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Dienstag, 12. Mai 2015

Rezension Paperboy / Wörter auf Papier ~ Vince Vawter

Dieses mit ca. 220 Seiten eher schmale Büchlein für Jugendliche wurde mir von meiner Bloggerkollegin Frau Seitengeraschel empfohlen, die nicht nur meine Liebe zu Büchern teilt, sondern darüber hinaus auch einen ähnlichen Geschmack betreffs Büchern. Jedenfalls kennt sie einige meiner (literarischen) Vorlieben genau; daher habe ich mich unbesehen dazu hinreißen lassen, den Roman zu kaufen, der als Reminiszenz an 'Wer die Nachtigall stört' gefeiert wird.




Inhalt: Der elfjährige Victor Vollmer übernimmt in den Ferien einen Monat die Zeitungsroute seines Freundes Arthur, der bei Verwandten auf der Farm den Urlaub verbringt. Zunächst freut sich Victor darauf, denn er kann gut werfen - Baseball und, wie er feststellt - auch Zeitungen. Doch jeden Freitag ist Zahltag; der Tag, an dem die Zeitungsjungen ihren Wochenlohn einfordern. Das bedeutet, Victor muss reden. Wenn er etwas nicht mag, dann das, und er hat guten Grund dazu: Victor stottert. Doch Beobachtungsgabe, Mitgefühl und eine fast philosophische Weisheit, die ihm seine resolute aber herzensgute und lebenserfahrene Nanny *Mam* Nellie und später sein Kunde Mr. Spiro vermitteln, helfen ihm, an seiner Aufgabe zu wachsen. Am Ende des Sommers ist er zwar kein anderer Mensch, aber er hat viel über das Leben gelernt.

Meinung: Vince Vawter erzählt eine semibiografische Geschichte in Memphis der 1950/60er Jahre trotz fehlender Kommata so anrührend und plastisch, dass ich mir bei einigen Szenen verstohlen ein Tränchen aus dem Gesicht gewischt habe. Den Ich-Erzähler muss man einfach mögen; er ist ein Junge, der sich Gedanken macht über sich und die Welt und den Umgang miteinander. Warum werden Leute, die anders sind, verlacht oder berühren "normale" Leute in peinlicher, bestensfalls mitleidiger Weise? Warum dürfen Schwarze nur in Begleitung von Weißen vorne im Bus sitzen oder in den Zoo gehen? Und ist es nicht viel wichtiger, was der Mensch sagt, als wie er es sagt?

Mir gefielen alle Charaktere von der unglücklichen Faye Worthington bis Big Sack sehr gut, doch bemerkenswert fand ich auch, dass sich nicht alles um Victors Handicap dreht und er sich dabei ertappt, wie ungerecht er manchmal selbst handelt und urteilt, wenn er nur die Oberfläche sieht. Die spätere Freundschaft zu TV-Boy war für mich daher eines der heimlichen Highlights im Roman. Dazu trägt Mr. Spiro nicht unerheblich bei, ein einstiger Weltumsegler, der sich mit Büchern umgibt, gewählt spricht und seinem "Messenger" und "stuttering poet" das Gefühl gibt, ernst genommen zu werden.

Anrührend in verschiedenen Aspekten war für mich ebenfalls die Vater / Sohn-Beziehung, die zwar nicht den Zentralpunkt des Romans bildet (sofern dieser überhaupt vorhanden ist), aber in ihrer Ehrlichkeit und den Bemühungen des Vaters, seinem Sohn eine gute Zeit zu schenken, wohl gerade in den 1950er Jahren eher ungewöhnlich war und den Leser bewegt.

Ich habe die englische Ausgabe gelesen und mich hin und wieder doch gefragt, wie wohl ein Roman ins Deutsche übersetzt wurde, in dem es hauptsächlich um Sprache und damit verbundene Assoziationen und Redewendungen geht. Allein die fehlenden Kommata hätten mich bei einer Übersetzung wohl genervt; hier hat es nach der Erklärung einfach gepasst.

Fazit: Ein lesenswerter, über weite Strecken beschaulicher, atmosphärischer Roman ohne große Dramatik, ohne einer politischen Botschaft oder dem plakativen Aufruf zu mehr Toleranz - und doch steckt von jedem etwas darin; und vielleicht sogar ein bisschen mehr.

Übrigens: wusstet ihr, dass Darth Vader-Stimme und Schauspiel-Legende James Earl Jones Stotterer war?

Bewertung:              







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