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Samstag, 25. Juli 2015

Goldene Schreibregel: Show don't tell

Jedem Autor läuft dieses Mantra früher oder später (besser früher)  über den literarischen Weg, und ich gestehe, dass ich mich lange Zeit gefragt habe, was damit eigentlich gemeint ist. Worin besteht der Unterschied zwischen Show und Tell? Ist das nicht irgendwie dasselbe? Warum ist das eine besser als das andere? In Büchern kann man doch *nur* erzählen, oder? Zeigen? Wie soll das denn gehen?


Bildquelle: Tama66 / Pixabay

Nachdem ich mich jetzt endlich ein bisschen schlau gemacht habe, wurde mir klar, dass ich glücklicherweise diese Regel ganz intuitiv anwende in meinen Romanen und Erzählungen.

In Kürze: Es geht darum, zu umschreiben, wie etwas gerade geschieht oder empfunden wird, ohne zu verallgemeinern. "Show don't tell" soll dem Leser helfen, sich in den Charakter im Buch hineinzuversetzen, und zwar so, dass er nicht das Gefühl hat, etwas von außen "erzählt", sondern etwas von innen "gezeigt" zu bekommen. Ähnlich wie in einem Film, damit das Kopfkino eine Chance hat. Distanziert das Offensichtliche erzählt zu bekommen, ist wenig spannend und auf Dauer sogar ermüdend. Im Alltag machen wir es so, und das ist es vielleicht, was manche Autoren zum Haareraufen bringt, wenn der Lektor / Dozent ganz klar und hart befindet: Zu viel Tell!

Ein Beispiel aus meinem Roman "Das Bildnis des Grafen" verdeutlicht es. In dieser Szene lernt der eben in Yorkshire angekommene Psychologe Gaspard Renoir seinen neuen Arbeitgeber kennen, den Earl of Whitehurst.

Drinnen waren die Wände in heimelig rötlichgelbes Licht getaucht, welches das prasselnde Feuer im Schornstein reflektierte. Aus den Augenwinkeln nahm Renoir die exotische Einrichtung wahr; einzig der Ohrensessel vor dem Kamin verriet europäisches Handwerk. Links und rechts an der Wand begafften ihn afrikanische Masken und Skulpturen in ihrer ganzen Groteske, er zog abweisend die Schultern hoch und konnte nicht umhin, sich beobachtet zu fühlen. Ein Löwenfell und etliche Vergrößerungen gerahmter Photos rundeten den visuellen Trip auf den schwarzen Kontinent ab; vor einem Bild, das einen athletischen, strahlenden Mann mittleren Alters in Siegerpose auf einem erlegten, von zähnefletschenden Eingeborenen eingekreisten Löwen zeigte, blieb er stehen und wartete, bis der Hausherr sich ächzend aus seinem Sessel hievte und mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam. Um die Identität des Herrn auf dem Bildnis brauchte Renoir nun nicht mehr zu rätseln. Für sein Alter – er musste auf die Siebzig zugehen – hielt der Earl seine immer noch attraktive Statur sehr aufrecht, tatsächlich überragte er den Arzt. Die buschigen Augenbrauen wölbten sich über dunklen Augen in gutmütigem Spott, als er ihm kraftvoll die Hand schüttelte. 

Diese Szene hätte ich auch anders schildern können, etwa so:  

Renoir betrat das exotisch ausstaffierte Zimmer, in dem der Earl of Whitehurst ihn erwartete und ihm zur Begrüßung kraftvoll die Hand schüttelte.

Hätte eigentlich ausgereicht. Und trotzdem wäre viel verloren gegangen. Der erste Abschnitt *zeigt* den Earl so, wie er auf Renoir wirkt: abenteuerlustig in seinen jungen Jahren, immer noch vital und ein geborener Siegertyp, der es gewohnt ist, seinen Willen durchzusetzen. Außerdem erfahren wir etwas über das Aussehen und die Vorlieben des Earl (Safari / Jagd), ohne zu verallgemeinern mit dem Satz "Er war groß und liebte offenbar die Jagd". Und als Bonus wissen wir durch Renoirs Körpersprache, wie er sich in Gegenwart des anderen Mannes fühlt, nämlich nicht wirklich selbstsicher.

Im zweiten Abschnitt *erzähle* ich neutral die Tatsachen und beschränke mich darauf. Irgendwie langweilig, oder? Allerdings - zu viel des Guten ist nicht immer wundervoll. Gelegentlich genügt eine sachliche Feststellung vollkommen, und ich finde es auch nicht verkehrt, wenn man sich kurz fasst; oft bewundere ich das sogar. Beschränkungen auf das Wesentliche können auch die Phantasie des Lesers beflügeln. Nur zur Regel sollte es nicht werden. Dafür gibt's ja "Show don't tell". Und ich bin froh, dass es sie gibt, die SdT-Regel, denn sonst wären Lesen und Schreiben keine emotionalen Angelegenheiten, die es uns ermöglichen, in andere Köpfe, Epochen und Welten einzutauchen.



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