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Sonntag, 16. März 2014

Leseprobe "Milan"

Als ich heute so durch meine alten Zeichenmappen bin (hach, Sonntage sind soooo entspannend!), konnte ich mir hin und wieder ein Grinsen nicht verkneifen. Was sich dort alles findet! Von wilden Kindergarten-Zeichnungen über Pferde (mein Lieblingsmotiv bis nach dem Teenageralter) und Entwürfe und Collagen für Cover habe ich nichts ausgelassen. Ein bisschen peinlich sind mir einige Zeichnungen schon - ich tendiere seit jeher zum El Greco-Style, ohne dass ich es ahnte, bis ich seinen "Christus" im Louvre gesehen habe: langgezogene Gesichter und überlange Gliedmaßen. Aber irgendwie macht das meinen Stil auch aus, also denke ich, was soll's. Naturgetreu zeichnen können andere, die sich mit Perspektive und Proportionen besser auskennen.




Selbst für meinen neu veröffentlichten Roman "Milan" gibt es mehrere Skizzen, in denen ich meinen Protagonisten ein Gesicht gegeben habe. Dass das Mädchen ein bisschen aussieht wie ich, ist übrigens Zufall. Ehrlich. Die Nase würde ich gern verkürzen und überhaupt noch ein paar Veränderungen anbringen, um meinen künstlerischen Ehrgeiz halbwegs zu befriedigen, aber leider ist das Original verschollen - es existiert nur noch die Kopie im Manuskript.

Die Skizze findet man nicht im fertigen Buch, denn es sollte nur eine Anregung für mich selbst sein, genau wie alle anderen Illustrationen zu meinen Geschichten. Ich finde es immer ein wenig blöd, wenn der Autor seinen Lesern bis ins kleinste Detail das Aussehen seiner Figuren beschreibt und es möglicherweise überhaupt nicht deren Vorstellungen entspricht.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Wolfgang bedanken, der sich beim Binden meiner Manuskripte immer sehr viel Mühe gegeben und mich auch ermutigt hat, weiterzuschreiben. Wenn du das hier liest, grüße auch bitte ganz herzlich die Mädels von mir!

Eine Leseprobe aus dem Roman gibt es wie immer beim Klick auf "mehr Informationen".



Ich tanze in einem überfüllten Lokal zu den Violinen der Zigeuner, die Musik ist wild und mitreißend, ich vergesse, wo ich bin, werfe übermütig den Kopf in den Nacken und tanze, als ob ich nie etwas anderes getan hätte. Die Zigeuner lächeln mit ihren Geigen und Gitarren, streicheln meine Seele, einige Gäste klatschen im Takt der Musik und ich lasse mich treiben, die Bewegungen kommen wie von alleine. An einem Tisch sitzt meine Mutter, sie spornt mich an, ruft mir zu, sie ist sichtbar stolz auf mich. Milan betritt das Lokal, zunächst halte ich ihn für ein Mitglied der Zigeuner, denn die Kapelle hört zu spielen auf. Weiter, protestiere ich. Weiter. Meine Mutter ist auf einmal ängstlich und wütend zugleich, obwohl ich mir keiner Schuld bewusst bin, grob zerrt sie mich an ihren Tisch, ich hefte meinen Kinderblick auf Milan, er sagt: Warum tanzt du nicht mehr? Die Musik, sage ich mit schriller Stimme. Sie ist ja weg. Milan wendet sich den Musikern zu, er gibt ihnen Geld und sagt: Ihr sollt spielen, damit dieses Mädchen tanzen kann.

Zaghaft stimmen sie ihre Instrumente neu, Unterhaltungen der Lokalbesucher werden wieder lauter, aber meine Mutter hält mich fest, immer noch fixiert sie den Fremden wie das Kaninchen die Schlange. Dein Menü wird gleich serviert, zischt sie, in kindlichem trotzigem Zorn stampfe ich mit dem Fuß auf, ein paar Gäste lachen, meine Mutter beißt sich auf die Unterlippe, ich habe sie blamiert. Sie schiebt mich nach vorne, zu Milan, er ist fremd, aber als er meine Hand in seine nimmt, in seine kühle dunkle Hand, da fällt die Angst von mir ab und ich fasse ein Vertrauen zu ihm, wie es nur Kinder haben können, er ist mein Verbündeter im Kampf gegen meine strenge Mutter. Sie spielen nur für dich, sagt er. Du willst sie nicht umsonst spielen lassen, oder? Er lässt meine Hand los.

Und ich hole tief Luft und tanze, mit der unbefangenen Anmut einer Fünfjährigen, ein unbändiges Triumphgefühl bemächtigt sich meiner, der Triumph über meine Mutter und über das Wissen, die Erwachsenen in meinen Bann zu ziehen. Ich suche Milans Blick und danke ihm mit einem Lachen, seine Augen erwidern das Lachen.

Früher als üblich muss ich an diesem Abend ins Bett, meine Mutter erklärt mir nicht, weshalb, ich bekomme auch kein Abendbrot. Die ständige Furcht, sie könnte hereinkommen und mich prügeln, lässt mich nicht schlafen.

In das Lokal gehen wir nicht wieder. Vor unserer Abreise in eine andere Stadt entwische ich meiner Mutter, ich verlaufe mich, finde kein Restaurant mit Zigeunermusik, eine Frau bringt mich zum Hotel zurück.

Warum hast du mich ausgesucht im Stadttheater und mich vorsprechen lassen, hast du mich wieder erkannt, von damals, vor Jahren in dem ungarischen Lokal? Hast du gehofft, ich hätte mich nicht geändert, wäre immer noch die übermütige Kleine, die es genießt, im Mittelpunkt zu stehen?

Wenn ihn die Frage überrascht, lässt er es sich nicht anmerken, er ist ruhig wie immer, keine Kleinigkeit verrät ihn, er wartet ab, weil er weiß, dass ich noch nicht fertig bin, seine dunklen Augen sehen mich sanft an.

Hast du meine Mutter gekannt?

Möglich, sagt er vage.

Wie gut?

Das spielt keine Rolle und wird nie eine spielen. Ich habe dich nicht aufgrund deiner Mutter ausgewählt.

Und wenn es für mich eine Rolle spielt?

Dann ist das deine Sache. Aber es wäre unklug, dich damit zu belasten.

Es nimmt mich keiner mehr ernst, das hättest du nicht sagen sollen, warum willst du mich ständig erzählen lassen, wo es dir doch unwichtig erscheint.

Nein, sagt er. Du musst nur endlich einsehen, dass du nicht mein Eigentum bist, du gehörst niemandem.

Hast du nicht ein Anrecht auf mich, weil du eben stärker, logischer und erfahrener bist als ich; ich hätte nichts dagegen, dir zu gehören, lieber gehöre ich dir als meinen Eltern.

In seinen Blick tritt eine Spur von Ungeduld über meinen Starrsinn, selten erkenne ich, was er denkt, doch er hat sich sofort wieder in der Gewalt: Das ist das Prinzip, mit dem du aufgewachsen bist, es ist an der Zeit, damit zu brechen. Menschen, die verletzend sind, ob mit oder ohne Absicht, wird es immer geben. Aber es trifft dich weniger hart, wenn du weißt, diesen Menschen bist du zu nichts verpflichtet. Wenn du glaubst, ich verletze oder erschrecke dich, dann ist es deine eigene Entscheidung, zu gehen, niemand kann dich daran hindern.

Mein Wunsch wäre es, dass du es tätest. Denn für die Welt bin ich noch nicht reif genug. Der Tag wird kommen, an dem ich ohne Beklemmung auf die Straße gehen kann, mit anderen sprechen und Vorurteile abstreifen, und denke nicht, ich sehne mich nicht danach. Aber bis dahin bin ich auf dich angewiesen.

Welche Vorurteile möchtest du denn abstreifen?

Über dich und Männer im Allgemeinen. Es hört sich widersprüchlich an, aber du hilfst mir schon dabei. Manchmal, so wie jetzt, wäre nichts sinnvoll ohne dich.

Danke, antwortet Milan, ich nehme an, das ist als Kompliment aufzufassen.

Wie schlecht du mich doch kennst, sage ich. In dieser Beziehung kennst du mich schlecht; du beleidigst mich, ich mache nie Komplimente, nur einmal der Verkäuferin auf dem Markt, die so mürrisch dreinschaute, weil es regnete, und sie war in der Tat freundlicher nach meinem Kompliment. Dabei habe ich es keineswegs ehrlich gemeint, es genügt schon, dass man es sagt.  Ich habe einfach ihre Miene nicht ertragen können. Sehe ich mürrisch aus, was gefällt dir an mir?

Milan sagt: Ich habe diese Frage schon beantwortet. Sie wird viel interessanter, wenn du sie dir selbst stellst.

 Lange Zeit stehe ich vor dem Spiegel, nachdenklich mein zweites Ich betrachtend, im großen und ganzen bin ich zufrieden mit meiner Erscheinung, ich neige nicht zu Übergewicht und habe eine knabenhafte Figur, die ruhig etwas weiblicher sein dürfte.

Als ich klein war, wollte ich immer hinter dieses magische Glas schauen, dem Tor zu etwas neuem, nicht greifbaren, ein unerklärliches Phänomen ergründen, wahrscheinlich geht das jedem Kind so. Wann ist mir bewusst geworden, dass das Mädchen im Spiegel ich bin? Wann habe ich bemerkt, dass es mich nachahmt, meine Gesten, meine Grimassen? Diesmal ist es anders, mein Abbild entwickelt ein Eigenleben, kneift die Augen zu, wo ich sie weit aufreiße. Irgendwann wird es mir davonlaufen, und in allen Spiegeln werde ich nicht mehr zu sehen sein, weil mein Ich auf und davon ist, sein Unwesen hinter den Zwischenräumen den Spiegeln treibt, eine Konfrontation mit mir vermeidend.

Ich bitte dich, sage ich später zu Milan, irgendetwas stimmt mit dem Spiegel nicht, schau doch hinein, dann wirst du es sehen.

Er tut mir den Gefallen. Was soll nicht in Ordnung sein, fragt er. Aber nun bin ich nicht mehr sicher, ich schaue sein Spiegelbild an, das genauso reglos steht wie er selber, die Hände noch in den Manteltaschen. Auch meines steht artig da, nicht so wie heute Mittag, eher ängstlich wandert sein Blick zwischen mir und Milan hin und her.

Hat er einen Sprung, fragt Milan.

Nicht mehr wichtig, ich habe mich getäuscht, stell dir vor, ich habe tatsächlich geglaubt, in dem Spiegel jemand anderes zu sehen. 





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