Gerade bin ich am Überarbeiten eines Manuskriptes. Ich merke dabei jedesmal, dass es gar nicht so leicht ist, sich kurz zu fassen - mit dem Klappentext habe ich lange gekämpft. Er soll ja neugierig machen, nicht zuviel verraten und dazu verführen, ins Buch zu schauen. Und was kurze oder zusammenfassende Texte betrifft, war das schon in der Schule nie meine Stärke.
Das Foto oben zeigt das vorläufige Cover. Da die Geschichte in einem spätsommerlichen England auf dem Land spielt, passen die Gräser sehr gut.
Was mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet, ist die Genre-Einteilung. Ist mein Roman jetzt "nur" historisch, weil er vor einem geschichtlichen Hintergrund (der Burenkrieg) stattfindet, oder könnte ich ihn unter "Psychothriller" publizieren?
Hat jemand davon überhaupt schon mal gehört - historischer Psychothriller? Das trifft es nämlich, wenn man's genau nimmt. In einem Thriller wird nicht automatisch ein Mord aufgeklärt wie in einem Krimi. Darum würde ich zu *Thriller* tendieren. *Psycho* deshalb, weil es weniger Action als über menschliche Abgründe zu lesen gibt. Letzteres finde ich ungleich spannender. Darum tun sich bei den Schauspielern derer eine ganze Menge auf.
Eine Leseprobe - genauer gesagt, den Prolog - findet ihr unter "Weitere Informationen".
Südafrika, März 1900
Tropische Schwüle lastete über Pretoria. Die Sonne war gerade im Aufgehen
begriffen, doch die Ebenen lagen noch völlig im Dunkeln. Einzig die hohen Berge
in der Ferne wurden mit einem rötlichen Schimmer gekrönt. Eigentlich ein
gigantisches Schauspiel, doch der junge britische Soldat hatte dafür keine
Augen. Eilends schlich er durch das Zeltlager, das zu dieser Zeit fast
menschenleer war; der Großteil seiner Kompanie befand sich auf dem Marsch zu
Bloemfontein, um die Stadt noch vor Tagesanbruch zu besetzen. Ob dieser Feldzug
siegreich ausging, war ihm im Grunde einerlei, doch er ertappte sich dabei,
stumm und unaufhörlich für seine Kameraden zu einem Gott zu beten, den er nicht
wirklich kannte. Sein Freund – für ihn weit mehr als das - führte das Bataillon
an, das in dieser gefährlichen Funktion unterwegs war; obschon zahlenmäßig in
der Minorität, war der Kampfgeist und Siegeswille der einheimischen Buren nicht
zu unterschätzen. Während der ersten Monate des Krieges hatten die englischen
Truppen herbe Verluste einstecken müssen, doch langsam schien sich das Blatt zu
wenden. Er dachte an den Regen in der fernen Heimat und grinste vor sich hin.
Seine eigene Mission war fast genauso delikat wie die seiner Gefährten, und
dennoch hatte er Muße, über so etwas Profanem wie das graue Wetter in der
Heimat zu sinnieren.
Nach einem kurzen Fußweg über Felder und halb ausgedörrte Bäche gelangte
er schließlich zum Ziel, der Unterstand seines Freundes, der diesen bis gestern
abend mit einem Jungen geteilt hatte und ihm nun allein gehörte.
Tief einatmend
tastete er nach dem Schreiben in seiner Uniformjacke, etwas Reelles in einer
Irrealität, einem Nachtmahr, der immer dichter und verwobener um sich griff und
ihn wie einen Schlafwandler agieren ließ. Zugleich schickte ihn der Wortlaut
des Briefes in eben jenes alptraumhafte Geschehen. Er hätte nein sagen können,
fühlte sich seinem Freund, der zudem sein Vorgesetzter war, aber verpflichtet.
Nun galt es, besonders vorsichtig zu Werke zu gehen, der kritische Punkt
des Unterfangens stand ihm unmittelbar bevor. Zwar waren die meisten Soldaten
ausgerückt, doch Sanitäter auf der Suche nach liegengelassenen Verwundeten der
vergangenen Nacht komplizierten sein Vorhaben. Um seines Freundes willen durfte
er nicht bemerkt werden, weder von Freund noch Feind.
Auf Zehenspitzen stahl er sich zum Eingang, fädelte die Riemen auf und
schlug bedächtig die Plane um. Die Schlafstätte lag auf der hinteren
Stirnseite; eine Leine, auf der Wäsche trocknete, war vor die Pritschen
gespannt, um dem Eintretenden den Blick auf ein fast intimes Chaos aus Kleidung
und Militärdecken zu verwehren. Er schob die Wäsche beiseite und starrte auf
die Pritschen. Eine war unbesetzt, auf der anderen ruhte ein Kamerad, er sah
aus, als schliefe er. Der vor Morgengrauen abberufene Freund hatte ihn völlig
in die Schabracke verhüllt und beim Kommandeur mit den Worten entschuldigt, er
fühle sich nicht gut. Was durchaus der Wahrheit hätte entsprechen können:
Allesamt kämpften die auswärtigen Briten heftiger mit den Naturgewalten als die
verbündeten Engländer der Kronkolonie, die sich durch das ungewohnte Klima, dem
damit einhergehenden Hitzschlag, Durchfall und Übelkeit aufgrund der Mangelernährung
Bahn brachen.
Allmählich reduzierte sich sein Herzschlag auf das normale Pensum; erleichtert
stellte er fest, dass er ein wenig ruhiger wurde. Er brauchte einen kühlen Kopf
für diese Aktion, die er schlimmstenfalls mit dem Leben bezahlte. So behutsam
wie möglich packte er das Bündel, in dem der Junge verpackt war und warf es
sich über die Schulter, wobei er rasch nachfasste, als er spürte, wie das
Gewicht über seinen Rücken absackte. Fieberhaft setzte er den Jungen ab,
verschnürte ihn in der Decke. Dabei gewährte er sich einen Blick auf das
friedliche Gesicht des Kameraden, wenngleich er nicht beabsichtigt hatte, ihn
in diesem Stadium noch einmal anzuschauen. Kalt lief ein Schauer durch seine
Adern. Tags zuvor hatte er ihn so lebendig erlebt, dass er nicht umhin konnte,
ihm mit seinem Bajonett die Wange einzuritzen. Erst dann würde er glauben, was
in dem Brief zu lesen war, den ihm sein Lieutenant Major kurz vor der Dämmerung
blass überreicht hatte. Zu einem verbalen Austausch war bis zum Appell keine
Zeit geblieben. Lediglich eine kurze Bitte war über seine Lippen gekommen,
während er ihm den Brief anvertraute, in dem er sich in der Nacht die
Verzweiflung von der Seele geschrieben hatte.
Vielleicht überlebe ich das
Manöver nicht, was das Beste wäre. Aber falls doch, sieht es übel aus für mich.
Du bist mein Freund, du kannst mir helfen, indem du das tust, was ich
aufgeschrieben habe. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Ich zwinge dich
nicht, denn es ist riskant. Wenn du erwischt wirst, sind wir beide dran.
Damit hatte er sich verabschiedet und ihn dem Alptraum ausgeliefert, der
nun in Gestalt des toten Soldaten konkrete Formen annahm. Er hatte nicht
gelogen, in keiner Zeile, aber er hatte keine Zeit, darüber zu lamentieren,
musste schnell handeln, was ihm unter Eindruck der überflogenen Worte
schwerfiel. Er nahm sich vor, den Schrieb gut aufzubewahren, damit er die
Quintessenz später verinnerlichen und verdauen konnte.
Es erfolgte keine Reaktion auf
den Messerschnitt bis auf die befremdende Tatsache, dass der dickflüssige
Blutfluss sofort versiegte. Lange war er noch nicht in diesem Zustand, auch war
er noch recht beweglich, nur die Kiefermuskeln waren von unnatürlichen
Verkrampfungen verfremdet, die schon bald den ganzen Körper vereinnahmen
würden.
Flugs knüpfte er sein Halstuch ab und band es dem Jungen um den Kopf.
Jemand könnte auf den irrsinnigen Gedanken verfallen, der Blutspur zu folgen,
dann wäre er ein Fall fürs Kriegsgericht.
Je kritischer die Situation, desto nüchterner wurde er. Stoisch wickelte
er den wie eine Puppe wächsernen Soldaten wieder in den Woilach, versicherte
sich, dass der Kopf nicht herauslugte und schulterte seine menschliche Bürde.
Ehe er ging, nahm er eine Axt, wie man es ihm aufgetragen hatte, die er in der
Ecke des Zeltes fand. Bei dem Gedanken, was er mit ihr anstellen sollte – und
er würde es tun, das war unumstößlich – zitterte er abermals.
Draußen war es still, beinahe idyllisch, als spotte der liebe Gott der
allgegenwärtigen Gewalt mit der Herrlichkeit seiner Schöpfung. Gelegentlich
unterhielt sich im Flüsterton eine Patrouilleneinheit mit einer anderen. Es war
nicht nötig, zu flüstern, doch sie alle hatten schon lange erfasst, dass das
Abenteuer, auf welches sie sich eingelassen hatten, kein Spaß, sondern zu
tödlichem Ernst eskaliert war.
Die nah beieinander aufgestellten Biwaks und Unterstände als Deckung
nutzend lief er in flotter Schrittgeschwindigkeit über den Lagerplatz auf das
freie Feld hinaus, wo er sich erst einmal eine Pause gönnte. Der Tote auf
seinem Kreuz war schwer und kräftiger gebaut als er, und er hatte noch eine
beträchtliche Strecke zurückzulegen. Vernünftig wie immer hatte ihn der Freund
präzise instruiert.
Vor einigen Tagen hatte auf einem Zuckerrübenfeld außerhalb der Siedlung
ein Kugelwechsel stattgefunden, das in der Folge mit Leichen gepflastert war;
die Sicherheit, sie ordnungsgemäß zu bestatten, war im Hinblick auf eine
eventuelle Blitzattacke nicht gewährleistet, und so überließ man ihre
Restverwertung auf beiden Seiten den Raben und kreuchendem Getier. Zudem waren
die Männer von Granaten und den schweren Gefechten dermaßen verstümmelt, dass
es sich nicht lohnte, die Überreste aufzuklauben. Er war dabeigewesen und hatte
wie durch ein Wunder nahezu unverletzt überlebt. Die Minderheit der Buren hatte
sie zu einer Brutalität angestachelt, die er sich nicht hätte träumen lassen,
als sie zu dritt nach Afrika reisten. Damals hatte er geglaubt, diese Siedler
seien vergleichbar mit Buschmännern, primitiv und leicht zu schlagen. Doch es
waren stolze und an der Muskete geschulte Patrioten, über die Jahrhunderte
vertrieben aus Deutschland und den Niederlanden, und sie würden sich dem Empire
der Briten nicht kampflos beugen und ihre Unabhängigkeit bis zum Letzten in
gnadenlosen Gemetzeln verteidigen, das hatten sie eindrücklich bewiesen.
Heimkehren würden sie nur noch zu zweit, vorausgesetzt, sie überlebten
diese Hölle. Auf eine verzwickte Weise lastete der Tod des Kameraden schwer auf
ihm, denn indirekt war er dafür verantwortlich. So stand es in dem Brief. Er
ahnte, dass sein Freund diese bedeutenden Sätze nicht aus der Luft gegriffen
hatte. Nein, es ergab einen Sinn, das war das Schreckliche an der Sache.
Ächzend verlagerte er den Toten auf die andere Schulter, wechselte sein
wuchtiges Werkzeug in die andere Hand und ermahnte sich gleich darauf. Das
geringste Knacken unter seinen Füßen würde ihn verraten. Die Ruhe trügte
vielleicht, auf jeden Fall machte sie ihn leichtsinnig. Geduckt, um der Last
auf seinem Rücken mehr Fläche zuzugestehen, damit er sich nicht über die Maßen
plagen musste, huschte er im Rain des Feldes zur ungefähren Mitte hin. Im Acker
selbst wimmelte es von Krähen, die in Schwärmen über die Toten herfielen und
den Sanitätern die Arbeit abnahmen, indem sie sie bis auf die Knochen abnagten.
Mitunter strauchelte er über Extremitäten; er sah nicht nach, ob der
Körper noch daran war. Eine Schrecksekunde lang griff jemand nach ihm; sein
Hosenbein verhedderte sich über den ausgestreckten Fingern eines Soldaten, die
wie kleine Zweige gen Himmel ragten, als ersuchten sie seine Hilfe. Er
stolperte und verlor den Jungen, als er sich fluchend anschickte, das Hosenbein
aus den starren Fingern zu flechten. Der Tote glotzte ihn an. Eigentlich hätte
er ihn kennen müssen – er hatte rasch mit allen Brüderschaft getrunken - aber
die Witterung und die Gier der Vögel hatten seine Gesichtszüge in etwas
verwandelt, das mit einem menschlichen Schädel nur noch verschwindende
Ähnlichkeit aufwies. Wo Augen und Mund einst waren, gähnten ihm riesige Löcher
entgegen. Im Zwielicht wirkte der Soldat trotz allem nicht ausdruckslos,
sondern wie ein mumifizierter Lehrmeister, der ihm mit erhobenem Zeigefinger
die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen führte. Er stieß ein schockiertes
Japsen aus, krabbelte auf allen Vieren zurück und raffte Zachary Blake wieder
auf.
An einer Stelle, die ihm mehr
oder weniger geeignet schien, lud er den Jungen ab, mit einem schwachen Geräusch
plumpste die Leiche auf den hügeligen Ackerboden. Er kniete nieder, um den
Woilach abzustreifen, obwohl ihm die Aufgabe zutiefst widerstrebte. Man würde
Verdacht schöpfen, wenn man sie vermummt entdeckte, und diese Gefahr war stets
gegeben. Hinterher stellte sich heraus, dass Private Blake gar nicht auf der
Liste der ausgewählten Frontkämpfer stand, und man würde in wilde Spekulation
verfallen, die letztendlich geprüft und vom Komitee untersucht wurde. Man würde
sich fragen, wie es möglich war, dass er an besagter Schlacht teilgenommen
hatte, obwohl ihn der Corporal vielleicht zum Küchen- oder Sanitärdienst
verdonnert hatte. Darum die Axt. Sie würde dafür sorgen, dass eine mögliche
Identifierung der Leiche nicht stattfand. Zwar war das eher unwahrscheinlich,
aber sein vorausschauender Freund hatte diese Möglichkeit in Erwägung gezogen
und ihn gebeten, den Kameraden unkenntlich zu machen.
Zachary Blake schlief noch immer, ein in der Dunkelheit schwarzes
Rinnsal auf der Wange. Er wirkte so unversehrt, dass er ihn sachte schüttelte
in der Hoffnung, er möge die Augen aufschlagen.
Plötzlich flossen Tränen über seine Wangen; er tätschelte die glatte
Haut des Jungen, suchte einen Hauch Leben darin, doch sie war kalt und blau, und
unter dem rechten Auge bildete sich ein Hämatom, der erste Totenfleck, der ihn
an den Rand der Hysterie katapultierte und ihn unwillkürlich das Gesicht mit
der Hand schützen ließ.
Er ertrug den Anblick nur mühsam, als er zwischen seinen Finger hindurchlugte.
Wenn er schon hatte sterben müssen, hätte er ihm gerne noch Lebewohl gesagt.
Aber nicht einmal das hatte man ihm zugebilligt. Er fühlte sich, als habe man
auch ihm einen Arm oder ein Bein abgetrennt.
„Vergib mir“, wisperte er und erschrak über die Lautstärke seines Raunens.
Notgedrungen griff er nach dem Beil, erhob sich und starrte geradeaus über die
schwarzen Hügel, welche seine Kameraden markierten, verstreut über das gesamte
Feld. Wie er diesen Flecken Erde hasste! Eine Leichenhalle unter freiem Himmel.
Unsagbare Angst kroch in ihm hoch, lähmte ihn für Momente.
Seine Geistesgegenwart auf den Leichnam vor ihn richtend schwang er die
Axt über den Kopf. „Es tut nicht weh. Das bist nicht mehr du“, sagte er leise.
„Ich muss es tun, Zachary, aber ich wünschte, es wäre anders gekommen. Warum
hast du nicht mit mir geredet? Armer kleiner Narr. Ich hätte dich nicht
gehasst.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen