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Donnerstag, 14. Januar 2021

Leserunde "Jane Eyre" von Charlotte Bronte

Irgendwie habe ich in der kalten Jahreszeit immer das Problem, dass ich zu faul zum Lesen bin. Ich weiß nicht, woran es liegt, dass ich lieber auf dem hochsommerlichen Balkon zu einem Buch greife und ab September eher vor der Glotze oder dem PC abhänge. Jedenfalls wollte ich dem zumindest zeitweise ein Ende machen. Eine gute Gelegenheit, die winterliche Leseträgheit zu überwinden, ist die Teilnahme an einer Online-Leserunde, bei der eine kleine Anzahl Leser dasselbe Buch diskutiert.
 


Da ich erst zur Weihnachten "Jane Eyre" geschenkt bekam und dieser Roman vor kurzem zur Debatte auf dem Bücherforum stand, habe ich mich flugs angemeldet und bin nun tatsächlich schon über die Hälfte und meinen "Mitstreiterinnen" damit um einige Kapitel voraus. Ich bin eher eine langsame Leserin, und somit hat mich mein ungewohnt rasantes Tempo selbst überrascht. 

Neu ist die Geschichte für mich ja auch nicht - im geschriebenen Wort wirkt sie aber natürlich nochmal anders. Ob besser, kann ich (noch) nicht sagen, was mir wieder einmal beweist, wie akribisch und sorgfältig die BBC-Miniserie umgesetzt wurde. Wahrscheinlich ist deshalb auch meine Meinung über den sarkastischen und etwas rechthaberischen Rochester milder als sie es wäre, wenn er für mich nicht die Züge von Toby Stephens hätte - der perfekte Schauspieler für den perfekten Rochester (keine Widerrede!). Und daher schon dreimal nicht hässlich... (O:

 


Andererseits finde ich ihn von allen Charakteren im Roman am glaubwürdigsten, auch ohne Mr. Stephens markant interessantes Gesicht. Er ist launenhaft, manchmal geschwätzig und hat ein Faible für derbe Scherze, doch zugleich wirkt er belesen, klug und zurückhaltend. Und er betrachtet Jane - eine einfache Gouvernante weit unter seinem Stand - als "Freundin". Die meisten anderen Figuren erscheinen mir auf gewisse Weise eindimensional und wenig überraschend. Stereotyp halt. Wobei man bedenken muss, dass der Roman 1847 veröffentlicht wurde und Charlotte Bronte vielleicht gar keine Stereo-, sondern Arche- und Prototypen erschaffen hat mit dem dogmatischen strengen Mr. Brocklehurst und der verbittert bösen Tante Reed oder der sanftmütigen, tiefgläubigen Helen (die ich geliebt habe, trotz ihrer schier unglaublichen Reife für die zarten dreizehn Jahre, die sie zählt).

Doch zurück zu Rochester. Dass er sich nach seiner Odyssee durch die halbe Welt die Titelheldin als Gefährtin wünscht, ist absehbar und auch nur gerecht, wenn man bedenkt, wie sehr die kleine Pragmatikerin Jane für ihn entflammt und ihre Empfindung in schöne, aber völlig unkitschige Worte fasst, wenn sie ihren geliebten Herrn beobachtet. Das gefällt mir gut im Roman, denn die Gefühle und Reflektionen kommen in einer Verfilmung, so gut sie auch sein mag, naturgemäß zu kurz. 

 


Charlotte Brontes Gespür für ihre Figuren muss man wirklich bewundern. Manchmal wird sie zwar ein wenig weitschweifig und verliert sich gerne in etwas hochgestochenden Konversationen ihrer Protagonisten, für die neben der Liebe vor allem die Vernunft regiert, aber auch das schiebe ich mal gutmütig auf das Alter des Klassikers. Und auf Janes erstaunlich emanzipierte Art, mit Rochester umzugehen. 

 


Bisher machen mir der Roman und auch die nette Runde der Teilnehmerinnen richtig Spaß. Und es spornt zum Lesen an. Mit "Jane Eyre" habe ich allerdings auch Glück - eine geheimnisvolle, sprachlich und psychologisch ausgefeilte Geschichte in einem abgelegenen Herrenhaus mit unheimlichen Elementen - das ist genau mein Ding! Bin gespannt, ob ich so euphorisch bleibe. Denn sobald es zu romanzig wird, bin ich meist nicht mehr so angetan, das weiß ich...

Ich lese die Anaconda-Ausgabe mit der Übersetzung von Marie von Borch, aber ich glaube, die unten angegebene ist ausführlicher und besser.






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