Und siehe da, in fast allen meinen Werken wird Bezug auf Klassiker der Literatur genommen. In "Fairlight" spielt sogar ein Gedicht von Robert Browning eine Schlüsselrolle. Ich mag solche auf den ersten Blick unbedeutenden Details, die sich später doch als wichtig erweisen und beim Leser einen Aha-Effekt auslösen.
Unter "Weitere Informationen" gibt es die Leseprobe, in der sich Morgan Thorpe als Hobbydetektiv beweist und einiges aus der Vergangenheit der rätselhaften Fairlight-Sippe aufdeckt.
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"Sehen Sie, was
ich gefunden habe!" Stolz wie ein kleiner Junge, der auf Lob aus ist,
wedelte Thorpe mit seiner Beute herum, als Raeburn in die Gästestube trat. Auch
Edward Vaughan, pfeifeschmauchend am Fenster lehnend, absolvierte eine
Glanzleistung in Sachen geheimnisvoller Mimik.
"Ich
bin mir sicher, man hat uns einen Wink gegeben, Sir." Bezeichnend
verdrehte er die Augen gen Himmel.
Eine
Prise Ungeduld andeutend, heftete sich Raeburns Blick auf den Wortführer.
"Wäre
es zuviel verlangt, mir zu erklären, um was es eigentlich geht, Thorpe?"
"Unter
dem Dach gibt es eine Art zweite Bibliothek, die mir allerdings eher wie ein
Kerkerverlies dünkte. Was der Inhalt dieses Briefes möglicherweise bestätigt.
Er steckte übrigens zwischen den Seiten von Brownings 'Flucht der Herzogin'. Ob
das bloß ein dummer Zufall ist? Wenn nicht – davon ist mein Assistent überzeugt
– hätte die Lady echten Galgenhumor bewiesen."
"Zeigen
Sie her."
Er
räusperte sich, bevor er etwas verlegen und umständlich seine Lesebrille aus
dem Jackett kramte und den Bogen glättete, den Scharfblick der beiden Kollegen
gespannt auf sich fühlend.
Fairlight House, den 9. Februar 1905
Francis,
Vater hat Euch gestern für mehrere Wochen
weggeschickt mit der Begründung, ich bräuchte Ruhe, um ein Herzleiden
auszukurieren. Wie alles, was Chester von sich gibt, ist dies eine Lüge, eine
Farce, um mich daran zu hindern, das Verbrechen meines eigenen Sohnes
anzuzeigen. Daher sperrt er mich hier oben ein, und weil ich ihn kenne, ihm
noch größere Schurkereien zutraue, die mich um mein Leben bangen lassen, am dem
ich seit meiner unseligen Heirat nicht mehr hänge, will ich Dir das
aufschreiben, was mir nie über die Lippen gekommen ist. Ich möchte, dass Du
weißt, dass Du und Eugene für mich immer mehr bedeutet haben als James und
Frederick, über dessen Tat ich so schockiert bin, dass die Irreführung meines
Ehemannes vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit birgt, mein Herz gebrochen ist.
In Deiner Urwüchsigkeit habe ich mich selbst
als kleines Mädchen und junge Frau wiedergefunden, auch wenn dies töricht
klingt und es Dir wohl schwerfällt, Dir mich unbeschwert und lachend
vorzustellen. Als Kind war ich sehr glücklich. Du hast wieder ein wenig Leben
in mein Dasein gezaubert, genauso wie der kleine Eugene. Möglicherweise habt
Ihr es nie bestätigen können, aber ich hatte durch Euch beide wieder ein Funken
Lebensmut gefasst. Dafür bin ich Euch auf immer zu Dank verpflichtet. Leider
konnten wir drei nicht gegen die geborenen Fairlights bestehen, doch in
Gedanken habe ich es zumindest versucht.
Wie sehr habe ich Dich im positiven Sinne um
Deine natürliche direkte Art beneidet! Sei darauf bedacht, sie nicht zu
verlieren, sei es durch das Alter oder äußere Umstände. Gleichgültigkeit ist
aller Laster Anfang, wenn sie nicht gar das schlimmste von allen ist.
Du hast nie darüber gesprochen, doch ich bin
mir ganz gewiss, dass Dein Bruder, über den ich erzürnt hätte sein müssen, da
Du ihn als uneheliches Kind meines Mannes ausgegeben hast, nicht sein Sohn sein
kann. Von Anbeginn hegte ich keinen Groll gegen Eugene, und das nicht nur, weil
meine Ehe schon damals zerrüttet in Scherben vor mir lag. Er zeigt weder
körperliche noch charakterliche Merkmale, in denen ich Chester wiedererkannt
hätte. Er ist so sanft, so anständig zu seinen Mitmenschen und den Tieren, und
er hat Deine dunkle Haut, was ihn bei meinem Mann ohnehin suspekt macht. Ich
fürchte, er wird es nicht leichter haben mit Chester, wenn er heranwächst.
Sobald sich Euch eine Gelegenheit bietet, Fairlight zu verlassen, solltet Ihr
es tun. Dieser Platz ist nicht geschaffen für Menschen wie Du und Eugene. Ihr müsst
frei sein, wie es Eure Vorfahren waren, frei von Zwängen und Förmlichkeiten. Lass
Dich nicht verbiegen, mein Prinz, und beschütze Deinen Bruder vor diesem
Monster, das mein Mann ist. Anders als ich ist er davon überzeugt, Eugene sei
sein Fleisch und Blut, doch je überzeugter er davon wird, je unterschiedlicher sich der Kleine
entwickelt, desto größer wird sein Zorn und seine Unvernunft werden.
Eugene ist Dein Geheimnis, Francis, und wer
weiß, ob seine wahre Herkunft in dieser Welt enthüllt werden wird. Schon jetzt
ist er ein nachdenklicher und außergewöhnlicher Knabe. Pass auf ihn auf, denn
Menschen wie er haben es schwieriger als solche von Deinem Schlag. Denn
gleichwohl ich entsetzt bin über Frederick, weiß ich, Du bist gefestigt und mit
Deinen achtzehn Jahren (obwohl wir Dein Geburtsdatum ja gar nicht kennen; warst
Du überhaupt je ein Kind?) reif genug, um ihm irgendwann zu verzeihen. Es ist
größtenteils meine Schuld, da ich unfähig bin, ihm das zu geben, was man von einer
Mutter erwünscht und worauf jedes Kind ein Recht hat. Ich glaube an Dich als
eine Fügung des Schicksals, enttäusche mich nicht. Du bist mein Zigeunerkönig,
Francis. Hoffentlich sehen wir uns an einem schöneren Ort wieder.
Alles Gute für Dich und Eugene,
Fiona Clayton
"Eine
verzweifelte Frau“, resümierte Vaughan schulmeisterlich, noch ehe Raeburn am
Ende des Briefes angelangt war. "Dabei munkelte man, ihre Vergnügungssucht
sei geradezu sprichwörtlich gewesen. Da sieht man mal, was dran ist an Gerüchten.
Sie sollten gar nicht erst in Umlauf gebracht werden. – Aber dann existierten
sie ja überhaupt nicht“, schloss er einfältig und sah sich um, als erwarte er
für derartig logische Schlussfolgerungen ein anerkennendes Wort.
Raeburn tippte das Kuvert leicht an seine
Lippen, den Blick aus dem Fenster gerichtet. "Worum geht es in dieser
Geschichte, Morgan?"
Eifrig
straffte sich der Rothaarige. " 'Die Flucht der Herzogin'? Naja, soweit
mir bekannt ist, um eine Frau, die unglücklich mit einem Herzog vermählt wird.
Um ihr Anstand beizubringen und eine Lektion zu erteilen, nachdem sie der
Passion an seinem Steckenpferd, dem Jagdreiten, nichts abgewann, engagiert er
eine Zigeunerin und schickt sie ins Schloss. Entgegen aller Erwartungen werden
die unterschiedlichen Frauen Freunde, die Zigeunerin ist gar eine Königin und
verschönt die Herzogin, indem sie ihr von der Liebe erzählt, von einer anderen
Welt in einer besseren Zukunft. Daraufhin reiten beide weg, niemand kann sie
aufhalten." Er kratzte sich am Kopf. "So in etwa. Ist lange her, dass
ich es las."
"Das
passt“, sagte Raeburn wie zu sich selbst. "Gute Arbeit, Thorpe.
Danke."
"Man
tut, was man kann, Sir“, wiegelte Thorpe bescheiden ab.
"Nun
haben wir die Gewissheit über das, was wir schon vermuteten, nämlich dass die
Burschen keinem Adelsgeschlecht entstammen“, verdarb Vaughan die Euphorie
seines Chefs. "Ist im Prinzip nichts Neues. Doch was geschah mit der armen
Lady Clayton? Was hat sie gesehen?"
"Darüber
gibt uns vielleicht jemand Aufschluss, der die Augen nicht verschließt."
Raeburn
beschloss, sich von der Sache zu distanzieren, da sie Eugene nicht zu betreffen
schien, auf den er sich nun ausschließlich konzentrieren wollte, indes Morgan
Thorpe neue Ambition aus seinem Schritt Richtung Auflösung des Holbrooksrästels
schöpfte. Ein wenig unzufrieden ob der Zurückhaltung des Kollegen suchte er
Eamon Jones auf, welcher nicht zum ersten Mal mit dem armen Finnigan
Schindluder trieb. Privat mochte er ein vergnüglicher, kumpelhafter Spaßvogel
sein, aber seine schleifende Arbeitsmoral auf Kosten Schwächerer stieß Thorpe
sauer auf. Genüsslich fläzten er und dieser feiste O’Teale sich im Stroh, den
Halbasiaten mit betont langsamen Anweisungen in alle Winkel scheuchend, um ihm
sein geistiges Manko deutlich vor Augen zu führen. Überall hatten sie gusseiserne
Tierplastiken aus dem Park abgeladen, die Finnigan unsinnig ohne erkennbare
Strategie oder Ziel durch die Gegend schleppte. Ein hilfloser Dulder war Thorpe
noch nie gewesen, und so fasste er Finnigans Schulter und zwang ihn,
stehenzubleiben. Seine Stimme wurde rau vor Strenge, wenn auch nicht des Jungen
wegen, der ihn aus verquollenen Augen, Rosinen ähnlich, hündisch anflackte.
"Was tust du denn da, Finnigan?"
"Ich
– ähm... weiß nicht, Sir. Führe Befehle aus."
"Welche
denn?"
"Wir
lehren ihm Disziplin, Mister“, quäkte das unsympathische Organ Philipp O’Teales
aus dem Strohhaufen. "Mischen Sie sich gefälligst nicht ein!"
"Ich
habe mich sehr wohl einzumischen, wenn eine Kreatur ungerecht behandelt wird.
Lassen Sie den Jungen zufrieden."
Schwingender
Fäuste tänzelte O’Teale auf Morgan zu. "Sie wollen Scherereien, stimmt' s?
Können Sie haben, Mister. Nichts, was ich auch lieber wollte, denn das ist das
einzige, was es von mir kostenlos gibt. Habe mich ewig nicht mehr
ausgetobt."
Mit
einem fiesen Grinsen rückte Jones in eine bequemere Lage, faltete die Hände
hinter dem Nacken. So ein Studierter, das war eine halbe Portion, damit würde
O’Teale schon fertigwerden. Bevor der Kampf eskalierte, konnte er ja
eingreifen, dem Doktor die Chance geben, sich selbst zu verarzten.
"Zeig'
s ihm, Phil. Hat eine kleine Demonstration des Darwin'schen Gesetzes verdient,
der Quacksalber. In diesem Kurs scheint er gefehlt zu haben. Merkwürdig, wo er
doch wie ein geschniegelter Medikus ausschaut, nicht? Da müssten ihm die
Grundregeln der Naturgesetze doch geläufig sein."
Die
Ruhe bewahrend, krempelte Thorpe seine Manschetten hoch, er ließ sich nicht
irritieren von O’Teales Herumgehampel, der immer enger um sein vermeintliches
Opfer rotierte, imponierende Beinarbeit verrichtete und anscheinend auf eine
klassische Schlägerausbildung zurückblicken durfte. "Ich möchte nur mit
Ihnen reden, Jones. Allein, wenn es gestattet ist."
"Ist
nicht“, erklärte Jones lapidar, irgendetwas war ihm über die Leber gekrochen; wahrscheinlich
hatte er noch keinen Schnaps hinuntergespült diesen Morgen.
"Ich
bin also eine Null“, grölte O’Teale. "Hab' nichts zu melden?! Das ist die
ärgste Beleidigung, die man einem Iren an den Schädel donnern kann,
Sportsfreund! Dafür wird bezahlt!"
Kraftvoll
hieb er Thorpe die Faust an die Schläfe. Einen peinsamen Moment lang flimmerten
Sterne vor seinen empfindlichen Augen; er fürchtete, unsanft auf den
Allerwertesten zu plumpsen. Das Gelächter der Stallburschen brandete auf,
während er Finnigans Hand schüchtern an seinem Rock ziepen spürte, dessen
Stimme wie aus dem Nebel waberte, akustisch nur schwer zu verstehen. "Kommen
Sie, Sir. Die sind kein Umgang für Sie nich'."
Abrupt
machte er sich los, atmete ein paar Mal tief durch und schob den quengelnden
Finnigan hinter sich. Hier ging es um seine Ehre und Überzeugungen. Das
Vergnügen, vor diesen rohen Kerlen klein bei zu geben, wollte er ihnen nicht
gönnen. Seine Miene, gewöhnlich ein Spektrum von freundlich bis offen
interessiert repräsentierend, verschloss sich, die Halsschlagader schwoll an
und trat dick wie ein Strang hervor. Jones zirpte einen gezierten Warnruf, der
Thorpe noch wütender werden ließ. Den Überraschungseffekt auf seiner Seite,
hagelte es Linkshaken auf den verdutzten Kontrahenten ein. Tatsächlich dachte O’Teale
nicht daran, sich zu wehren, selbst die Anfeuerungsschreie Eamons fruchteten
nichts. Benommen taumelte er nach einigen wohldosierten Schlägen dem Betonboden
entgegen, entleerte den Mageninhalt und drückte sich die kurze Nase zu. Thorpe
empfand kein Hochgefühl, im Gegenteil. Er schmeckte Blut auf den Lippen, war
aber ansonsten relativ gut weggekommen. Ekel drohte ihn zu überwältigen, in
seiner Position hätte es kein gutes Licht auf ihn geworfen, den Stallknecht
nachzuahmen. Er riss sich zusammen, säuberte sein Gesicht mit dem Schnupftuch
und half O’Teale wieder auf die Füße. "Reizen Sie mich nicht wieder“,
mahnte er. "Ich bin mit einer älteren Schwester aufgewachsen."
Unter
Wimmern und Stöhnen erlaubte ihm der Ire, sich die Nase und den lädierten
Unterkiefer anzusehen. Ziemlich wehleidig sind diese Burschen unter ihrer
harten Schale, erkannte Thorpe verächtlich, als er die Kratzer untersuchte.
"Sollte es Ihre angeschlagene Konstitution genehmigen, schlurfen Sie ins
Haus. Mrs. Falkenberg wird sich Ihrer annehmen. Wenn Sie Glück haben, ist mein
Kollege Vaughan bei ihr. Er wird Ihre Schrammen desinfizieren."
Aufmunternd klatschte er die Handflächen aneinander. "Los, los! Gehen Sie,
bevor Sie an einer Blutvergiftung krepieren!"
"Alle
Wetter“, hofierte Jones und spuckte aus. "Das war mal ein Husarenstück
oder wie man das nennt. Ich hätt' weiß Gott nicht auf Sie gesetzt. Sehn so
schmächtig aus, wenn ich das sagen darf. Und außerdem sind Sie auch noch
Engländer. Ja, das war beachtlich für 'n Engländer."
"Hören
Sie, Jones. Ich bin nicht gekommen, damit Sie mich über die Verschiedenheiten
der Iren und Engländer unterrichten. Eigentlich wollte ich etwas über Lady
Clayton von Ihnen erfahren. Sie haben doch bereits hier Ihre Stellung ausgeübt,
als sie starb?"
"Jawohl,
Sir. Ich weiß aber nicht viel über sie. War 'ne stille, reservierte Dame. Man
hat sie kaum zu Gesicht gekriegt, besonders wir Arbeiter nicht. Glaubte, sie
sei zu fein für uns. Aber für die Buben hat sie gut gesorgt, das hat sie. Deshalb
sage ich nichts Schlechtes."
Thorpe
verengte die Augen, bohrte den Finger ins Kinn. "Sie sind eine
Anlaufstation für Eugene. Waren Sie das früher auch für die übrigen Jungs? Sie
müssen doch jemanden gehabt haben, bei dem sie sich aussprechen konnten."
"Oh,
Maria! Nur weil Ihr Gefolgsmann mich mal mit dem Kleinen bespitzelt hat, bin
ich nun die Kummertante, die 'Anlaufstation'! Ein titanisches Wort. Gefällt
mir, wirklich. Schmeichelt mir. Aber die reden nicht viel. Und von Eugene
dürfen Sie keine Philosophien ersehnen. Im Grunde ist er noch einsilbiger als
der Rest der Bagage. Wenn er mal den Mund auftut, hört man nach 'ner Zeit gar
nich' mehr hin, weil es doch nur Idiotie ist. Verstehen Sie mich nicht falsch,
ich mag ihn irgendwie, aber kein einleuchtender Satz ist aus ihm
rauszuquetschen. Ich denk' manchmal so bei mir, das muss 'ne tolle Geschichte
sein. Ohne Sorgen und Gedanken durchs Leben zu spazieren. – Nicht wahr,
Finnigan?"
Um
Zustimmung heischend stieß er den vor sich hinsabbernden Finnigan in die Seite,
die dieser sich daraufhin empört rieb und aus der Schusslinie tappte.
"Es
täte Ihnen gut, Eugenes Idiotie und Sorglosigkeit
ernst zu nehmen“, erwiderte Thorpe scharf. "Sein Verhalten könnte ein
Hilferuf sein."
Beide
Pranken in einer zu gleichen Teilen defensiven und geringschätzigen Geste gegen
Thorpe gerichtet, winkte Jones ab. "Ach, das sagen Sie, weil Sie Arzt sind
und 'n Fremder. Ich hatte den Knaben sein ganzes Leben lang um mich. Glauben
Sie, ich hab' mir auch Sorgen gemacht, als ich gemerkt hab', da stimmt was
nicht. Das war so um den Tod der Lady herum, da fing er an zu spinnen. Aber
seine Marotten tun niemandem was zuleide, was soll' s dann? Natürlich stellt er
gelegentlich mal die Bude auf den Kopf. Umgekommen ist dabei noch keiner. Bis
auf das eine Mal." Er kicherte geheimniskrämerisch in sich hinein, als
wäre das ein köstlicher Schabernack. Vermutlich will er mich auf die Folter
spannen, sann Morgan Thorpe und konstatierte verdrießlich, dass dem Kerl dies
auch gelang. Seine zur Schau getragene Gelassenheit zahlte sich aus;
unaufgefordert redete Jones nach einer kurzen bedeutungsschwangeren Pause, in
der er die passenden Formulierungen erwogen hatte, weiter. Selten fand er so
dankbare Zuhörer wie den Doktor. "Einmal,
er muss neun oder so gewesen sein, da hat er sich ständig eingebildet, er werde
von einem schwarzgekleideten riesengroßen Mann bedrängt, der die Pest im Gepäck
hat und ihn vergiften will. Das hätten Sie sehen sollen! Sind jung und nicht so
unbedingt erfahren, nehm' ich an. Bestimmt hätten Sie den Schreck Ihres Lebens
ergattert und nie mehr zum Köfferchen gegriffen. Wär' Ihnen glatt vergangen,
den Halbgott zu markieren. Der Junge war wie wahnsinnig, wir hätten das alle
nicht vermutet, wo er doch so klein und zart war, immer noch ist. Hat um sich
geschlagen, geschrien ohne Ende, grässlich war das. Wie von bösen Mächten
besessen. Tag und Nacht. Ich erinnere mich noch, dass ich den Rosenkranz
gebetet hab' wie ein Weltmeister und dem Teufel meine Seele versprach, damit
die Raserei endlich aufhörte. Einzig Francis durfte sich ihm nähern, ohne dass
er gleich explodiert ist, aber auch nur vorsichtig. Und das, wo sie eigentlich
ein Herz und eine Seele sind. Muss ihm sehr wehgetan haben, dem jungen Master.
Wir schätzen ihn nicht besonders, er is' nicht zimperlich mit dem Personal,
wenn Sie kapieren, was ich meine. Haut auch mal drauf, wenn ihm etwas nicht passt.
Aber in der Zeit hat er mich wirklich gedauert. Schlich herum wie eine lebende
Leiche. Das Schlimmste dabei war, dass der Kleine alles angezündet hat,
wahllos, einfach alles, und später sich selber, um den Verfolger zu
liquidieren, wie er sagte. Irre, nicht? Zum Glück war der Bruder in Reichweite,
hat das Ärgste vereitelt. Den Stall hier haben wir neu aufgebaut, nachdem der
Knabe den alten niedergefackelt hat. Brennt wie Zunder, mit dem Holz und der
Menge Stroh, das sei beteuert bei der Mutter Gottes. Es war kein gutes Jahr,
obwohl der alte Alfred und ich die meisten Gäule retten konnten. Die Fohlen in
den hinteren Boxen sind erstickt. Ich glaube, Fairlight trägt seinem Sohn das
Desaster heute noch nach. War ja auch kein Pappenstiel. Das Gut wird durch die
Pferdezucht bewirtschaftet, wie Sie wissen. Bevor er sein Zimmer in Brand
gesteckt hat und somit das gesamte Anwesen, hat ihn Francis zur Räson gebracht.
Keine Ahnung, wie. Der Vater sicher ebenfalls, mit herkömmlichen Methoden. Die
müssen viel schlucken, die Jungen. Ich hab' schon gesagt, wenn ich mal
Sprösslinge hab' mit Molly, kein Härchen wird denen gekrümmt. Die sollen doch
nicht alle verrückt werden."
"Hat
er solche Zustände häufiger?"
"Master
Eugene? Nicht wirklich. Legte sich mit der Zeit. Wird Francis' Verdienst sein.
Er hat sich rührend um ihn gekümmert, mit ihm geredet, ihn ernst genommen,
obgleich es totaler Schwachsinn war, was der Junge faselte. Woher soll denn ein
schwarzer Mann kommen, frag' ich Sie, und noch über zehn Fuß hoch? Abgesehen
davon, dass sowieso niemand hier herfindet, es sei denn, er verirrt sich so wie
Sie und Ihre ehrenhaften Kompagnons."
Um
auf gleicher Höhe mit dem Stallburschen zu sein, der sich immer noch im Stroh
rekelte, ging Morgan in die Hocke. Er wollte ganz genau die Reaktion des Iren
auf die folgende Feststellung prüfen.
"Für
einen gemeinen Knecht verfügen Sie über ein erstaunlich detailliertes Wissen
über die Familie, Jones."
Jones
zeigte mit dem Finger gespielt anklagend auf Thorpe. "Höre
ich da eine versteckte Andeutung? Sie unterstellen mir doch nicht etwa eine
Romanze mit der Lady oder so etwas? Gott behüte! Sie war nicht einmal mein Typ.
Wissen Sie, Sie haben mir sozusagen meinen Job geklaut. Wenn einer der Söhne
krank ist, kommen sie zu mir. Ich bin ein bisschen bewandert in der
Pflanzenheilkunde. Oft hilft ein Kräutertrank, um irgendwelche Zipperlein zu
lindern. Wirkt meist Wunder. Ihr Ärzte hört das nicht gerne, aber es ist so.
Könntet noch was von mir lernen, wenn ihr nicht so eitel wärt. Also, ich wurde
freilich ins Haus beordert“, tönte er wichtigtuerisch. "Daher hab' ich
Master Eugenes Anfälle hautnah miterlebt. Bloß war das vergebene Liebesmüh',
wie der Dichter sagt... war nur eine Mixtur Pflanzenextrakte, und trotzdem hat
es absolut nichts genützt. Wurde, wenn ich ehrlich bin, sogar schlechter.
Plötzlich sah er den Schwarzen überall, und hat gebrüllt, dass einem angst und
bange wurde."
Die
Auskunft wurde von Thorpe mit einem Augenrollen quittiert; der selbsternannte
Wunderheiler hatte offenbar irgendwelche Drogen zusammenfabriziert, auf die
Eugenes Wahrnehmungsvermögen negativ gekontert hatte. Auf seinem Weg hierher
hatte er ein Feld voll Mohn passiert, die reinste Versuchung für
Experimentierfreudige, aber harte Kost, wenn man nicht wusste, in welcher Dosis
das Opiumrezept zu mischen war.
"Nein,
Sir. Wer klug ist, hält sich aus den Sippenverhältnissen raus. Das hat uns der
gute Alfred gelehrt. Wenn er auch im Übrigen nicht zu viel getaugt hat, sein
Tod war für uns alle 'ne Flammenschrift."
"Alfred
war O’Teales Vorgänger?" kombinierte Thorpe. Man musste diesen Jones zu
packen wissen, ihm die Fragen verblümt auftischen, dann wurde er trotz seines
Vorsatzes zu schweigen, gesprächiger.
"Mhm."
Zusehens blühte der bärenhafte Eamon Jones auf. "Es ist aber äußerst
gefährlich, was Sie da mit mir treiben. Auf jeden Fall für mich. Ich könnte
meine lukrative Arbeit verlieren. Wenn Sie wollen, dass ich Sie über Alfreds
Dummheiten informiere, muss wenigstens was dabei herausspringen."
Gierig
rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander und demonstrierte ein schmieriges
Lächeln. Thorpe zog die leeren Manteltaschen nach außen, zuckte mit den
Achseln.
"Sie
haben doch Geld“, mutmaßte Jones widerwillig.
"Vielleicht“,
antwortete Thorpe süffisant. "Doch erpressen lasse ich mich nicht. Was
halten Sie von einem fairen Handel? Sie erzählen mir von Alfred, und ich gebe
Ihnen eine Flasche Branntwein dafür."
"Nun
erpressen Sie mich“, erkannte Eamon.
"Naja, ist ja nicht so, dass ich nicht mit mir reden lasse. Zwei, noch
eine für meinen Freund, dann ist der Handel perfekt."
"Fein.
Aber die Wahrheit, Jones. Wenn ich Sie beim Lügen erwische, können Sie den
Schnaps in den Wind schießen."
Sich
zierend wie ein junges Mädchen, senkte Jones den Blick, sortierte
gedankenverloren ein Bündel Strohhalme. "Der
gute, alte Alfred. Er hielt einen Sonderposten inne, müssen Sie wissen. Die
Lady und er mochten sich. Nicht wie Sie denken, er ging schließlich stramm auf
die Sechzig zu. Nur erlaubte es ihm seine privilegierte Stellung, neben der
Stallarbeit noch andere Gefälligkeiten für Lady Clayton zu erfüllen. Eines
Tages stürzte sie verstört zu uns, was an sich schon wert gewesen wäre, die Flaggen
zu hissen. Ließ sich wirklich selten sehen bei uns. Aber das sagte ich schon,
nicht? Sie hatte einen Brief in der Hand, den sie Alfred anvertraute mit der
Bitte, ihn zu ihrer Freundin in der Stadt zu bringen. Alfred, treu ergeben bis
in die Zehenspitzen, machte sich sofort auf den Weg. Unterwegs verließ ihn die
eiserne Disziplin, und die verdammte Neugier siegte über seine Loyalität. Ums
kurz zu machen, er hat unglücklicherweise das Siegel gebrochen und die
Nachricht gelesen. Nun konnte er ihn nicht mehr verschließen ohne dass es
aufgefallen wäre, dass er zuvor geöffnet worden war, deshalb ritt er zurück und
präsentierte mir völlig aufgewühlt den Brief. Das war starker Tobak, ich
schwör' s Ihnen bei meiner seligen Mutter."
"Was
stand denn darin?"
Misstrauisch
spähte Jones in alle Ecken. "Sind wir allein? Schauen Sie vor der Tür
nach, sonst erzähle ich nichts mehr. Hau' ab, Finn, das ist nichts für eselige
Löffel."
"Warum
gehst du nicht zu Nellie in die Küche?" schlug Thorpe freundlich vor.
"Ich glaube, sie backt Brot. Vielleicht kannst du ihr behilflich
sein."
"Oh...
Miss Nellie... ja, das tu' ich. Ich bin ein Meister im Brotbacken. Meine Mum
hat' s mir beigebracht."
Beflügelt
von der Aussicht, vor seiner Herzensdame mit Talent zu glänzen, war er
verschwunden, Thorpe beglückwünschte sich im Stillen für sein ansonsten wenig
ausgeprägtes diplomatisches Geschick.
"Haben
Sie eine Zigarette?" fragte Jones. "Dann gehen wir hinters Haus und
reden dort. Ich hab' ein mulmiges Gefühl, wenn andere mithören."
Verständnislos drehte sich Dr. Morgan Thorpe um die eigene Achse, bis ihm bewusst
wurde, dass Jones mit den 'anderen' die Pferde meinte. Höchstwahrscheinlich
legte jeder der eingesessenen Fairlightbewohner über längere Zeit Macken an den
Tag.
Sie
setzten sich auf eine marode Bank, von der Thorpe fürchtete, sie breche unter
Jones' breiter Gestalt zusammen oder katapultierte ihn selbst in luftige Höhen,
sobald der schwere Ire sich mit ihm dort niederließ. So dicht wie möglich
zwängte er sich an Jones, an der Grenze des Unaufdringlichen.
"Ein
pikantes Thema“, fuhr dieser fort, inhalierte den Rauch und sah geradeaus.
"Aber rasch erzählt. Master Frederick ist anders in gewissen Bereichen.
Haben Sie vielleicht schon spitzgekriegt, Sie sind ja ein helles Kerlchen. Er –
nun ja, er zieht den Umgang mit Männern vor. Wundert eigentlich nicht, wenn Sie
sich unsere Damenwahl betrachten." Er stieß ein bissiges Lachen aus. Um
ihn nicht aus dem Konzept zu werfen, überging Thorpe die überflüssige Mokerie
kommentarlos, doch er verurteilte Jones' beleidigende, unschickliche Bemerkung.
Das Zimmermädchen mochte schüchtern sein, aber keinesfalls nicht eines zweiten
Blickes wert. Er fand sie sogar ausgesprochen attraktiv.
"In
dem Brief teilte die Lady ihrer Busenfreundin mit, sie habe ihn und Master
Francis in eindeutiger Pose flagrantviert. Die beiden waren so schlampig, die
Tür nicht zu verriegeln. Vermutlich hat sie die Leidenschaft übermannt."
Wieder das garstige Gelächter. "Ich war nicht sehr überrascht, das zu
lesen. Hatte öfter das Vergnügen, ihre Gäule zu satteln, wenn sie erklärten,
den Red Lion besuchen zu wollen.
Meine Puppe schenkt da aus, wissen Sie, und sie hat die beiden Lords nie
gesehen. Sie blieben dann über Nacht weg, ich meine, sie hatten irgendwo ein
Versteck, wo sie ungestört ihrem Hang frönten. Im Winter war es dort wohl aber
doch zu kalt. Und so hat die Lady sie erwischt. Francis war ihr erklärter
Liebling. Sie war überzeugt, Frederick habe ihn - kompromittiert, wollte die
Polizei verständigen in der Absicht, ihn verhaften zu lassen. Damit hat sie
offenbar auch dem alten Fairlight gedroht, denn der schloss sie daraufhin oben
im Burgfried ein, schickte die Söhne bis auf Francis zu seiner Schwester nach
Cardiff. Die Lady ging ein in ihrem Gefängnis, ist innerhalb weniger Wochen
verwelkt wie 'ne Blume ohne Sonnenschein. Ich behaupte, sie hat sich vor
Einsamkeit und Verzweiflung das Leben genommen, habe das aber
selbstverständlich für mich behalten. Alfred, der blöde Tropf, ließ im ganzen
Dorf verlauten, Chester Fairlight habe sie auf dem Gewissen. Sprach sich rum,
kam selbst dem Alten zu Ohren. Die Konsequenz davon war, dass Alfred bald
darauf mit 'nem Strick um den Hals am Pfosten baumelte. Das war Mord, mein lieber Doktor, und zwar
eiskalt eingefädelt von Fairlight.“ Auf einem Grashalm kauend deutete er in
Richtung des von diesem Ort aus unsichtbaren Vorgartens. „Dort drüben ruhen -
verscharrt in einer Mondnacht - Alfreds arme Gebeine neben denen der Lady, ohne
kirchlichen Segen, ohne Grabmal. Uns – dem Gesinde – hat er damals ein
Schweigegelübde abgerungen, das ich nun Ihrer verfluchten Neugier wegen breche.
Dafür sind mindestens drei Brandys drin, weniger ist mir mein Job nicht wert.
Vielleicht war auch Francis an der Sache beteiligt, obwohl ich das bezweifle.
Er scheint mir ein wenig gespalten zu sein, was das Personal angeht. Einerseits
macht er uns mit Vorliebe zur Schnecke, andererseits setzt er sich für uns ein,
wenn der alte Master in seinem Jähzorn zur Peitsche greift. Ungerechtigkeit
kann ich ihm nicht vorwerfen, ganz gleich, was ich sonst von ihm denke. Den
alten Alfred hat er sehr geschätzt, verstand eine Menge von Pferden und war
zuverlässiger als die jungen Stallburschen heutzutage. So, jetzt hab' ich mir
den Mund fusslig geredet, meine Kehle ist vollkommen ausgedörrt. Wo bleibt die
Belohnung?"
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