Translate

Sonntag, 19. Mai 2013

Leseprobe: "Vom Ernst des Lebens"

In diesem Teil des dritten Kapitels lernt Rupert Grayson den Bistrobesitzer Thierry Levant kennen, mit dem er und Miles in Zukunft noch mehr zu tun haben werden. Eigentlich schließt Rupert nicht schnell Freundschaften - selbst die zu Miles ist zu Beginn nicht gerade tief und ihm eher suspekt. Doch in Paris gelingt es Rupert, über seinen Schatten zu springen und sich mit Menschen zu befassen statt mit Büchern, nachdem Miles ein "Rendezvous" mit dem Hotelpagen Julien Delaroche hat.



Die Vorgeschichte zu dieser Leseprobe könnt ihr auf meiner Homepage lesen.




    Gegen Abend und eine Stunde zu spät tauchte Julien auf. Er war im Zivil und hatte sich ordentlich herausgeputzt. Sein jetzt unbedecktes, zurückgestriegeltes Haar glänzte und war länger, als es die derzeitige Mode erlaubte. Das Burschikos-Kindliche, das ihm am Mittag noch angehaftet hatte, war verschwunden. Auch Miles und Rupert hatten sich stadtfein gemacht, doch Rupert, der sich seit dem verspäteten Mittagessen nicht wohlfühlte und an höllischen Kopfschmerzen laborierte, zupfte Miles am Ärmel. Er hatte beschlossen, den forschen Franzosen mit seinem lächerlichen Hang zu Filmstars nicht zu mögen. Insgeheim hoffte er, Miles zum Bleiben zu bewegen. Dumpfe Eifersucht kroch in ihm hoch, sowie er in das vor Freude und Dienstgefälligkeit glühende, frische Gesicht des Jungen blickte.

„Geht ihr allein“, raunte er seinem Freund matt zu. „Mir ist nicht gut.“

„Wirklich?“ vergewisserte sich Miles in einem Tonfall, der Rupert sofort verriet, dass seine Finte fehlschlagen würde. „Schade. Aber wenn du meinst … nimm ein Aspirin und leg’ dich ein bisschen hin. Wir sind nicht allzu lange weg.“

„Pass auf dich auf“, brach es aus Rupert heraus, während er ungestüm die Arme um Miles warf; selbst der Page hob erstaunt die kräftigen Augenbrauen ob des unerwarteten Gefühlsausbruchs. Engländer waren steif, traditionsbewusst und in erster Linie Beherrscher ihrer Emotionen, so jedenfalls sagte man, und bisher hatte in ihrem Hotel noch keine Ausnahme die Regel bestätigt. Dieser hagere, miesepetrige Rupert schien aus der Reihe zu tanzen; er konnte ihm nicht böse sein und verbarg ein Lächeln. Wahrscheinlich war diese Vorstellung für seine Verhältnisse geradezu heißblütig.

„Ist alles gut, ich pass schon auf“, beschwichtigte Miles Rupert. Er sprach so dicht an Ruperts Ohr, dass Julien ihn nicht hören konnte. „Hast du Angst, du müsstest hier alleine bleiben, wenn mir was zustößt? Dann komm doch einfach mit.“

Mit zusammengekniffenen Lippen wich Rupert einen Schritt zurück. Der Franzose musste ihn für eine schöne Memme halten!

„Nein“, beschied er knapp, ehe er sich waidwund in die Suite zurückzog und die Tür behutsam schloss, gegen die er seine Stirn lehnte und in Selbstmitleid versank. In seinen Gedanken konnte er das Gespräch erahnen, das jetzt zwischen dem Boy und Miles stattfand.

„Ein komischer Kauz ist Ihr Freund“ – nein, Bruder, korrigierte er - „Ach ja, man muss ihn so nehmen wie er ist, aber manchmal kann er eine rechte Landplage sein. Ganz im Vertrauen, Julien, er ist gar nicht mein Bruder … ich würde mich in Grund und Boden schämen.“

Der Anfall von Schwermut ließ ihn zunächst apathisch verharren. Nach einigen Minuten, in denen er vergeblich versuchte, sich zu fangen, packte er sein Tagebuch und Schreibzeug aus, ging zum Schreibtisch und verfasste akribisch die Geschehnisse des Tages in seinem Journal, wie es ihm von klein auf zur Gewohnheit geworden war. Später fand er etwas Trost darin, die Zeilen durchzulesen, wenngleich sein Bericht lediglich seine Gemütslage widerspiegelte. Da er schon dabei war, schriftlich tätig zu sein, machte er sich danach an den Brief an seine Eltern. Die Niedergeschlagenheit und das Gefühl, ausgestoßen zu sein, gingen mit ihm durch: in dramatischer Weise schilderte er den Grund, weshalb er Hals über Kopf die Heimat verlassen hatte. Nun, mit fast dreißig, habe er sich Gedanken über sein bisheriges Leben gemacht und auf Anraten seines Arztes eine Weltreise in Angriff genommen, da es nicht ausgeschlossen sei, dass Rupert nicht mehr lange zu leben habe, sie wussten ja um seine anfällige Gesundheit (was gelogen war, doch ein sadistisches Vergnügen durchlief ihn, als er diesen Satz niederschrieb). Und wenn er schon abtrat, dann als erfahrener Mann, im Einklang mit sich selbst und den vielen Menschen, die er auf seiner Erdumrundung kennen und schätzen gelernt hatte. 

Sein Vater wäre enttäuscht von ihm. Seit dem Tag seiner Geburt sah er ihn in Cambridge unterrichten und einer glorreichen Zukunft entgegengehen. Als einziger Sohn lag in dieser Hinsicht eine schwere Bürde auf Rupert, aber er hatte tatsächlich geglaubt, der Wunsch des Vaters sei auch sein eigener. Nun erkannte er, dass er viel zu schüchtern war, um vor einer Horde pickeliger Halbstarke Anglistik zu lehren. Beim kleinsten Fehler würden sie ihn verlachen und verspotten, und Rupert hatte nicht das Selbstbewusstsein, darüber zu stehen oder gar den Rohrstock einzusetzen, würde es nie haben. 

Obwohl Miles ihm seine Pläne – die strenggenommen die von Grayson senior waren – nicht auszureden versucht hatte, hatte Rupert gespürt, dass er ihn zum Nachdenken anregen wollte mit seiner letzten Bemerkung bei Tisch.

Den Freund erwähnte er wie gewünscht nicht. Er wollte es sich nicht verscherzen mit ihm. Obendrein würde es Mum und Dad beunruhigen, und er hing trotz allem mit zärtlicher Zuneigung an ihnen. Allein die Nachricht, er würde sterben, würde seiner Mutter schlaflose Nächte bescheren. Obwohl er sich ein wenig gemein vorkam, änderte er den Inhalt des Briefes nicht. 

Es war noch recht früh am Abend, er hatte nicht vor, die ganze Zeit auf Miles zu warten wie der gehörnte Ehepartner. Den Brief in die Tasche steckend, schlurfte er durch die Tür und hinunter ins Foyer. Die junge Frau war verschwunden, zwei Portiers waren in ein Gespräch vertieft, vermutlich war es Zeit für den Schichtwechsel. Zu weit vom Hotel würde er sich nicht entfernen, nur ein bisschen die Gegend erkunden. 

Draußen atmete er tief ein. Der Eiffelturm, den man vom Hotel aus sehen konnte, war beleuchtet, ein großartiges Schauspiel. Einige Minuten lang stand er einfach nur da und genoss den Anblick. Wie jemand, der kein bestimmtes Ziel im Auge hat, schlenderte er die Straße entlang. Paris nahm Miles mit offenen Armen auf, während ihm hier eine – wie ihm schien – berechtigte Feindseligkeit entgegenschlug. Er war nicht so offen, so lebenslustig wie die Franzosen und Miles. Aber war er deshalb weniger liebenswert? Wieder seufzte er. Rechter Hand von ihm blinkte ein elektrisches Schild mit den Buchstaben Open über einem vergammelt wirkenden, dunklen Bistro oder Café. Der englische Schriftzug schließlich war es, der ihn dazu brachte, einzutreten.

Dunkelheit empfing ihn, die lediglich von flackernden Lichtern auf den runden Bistrotischen erhellt wurde. Ein schöner Ort, um unsichtbar zu sein und Weltschmerz zu nähren. Hoffentlich war tatsächlich noch geöffnet; außer ihm befanden sich keine Gäste im Raum. Staubige Bouquets aus Trockenblumen und ausgestopfte Tiere reihten sich in grotesker Anordnung auf den Simsen vor den hohen, bogenförmigen Fenstern dicht an dicht.

Ein Mann huschte eilfertig an seine Seite, kaum dass er sich gesetzt hatte. Er war etwa in Ruperts Alter und von schlanker Statur, was seine rastlosen Bewegungen unterstrich. Sein glattes Haar war dunkelbraun und glänzte wie Miles’. In dem fein geschnittenen Gesicht leuchteten lebhafte Augen von undefinierbarer, dunkler Farbe, und um das Klischee des Franzosen komplett zu machen, trug er einen Oberlippenbart à la Adolphe Menjou. Fehlen nur noch das Barett und das Baguette unter dem Arm, dachte Rupert wider Willen amüsiert. 

Eifrig wischte der Mann verbliebene Krümel vom Tisch.

Bonjour, Monsieur. Was darf ich Ihnen bringen?“ Er sprach kehlig und mit starkem Akzent.

Rupert zeigte auf etwas in der Getränkekarte. 

Alors … un thé avec du citron“, murmelte der Kellner und kritzelte hurtig etwas auf seinen Notizblock. „Avec ou sans sucre?

„Bitte? – Nein, ohne alles, bitte.“

„Oh“. Einen schlauen Gesichtsausdruck präsentierend klemmte der Kellner den Stift hinters Ohr. „Sie sind Engländer. Neu in der Stadt oder Tourist? Ich habe Sie noch nie hier gesehen, und ich kenne alle Leute hier im Umkreis.“

Ruperts Askese am Mittagstisch war nicht vergessen; sein Magen knurrte vernehmlich.

„Gibt es noch etwas zu essen?“

Bedauernd kratzte sich der Kellner am Kopf. „Tut mir leid, Monsieur, aber der Koch hat bereits Feierabend.“

„Das macht nichts“, versicherte Rupert, der auf keinen Fall Umstände machen wollte. „Ich bin gleich weg, wenn Sie schließen möchten.“

Als er nach seiner Jacke griff, die er über den Stuhl gehängt hatte, hinderte der Kellner ihn daran. „Non, non. Ich kann Ihnen nur keine warme Mahlzeit mehr anbieten. Bleiben Sie, s’il vous plaît. Ich bringe Ihnen Ihren Tee.“

Zusätzlich zum heißen Schwarztee servierte er ein Croissant. Als Rupert meinte, er habe es nicht bestellt, winkte er ab und erklärte verlegen, dass es von heute morgen übriggeblieben war und er es nicht übers Herz brachte, es fortzuschmeißen. In seiner Küche sei das unüblich. Außerdem beleidige es seinen Sinn für Wirtschaftlichkeit. Freilich müsse Rupert es nicht bezahlen, aber es sei so gut wie frisch aus dem Ofen. Das war übertrieben. Rupert war trotzdem dankbar, seinen Hunger mit einer landestypischen Kleinigkeit stillen zu können, das kam ihm sehr weltmännisch vor. Still saß er da und sah verträumt und kauend aus dem Fenster. Autos hupten, Nachtschwärmer flanierten lachend und schwatzend vorbei. Einige wagten sich ins Bistro, wurden jedoch von dem jungen Kellner, der hinter dem Tresen die Gläser spülte, wortreich und wild gestikulierend verscheucht. 

Obwohl sich Rupert die Grobheit nicht erklären konnte, unterließ er es, nach dem Grund zu fragen. Der Kellner seinerseits war ebenfalls nicht auf Kommunikation aus. Er hatte genug zu tun, nachdem er das Radio eingeschaltet hatte, aus dem französische Chansons dudelten. 

Schließlich hatte er seine Arbeit getan. Seine schmalen Hände an der Schürze trocknend, kam er zu Rupert hinüber und bot ihm eine Zigarette an. Rupert rauchte selten, aber er wollte den Mann nicht vor den Kopf stoßen und nahm dankend an. Ohne darum gebeten worden zu sein, zog der Kellner einen Stuhl vom Nebentisch heran und stellte eine Flasche Bourbon mit zwei Gläsern auf die Tischplatte. 

„Bekümmert Sie etwas oder sehen Sie immer so traurig drein?“ 

Die impertinente Geradlinigkeit, noch dazu von einem Fremden, irritierte Rupert. „Bitte? – Pardon?“
 
„Entschuldigen Sie. Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, wie unhöflich von mir! Mein Name ist Thierry“, entsann sich der Kellner den Regeln der Kontaktaufnahme. „Das Café gehört mir. Ich hab’s vor fünf Jahren gekauft. Der Vorbesitzer meinte, der Laden würde brummen, aber ich hätte es besser wissen müssen. Hätte er ihn sonst hergegeben, eh?“

„Wohl kaum“, nuschelte Rupert in sein schon leeres Teeglas. Es erzeugte ein quietschendes Geräusch, als er mit dem Finger darüber fuhr.

Tant pis“, tat Thierry die Pechsträhne leichthin ab. „Es kommen wieder bessere Zeiten. – Was ist mit Ihnen? Sind Sie geschäftlich unterwegs?“

Rupert musste sich seine Fragen zweimal anhören. Zwar besaß Thierry einen beachtlichen Wortschatz, die Aussprache war allerdings gewöhnungsbedürftig. „Ich bin privat hier“, sagte er. „Mit einem Freund. Er wollte mir ein wenig Kultur beibringen.“

Der Kellner lachte, indes er beide Gläser bis zur Hälfte füllte. „Die habt ihr nicht in England, c’est vrai! Aber ist das ein Grund, den Kopf hängenzulassen? Jeder kann lernen. Wenn ihr zurück seid, eröffnet ihr ein Lokal mit französischen Spezialitäten. Darauf stehen die Leute. Exotik, das Neue, Unentdeckte. Allemal besser als euer druckergeschwärztes Fish and Chips.“

„Hm“, stimmte Rupert vage mit einem Schulterzucken zu. Etwas an Thierry ermutigte ihn, mehr von sich preiszugeben, ja sogar ungewöhnlich keck zu werden. Als sie anstießen, lächelte er. „Rupert Grayson. Rupert. Ich komme ab jetzt wahrscheinlich öfter vorbei.“

„Das würde mich sehr freuen, Rupert. In Zukunft solltest du dich aber an die Öffnungszeiten halten. Ich habe eigentlich schon lange geschlossen.“

~*~

Wie eigenartig. Er hatte einen Freund gewonnen. Es war gar nicht so schwer gewesen. Beflügelt von seiner „Eroberung“ suchte Rupert vor sich hinpfeifend wieder das Hotel auf. Inzwischen hatte der Portier gewechselt; ein Schrank von einem Kerl baute sich drohend hinter der Rezeption auf. Er raunzte ihn an und verlangte seinen Ausweis zu sehen. Rupert geriet ins Schwitzen. Sie waren doch unter Pseudonym eingetragen. Wenn er bloß nicht zu besäuselt war, sich nicht daran zu erinnern. Harte Sachen wie Bourbon waren zwar nett gemeint, doch jedes Mal, wenn man ihm Alkohol anbot, witterte er eine Verschwörung dahinter. In diesem Fall zwischen Thierry und dem Portier. Was natürlich Blödsinn war; glücklicherweise fiel ihm der Deckname wieder ein. Aus Rücksicht auf Ruperts notorische Zerstreutheit hatte Miles einen leicht zu merkenden erfunden.

„Mason“, krächzte er. „Sehen Sie bitte im Register nach. Wir haben heute Mittag eingecheckt. Rupert und äh … Victor.“

Brummend händigte ihm der Portier den Schlüssel aus. Er war des Englischen nicht mächtig und darum von vorneherein schlechtgelaunt. Wenigstens schien er Rupert zu glauben.

Um zwei Uhr nachts waren die Hotelkorridore vollkommen leer und vermittelten das Vakuum, in das Rupert plötzlich erneut fiel. Alarmiert schlug er mit der flachen Hand auf sein Revers; er hatte vergessen, den Brief einzuwerfen. Typisch! Nun ja, Postmarken hätte er ohnehin zu so später Stunde nicht mehr bekommen, also hatte es auch noch bis Morgen Zeit.

Miles war noch nicht da, nur das herbe Parfüm des Pagen hing wie ein flüchtiger Hauch in der Luft. Es fiel Rupert schwer, sich keine Sorgen zu machen, überdies fühlte er sich einsam. 

Vielleicht hatte der Junge Blut geleckt, weil Miles so unvorsichtig gewesen war, zu demonstrieren, dass Geld für ihn keine Rolle spielte. Vielleicht schleppte er ihn zu seinen Bandenkumpels, die ihm in einer dunklen, gottverlassenen Ecke eins mit dem Knüppel überzogen, ihn ausraubten und hilflos, vielleicht gar gefesselt und geknebelt, liegen ließen.  

Er zwang sich, seine pessimistische Vision zu unterdrücken und griff nach Sturmhöhe, um sich abzulenken. Irgendwann sank er zur Seite und döste vor sich hin.

Eine halbe Stunde war vergangen, das Schlagwerk der zierlichen Uhr auf der Kommode und das gleichzeitige Knarren der Tür weckten ihn. Trotzdem stellte er sich weiterhin schlafend. 

Julien, der aufgeschlossen hatte, glitt als Erster herein, gefolgt von Miles. Sie wirkten heiter, aber nicht betrunken. Hatten einen schönen Abend gehabt, im Gegensatz zu ihm. Dass er Thierry kennengelernt hatte, entging ihm in seiner aufkeimenden Missgunst.

Au revoir“, raunte Julien. „Es war sehr schön.“ Er schürzte die Lippen, und Miles beugte sich vor, um sich von ihm auf rituell französische Art auf beide Wangen küssen zu lassen. „Quatre fois“, erklärte Julien lachend, als Miles nach dem zweiten Schmatz zurückwich. Ohne Scheu schlang er die Arme um den größeren Mann und vervollständigte seinen Abschied mit den fehlenden zwei Küssen. Miles schien es richtiggehend zu genießen. 

„Daran könnte man sich gewöhnen“, sagte er. „Bonne nuit, Julien.“

Beim Hinausgehen winkte der Junge kokett. 

Miles ließ sich auf das Bett fallen und betrachtete Rupert in seinem Sessel, bevor er begann, seinen Schlips zu lösen und die Schuhe auszuziehen.

„Schade, dass du nicht dabei warst. Sacre Coeur hätte dir gefallen. Oh, und ich hab dir was mitgebracht.“

Er wedelte mit einen Bogen Papier vor Ruperts Nase und raschelte damit, woraufhin ihm nichts anderes übrigblieb, als seine Fassade vom schlafenden Ahnungslosen einstürzen zu lassen. Langsam ein Auge öffnend nahm er das Blatt an sich. Es zeigte eine wenig schmeichelhafte Zeichnung von Miles im Profil, eher eine Karikatur denn eine Charakterstudie. Der Unterkiefer stand aerodynamisch hervor und passte kaum mehr aufs Papier, und seine Nase, die der Künstler mit einem übertriebenen Haken ausgestattet hatte, erweckte den Eindruck, als tropfe der Eiffelturm aus ihr.

Miles kicherte, als er Ruperts verblüfften Gesichtsausdruck sah. „Ich konnte nicht Nein sagen, der Kerl war zu drollig. Wollte mich unbedingt malen. Ist uns sogar nachgerannt und bot es mir zu einem Sonderpreis an. Julien war sauer, aber wir sind Touristen und dürfen uns das erlauben, oder? Außerdem ist das doch eine nette Erinnerung an unsere Reise.“

„Es ist scheußlich.“

„Gut, dass du das auch so siehst. Heb’ es trotzdem auf. Du kannst es ja zuhause rahmen und aufhängen.“

Das war Ruperts Stichwort. „Hat er sie dir gezeigt, die Hosenträgerin?“
 
Miles stutzte, er schien nicht zu verstehen, darum wurde Rupert deutlicher: „Marlene Dietrich im Schrein.“ 

Zynismus entsprach nicht seiner Art, doch er musste irgendwie Dampf ablassen. Miles lächelte und legte die Hand auf Ruperts Knie, schüttelte es neckend hin und her. Verbissen spannte Rupert den Muskel an.

„Eifersüchtig? Das ist nicht dein Ernst jetzt. Nein, wir waren nicht bei Julien. Er ist ein netter Junge, aber nicht so nett. Lass uns schlafen gehen, ich bin müde.“ 

Er gähnte, zog Rupert jovial auf die Füße und schob den schweren, großgeblümten Vorhang zum Separee der Schlafstätte zurück.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen