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Freitag, 19. August 2022

Leseprobe "Ein Spiel zu viel" (III)

 Manchmal gönne ich mir den Spaß und lese in meine eigenen Bücher rein. Viele davon sind nun nicht mehr ganz taufrisch, und trotzdem gefallen mir meine Geschichten en gros noch immer. 

"Ein Spiel zu viel" ist kein einfaches Buch. Es geht um Eifersucht, Verlustangst, das Verselbständigen einer Gruppendynamik und um einen Vater und seinen Adoptivsohn, die nach Jahren wieder aufeinandertreffen - der Vater Raphael Blake dabei ohne Ahnung, dass es sich um seinen unangepassten, ein wenig psychotischen Sohn handelt, der diesen durch eine Verkettung von Umständen wiedersieht und der mittlerweile als Theaterschauspieler ein Pseudonym angenommen hat. 



Bei der Einordnung des Genres habe ich mich seinerzeit etwas schwergetan. Es ist am ehesten vermutlich ein historischer Psycho-Thriller der unblutigen Art, in dem fünf junge Schauspieler einen Trip nach Sherborne im Südosten des Landes machen, wobei Irving Van Sander, der "Anführer" der Clique, damit eine recht perfide Absicht hegt. Der "Landurlaub" stellt sich als wenig erholsam für alle Beteiligten heraus, denn Irving sinnt auf Rache für seinen Liebhaber Galen und fürchtet zugleich, ihn an Raphael Blake zu verlieren. 

Von Blakes leiblichem Sohn Zachary, der seinen verschollenen Bruder aus Gründen schon lange sucht, erfuhr Irving, dass Galen dessen Adoptivsohn war und von Blakes Frau misshandelt und verstoßen wurde. Blake selbst glaubt, er sei tot.

Das Cover hat sich mittlerweile geändert und sieht so aus: *Klick*

Hier kommt die Leseprobe, in der Raphael zum ersten Mal vage dämmert, wen er möglicherweise als Gast bei sich aufgenommen hat. 


Zuhause angekommen richtete Blake das grüne Zimmer neben seiner Schlafkammer für ihn her. Es war nicht irgendein Zimmer. Zachary hatte darin bis zu seiner Militärausbildung gewohnt.

Seit er nicht mehr da war, hatte der Vater den Raum nicht mehr betreten und hatte alles unverändert gelassen, als könne er eines glücklichen Tages noch heimkehren, seinen Vater lachend in die Arme schließend. Jetzt wurde Blake bewusst, wie töricht es war, sich an diese Illusion zu klammern, den Raum zu einer Reliquie verkommen zu lassen. Allerdings verlangte es ihm einiges ab, den Türknauf herunterzudrücken und sich im Zimmer umzusehen. Seit Zacharys Auszug hatte sich nichts verändert, als sei die Zeit einfach stehengeblieben. In vielerlei Beziehungen war es in der Tat noch ein Kinderzimmer; die geblümte Tapete, Zinnfiguren auf dem Sideboard und ein hölzernes Schaukelpferd mit echten Rosshaaren auf Schienen, das er einst zu Zacharys Geburt gezimmert hatte, rührten Erinnerungen auf, die er am liebsten verdrängt hätte.  Sie zeigten ihm demonstrativ, dass Zachary trotz seiner Rebellion gegen die Pläne des Vaters nie erwachsen geworden war, und dass er den Grundstein zu diesem Hindernis gelegt hatte.

Galen, der hinter seinem Rücken Stellung bezog, wölbte die Augenbrauen und wartete, was Blake tun würde. Die stickige Luft umhüllte sie wie eine riesige Wolke, die endlich aus ihrem Gefängnis entlassen wurde und sich nun im Flur auswalzte. Staubpartikel behinderten Blakes Sicht und ließen seine Augen tränen. Zumindest redete er sich ein, dass der Kehricht daran schuld war.

Erst einmal lüftete er gründlich, es war kaum auszuhalten in der Hitze. Tote Insekten stapelten sich auf den Simsen, die er angewidert wegwischte. Er machte das Bett, packte persönliche Gegenstände und Bücher in die große Truhe auf dem Flur und fegte die Staubwolken auf dem Parkett hinaus. Vom Türrahmen aus schaute Galen misstrauisch zu. „Hat das nicht bis morgen Zeit?“

„Sie brauchen einen eigenen Raum, Galen. Ich will nicht, dass Sie wie ein kleines Kind auf meiner Bettkante schlafen. Sowas ist keines Mannes würdig.“

„Es hat mir nichts ausgemacht“, versichert Galen schnell, ein Anflug von Panik schlich in sein eigentümlich harsches Organ. Blake hörte den Protest heraus. Überrascht verharrend sah er auf. „Mir schon. Was haben Sie? Es ist ein schönes Zimmer, heller und luftiger als die anderen Räume. Sie sollten sich geehrt fühlen, es einmieten zu dürfen.“

Sich in eine mittlere Verzweiflung stürzend argumentierte Galen ohne jegliche Logik weiter, seine Worte überschlugen sich.

„Machen Sie sich keine Umstände... ich gehe ohnehin wieder... ich kann doch nicht für immer bei Ihnen sein. Ist dies Zacharys Zimmer? Ich kann nicht hier schlafen, in dieser Gruft... Sie wollen mich strafen, nicht wahr?“

Erschöpft sank er auf einen Stuhl, Blake legte Handfeger und Schippe beiseite und kniete sich neben ihn. Galen griff nach seiner Hand, eine merkwürdige Gebärde, die ausdrückte, wie hilflos er sich fühlte. Blake umfasste solidarisch die gebräunten schlanken Finger und musterte sie. Während er seine Frage stellte, wagte er es nicht, Galen in die Augen zu sehen, um ihn nicht zu verunsichern.

 „Strafen wofür?“

„Dass ich ihn nicht ernstgenommen habe. Ich wollte nie mit ihm sprechen. Wieso nicht, ist mir heute unbegreiflich, denn er war ein netter Junge und hat Zurückweisung nicht verdient. Aber ich dachte immer, er wolle sich einschmeicheln, so wie er sich bei meinen Kollegen eingeschmeichelt hat. Jedenfalls sah es danach aus. Das hat mich gekränkt. Er war bei vielen beliebt, und ich musste mir alles erkämpfen und habe doch meist verloren. Er hatte es so leicht. Ich habe mich mit ihm verglichen, seinem Talent und seinem Aussehen und seiner Fähigkeit, andere für sich einzunehmen.“

Es musste ihn anstrengen, über Zachary zu reden. Vor de Vere hatte er sich gesperrt; nun aber öffnete er im Beisein Blakes vertrauensvoll sein Unterbewusstsein.

„Warum haben Sie das getan? Es gab keinen Anlass dazu. Sie haben nichts mit ihm gemein.“

 „Vielleicht weil er den Leuten gefiel, denen ich gefallen wollte. Das Fazit, zu dem ich kam, gefiel mir nicht. Ich war eifersüchtig auf ihn. Er sah gut aus, viel besser als ich, das ist in unserem Metier wichtig, und wenn ich mir seinen Vater ansehe, wundert mich das nicht... Ihm würden Rollen in den Schoß fallen, von denen ich nur träumen konnte. Und ich habe ihn für seine Attraktivität und seine scheinbar angeborenen Höflichkeitsfloskeln verachtet. In Gedanken habe ich ihn tausend Tode sterben lassen, das allein ist schon eine Sünde. Ich bin dreißig und werde keine Chance mehr auf den heroischen Liebhaber bekommen. Zachary hätte ihn noch gut und gerne zehn Jahre, wenn nicht länger geben können, zumal er eine sehr viel sympathischere Ausstrahlung besitzt als ich.“

„Wenn mich nicht alles täuscht, sind es meist die älteren, erfahrenen Schauspieler, deretwegen die Leute ins Theater gehen“, wandte Blake ein. „Denken Sie an Sarah Bernard und Henry Irving. Überdies halte ich Sie nicht für hässlich oder furchteinflößend. Ich bin sicher, viele würden mir zustimmen.“

 Galen zuckte zusammen. Selbstverständlich hatte Blake nur das Kompliment quittiert, das er ihm zuvor gemacht hatte, doch es war das schönste, was man ihm je vergolten hatte.

„Es ist ein merkwürdiges Umfeld, in dem wir verkehren, verstehen Sie. Meine Freunde, die ich bis dahin hatte, waren von ihm entzückt, von seinem Charme und seiner Natürlichkeit, und ich hatte Angst, nur noch die zweite Geige zu spielen. Die Angst war unbegründet, aber wie konnte ich das wissen? Für mich sah es so aus, dass er mir alles nahm, was mir bedeutungsvoll war, wenn auch sicher ohne böse Absichten. Er war so unschuldig. Zachary hat nicht ins Theater gepasst, und dennoch hat er alles versucht. Ich habe es erst später erfahren - viel zu spät – und konnte ihn nicht retten, obwohl ich es geschafft hätte, wenn ich mir nur ein einziges Mal Zeit für ihn genommen hätte. Ohne meine Ablehnung, mit ihm zu sprechen, wäre er vielleicht wieder nach Hause gekommen zu Ihnen.“

Er schniefte und brach ab, seine geröteten Augen suchten Blakes, ohne ihn wirklich wahrzunehmen. Gott allein wusste, was er dachte.

„Galen!“ Blake schrie fast. „Was meinen Sie? Ich verstehe Sie nicht. Kommen Sie zu sich, verdammt!“

Allmählich klärte sich Galens tränenverhangener Blick; Blake atmete auf und strich ihm das wirre Haar zurück. Aus den geballten Fäusten floss ein dünnes Rinnsal Blut, er hatte sich mit den Nägeln das Fleisch aufgerissen. Blake löste seine verkrampften Finger und reinigte die Kratzer mit seinem Taschentuch. Katatonisch ließ Galen ihn gewähren, aber seine Miene drückte Schmerz aus. Innerlicher Schmerz und Selbstverachtung.

„Jetzt sind Sie böse“, hauchte er. „Das wollte ich nicht. Ich wusste nicht, wonach Zachary in Wirklichkeit suchte. Ich habe ihm nie Gelegenheit gegeben, es zu äußern.“

Gewaltsam zog er sein Haar vors Gesicht, wie um sich vor Blake zu verstecken. „Mein Hochmut hat alles zerstört. Ich wollte nicht hassen, doch ich habe es getan. Ich liebte nur mich selbst, folglich hasste ich alles, was nicht meiner Vorstellung entsprach.“

Der Junge war verrückt, eine andere Erklärung gab es nicht. Doch log er sich nicht etwas vor? Eine Alternative würde ihn aufs Höchste beunruhigen. Galen suchte seine Gefühle an Blakes Weste zu ersticken. Vorsichtig kraulte der den dunklen Schopf. Mechanisch glitt sein Blick zur Wand, wo eine Photographie von ihm und Zachary im Alter von ungefähr sechs Jahren hing. Eigenartigerweise hatte Zachary es nicht entfernt oder auf die Rückseite gedreht, nachdem sie sich so überworfen hatten, als sein Berufsziel feststand. In dieser Hinsicht war Blake sich mit Galen einig: Die Schauspielerei war für den wohlbehüteten Sohn eines Polizeibeamten eine skandalöse Entscheidung. 

Sein erster Sohn war nur wenig älter gewesen, als er ihn unter tragischen Umständen verloren hatte. Er hatte sich gezwungen, es zu vergessen, um ihn nicht mit Zachary zu vergleichen, falsche Maßstäbe an ihn zu setzen. Jahrelang hatte er daran gewürgt, nicht imstande, es zu schlucken und zu verdauen. Mit Zacharys Tod war die Verbitterung wieder hochgekrochen. Ein alter Dämon, der ihn peinigte. Kraftvoller und realer als je durch Galen Asquiths rätselhaftes Auftauchen.

Die Photographie stammte aus einem anderen Zeitalter wie das Kinderzimmer selbst: Raphael Blake saß in einem vor einer Palme drapierten Korbstuhl des Fotoateliers und hatte den Arm um seinen Sohn gelegt, beide ernst und reglos, Zachary wie ein Fremdkörper an der Seite des allmächtigen Vaters, stocksteif aus Furcht, einen Fehler in dessen Anwesenheit zu begehen. Das Photo repräsentierte ihre Beziehung zueinander deutlicher, als jede psychologische Untersuchung es getan hätte. Hatte er Zachary nicht geliebt? Er wusste keine Antwort darauf, eine Tatsache, die ihn entsetzte. Instinktiv hatte er den Fehler begangen, ihn mit dem Ersten zu vergleichen. Je mehr er sich bemühte, aus Zachary einen eigenständigen kleinen Menschen zu machen, desto erdrückender wurde die Erinnerung an das Kind, das er aus tiefstem Herzen geliebt hatte und an welchem Zachary scheiterte.

Damals hatte er nicht angenommen, zu solchen ungerechten Gefühlen fähig zu sein. Vor und nach der Episode mit dem Jungen hatte er die Zärtlichkeit, die dieser wie selbstverständlich von ihm gefordert hatte, nie wieder zurückerobert. Sie war in ihm gewachsen, weil der Kleine sie so nötig gebraucht hatte wie nie jemand zuvor. In dieser Aufgabe war er aufgegangen, so sehr, dass er gelegentlich mit der Vorstellung gespielt hatte, den Polizistenberuf an den Nagel zu hängen und nur noch für ihn dazusein. Er bestach durch eine erstaunliche Intelligenz und Aufgewecktheit, wogegen Zachary lieber in seinen vier Wänden vor sich hinträumte. Was er werden wollte, wusste er bis zu seinem Schulabschluss nicht. Auf keinen Fall aber Polizeiinspektor. Als er ihm relativ spät eröffnete, eine Schauspiellehre begonnen zu haben, war Blake endgültig aus allen Wolken gefallen und sich der Missratenheit seines Sprösslings gewiss.

Wie andersgeartet war der Erste gewesen, der Blake in jeder Beziehung nacheiferte, ihn vergötterte.

Als er verschwand, verschwand auch die Liebe in seinem verhärteten Geist. Kein Wunder, dass Zachary sich geächtet, als Mensch zweiter Klasse gefühlt hatte, sobald er das sechste Lebensjahr erreicht hatte. Ab diesem Zeitpunkt verwandelte sich Blakes saloppe Nachgiebigkeit in übertriebene Sorge, mit der er den Jungen einengte, ihn häufig zu Unrecht bestrafte, wenn er um seine eigene Meinung und Freiheit rang und dabei naturgemäß Fehler beging, welche mit Leichtigkeit auszubügeln gewesen wären, für Blake aber ein Beweis der Untauglichkeit seines Sohnes waren. Tatsächlich agierte er im Umgang mit ihm außerordentlich schizophren, doch vor sich selbst hätte er dieses paradoxe Verhalten nie eingestanden. Auf der einen Seite umhegte er ihn, auf der anderen züchtigte er ihn aus Sorge um seine gute Erziehung. Körperlich wurde Zachary weitgehend verschont, aber die mentalen Strafpredigten wirkten sich nicht weniger schlimm aus.

Heute war Raphael Blake reifer, aber er fragte sich ernsthaft, ob er etwas aus Zacharys rebellischem Aufstand gegen ihn gelernt hätte, würde man ihm  - rein theoretisch - einen weiteren kleinen Jungen anvertrauen. Wahrscheinlich hätte dieser es noch schwerer als Zachary, da er sich gegen zwei Vorgänger behaupten müsste statt einen. 

Anlässlich Zacharys 21. Geburtstags hatte Blake von seinem Bruder berichtet, aber es hatte ihr Verhältnis nicht wesentlich gebessert, wenngleich Zachary alles Erdenkliche in die Wege leiten wollte, um ihn ausfindig zu machen. Zum einen, weil er hoffte, seinen Vater dadurch glücklich zu machen und zum zweiten, um sich aus dessen Übermacht zu lösen, da er sich voraussichtlich für den verlorenen Sohn aufopfern würde statt für ihn. Viel auf seine Übermotivation gegeben hatte Blake nicht, denn der Junge war schon lange tot. Aus Rücksicht gegenüber Zacharys zartbesaiteter Seele hatte er es ihm verheimlicht. Er jagte einem Phantom hinterher. Trotzdem hatte Blake ihn nicht aufgehalten in seinem Eifer. Es war nicht abzusehen gewesen, wohin ihn sein Fanatismus brachte. Nach Afrika in einen Krieg, von dem er nicht mehr wiederkehrte. Und das alles wegen einem Bruder, den er sich einbildete. Aber er hatte sich durch nichts davon abbringen lassen.

Zuletzt war ihr Kontakt spärlich gewesen, der Junge lebte meist bei Schauspielkollegen in London, und so erreichte es Blake nicht, diesbezüglich eine Unterredung mit ihm zu vereinbaren. Wahrscheinlich hätte Zachary in seinem Stursinn ohnehin nicht zugehört.

Verstohlen fuhr er sich über die müden Augen.

Seinen Grübeleien rigoros ein Ende machend, um nicht weiter Trübsal zu blasen, kehrte er in die Gegenwart zu dem jungen Mann zurück, der von all seiner Zerrissenheit nichts ahnte.

„Mr. Blake! Es tut mir leid! Ich wollte nicht, dass Zachary so endet! Glauben Sie mir...“ 

„Ich bin Ihnen nicht böse. Vor den Granaten hätten Sie ihn nicht schützen können. Es ist nicht Ihre Schuld, dass er starb. Sie haben ihn nicht ins Manöver geschickt. Und selbst wenn Sie es getan hätten: Er wusste, auf was er sich einließ. Und jetzt reden wir nicht mehr darüber. Sie sind müde und sollten schlafen. Wir wollen die Sache erst einmal ruhen lassen. Falls etwas ist, ich bin gleich nebenan. Scheuen Sie sich nicht, zu rufen.“

„Danke“, brummelte Galen undeutlich in den Stoff von Blakes Weste. „Würden Sie mich eine Weile festhalten, bevor Sie gehen?“

Gerührt tat Blake ihm den Gefallen, sie kauerten auf dem Boden, Blake leise den verwirrten Mann wiegend. Es war eine sonderbar geisterhafte Situation, die ihm vage bekannt vorkam wie in einem vorigen Leben, abgesehen davon, dass er an solchen Humbug nicht glaubte.

„Ich verstehe Sie. Dass Sie Zachary nicht mochten, mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Ich tat mich oft selbst schwer mit ihm, obwohl ich ihn als sein Vater bedingungslos hätte lieben sollen.“

„Sagen Sie das nicht“, flüsterte Galen, er wickelte eine Strähne von Blakes Haar um den Finger. Blake stockte der Atem, er versuchte Distanz herzustellen. Seinen Widerstand tolerierend, gab Galen etwas nach, Blake rieb sich den Nacken und flüchtete auf einen Stuhl in Türnähe. Amüsiert legte Galen die Handflächen aneinander, doch seine Augen und die Linien um seinen Mund verrieten tiefe Schwermut. Unvermittelt brach er eine Lanze für Zachary, ihn, den er nicht hatte ausstehen können, weil er gefürchtet hatte, Irving gewänne seiner strahlenden, jugendlichen Person mehr ab als ihm.

In Afrika hatte sich der Eindruck schließlich bestätigt, als man sie einander küssend und liebkosend im Zelt überführt hatte. Vor Galen wand sich Irving mit fadenscheinigen Ausreden heraus, die er ihm heute noch nicht ganz abzukaufen bereit war.

Doch in jener Nacht war Irving zu aufgeregt, um Märchen zu erfinden. Der Brief, den Galen in einer Kommode tief unter den übrigen Sachen verwahrte, bewies es.

Irving hatte ihn unter Schock verfasst, und dennoch machte der Inhalt Sinn, das war das Furchtbare. Er war einem fatalen Irrtum erlegen, hatte im Affekt gehandelt und war danach nicht mehr derselbe. Wären sein Motive nicht Habgier und Neid gewesen, hätte Galen ihn bedauert. Blake unterbrach seine Gedanken.

„Zachary war nicht mein einziger Sohn. Ich hatte ein Kind, das ich verlor, bevor er geboren wurde. Er war nicht wie andere Kinder, daher war es mir vorbestimmt, ihn zu verlieren. Ich beging denselben Fehler wie Sie: Ich maß ihn an meinem Ersten. Er schnitt nicht gut ab in diesem ungerechten Vergleich, denn selbstverständlich ist kein Mensch wie der andere. Aber er enttäuschte mich. Ihm fehlte das, was meinen ersten Sohn auszeichnete. Mut, Entschlossenheit und Durchsetzungsvermögen. Er war in jeder Hinsicht anders. Sie halten meine Einstellung für ungerecht, und gewiss ist sie das auch. Doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob ich heute großmütiger wäre mit ihm. Männer wie er machen sich das Leben unnötig schwer. Mein Erster hätte sich durch alle Probleme gebissen, während Zachary den Schwanz einzog oder in einer Kurzschlussreaktion handelte wie eben dieser Schnellschuss, auf die Schauspielschule zu gehen. Gott, ich vermisse ihn nicht einmal wirklich.“

Verzweifelt vergrub er das scharfgeschnittene Gesicht in den Händen. Es hatte ihm mehr abgefordert, die Wahrheit zu formulieren, als er geglaubt hatte. Aber so war es nun einmal. Er war kein guter Vater gewesen, weder dem einen noch dem anderen. Fast fühlte er sich nun, da es heraus war, erleichtert. Als Blake aufsah, lächelte Galen. Doch es war kein herzliches Lächeln; seine Augen blickten tadelnd. Augen, denen man am liebsten entrinnen mochte, es aber nicht fertigbrachte.

„Sie hätten mehr als einen guten Grund, stolz auf ihn zu sein. Ich glaube, Sie haben nie richtig zu schätzen gelernt, was Sie an ihm hatten. Es würde ihn traurig machen, Sie so reden zu hören.“

Bedeutungsvoll streifte er das gerahmte Bild mit einem kurzen, unglücklichen Blick, bevor er sich rücklings auf das Bett warf. Der Anhänger, den er um den Hals trug, rutschte in die Kuhle seines Halses; er schloss hastig die Hand darum, als er bemerkte, dass Blake ihn musterte. Früher hatte sich Blake einmal mit dem Judentum befasst; er war fast sicher, dass das Amulett eine Miniaturthora darstellte, welche in der Synagoge die fünf Bücher Mose verwaltete.  

„Ich hätte gerne einen Bruder wie ihn gehabt. Ich bin sicher, meine leiblichen Brüder, von denen ich gewiss eine Menge habe, können ihm in punkto Takt nicht das Wasser reichen. Er war zu jedermann freundlich, und er verfolgte hartnäckig seine Ziele, ohne dafür über Leichen zu gehen. Ich verstehe nicht, weshalb Sie so schlecht auf ihn zu sprechen sind. Er konnte hartnäckig sein. Sogar gegen Sie hat er sich durchgesetzt. Doch zuerst versuchte er es mit Diplomatie. Mit seinem Entschluss hat er Sie sicher nicht überrumpelt. Er hat ihn sich reiflich überlegt. Das verdient in meinen Augen Respekt.“

„Er hat mich beschämt“, sagte Blake, im Resümee konnte er bar von Bitterkeit darüber sprechen. „Ich hatte alles geplant, er hätte sich um nichts mehr kümmern brauchen. Wenn es sein müsste, hätte ich ihm sogar ein Mädchen ausgesucht, das zu ihm passt, eine sichere Zukunft für ihn aufgebaut... “

„Das wollte er nicht“, murmelte Galen schlaftrunken. „Sie haben es immer noch nicht begriffen. Sie tun mir leid, Mr. Blake.“

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