlass seines ältesten Bruders Edward stieß (der, der Wally Simpson einer königlichen Laufbahn vorzog).





Inhalt: Es gibt ein schwarzes Lämmchen in der königlichen Familie, und das ist Prinz John. Er ist nicht wie seine fünf Geschwister, passt sich nicht dem höfischen Leben an und sagt geradeheraus, was er denkt, auch und gerade zu Anlässen, bei denen ein Kindermund zur damaligen Zeit schweigen soll, besonders ein royaler. Das Lernen fällt ihm schwer, und aus heiterem Himmel befallen ihn epileptische Anfälle, die jeden, der davon Zeuge wird, "traumatisieren". Die Ärzte, die nach einem solchen Anfall gerufen werden, raten u.a. darum dringend, ihn "in Isolation" zu geben (ein aktueller Bezug zu Corona!). Lange fackeln ist Queen Marys (streng und gewohnt furchteinflößend: Miranda Richardson) Sache nicht, und so schickt sie ihn mit dem treuen Kindermädchen Lalla von Sandringham aufs Land in ein kleines Cottage. Dort lebt er fern von königlichen Pflichten gemeinsam mit Lalla (Gina McKee), einem müßigen Gehilfen und einem Hauslehrer, dem irgendwann der Geduldsfaden mit seinem unwilligen Schüler reißt und der sich freiwillig zur Armee meldet. 

Bruder George besucht ihn hin und wieder und hält den engsten Kontakt zu ihm, denn er liebt Johnnie nicht nur, er bewundert ihn und freut sich über seine Fortschritte. Anders als George und die übrigen Geschwister ist Johnnie frei, sich selbst zu sein und muss sich nicht verstellen, um in die Gesellschaft zu passen. Politik, der von Cousin Bill angezettelte Erste Weltkrieg, Internat, Etikette, lästige Treffen mit dem Rest der weit verzeigten königlichen Verwandtschaft - all das bleibt Johnnie erspart. Er ist glücklich auf dem Land mit Lalla, seinem Grammophon, seiner Malerei und seiner Trompete. Doch zumindest im Film er ist sich seines Standes wohl bewusst und zeigt sich als Teenager höflich aber auch majestätisch bestimmend während der seltenen Besuche seiner zugeknöpften Eltern, die sich heimlich für ihn schämen. 

Meinung: Nach dem grandiosen und emotional packenden "Perfect Strangers" war "The Lost Prince" zunächst eine herbe Enttäuschung. Viel zu (monarchisch) steif, zu wenig erzählerisch, zu wenig Sympathie mit den Schauspielern; selbst die Kinderdarsteller - obwohl gut gewählt - konnten mich nicht überzeugen. Erst am Ende des Zweiteilers flossen Tränen im vertrauten Poliakoff-Modus. Und zwar nicht nur deshalb, weil es uns für heutige Verhältnisse herzlos vorkommt, Kinder, die anders sind, zu vernachlässigen und ihnen nicht helfen zu wollen oder zu können (die Erforschung und Behandlung von Epilepsie steckte noch in den Kinderschuhen), sondern auch vor Rührung. 


Prince John. Bildquelle: Wikimedia Commons

Mir wurde erst später klar, dass Johnnie eigentlich am besten dran war von allen Beteiligten, nämlich dann, als ich ein wenig genauer über ihn recherchiert habe. Trotz seiner Neigung zum Autismus hatte Johnnie Freunde und einfache Leute in seinem "Exil", denen er wichtig war und die ihm ein gutes Leben ermöglicht haben. Die aufrichtig um ihn getrauert haben, als er nach einem schweren Anfall im Schlaf gestorben ist. Die echte Lalla bewahrte zeitlebens ein Foto von ihm auf, das über ihrem Kamin hing. Sie hat nie geheiratet und eigene Kinder bekommen, denn, wie sie auch zu Queen Mary unter Tränen im Film sagt, war Johnnie etwas Besonderes. 

Trotz der etwas schwerfälligen und manchmal wirren Erzählweise empfand ich wieder eine bittersüße Traurigkeit, die mich beim Anschauen solcher Filme nach wahren Begebenheiten oft überkommt. Dass sie nicht von Beginn an da war, liegt wohl an der zurückhaltenden und eisigen royalen Atmosphäre der Geschichte. Man sagt, dass George V. und Queen Mary sich trotz ihrer Liebe nur brieflich verständigten, weil sie Sprechen als ungehörig und notwendiges Übel erachteten. Selbst Georgie, der seinem Bruder am nächsten steht, wirkt steif und hölzern aufgrund der Erziehung und der Zukunft, die ihn als Marineoffizier erwartet. Ich bin allerdings auch wahrlich kein Fan von irgendwelchen Royals und kenne mich mit den Gepflogenheiten, Schrullen und Dramen bei Hofe nicht aus. Insofern war "The Lost Prince" eine Neuentdeckung und hat mich sogar neugierig auf weitere Informationen über Prince John gemacht. Denn interessant und außergewöhnlich war er allemal.

Bewertung: nach reiflicher Überlegung knappe vier 





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