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Samstag, 28. Oktober 2023

Fragen und Trauer. Und kaum eine Antwort oder Trost.

Im letzten Blogartikel schrieb ich über meine Mama, die Anfang September unerwartet und ganz anders als je gedacht zu ihrem himmlischen Papa gegangen ist. Ich denke, dass er den roten oder sogar goldenen Teppich ausgerollt hat bei ihrer Ankunft. Sie liebt Jesus und alles, was er für sie und uns getan hat. Das hat sie vielen erzählt und vermittelt, und nicht wenige sind durch sie zum Glauben gekommen. Sie hat sicher eine schöne Wohnung, die sie nie putzen muss, Natur zum Wandern und Genießen und Gesellschaft auf ihrer Veranda. Soweit ist alles gut. Um Mama müssen wir uns keine Gedanken machen, denn es geht ihr gut, dort wo sie ist, und ich wette, sie ist auch äußerlich wieder jung (obwohl sie nie alt und immer schön war, in jedem Lebensabschnitt).


Vielleicht sieht sie so wieder aus?

 

Was uns als Hinterbliebene dennoch beschäftigt, umtreibt und beinahe quält, ist die Frage, warum es so hat kommen müssen. Nicht das Warum an sich allein, sondern auch das Wie. Da Mama durch ihre Tätigkeit als Ernährungsberaterin seit über vierzig Jahren nie krank war oder Probleme mit dem Herzen hatte, nehmen wir an, dass die Herzschwäche durch einen Infekt entstanden ist, der nicht entdeckt wurde. Kurioserweise konnte uns kein Arzt, weder in der Praxis noch im Krankenhaus, sagen, was ihr fehlt. Leider wurde sich von beiden Seiten auch nicht die Mühe gemacht, eine Anamnese zu erstellen bzw. uns als Angehörige zu fragen, ob sie sich verändert hat in den letzten Monaten. Nicht, dass man dazu Zeit gehabt hätte, aber vielleicht hätte es etwas Licht ins Dunkel gebracht. So können wir nur spekulieren und erhalten keine klaren Antworten. 

 

Oder so? Mit Mitte Dreißig beim Töpfern.


Sicher ist nämlich, dass es nicht das Herz alleine war, das plötzlich nicht mehr so richtig funktionierte. Schon Monate vor der Einlieferung ins Krankenhaus durch den Notarzt im Juli war Mama nicht mehr so, wie wir sie kannten. Unruhig, nervlich nicht mehr belastbar, manchmal ängstlich und reizbar wie ein kleines Kind, wollte sie ihre Medikamente nicht mehr nehmen. Selbst die pflanzlichen Mittel verweigerte sie. Vielleicht auch, weil sie Schwierigkeiten beim Schlucken hatte und sich ihr Geschmacksinn veränderte. Nichts schmeckte mehr wie es sollte. Tag- und Nachtrhythmus gerieten durcheinander, und die Arzttermine ließen uns mehr und mehr fragend statt aufklärend zurück. 

 Und Mama, die sonst für jedes Problem eine Lösung hatte, war auf einmal genauso hilflos wie wir. Irgendwann wurde sie so schwach, dass jede Bewegung eine Anstrengung bedeutete. Die OP, die sie im Heidelberger Krankenhaus hatte, sollte zuerst nicht durchgeführt werden, doch der Chirurg setzte sich darüber hinweg. Erfolgreich, denn sie hatte gute Prognosen in Heidelberg. Allerdings stellte man eine Pilzinfektion fest, die jedoch aufgrund der Priorität der Herzoperation nicht umfassend behandelt wurde. Nach zwei Wochen musste sie in das Krankenhaus zurück, in dem sie aufgenommen worden war. Unsere Frage, ob sie nicht in Heidelberg bleiben könne, wurde vom Oberarzt bedauernd verneint. Hätten wir geahnt, wie sich alles weiterentwickelt, hätten wir darauf bestanden.

 

Dezember 2022


War sie in Heidelberg noch ansprechbar und hatte Hunger ("Pellkartoffeln mit Quark wären schön."), wurde sie auf der anderen Intensivstation mit jedem Tag apathischer und matter. Gar nicht mehr wie unser Mamele. Und ganz ehrlich: wenn man die Ärzte und Pfleger über sie reden hörte, konnte einem der Lebensmut und die Hoffnung sinken. Ich glaube, sie hat alles gehört und irgendwann mit Gott beschlossen, zu gehen. Das wäre ein besserer Trost als der, den uns die Ärzte gaben Anfang September ("Wir sind frustriert und brechen die Behandlung ab. Das ist nicht Ihre Entscheidung, sondern unsere. Machen Sie sich keine Gedanken."). 

Für uns war die Behandlung dort so unmenschlich, empathie- und würdelos den Patienten und deren Angehörigen gegenüber, dass ich nach einiger Zeit die Besuche gefürchtet habe. Schon nach ein paar Tagen vermittelte man uns sowohl durch Ärzte als auch dem Pflegepersonal, dass es keine Hoffnung gäbe und wir "zu einer Entscheidung kommen müssten". Zu welcher und warum, hat man uns nicht gesagt. Nur ein vages "neurologisches Problem" trat auf einmal auf. Einer der Ärzte meinte, alles wäre auf die Pilzinfektion zurückzuführen, doch eben dieser Mediziner verschwand auf mysteriöse Art und erschien nicht wieder, geschweige denn dass das Problem in Angriff genommen wurde. Überhaupt - von Ärzte- und Pflegepersonalmangel war hier wenig zu spüren. Es war eher verwirrend, wie viele es waren mit so vielen verschiedenen Meinungen, die sie mitunter ungefragt kundtaten. Und Mama konnte nicht reden und musste alles über sich ergehen lassen... wenn ein Pfleger oder eine Schwester Zeit hatte, haben wir von ihr erzählt. Wie mutig, lebenslustig, unkonventionell und liebenswürdig sie ist. Das hat überrascht. Und mir gezeigt, wie wenig man den Mensch in ihr sah. 

 

Mamele, du fehlst!

 

 Außer Zeit im Krankenhaus scheint übrigens auch die ärztliche Schweigepflicht ausgedient zu haben. Wir waren dankbar, dass auch Freunde und Bekannte mit unserem Einvernehmen Besuche auf der Intensivstation abstatten konnten, doch wie merkwürdig war es, von jenen Freunden und Bekannten zu erfahren, was dieser oder jener Arzt / Pfleger über Mamas Fall gesagt hatte. Sollte das nicht Angelegenheit der engsten Angehörigen bleiben?

Im Nachhinein, wenn ich alles noch einmal Revue passieren lasse, gewinne ich den Eindruck, dass man sich von vornherein keine Mühe gemacht hat mit ihr. Schon der erste Arzt, der am Bett mit uns stand, kannte den Krankenbericht nicht vollständig und meinte, dass seine Mutter diesselbe Geschichte nicht überlebt hatte (die allerdings auch zwanzig Jahre älter war und vermutlich eine andere Konstitution hatte). 

Ein andermal war der tags zuvor noch gesunde Chirurg von jetzt auf nachher krank, der einen kleinen Eingriff hätte vornehmen sollen, damit Mama in Reha und somit die Intensivstation verlassen kann. Das kam mir auch merkwürdig vor. Abgesehen davon, dass die Krankmeldung so schnell erfolgte: gibt es keinen anderen Fachmann auf diesem Gebiet in einem großen Krankenhaus? Der Eingriff war nach dem, was man mir sagte, nicht allzu kompliziert.

Niemand machte uns Hoffnung oder sprach uns und Mama Mut zu. Das tut sehr weh. Es tut besonders weh, weil sie nicht mehr ins Krankenhaus wollte nach den zwei Wochen im Herbst letzten Jahres. Und weil wir dachten, dass sich die Schulmedizin evtl. doch als Hilfe erweisen könnte, der wir durch Erfahrungen skeptisch gegenüberstehen. Unsere Einstellung hat sich nicht geändert, im Gegenteil. Schade. Hätte sie es doch. Oder hätte Gott das Wunder bewirkt, an das wir so geglaubt haben und von dem wir überzeugt waren. Auch noch, als die Ärzte kapitulierten. Aus dem Glauben haben wir Kraft geschöpft, die wir in diesen Wochen so dringend brauchten.


Wanderung im April 2023 mit Frank


"Jetzt kann Gott wirken", sagten wir uns voller Zuversicht. Aber er hat es nicht getan. Aus einem Grund, den wir nicht verstehen, nahm er Mama einen Tag nach Abbruch der Behandlung zu sich. 

Verabschieden konnten wir uns nicht. Papa meint, sie hätte es schon lange vorher getan. In Heidelberg vielleicht schon. Ich weiß, dass sie zu Papa in der hiesigen Intensivstation noch "Schatz, ich lieb' dich" sagte, und ihr letztes Wort an mich war "Shalom". 

Sie hat ihren Shalomfrieden gefunden, da bin ich sicher. Hoffentlich finden wir ihn mit der Zeit auch wieder, gemeinsam mit dem Vertrauen, dass Gott an unserer Seite steht. Bevor die Sache mit Mama war, haben wir das uneingeschränkt geglaubt. 

Hoffentlich kommt alles wieder, wenn auch das Leben jetzt ein anderes und ärmer sein wird ohne das Herz unserer Familie. Wir fühlen uns wie Verlierer, sagte Papa neulich zu einer Freundin. Und das trifft es auf den Punkt. Denn nichts ist quälender als die Grübelei über etwas, das nicht mehr zu ändern ist und vielleicht zu ändern gewesen wäre, hätte man Mama mehr Aufmerksamkeit und Hilfe zukommen lassen. Der Schmerz über ihren Verlust wird vermutlich mit der Zeit schwächer (ich kann es mir kaum vorstellen), doch wie wir die Zeit im Krankenhaus verkraften sollen und warum es dort scheinbar zu einer Abfolge unglücklicher Umstände kam, das wird lange in uns nachhallen. 

 


 

Darum gibt es momentan für uns selbst keinen richtigen Trost bis auf den, dass wir uns eines Tages wiedersehen.



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