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Mittwoch, 4. September 2013

Genre gesucht!



Gerade bin ich am Überarbeiten eines Manuskriptes. Ich merke dabei jedesmal, dass es gar nicht so leicht ist, sich kurz zu fassen - mit dem Klappentext habe ich lange gekämpft. Er soll ja neugierig machen, nicht zuviel verraten und dazu verführen, ins Buch zu schauen. Und was kurze oder zusammenfassende Texte betrifft, war das schon in der Schule nie meine Stärke.

Das Foto oben zeigt das vorläufige Cover. Da die Geschichte in einem spätsommerlichen England auf dem Land spielt, passen die Gräser sehr gut.

Was mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet, ist die Genre-Einteilung. Ist mein Roman jetzt "nur" historisch, weil er vor einem geschichtlichen Hintergrund (der Burenkrieg) stattfindet, oder könnte ich ihn unter "Psychothriller" publizieren?

Hat jemand davon überhaupt schon mal gehört - historischer Psychothriller? Das trifft es nämlich, wenn man's genau nimmt. In einem Thriller wird nicht automatisch ein Mord aufgeklärt wie in einem Krimi. Darum würde ich zu *Thriller* tendieren. *Psycho* deshalb, weil es weniger Action als über menschliche Abgründe zu lesen gibt. Letzteres finde ich ungleich spannender. Darum tun sich bei den Schauspielern derer eine ganze Menge auf.

Eine Leseprobe - genauer gesagt, den Prolog - findet ihr unter "Weitere Informationen".






Südafrika, März 1900


Tropische Schwüle lastete über Pretoria. Die Sonne war gerade im Aufgehen begriffen, doch die Ebenen lagen noch völlig im Dunkeln. Einzig die hohen Berge in der Ferne wurden mit einem rötlichen Schimmer gekrönt. Eigentlich ein gigantisches Schauspiel, doch der junge britische Soldat hatte dafür keine Augen. Eilends schlich er durch das Zeltlager, das zu dieser Zeit fast menschenleer war; der Großteil seiner Kompanie befand sich auf dem Marsch zu Bloemfontein, um die Stadt noch vor Tagesanbruch zu besetzen. Ob dieser Feldzug siegreich ausging, war ihm im Grunde einerlei, doch er ertappte sich dabei, stumm und unaufhörlich für seine Kameraden zu einem Gott zu beten, den er nicht wirklich kannte. Sein Freund – für ihn weit mehr als das - führte das Bataillon an, das in dieser gefährlichen Funktion unterwegs war; obschon zahlenmäßig in der Minorität, war der Kampfgeist und Siegeswille der einheimischen Buren nicht zu unterschätzen. Während der ersten Monate des Krieges hatten die englischen Truppen herbe Verluste einstecken müssen, doch langsam schien sich das Blatt zu wenden. Er dachte an den Regen in der fernen Heimat und grinste vor sich hin. Seine eigene Mission war fast genauso delikat wie die seiner Gefährten, und dennoch hatte er Muße, über so etwas Profanem wie das graue Wetter in der Heimat zu sinnieren. 

Nach einem kurzen Fußweg über Felder und halb ausgedörrte Bäche gelangte er schließlich zum Ziel, der Unterstand seines Freundes, der diesen bis gestern abend mit einem Jungen geteilt hatte und ihm nun allein gehörte. 

Tief einatmend tastete er nach dem Schreiben in seiner Uniformjacke, etwas Reelles in einer Irrealität, einem Nachtmahr, der immer dichter und verwobener um sich griff und ihn wie einen Schlafwandler agieren ließ. Zugleich schickte ihn der Wortlaut des Briefes in eben jenes alptraumhafte Geschehen. Er hätte nein sagen können, fühlte sich seinem Freund, der zudem sein Vorgesetzter war, aber verpflichtet. 

Nun galt es, besonders vorsichtig zu Werke zu gehen, der kritische Punkt des Unterfangens stand ihm unmittelbar bevor. Zwar waren die meisten Soldaten ausgerückt, doch Sanitäter auf der Suche nach liegengelassenen Verwundeten der vergangenen Nacht komplizierten sein Vorhaben. Um seines Freundes willen durfte er nicht bemerkt werden, weder von Freund noch Feind.  

Auf Zehenspitzen stahl er sich zum Eingang, fädelte die Riemen auf und schlug bedächtig die Plane um. Die Schlafstätte lag auf der hinteren Stirnseite; eine Leine, auf der Wäsche trocknete, war vor die Pritschen gespannt, um dem Eintretenden den Blick auf ein fast intimes Chaos aus Kleidung und Militärdecken zu verwehren. Er schob die Wäsche beiseite und starrte auf die Pritschen. Eine war unbesetzt, auf der anderen ruhte ein Kamerad, er sah aus, als schliefe er. Der vor Morgengrauen abberufene Freund hatte ihn völlig in die Schabracke verhüllt und beim Kommandeur mit den Worten entschuldigt, er fühle sich nicht gut. Was durchaus der Wahrheit hätte entsprechen können: Allesamt kämpften die auswärtigen Briten heftiger mit den Naturgewalten als die verbündeten Engländer der Kronkolonie, die sich durch das ungewohnte Klima, dem damit einhergehenden Hitzschlag, Durchfall und Übelkeit aufgrund der Mangelernährung Bahn brachen. 

Allmählich reduzierte sich sein Herzschlag auf das normale Pensum; erleichtert stellte er fest, dass er ein wenig ruhiger wurde. Er brauchte einen kühlen Kopf für diese Aktion, die er schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlte. So behutsam wie möglich packte er das Bündel, in dem der Junge verpackt war und warf es sich über die Schulter, wobei er rasch nachfasste, als er spürte, wie das Gewicht über seinen Rücken absackte. Fieberhaft setzte er den Jungen ab, verschnürte ihn in der Decke. Dabei gewährte er sich einen Blick auf das friedliche Gesicht des Kameraden, wenngleich er nicht beabsichtigt hatte, ihn in diesem Stadium noch einmal anzuschauen. Kalt lief ein Schauer durch seine Adern. Tags zuvor hatte er ihn so lebendig erlebt, dass er nicht umhin konnte, ihm mit seinem Bajonett die Wange einzuritzen. Erst dann würde er glauben, was in dem Brief zu lesen war, den ihm sein Lieutenant Major kurz vor der Dämmerung blass überreicht hatte. Zu einem verbalen Austausch war bis zum Appell keine Zeit geblieben. Lediglich eine kurze Bitte war über seine Lippen gekommen, während er ihm den Brief anvertraute, in dem er sich in der Nacht die Verzweiflung von der Seele geschrieben hatte. 

Vielleicht überlebe ich das Manöver nicht, was das Beste wäre. Aber falls doch, sieht es übel aus für mich. Du bist mein Freund, du kannst mir helfen, indem du das tust, was ich aufgeschrieben habe. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Ich zwinge dich nicht, denn es ist riskant. Wenn du erwischt wirst, sind wir beide dran.

Damit hatte er sich verabschiedet und ihn dem Alptraum ausgeliefert, der nun in Gestalt des toten Soldaten konkrete Formen annahm. Er hatte nicht gelogen, in keiner Zeile, aber er hatte keine Zeit, darüber zu lamentieren, musste schnell handeln, was ihm unter Eindruck der überflogenen Worte schwerfiel. Er nahm sich vor, den Schrieb gut aufzubewahren, damit er die Quintessenz später verinnerlichen und verdauen konnte.

 Es erfolgte keine Reaktion auf den Messerschnitt bis auf die befremdende Tatsache, dass der dickflüssige Blutfluss sofort versiegte. Lange war er noch nicht in diesem Zustand, auch war er noch recht beweglich, nur die Kiefermuskeln waren von unnatürlichen Verkrampfungen verfremdet, die schon bald den ganzen Körper vereinnahmen würden. 

Flugs knüpfte er sein Halstuch ab und band es dem Jungen um den Kopf. Jemand könnte auf den irrsinnigen Gedanken verfallen, der Blutspur zu folgen, dann wäre er ein Fall fürs Kriegsgericht. 

Je kritischer die Situation, desto nüchterner wurde er. Stoisch wickelte er den wie eine Puppe wächsernen Soldaten wieder in den Woilach, versicherte sich, dass der Kopf nicht herauslugte und schulterte seine menschliche Bürde. Ehe er ging, nahm er eine Axt, wie man es ihm aufgetragen hatte, die er in der Ecke des Zeltes fand. Bei dem Gedanken, was er mit ihr anstellen sollte – und er würde es tun, das war unumstößlich – zitterte er abermals.

Draußen war es still, beinahe idyllisch, als spotte der liebe Gott der allgegenwärtigen Gewalt mit der Herrlichkeit seiner Schöpfung. Gelegentlich unterhielt sich im Flüsterton eine Patrouilleneinheit mit einer anderen. Es war nicht nötig, zu flüstern, doch sie alle hatten schon lange erfasst, dass das Abenteuer, auf welches sie sich eingelassen hatten, kein Spaß, sondern zu tödlichem Ernst eskaliert war. 

Die nah beieinander aufgestellten Biwaks und Unterstände als Deckung nutzend lief er in flotter Schrittgeschwindigkeit über den Lagerplatz auf das freie Feld hinaus, wo er sich erst einmal eine Pause gönnte. Der Tote auf seinem Kreuz war schwer und kräftiger gebaut als er, und er hatte noch eine beträchtliche Strecke zurückzulegen. Vernünftig wie immer hatte ihn der Freund präzise instruiert. 

Vor einigen Tagen hatte auf einem Zuckerrübenfeld außerhalb der Siedlung ein Kugelwechsel stattgefunden, das in der Folge mit Leichen gepflastert war; die Sicherheit, sie ordnungsgemäß zu bestatten, war im Hinblick auf eine eventuelle Blitzattacke nicht gewährleistet, und so überließ man ihre Restverwertung auf beiden Seiten den Raben und kreuchendem Getier. Zudem waren die Männer von Granaten und den schweren Gefechten dermaßen verstümmelt, dass es sich nicht lohnte, die Überreste aufzuklauben. Er war dabeigewesen und hatte wie durch ein Wunder nahezu unverletzt überlebt. Die Minderheit der Buren hatte sie zu einer Brutalität angestachelt, die er sich nicht hätte träumen lassen, als sie zu dritt nach Afrika reisten. Damals hatte er geglaubt, diese Siedler seien vergleichbar mit Buschmännern, primitiv und leicht zu schlagen. Doch es waren stolze und an der Muskete geschulte Patrioten, über die Jahrhunderte vertrieben aus Deutschland und den Niederlanden, und sie würden sich dem Empire der Briten nicht kampflos beugen und ihre Unabhängigkeit bis zum Letzten in gnadenlosen Gemetzeln verteidigen, das hatten sie eindrücklich bewiesen. 

Heimkehren würden sie nur noch zu zweit, vorausgesetzt, sie überlebten diese Hölle. Auf eine verzwickte Weise lastete der Tod des Kameraden schwer auf ihm, denn indirekt war er dafür verantwortlich. So stand es in dem Brief. Er ahnte, dass sein Freund diese bedeutenden Sätze nicht aus der Luft gegriffen hatte. Nein, es ergab einen Sinn, das war das Schreckliche an der Sache. 

Ächzend verlagerte er den Toten auf die andere Schulter, wechselte sein wuchtiges Werkzeug in die andere Hand und ermahnte sich gleich darauf. Das geringste Knacken unter seinen Füßen würde ihn verraten. Die Ruhe trügte vielleicht, auf jeden Fall machte sie ihn leichtsinnig. Geduckt, um der Last auf seinem Rücken mehr Fläche zuzugestehen, damit er sich nicht über die Maßen plagen musste, huschte er im Rain des Feldes zur ungefähren Mitte hin. Im Acker selbst wimmelte es von Krähen, die in Schwärmen über die Toten herfielen und den Sanitätern die Arbeit abnahmen, indem sie sie bis auf die Knochen abnagten. 

Mitunter strauchelte er über Extremitäten; er sah nicht nach, ob der Körper noch daran war. Eine Schrecksekunde lang griff jemand nach ihm; sein Hosenbein verhedderte sich über den ausgestreckten Fingern eines Soldaten, die wie kleine Zweige gen Himmel ragten, als ersuchten sie seine Hilfe. Er stolperte und verlor den Jungen, als er sich fluchend anschickte, das Hosenbein aus den starren Fingern zu flechten. Der Tote glotzte ihn an. Eigentlich hätte er ihn kennen müssen – er hatte rasch mit allen Brüderschaft getrunken - aber die Witterung und die Gier der Vögel hatten seine Gesichtszüge in etwas verwandelt, das mit einem menschlichen Schädel nur noch verschwindende Ähnlichkeit aufwies. Wo Augen und Mund einst waren, gähnten ihm riesige Löcher entgegen. Im Zwielicht wirkte der Soldat trotz allem nicht ausdruckslos, sondern wie ein mumifizierter Lehrmeister, der ihm mit erhobenem Zeigefinger die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen führte. Er stieß ein schockiertes Japsen aus, krabbelte auf allen Vieren zurück und raffte Zachary Blake wieder auf. 

 An einer Stelle, die ihm mehr oder weniger geeignet schien, lud er den Jungen ab, mit einem schwachen Geräusch plumpste die Leiche auf den hügeligen Ackerboden. Er kniete nieder, um den Woilach abzustreifen, obwohl ihm die Aufgabe zutiefst widerstrebte. Man würde Verdacht schöpfen, wenn man sie vermummt entdeckte, und diese Gefahr war stets gegeben. Hinterher stellte sich heraus, dass Private Blake gar nicht auf der Liste der ausgewählten Frontkämpfer stand, und man würde in wilde Spekulation verfallen, die letztendlich geprüft und vom Komitee untersucht wurde. Man würde sich fragen, wie es möglich war, dass er an besagter Schlacht teilgenommen hatte, obwohl ihn der Corporal vielleicht zum Küchen- oder Sanitärdienst verdonnert hatte. Darum die Axt. Sie würde dafür sorgen, dass eine mögliche Identifierung der Leiche nicht stattfand. Zwar war das eher unwahrscheinlich, aber sein vorausschauender Freund hatte diese Möglichkeit in Erwägung gezogen und ihn gebeten, den Kameraden unkenntlich zu machen.

Zachary Blake schlief noch immer, ein in der Dunkelheit schwarzes Rinnsal auf der Wange. Er wirkte so unversehrt, dass er ihn sachte schüttelte in der Hoffnung, er möge die Augen aufschlagen.

Plötzlich flossen Tränen über seine Wangen; er tätschelte die glatte Haut des Jungen, suchte einen Hauch Leben darin, doch sie war kalt und blau, und unter dem rechten Auge bildete sich ein Hämatom, der erste Totenfleck, der ihn an den Rand der Hysterie katapultierte und ihn unwillkürlich das Gesicht mit der Hand schützen ließ. 

Er ertrug den Anblick nur mühsam, als er zwischen seinen Finger hindurchlugte. Wenn er schon hatte sterben müssen, hätte er ihm gerne noch Lebewohl gesagt. Aber nicht einmal das hatte man ihm zugebilligt. Er fühlte sich, als habe man auch ihm einen Arm oder ein Bein abgetrennt. 

„Vergib mir“, wisperte er und erschrak über die Lautstärke seines Raunens. Notgedrungen griff er nach dem Beil, erhob sich und starrte geradeaus über die schwarzen Hügel, welche seine Kameraden markierten, verstreut über das gesamte Feld. Wie er diesen Flecken Erde hasste! Eine Leichenhalle unter freiem Himmel. Unsagbare Angst kroch in ihm hoch, lähmte ihn für Momente.

Seine Geistesgegenwart auf den Leichnam vor ihn richtend schwang er die Axt über den Kopf. „Es tut nicht weh. Das bist nicht mehr du“, sagte er leise. „Ich muss es tun, Zachary, aber ich wünschte, es wäre anders gekommen. Warum hast du nicht mit mir geredet? Armer kleiner Narr. Ich hätte dich nicht gehasst.“ 

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