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Donnerstag, 4. April 2013

Das späte Geständnis des Tristan Sadler ~ John Boyne

Ich muss zugeben, zum Lesen komme ich nicht mehr so oft. Das hat weniger damit zu tun, dass ich selbst schreibe (denn andere Werke können äußerst inspirierend sein), als vielmehr damit, dass ich mich nach einer schwierigen Phase in meinem Leben nicht mehr so gut konzentrieren kann.





Nach langer Leseabstinenz und Kurzgeschichten zum Aufwärmen habe ich mir auf Empfehlung "Das späte Geständnis des Tristan Sadler" besorgt.

Der Autor John Boyne wurde durch "Der Junge im gestreiften Pyjama" bekannt und wird seitdem als literarisches Wunderkind gefeiert. Zu Recht. In diesem Buch wird ein Thema behandelt, das mich selbst fasziniert und zugleich traurig und melancholisch stimmt: der Erste Weltkrieg, in dem so viele junge Männer sinnlos ihr Leben lassen mussten.

Meinung: Ich war begeistert von dem leichten Stil, der Atmosphäre und der Charakterisierung der Rekruten, die von dem despotischen Sergeant James Clayton auf die große Schlacht vorbereitet werden. Besonders ans Herz gewachsen ist mir Will Bancroft, von dem von Anbeginn kein Zweifel bleibt, dass er sterben wird, denn sein Freund Tristan verabredet sich nach dem Krieg in Norwich mit dessen Schwester Marian, um ihr die Briefe zu übergeben, die sie ihrem Bruder ins Feld schrieb.

Zwischen ihm und Tristan entwickelt sich von einer sofortigen, fast magischen Freundschaft eine Art unfreiwillige Liebesgeschichte, die ihren Anfang nimmt, als der selbsternannte Kriegsverweigerer Arthur Wolf mit eingeschlagenem Schädel noch vor der Überschiffung nach Frankreich im Wald gefunden wird. Dessen baldiges Ende war ein ziemlicher Schocker - dass er im Regiment gepiesackt und schikaniert wurde, nahm mich nicht weiter wunder, aber dass man ihn auf Anordnung Claytons stillschweigend beseitigt hat, ist schon echt starker Tobak.

Bemerkenswert an der Beziehung zwischen Will und Tristan finde ich, dass Ersterer sich dafür schämt, seinen Kameraden körperlich zu begehren, und er dennoch die Initiative ergreift. Er erklärt es vor Tristan damit, "Trost zu suchen", aber Tristan, der schon früh seine homosexuellen Neigungen durch den Nachbarsjungen Peter erkennt, fühlt sich dadurch entwertet. Als sich Will aufgrund eines folgenschweren Vorfalls zum Absolutist (der Originaltitel des Buches) und Tristan zum Feigling erklärt, greift der gedemütigte, zurückgewiesene Tristan zu einer Maßnahme, die völlig überrascht und mich entsetzt hat.

John Boyne gelingt es, das Grauen und den Wahnsinn des Krieges und die Verrohung der Soldaten plastisch zu beschreiben, ohne dabei das verletzte Selbstverständnis seines Protagonisten aus den Augen zu verlieren. Obwohl meine Sympathie von Beginn an uneingeschränkt bei Will war, tat mir Tristan sehr leid. Verstoßen und verachtet von Familie und Freunden, sobald er zu seinen Gefühlen stand, hat er zuletzt selbst von dem Menschen Ablehnung erfahren, den er als seinen Geliebten bezeichnet hat.

"Das späte Geständnis des Tristan Sadler" ließ mich traurig und nachdenklich zurück. Traurig für Tristan und Will, und nachdenklich, weil ich mich unwillkürlich gefragt habe, wie ich in Tristans Situation gehandelt hätte  - und zwar sowohl im Schützengraben als auch später in der letzten Unterredung mit Will.

Fazit: Kein Feel-Good-Buch, dafür eindringlich, tiefgründig und spannend mit einem ungewöhnlichen Thema. Eine Lektüre, die ich in dieser Art so bald nicht wiederholen möchte und die es trotzdem wert war, gelesen zu werden.


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