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Donnerstag, 30. April 2020

Leseprobe aus "Affettuoso"

Es folgt ein kleiner Ausschnitt aus meinem "Roadmovie"- Roman "Affettuoso". Die Szene beschreibt Joshuas erste Schritte ohne Auge, das er nach einem Unfall mit einem Oldtimer verloren hat. Mickeys Knastkumpan, mit dem ihm die Flucht gelang, ist Epileptiker und darf eigentlich keinen Wagen führen. Doch wie das so ist: der Reiz am Verbotenen war stärker. Mickey (der Erzähler) macht sich Vorwürfe, obwohl ihn keine Schuld trifft. Er hat Joshua aber auch trotz oder gerade aufgrund seiner Unzulänglichkeiten fest ins große Herz geschlossen.


DesCor / Pixabay


• Hör mal, Alter, sagte Richard. Moira und ich haben uns überlegt, ob du im Hotel pennen willst, solange Joshua weg ist, es wird ja allmählich auch was kalt da draußen, und wir hausen in `nem Luxusappartement, ich lass was meine Connections spielen, dann ist das kein Problem, wenn du auf’m Sofa ratzt und dich friedlich verhältst.
• Klar, sagte ich. Ist gebongt. Danke.
Ich war wirklich froh; im Strandhaus fraß ich manchmal vor Einsamkeit schier einen Besen, ich zögerte das so lang wie möglich raus und werkelte bis in die frühen Morgenstunden wie besessen in der Tankstelle.
Ich brauste auch mal mit der Intruder raus zum Unfallort und errichtete ein kleines Holzkreuz für Joshuas Auge; das war albern, ich weiß, doch ich glaubte, dass ich ihm das schuldig war, dem Auge.
Das Zimmer mochte ein Luxusappartement sein, es besaß immerhin eine winzige Kochnische nebst Kaffeemaschine, so war ich befähigt, mich durch die schlaflosen Nächte zu putschen, denn die Wände waren verflixt dünn, ich hörte Geräusche von allen Seiten, außerdem dröhnte der Kirchturm wie aufgezogen, irgendwo röllerten paarungswütige Katzen, und bestimmt flitzte demnächst ein Schnellzug mit Schallgeschwindigkeit durch meine Gehörgänge.
Zu dritt rückten wir in der Klinik an, als Joshua entlassen wurde, sie hatten ihn nur kurz dabehalten, da die Notfallstation von Bettenmangel bedroht war. Moira stöckelte auf ihn zu und riss ihn Besitz ergreifend an sich. Unterdessen bedankte ich mich bei Dr. Alvardo, Richard hatte hinter mir Position bezogen und rollte nervös den Bund seines rot-weiß-blaugestreiften Muscleshirts auf und zu.
• Er wird in der ersten Zeit vermehrt auf Ihre Hilfe angewiesen sein, sagte Dr. Alvarado. Haben Sie Geduld, es ist eine große Umstellung für Sie alle.
• Wie fühlt man sich so als Capt’n Hook, fragte Richard, Joshua grinste.
• Ich wollte lieber Tinkerbell sein. Die kann fliegen und schüttelt Feenstaub aus’m Röckchen.
Es waren auf den ersten Blick Banalitäten, die zu schier unüberwindlichen Hürden avancierten, es fing bei den Treppenstufen der Klinik an, Joshua weigerte sich, nach unten zu gehen, er hatte das Gefühl, in ein Loch zu fallen, das waren Dinge, in die man sich erst hineinversetzen musste, um zu verstehen, dass Treppenstufen eine ernste Gefahr darstellten.
• Lasst uns den Lift nehmen, schlug Richard vor, doch die Idee verwarf ich gleich wieder, in Fahrstühlen flippte Joshua vollkommen aus, er hatte als Kind mal in einem einen traumatischen Anfall gekriegt.
Er umkrampfte das Geländer und schlang den rechten Arm um Moiras Taille, er setzte jedes Mal einen Fuß neben den anderen, bevor er die nächste Stufe in Angriff nahm, Richard und ich, hinter ihnen, ahmten unabsichtlich seinen Gang nach.
• Mir ist schlecht, sagte er, wir hatten noch `ne Menge Stufen vor uns, Richard sagte:
• Moira, vergiss unser Meeting mit den Tennisfreunden nicht.
• Zum Teufel mit dem verpissten Meeting, fauchte sie. Wir stecken in Schwierigkeiten, Dick!
Sie knickte ein bisschen in der Hüfte ein, Joshua merkte, dass er sie zu sehr belastete; er taumelte auf mich zu und hängte sich an meinen Hals.
• Danke für die Unterstützung, Mädels, sagte ich. Den Rest schaffen wir allein.
Richard, der Gute, wollte seinen Fauxpas ausbügeln, er tätschelte flüchtig Joshuas Po. Wenn du Probleme hast, Junge, kannst du jederzeit zu mir kommen, klar?
Hand in Hand hüpften sie die Treppe hinunter, insgeheim glücklich, einer ihnen fremden Welt zu entkommen.
• Wir haben alle Zeit der Welt, beruhigte ich Joshua. Lass dich nicht entmutigen. Das ist eben so, am Anfang.
Er sagte nichts, sondern rückte noch ein Stück näher an mich ran, ich hatte Schiss, mit der Schulter irgendwie der verpflasterten empfindlichen Naht zu schaden. Joshua, sagte ich. Ich kann dich tragen. Willst du, dass ich das tue?
Er nickte gedemütigt, und ich hob ihn hoch.


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