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Donnerstag, 15. September 2022

Milan ~ eine Leseprobe

Eine meiner ersten Geschichten war "Milan", welche die Beziehung zwischen einem erfolgreichen Theaterregisseur und seiner wesentlichen jüngeren Partnerin beleuchtet.
Sie ist ein wenig bis ziemlich altmodisch, da sie in den 1970er angesiedelt ist; ein Jahrzehnt, in dem Frauen erstmals gegen ihre Rolle als Vollzeit-Mama und Hausfrau aufbegehrten, Selbstverwirklichung suchten und die erste Ausgabe der "Emma" erschien. Und weil die Erzählerin alles andere ist als selbstbewusst. In ihren frühen Zwanzigern, macht sie sich viele Gedanken und lernt mit Milan, ihre traumatische Kindheit aufzuarbeiten. Die beiden haben ein recht ambivalentes Verhältnis; sie ist nicht einmal sicher, ob sie ihn liebt oder nur braucht, um sich weiterzuentwickeln auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Was sie über sich und Milan herausfindet, lässt sie weitere Schritte gehen, die sie zu Beginn ihrer Beziehung nicht gewagt hätte.
 
 

 


Obwohl "Milan" mit 236 Seiten eher eine Kurzgeschichte ist, erlebt die Ich-Erzählerin Höhen und Tiefen an der Seite ihres rätselhaften, aber unerschütterlichen Liebhabers und Mentors.

Hier kommt die Leseprobe (diesmal ohne Jump Break, da sie relativ kurz ist). Für moderne Ohren klingt sie wahrscheinlich ein bisschen sexistisch von Milans Seite und blondchen-naiv von Seiten der jungen Frau. Doch ich versichere, zumindest Milan ist nicht so, wie es scheint.


***


Er bleibt immer ein Rätsel, er hat keine Geschichte in dem Sinn wie ich eine habe, ich glaube, niemand kennt ihn wirklich, nicht einmal Maria. Die Sache mit Frederic ist alles, was ich von ihm weiß, wirklich weiß, alles andere haben Leute zusammengedichtet, die ihm nur flüchtig auf der Straße begegnet sind, die ein liebenswürdiges Grüß Gott mit ihm gewechselt haben, um sich hinterher verstohlen anzuschubsen: War das nicht-?

Ich kenne weder seine Vergangenheit noch seine Ziele, vermuten kann ich viel, aber die führen nicht zum gegenseitigen Verständnis, wahrscheinlich versteht keiner von uns beiden den anderen, wobei Milan der größere Heuchler ist. Ich gebe mir schon gar keine Mühe mehr, ihn zu verstehen. Doch ich will wissen, warum er mich fesselt, und was würde ich tun, falls er mich gehen lässt. Bin ich nicht im Gegenteil froh darüber, von ihm beherrscht zu werden? Jemanden zu haben, der über einen wacht, der aufpasst, dass man keine Fehler macht, und wenn doch, einen tröstet in der Not? Muss jede Beziehung nicht darauf hin wachsen, nicht umsonst heißt es in der Bibel "Die Frau sei dem Mann Untertan". Oder ist es altmodisch, deute ich es falsch? Wie denkt Milan darüber? Bei nächster Gelegenheit werde ich ihn fragen.

Milan: Wie kommst du jetzt wieder darauf, ich habe jetzt wirklich keine Zeit, ich muss dieses Buch zu Ende schreiben, vielleicht ein andermal -
Ich: Aber es steht dort ganz klar, dass die Frau sich dem Mann unterordnen soll. Ich kann das einfach nicht glauben, gerade in unserer Zeit -
Milan: Meinetwegen schließ dich der Frauenbewegung an.
Ich: Das ist nicht, worauf ich hinauswollte; ist es zuviel verlangt, zu fragen, was du davon hältst?
Milan: Der liebe Gott wird seine Gründe gehabt haben, dieses Gesetz zu erlassen. Ich maße mir nicht an, klüger zu sein als Gott.
Ich: Also hat es noch Gültigkeit für dich?
Milan: Du musst zugeben, es ist kein schlechtes Gesetz für die Männer. Es würde mich interessieren, warum dich das beschäftigt.
Ich: Ich habe viel Zeit, viel mehr als ich bräuchte, da ist es mir doch wohl erlaubt, mich mit unnützen Dingen zu befassen.
Milan: Wer spricht denn von unnützen Dingen, ich finde es gut, dass du dir Gedanken machst, aber musst du ausgerechnet jetzt darüber debattieren?
Ich: Willst du mich behalten?
Milan: Ich halte dich nicht. Ich halte niemanden.
Ich: Dann lasse ich mich halten von dir.
Milan: So wird es wohl sein.

Was ist so schlimm daran, Geborgenheit zu suchen, ist es verachtenswert, sich auf andere zu stützen, schwach zu sein, manchmal still in den Armen des anderen zu weinen, sei es aus Freude oder Unglück. Ich schäme mich nicht mehr meiner Tränen, er nimmt sie gelassen hin, doch begreift sie nicht, er ist eben anders. Unsere Gespräche bringen mich fast immer zum Weinen, ich weine mit oder ohne Tränen, doch jedes Mal enden sie schmerzlich, jedes Mal lässt er mich in eine Leere fallen, aus der es kein Entrinnen gibt. Doch ich will nicht ungerecht sein, denn er ist der einzige, dem ich alles anvertraue, niemandem sonst könnte ich erzählen, was ich ihm erzählt habe, und von niemandem sonst könnte ich mich ohne Vorbehalte berühren lassen.


xxolaxx / Pixabay

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